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38. Die Fahrt des Orellana.

In Peru hat der größte Fluß der Erde, der Amazonenstrom, seine Quelle. Zwischen den grünbewachsenen und mit ihren Gipfeln im Blau des Himmels verschwimmenden Ketten der Anden strömt er nach Norden. An seinen Ufern schwankt der Weizen im Wind, und hin und wieder spiegelt sich ein Gräberturm oder eine Ruine aus der Inkazeit in seinen Wellen. Kleine Flöße dienen als Brücken über ihn. Aber zur Zeit des Hochwassers rauscht er wild schäumend durch das Tal.

Ganz plötzlich macht er einen Bogen nach Osten und bricht sich ein Bett durch die östlichen Kämme der Anden. Durch eine kaum fünfzig Meter breite Schlucht drängt sich seine Wassermasse und stürzt mit ohrenbetäubendem Donnern in Wasserfällen und Stromschnellen hinab. Manchmal ruht sie sich gleichsam von ihrem Laufe aus und erweitert sich zu fünfhundert Meter Breite. Von den Firnfeldern der Anden eilen dem Amazonenstrom kristallklare Nebenflüsse zu, Berge und Wälder an seinem Ufer leisten ihm Abgaben in Quellen und Bächen, und wenn er die letzten Hügel hinter sich läßt, ist er ein majestätischer Strom.

Die Quelle des Amazonenstroms wurde im Jahre 1535 durch einen spanischen Soldaten namens Marañon entdeckt, und schon im Jahre 1500 hatte Vincente Pinzon seine Mündung gefunden. Aber Marañon wußte nichts davon, wo sich der Fluß ins Meer ergoß, und Pinzon nicht, in welchem Tal seine Quelle sprudelte. Das Rätsel seines Laufes von der Quelle bis zur Mündung zu lösen, war einem andern Spanier vorbehalten.

Unter dem Eroberer Francisco Pizarro diente sein Bruder Gonzalo in Nordperu. Erzählungen von reichen Goldländern im Osten bewogen auch ihn, sich dahin aufzumachen. Mit einem Heere von 350 spanischen Reitern und Fußsoldaten und 4000 Indianern brach er von Quito auf und zog am Fuße des Cotopaxi über die Anden nach dem Tiefland des Napoflusses. Ein wahnsinniges Unternehmen! Die Indianer erfroren massenhaft auf den Höhen, und anstatt des Goldes fand man nichts anderes als trostlose Wüsten, Moräste und öde Wälder, deren Boden zweimonatiger Regen aufgeweicht hatte. An Tieren zeigte sich nichts als der dickhäutige Tapir, der mit seiner rüsselartig verlängerten Schnauze nach Kräutern und Blättern wühlte und die sumpfigen Gegenden in der Tiefe des Urwaldes bevorzugte. Die spärlich verstreuten Einwohner zeigten sich feindlich gesinnt.

Am Neujahrstage des Jahres 1540 erreichte die schon stark zusammengeschmolzene Schar das Ufer des Napoflusses, und da der Hunger mit allen seinen Qualen drohte, beschloß Pizarro, einen seiner Begleiter, einen kühnen Seemann namens Orellana, flußabwärts vorauszusenden, um Menschen und Lebensmittel aufzutreiben. Bei einem Lager wurde eine Schiffswerft angelegt und in Hast eine kleine Brigantine zum Segeln und Rudern gezimmert. Mit fünfzig Mann Besatzung ging Orellana an Bord, und die starke Strömung führte ihn schnell vom Lagerplatz weg.

Auf beiden Ufern zeigte sich dunkler, stiller Urwald. Keine Dörfer, keine Menschen! Gewaltige Bäume reckten ihre Kronen wie Triumphbogen über die Flut, und von ihren Zweigen hingen Lianen herab, die den muntern Greifschwanzaffen als Strickleitern und Schaukeln dienten.

Von Tag zu Tag glitt Orellanas Fahrzeug immer tiefer in dieses mit Feuchtigkeit gesättigte Land hinein, das noch nie ein Weißer gesehen hatte. Vergeblich spähte man nach Eingeborenen aus, vergeblich suchte der Blick das grüne Dunkel zwischen den Stämmen zu durchdringen. Der Mannschaft bemächtigte sich Angst und Unruhe. Nur Orellana saß unbekümmert am Steuer, erteilte seine Kommandos an die Ruderer und setzte die Segel, je nachdem der Wind über das Wasser hinfuhr.

Nirgendswo Lagerplätze auf den Ufervorsprüngen, nirgends eine mit Palmblättern oder Gras gedeckte Hütte, nirgends auch nur eine Rauchwolke, die auf die Nähe von Indianern schließen ließ. Auf einem Abhang lag im Gebüsch eine Boa, eine Verwandte der Pythonschlange der alten Welt, in graziösen Ringen aufgerollt und mit dem Verzehren eines kleinen Nagetiers, des Aguti, beschäftigt. In dem mit Wurzeln durchzogenen Ufermorast wühlten einige Wasserschweine, und unter einem Gewölbe stachlichter Büsche lauerte ihr ärgster Feind, der Jaguar, dessen Augen gleich feurigen Kugeln glühten.

Schließlich hellte es sich an den Ufern auf. In den lichteren Säulengängen des Waldes zeigten sich Hütten, zwischen denen erschrockene Indianer hin und her liefen. Orellana ging nun mit seinen Leuten an Land, und nachdem er die Wilden beruhigt hatte, ließ er sich einige Zeit bei ihnen nieder, um soviel Lebensmittel herbeizuschaffen, wie nur aufzutreiben waren. In zehn Tagen, versicherten die Indianer, werde er im Süden ein großes Wasser erreichen, und Orellana vermutete sogleich, daß dies der Fluß sei, dessen Mündung Pinzon entdeckt hatte.

Lebensmittel waren nun gefunden. Aber wenn Pizarro und seine Schar auf Orellana gewartet hatten, mußten sie längst vor Hunger umgekommen sein, und gegen die Strömung des Napoflusses anzurudern, war mit diesem Fahrzeug ausgeschlossen. Lieber also weiterfahren! Vielleicht glückte es, den Atlantischen Ozean zu erreichen. Die übrigen Ausreißer hatten gegen den Vorschlag ihres Anführers nichts einzuwenden, denn sie fühlten sich in der Niederlassung der Indianer recht behaglich. Ein größeres Segelschiff wurde nun gebaut, aus den Lianen des Waldes drehte die Mannschaft Kabel und Taue, und aus den Grasmänteln der Einwohner wurden Segel zusammengenäht.

Da Orellana nicht zurückkehrte, glaubte Pizarro, er sei das Opfer feindlicher Stämme geworden, und beschloß daher, wieder nach Quito umzukehren. Was noch lebte, nährte sich von dem Fleisch der Pferde, verspeiste dann Hunde und Kriechtiere und schließlich Wurzeln und Leder. Nach ungeheuren Entbehrungen langte Pizarro wirklich wieder in Quito an, aber seine Begleitung bestand nur noch aus achtzig Mann! Viertausend Indianer und zweihundert Weiße waren auf dem Marsche umgekommen! –

Orellana befrachtete unterdes seine beiden Schiffe mit Lebensmitteln, bemannte das größere mit dreißig, das kleinere mit zwanzig seiner Leute und setzte seine Fahrt fort, die mit einem Schlag das gewaltige Flußsystem des tropischen Südamerika entwirren sollte! Um ihn her dehnte sich das größte tropische Tiefland der Erde aus, und vor ihm lag der wasserreichste Strom der Erde. Er sah nichts anderes als Wasser und Wald, er besaß keine andere Ausrüstung als die, die ihm die Ufer des Napoflusses boten, und obendrein hatte sich die Unternehmungslust seiner unwissenden Mannschaft sehr bald in heftiges Murren über die lange gefährliche Reise umgewandelt.


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