Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

27. Der König der Azteken.

Am 8. November 1519 fand der Einzug der Spanier in Mexiko statt. Ob »zu glücklicher Stunde«, wie der Indianerfürst freundlich gewünscht hatte – das war die Frage, die ihn und Cortez wohl am meisten beschäftigte.

Der in die Stadt führende Hauptdamm war acht Schritt breit, aber für die Menschenmenge, die in Begleitung der Fremden mit hineinwollte oder zu ihrer Begrüßung ihnen entgegenströmte, viel zu enge. Alle Türme und Opfertempel der Residenz waren mit Zuschauern besetzt, und der ganze See lag voll von Fahrzeugen, die mit Neugierigen angefüllt waren. »Wer wollte sich auch darüber wundern,« meint ein schreibgewandter Begleiter des Cortez, Bernal Diaz, »da man Leute unserer Art und Pferde noch nie hier gesehen hatte. Von Strecke zu Strecke hatten wir eine neue Brücke zu passieren, und vor uns dehnte sich die große Stadt Mexiko in all ihrer Herrlichkeit aus. Und wir, die wir durch die zahllosen Menschenmassen hinzogen, waren ein Häuflein von dreihundertundfünfzig Mann, und hatten den Kopf noch voll von den Warnungen der Bewohner von Tlascala und anderen Städten, und von den Vorsichtsmaßregeln, die sie uns empfohlen hatten, um unser Leben gegen die Mexikaner sicherzustellen. Wenn man unsere Lage erwägt, darf man wohl fragen, ob es je Männer gegeben hat, die ein so kühnes Wagestück unternommen haben!«

Mit einem glänzenden Gefolge von zweihundert angesehenen Kaziken kam Montezuma in der Hauptstraße der Stadt seinem Gaste selbst entgegen, und bald standen sich die beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Unter einem Thronhimmel, der mit grünen Federn, mit Gold, Silber und edeln Steinen reich geschmückt war, wurde Montezuma auf einem goldblitzenden Sessel von den Angesehensten seines Reiches einhergetragen. Als er sich aber Cortez näherte, verließ er seinen Sitz und schritt über ausgebreitete Decken ihm entgegen.

Die Fürsten des königlichen Gefolges, so berichtete Cortez an den Kaiser Karl V., gingen sämtlich barfuß, waren aber im übrigen in eine gleichartige Hoftracht gekleidet. Sie bildeten rechts und links der Straße zwei Reihen. Die Straße war sehr breit, schön und schnurgerade, so daß man sie von einem Ende bis zum andern übersehen konnte, und zwei Drittel Stunde lang. Auf beiden Seiten erhoben sich schöne und große Gebäude, teils Wohnhäuser, teils Tempel.

Montezuma schritt in der Mitte der Straße mit nur zwei Begleitern, einem zur Rechten und einem zur Linken; jeder stützte ihn mit einem Arm. Auch sie waren alle drei gleich prächtig und malerisch gekleidet, nur daß Montezuma Halbstiefel trug, die mit Juwelen besetzt waren und goldene Sohlen hatten, während seine Adjutanten barfuß gingen wie die übrigen, und auf seinem Haupte winkte ein Busch grüner Federn, denn grün war die königliche Farbe. Niemand aus der Menge durfte zu ihm aufschauen; jeder senkte demütig den Blick.

Als Cortez des Königs ansichtig wurde, stieg er vom Pferde und ging auf ihn zu; dann nahm er ein Halsband von Perlen und Glasdiamanten und legte es ihm um den Hals. Als er ihn aber umarmen wollte, wehrten ihm die Begleiter, denn die Person des Herrschers galt als geheiligt. Nun vollzog der Indianerfürst die übliche Begrüßungszeremonie; er und seine Begleiter berührten mit der Hand die Erde und küßten sie, und nachdem er einige Worte mit Cortez gewechselt hatte, kamen auch die sämtlichen übrigen Häuptlinge, die in den beiden Reihen aufgestellt waren, einer nach dem andern in vollkommener Ordnung, aus Cortez zu, um ihn ebenfalls der Sitte des Landes gemäß zu bewillkommnen.

Dann setzte sich der Zug nach der Stadt zu in Bewegung Montezuma befahl dem einen seiner Begleiter, der sein Bruder war, bei Cortez zu bleiben und ihn am Arme zu führen. Er selbst ging mit dem andern einige Schritte vorauf, und alsbald kam ein Diener mit einem Korbe, dem Montezuma zwei Hummerhalsbänder entnahm, die er nun seinerseits Cortez um den Hals hängte. Diese Schmuckstücke waren aus roten Muschelschalen zusammengesetzt, die bei den Mexikanern für überaus wertvoll galten, und an jedem Halsband hingen acht goldene Hummern von gediegener Arbeit, jeder etwa fünfzehn Zentimeter groß.

Dann setzte der König seinen Weg die Straße hinunter fort, bis der Zug an einen großen und schönen Palast gelangte, der früher die Residenz von Montezumas Vater gewesen und jetzt zum Quartier für die Fremden wohnlich eingerichtet war. Die Zimmer waren mit bunten Vorhängen aus Baumwolle geschmückt und die Fußböden mit Matten belegt. Hier nahm Montezuma seinen Gast bei der Hand und führte ihn in einen weiten Saal, hieß ihn sich auf eine Erhöhung niedersetzen, die für den König selbst prächtig hergerichtet war, bat ihn hier zu erwarten und entfernte sich.

siehe Bildunterschrift

Colorado-Cañon.

siehe Bildunterschrift

L. Kowalsky, Empfang des Cortez bei König Montezuma.

Nach kurzer Zeit kehrte er zurück mit einer Menge von Kleinodien aus Gold und Silber, mit kostbaren Federbüschen, sechstausend Stück Baumwollzeug, das in verschiedener Art kunstvoll und prächtig gewoben war, und gewaltigen Lasten Lebensmittel. Alles dies machte er Cortez zum Geschenk, und zuletzt bat er seinen Gast, über ihn und sein Land zu verfügen, denn er zweifle jetzt nicht mehr, daß Cortez kein anderer sei, als der Lichtgott, dessen einstige Wiederkehr zahlreiche Prophezeiungen verkündeten. Dieser Lichtgott war ein Priester und Reformator der Tolteken, die von den Azteken ehemals unterdrückt worden waren. Da er die Menschenopfer der Azteken bekämpfte, hatte man ihn aus dem Lande vertrieben, und die Sage ging, daß er auf einem aus Schlangenhaut gefertigten Zauberschiff nach Osten übers Meer geflüchtet sei, aber feierlich erklärt habe, daß er dereinst zurückkehren und sein Reich wieder in Besitz nehmen werde. Der Glaube an die Wiederkunft dieses Messias war im niederen Volke weit verbreitet, und alle Zeichen sprachen jetzt dafür, daß Cortez dieser Verheißene sei; denn jenen Lichtgott dachte man sich von ebenso weißer Hautfarbe, von ebenso hoher Gestalt und mit wallendem Bart.

Der König Montezuma war zur Zeit der Ankunft der Spanier etwa vierzig Jahre alt. Er hatte eine stattliche Figur und war schlanken Wuchses. Seine Hautfarbe war heller als die der übrigen Indianer, sein Haar war kurz geschnitten und fiel nur oberhalb der Ohren in dichten Locken herab. Sein längliches Gesicht war von einem schwarzen dürftigen Bart umrahmt. Sein Wesen war heiter und freundlich, und seine »wohlaussehenden Augen,« erzählt Bernal Diaz, »drückten, je nachdem es paßte, Liebe und Ernst aus«.

Cortez ließ nun sein Quartier, das durch eine dicke Mauer ringsum und mehrere Türme zu einer Festung wie geschaffen war, mit Wachen besetzen und an den Eingängen Kanonen aufpflanzen. Dann machte er am nächsten Morgen mit vier seiner Hauptleute dem Könige seinen Gegenbesuch.

Der königliche Palast war ganz aus behauenen Steinen gebaut und die Wände der Gemächer mit Platten von Marmor, Jaspis und Porphyr belegt, die so glatt geschliffen waren, daß man sich darin spiegeln konnte. Kostbare Webereien und Federteppiche mit eingestickten Vögeln und Blumen machten die Zimmer wohnlich, und in den Höfen rauschten Springbrunnen. Solcher Paläste besaß Montezuma eine ganze Reihe, mit hängenden Gärten über dem See und den Kanälen.

Einer dieser Paläste war zu einem reichhaltigen zoologischen Garten eingerichtet, worin eine große Dienerschaft der Züchtung und Wartung der verschiedensten seltenen und merkwürdigen Tiere oblag. Ein anderer diente als ein Museum, dessen gleichen sich wohl kaum irgendein Tyrann der alten Welt je angelegt hat: lauter mißgestaltete Menschen wurden hier gleich wilden Tieren in Käfigen und Höfen gehalten, Riesen und Zwerge, Bucklige und wessen man sonst an solchen Unglücklichen habhaft werden konnte, und der König Montezuma begab sich sehr oft mit seinem Gefolge dahin, um sich an diesen seinen Hofnarren zu ergötzen.

In einem andern Palaste wieder wurden die kostbarsten Schaustücke aufbewahrt. Von allem, was es nur im Lande gab, von Tieren und Früchten, Häusern und Geräten, von Sonne, Mond und Sternen pflegte sich der König kunstvolle Nachbildungen in Gold machen zu lassen, und auf große Blätter vom Faserpapier der Aloe mußten die Hofmaler jede merkwürdige Begebenheit, wie z. B. die Ankunft der Spanier mit ihren niegesehenen Rossen und Schiffen, mit Farbe verewigen. Sogar Landkarten hatte der König aufnehmen lassen, die Cortez bei seinen späteren Kriegszügen wertvolle Dienste leisteten.

Am Hofe Montezumas herrschte ein strenges Zeremoniell. Er war ständig von dreihundert Jünglingen aus den vornehmsten indianischen Familien umgeben, die ihn bedienten. Dabei durfte ihn niemand anrühren oder auch nur ansehen. Eine Art Zeremonienmeister trug stets drei dünne hohe Stäbe vor ihm her, bei deren Anblick sich alle Leute tief verneigen mußten, damit die heilige Person des Königs kein profaner Blick streife. Er kleidete sich täglich viermal in immer neue Gewänder, speiste ganz allein in einem prächtigen Speisesaal, wo ihm täglich von allen Gerichten vorgelegt wurde. Auch sein Eßgeschirr wurde nur einmal benutzt. Seine höchsten Würdenträger ehrte er, indem er ihnen dann und wann von seinen Speisen vorlegte. Nach der Mahlzeit wurden ihm täglich ein neues Waschgefäß und ein neues kostbares Handtuch gereicht.

Obwohl die Königswürde an eine Familie gebunden war, ging sie nicht direkt vom Vater auf den Sohn über, sondern der neue König wurde von den höchsten Würdenträgern gewählt. Vor Montezuma herrschte sein Vater, nach ihm sein Bruder und dann sein Neffe, mit dem die Dynastie erlosch, obwohl noch heute Nachkommen jener Königsfamilie in Mexiko als spanische Granden leben.

Montezumas Reich erstreckte sich zweihundert Stunden weit im Umkreis. Die Felder waren meilenweit mit Mais bebaut, dem wichtigsten Getreide des Landes; dazwischen sah man Pflanzungen von Tabak, Bananen und Kakao. Die Azteken rauchten den Tabak zusammengerollt in Form von Zigarren, und aus den Kakaobohnen und dem Saft des ebenfalls von ihnen angebauten Zuckerrohrs bereiteten sie ein Getränk – nun ratet einmal was? – jawohl, die Schokolade! Schokolade ist ein aztekisches Wort, das sich in alle Kultursprachen eingebürgert hat, und euch daher jedesmal, wenn ihr eure Geburtstagsgäste damit bewirtet, an das von Cortez überwundene indianische Kulturvolk erinnern soll.

Außerdem wuchs hier die Baumwollstaude, die in großen Kulturen gezogen wurde, und eine Aloeart, aus deren Blattfasern man Papier bereitet und aus deren Saft der noch jetzt in Mexiko beliebte Pulquewein gewonnen wird. In den meisten Flüssen wurde Gold gefunden, und die Bewohner der einzelnen Provinzen sandten einen Teil von allen diesen Produkten als Steuer in die Residenz zum Unterhalt des Königs und seines Hofes.

Die Hauptstadt Mexiko lag inmitten zweier Seen, einem süßen und einem salzigen, und durch einen breiten Kanal standen die Seespitzen miteinander in Verbindung, so daß sie wie mit einem Ring von Wasser umschlossen war. Von drei verschiedenen Seiten führten breite Dämme in die Stadt, die noch obendrein kreuz und quer von Wasserkanälen durchschnitten war. Mächtige Brücken, die im Kriegsfälle leicht entfernt werden konnten, verbanden die einzelnen Stadtteile, die lauter abgeschlossene, unzugängliche Inselfestungen bildeten. Die Zahl der viereckigen Häuser, die mit ihren flachen Dächern großen Würfeln ähnlich sahen und mit Türmen besetzt waren, schätzte Cortez auf 60 000 und die der Einwohner auf 300 000, und da, wie sich die Spanier auf ihrem Zuge von der Küste her hatten überzeugen können, das ganze Land reich bevölkert war, mochte Cortez und seinen tapfern Gefährten in ihrer Festung oftmals zumute sein wie einem Häuflein Schiffbrüchiger, das sich auf eine kleine Insel des Weltmeers gerettet hat.


 << zurück weiter >>