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13. Pittsburg.

Unser Auswanderer Fritz hat sich mittlerweile in dem Wirrwarr der Millionenstadt einigermaßen zurechtgefunden, sich an ihren Wundern satt gesehen, ein wenig englisch radebrechen gelernt und schließlich nach ziemlich langem Bemühen eine annehmbare Stellung in einer großen Fabrik gefunden, wo er seine primitiven Kenntnisse des Schmiedehandwerks verwerten lernt. Dort bleibt er aber nur zwei Monate, denn er erhält nebst einem befreundeten Landsmann ein Anerbieten aus Philadelphia, das er ohne Zögern annimmt. Seine Absicht ist, sich so von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle durch ganz Nordamerika westwärts hindurchzufinden. Bin ich erst in Chicago, denkt er, so wird es mir nicht schwer werden, bis nach San Francisco zu kommen, wo, wie er gehört hat, die höchsten Löhne gezahlt werden.

Nun arbeitet er einige Zeit in einer Werkstatt zu Philadelphia, wo alljährlich mehr als tausend Lokomotiven hergestellt werden. Diese Werkstatt ist wie eine Stadt für sich. In riesigen Öfen wird das Eisen weißglühend gemacht, dann gehämmert und gewalzt, und mit überlegener Kraft verwandeln Menschenhände den harten. Stahl in Dampfkessel, Räder, Achsen und Maschinenteile, aus denen dann die Lokomotive zusammengesetzt wird. Die ganze Fabrik wird nach allen Richtungen hin von Schienen durchkreuzt, und die fertigen Dampfrosse laufen nach allen Seiten hin über das Eisenbahnnetz der Vereinigten Staaten. Sonderlich interessant ist die Arbeit, die Fritz gefunden hat, nicht; sie beschränkt sich auf gewisse mechanische Handgriffe und stellt an seine Intelligenz weiter keine Anforderungen. Aber gerade diese unaufhörliche Eintönigkeit macht sie bei der durch Überstunden fast immer ausgedehnten Arbeitszeit anstrengender, als die heißesten Arbeitstage ehemals in der Heimat.

Zum Studium der Stadt bleibt da wenig Zeit und Lust übrig. Durch seine Kameraden erfährt Fritz, daß Philadelphia eine der bedeutendsten Städte der Erde ist, anderthalb Millionen Einwohner zählt und daß in Amerika nur Neuyork und Chicago größer sind. Mehr als ein Fünftel der Einwohnerschaft sind Arbeiter. –

Nach einigen Monaten gefällt es unserm Freund in Philadelphia nicht mehr, und er löst eine Fahrkarte nach Pittsburg, der Hauptstadt des Stahls und des Eisens, wo, wie ihm versichert wurde, ein kräftiger Arbeiter nie auf Anstellung zu warten braucht.

Der Zug von Philadelphia nach Pittsburg führt ihn ohne Umsteigen durch den ganzen Staat Pennsylvanien. Unzählige Seitenbahnen zweigen sich allenthalben von der Hauptstrecke ab, und nach allen Richtungen hin liegen Städte und Gemeinwesen. Hier geht eine Bahn zu einem Bergwerk hin, dort eine andere in eine Gegend, wo auf unabsehbaren Feldern Mais und Tabak gebaut wird, und hier eine dritte zu einem großen Sägewerk. Auf den Bahnhöfen stehen lange Züge, mit Getreide, Holz, Petroleum, Baumwolle, Maschinen, Steinkohlen befrachtet, kurz, mit allen Gütern, die die Kraft der Erde hervorzaubert und die Menschen durch ihrer Hände Arbeit hervorbringen.

Welch ein Eifer, welche Eilfertigkeit! denkt Fritz bei sich. Was für ein fleißiges, unternehmendes Volk! Aber man merkt bald, daß hier nur an drei Dinge gedacht wird: Dollar, Dollar und zum dritten Male Dollar! Wer noch kein Vermögen hat, arbeitet sich die Schwindsucht an den Hals, um reich zu werden, und wer schon hunderttausend Dollar besitzt, arbeitet sich den Frieden aus der Seele, um noch mehr zu erwerben. Und doch kann keiner seine Schätze mit sich ins Grab nehmen! Es klingt ganz hübsch, daß das Land eine Bundesrepublik sein soll; und doch hat es einen König, den schlimmsten aller Despoten, und seine alles beherrschende Majestät heißt Dollar.

Das Land zu beiden Seiten der Eisenbahn wird hügelig, und in gewundenen Kurven eilt der Zug durch den nördlichsten Teil des Alleghanygebirges. Während Fritz mit gespannter Aufmerksamkeit den Blick über die dunkeln Wälder, die wogenden Felder und über den aus Gehöften und Dörfern aufsteigenden Rauch hinschweifen läßt, setzt sich ein Yankee ihm gegenüber auf die Bank. Fritz rückt vom Fenster ab, denn sein Gegenüber spuckt in großen Bogen vor sich hin, wie das die Art ungebildeter und oft auch gebildeter Amerikaner zu sein pflegt.

Der andere merkt die Bewegung. »Goddam,« ruft er lachend, »ich merke, daß Sie in Amerika noch ein Neuling sind!« Und als Fritz zustimmend nickt, meint er:

»Da werden Sie sich noch an mancherlei gewöhnen müssen! Übrigens nichts für ungut.«

Fritz, der, schon in den Werkstätten, in denen er bisher gearbeitet hat, mit Staunen und Ekel die sorgloseste Unsauberkeit hatte beobachten können, macht gute Miene zum bösen Spiel, um so mehr als sich sein Begleiter im übrigen als ein freundlicher und gut unterrichteter Mann beweist, wie Fritz überhaupt die Erfahrung gemacht hat, daß der amerikanische Arbeiter, hierhin und dorthin verschlagen und sich in allen möglichen Lebenslagen notgedrungen zurechtfindend, über Land und Leute, staatliche und soziale Einrichtungen weit besser Bescheid weiß, als dies gewöhnlich in Europa der Fall zu sein pflegt.

»Was Sie dort sehen,« erklärt ihm der Begleiter, als Fritz mit gespanntem Interesse in die Landschaft hinaussieht, »sind die Kämme des Alleghanygebirges, die aus Granit, Gneis und Schiefer bestehen und die die Wasserscheide zwischen dem Atlantischen Ozean und dem Mississippi bilden. Übrigens glauben Sie ja nicht, daß die Berge überall so freundlich aussehen wie hier! Drunten im Südwesten, in Nordcarolina z. B., finden Sie Gipfel, die mehr als 2000 Meter hoch sind. In den Tälern wird Mais gebaut und Obst gezogen, und die Felder wechseln mit herrlichen Nadel- und Laubwäldern. Zwischendurch aber gibt es auch weite Strecken, wo Sie sich rettungslos in Dickichten von Rhododendron und Schlingpflanzen verirren. Das sind Schlupfwinkel, die noch nie von einem Menschen betreten wurden, wo aber Bären und Wölfe zwischen Gestrüpp und Windbruch, umgestürzten Baumstämmen und bemoosten Granitblöcken hausen. Seit der Zeit, daß die Indianerstämme noch miteinander im Kriege lagen, hat sich hier noch gar nichts verändert. Zwar die Indianer brauchen Sie jetzt nicht mehr zu fürchten. Aber vor den braunen Klapperschlangen mit den dunkeln Flecken auf dem Rücken nehmen Sie sich ja in acht! Die sind weit gefährlicher. Zum Glück haben sie eine Hornklapper am Schwanz, und wenn sie sich über den Boden hinschlängeln, klingt es, wie wenn trockne Erbsen in einem Sieb geschüttelt würden. – Wohin reisen Sie denn eigentlich, Kamerad?«

»Ich will nach Pittsburg und dort Arbeit suchen; ich bin daheim Schmied gewesen und habe schon gemerkt, daß man hier mit solch einem Handwerk leichter zuwege kommt, denn als Landarbeiter auf einer Farm.«

»Das mag schon sein. Aber nach Pittsburg! Na, ich danke! Wissen Sie, wie man Pittsburg während des Winters nennt? ›Die Hölle!‹ Im Sommer hat es keinen Namen, wahrscheinlich, weil es weder über noch unter der Erde ein fürchterlicheres Nest gibt als diese schauderhafte Stadt des Eisens und des Rauches, der weißglühenden Bessemer-Öfen und der unermeßlich reichen Stahlkönige.«

»Sie scheinen ja Pittsburg gut zu kennen?«

»Und ob! Ich bin dort zwei Jahre lang Vorarbeiter in einem Stahlwerk gewesen. Pittsburg ist wie mit einem Zauberschlag aus der Erde emporgewachsen, seit die Petroleumquellen entdeckt wurden, und ist jetzt eine der größten Industriestädte der Welt und in allem, was Eisen und Stahl betrifft, Nummer Eins in Amerika. Was hier an solchem Material hergestellt wird, hat jährlich etwa den Wert einer halben Milliarde. In der Nachbarschaft finden sich fast unerschöpfliche Steinkohlenlager, und über zwanzig Eisenbahnlinien laufen in Pittsburg zusammen. Außerdem hat es noch drei große, schiffbare Flüsse zur Verfügung, von denen sich zwei zum dritten, dem Ohio, vereinigen, der in den Mississippi geht. Und obendrein verbindet diese Flüsse ein großes Netz von Kanälen. Die Vorstädte von Pittsburg sind voller Maschinenfabriken, Eisengießereien und Glashütten. Pittsburg zählt über eine halbe Million Einwohner; ein Drittel davon sind Ausländer, meist Slawen, aber auch Italiener und Ungarn. Ich sage Ihnen, Sie haben ein für allemal von Pittsburg genug, wenn Sie nur erst einmal von einer Anhöhe herab diesen Wald qualmender Fabrikessen vor sich sehen und an die Unglücklichen denken, die sich unter diesen schwarzen Wolken von Steinkohlenrauch abschinden müssen. Hier hört man nichts als Hämmern und Klopfen, ein ewiges Summen und Klingen von Stahl und Eisen, und schwer beladene Züge rollen über die Schienen. Es zischt und siedet in überheizten Öfen, und unter den Eisenhämmern sprühen die Funken. Bei Nacht könnte man glauben, in den tiefsten Abgrund eines Vulkans versetzt zu sein, wo die Lava unter der Asche brodelt und jeden Augenblick droht, sich herauszuwälzen und alles zu vernichten. Aus vielen tausend Schloten flammt ein unheimlich rotgelbes Licht und erhellt die unteren Ränder der dichten Rauchwolken, die wie eine Riesenkappe Pittsburg bedecken. Glauben Sie mir, ich würde lieber in den Wäldern des Alleghanygebirges verwildern, als zwischen den Hochöfen Pittsburgs verkommen.«

»Sie haben ja keine besonders gute Meinung von der Stadt, und doch loben Sie ihren Gewerbfleiß und ihren Reichtum.«

»Ja – Reichtum, der in einigen wenigen Händen bleibt, während die vielen tausend arbeitenden Menschen wie in einer unermüdlich mahlenden Felsenmühle zerrieben werden! In dieser Mühle gehen jährlich fünfzehntausend Arbeiter zugrunde! Ich weiß, wie es dabei zugeht; ich selbst habe dafür, daß ich als Vorarbeiter einer Schar solcher Menschen die Kraft aus dem Leibe herauspressen mußte, Extralohn erhalten. Die Arbeitgeber drücken die Preise ohne jede Rücksicht, und die unwissenden Auswanderer, die sich dort zusammenfinden, haben es noch nicht gelernt, sich zur Verteidigung ihrer gemeinsamen Interessen zu vereinigen. Ihre Vorgesetzten werden dafür bezahlt, daß sie die Ärmsten hetzen und antreiben, um das Menschenmögliche zu leisten. Gott verzeih' mir, daß ich auch einmal einer jener Sklavenaufseher gewesen bin!«

»Das ist mir gänzlich neu, was Sie sagen! Ich hatte geglaubt, daß Pittsburg auch für den Arbeiter ein rechtes Goldland sei.«

»Ja, prosit! Denken Sie sich eine Fabrik mit zehntausend Arbeitern. Damit diese Zahl immer voll bleibt, muß der Arbeitgeber alljährlich mehr als zwanzigtausend Arbeiter anstellen, und in solch einer Fabrik herrscht ein unaufhörliches Kommen und Gehen, so daß man sich kaum unter seinen nächsten Kollegen zurechtfindet. Nur eine gutbezahlte Stammtruppe besitzt die erforderliche Berufstüchtigkeit. Die große Masse arbeitet maschinenmäßig und braucht nicht zu denken. Und glauben Sie, daß für ihre Gesundheit und Sicherheit auch nur irgendwie gesorgt sei? Mehr als fünfhundert Arbeiter sterben alljährlich eines gewaltsamen Todes unter den Maschinen, und eine noch viel größere Zahl wird fürs ganze Leben zum Krüppel. Dann ist die Familie brotlos, und nur in ganz vereinzelten bestimmten Fällen erbarmt sich der Arbeitgeber ihrer. Die Wohnungen sollten Sie sehen, in denen die Arbeiter hausen müssen! Schändliche Löcher sind es, ein Hohn auf alle Reinlichkeit und Hygiene! Da sind Sie in Europa doch besser daran! In den Arbeiterkasernen wohnen nicht selten zehn bis zwölf Mann in ein und derselben Stube. Schmutz, Ungeziefer, verpestete Luft, schlechtes Wasser, ungenügende Ruhe, kärgliche Nahrung und übermäßige Arbeit, alles das ruiniert den stärksten Menschen in kurzer Zeit. Und dazu noch das häufige Sitzen in den Schenken, um doch wenigstens etwas vom Leben zu haben. Daher richtet das Nervenfieber unheimliche Verheerungen unter den Leuten an.«

»Und das ist in Amerika, dem Lande der Freiheit und der Zukunft, möglich?«

»Gewiß, vor wenigen Jahren wenigstens war es noch so. Jetzt sollen sich aber einige Leute der Sache angenommen haben, und es mag sein, daß auch für die Arbeiterscharen eine bessere Zeit kommt. So schnell wird das zwar nicht gehen. Einmal aber wird doch all die Schändlichkeit, die so lange im Finstern Gold zusammengescharrt hat, ans Licht kommen! Wenn ich in Ihrer Haut steckte, brächten mich keine zehn Pferde nach Pittsburg, sondern ich würde nach Chicago weiterfahren. Nicht weil Chicago etwa ein Paradies ist, aber dort haben Sie als Deutscher bessere Aussichten und kommen dem Westen und seinen unerschöpflichen Hilfsquellen näher.«

»Vielen Dank für den guten Rat! Ich hatte sowieso die Absicht, später nach Chicago zu gehen, und fahre deshalb gleich mit Ihnen weiter.«

»Gut, da ist der Bahnhof von Pittsburg! Sie brauchen sich bloß eine Fahrkarte zu kaufen; aber passen Sie auf, daß Sie nicht aus Versehen eine nach Saint Louis erwischen.«


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