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50. Über Samoa nach Neuseeland.

Unser weitgereister Sturmvogel hat die Samoainseln erreicht und ihre hohen vulkanischen Felsen, ihren Tuffstein und ihre Lava, ihre prachtvollen Wälder und ihre Wasserfälle, die von üppigster Vegetation umgeben sind und von denen manche aus zweihundert Meter Höhe herabstürzen, wiedererkannt. Über den Dickichten der Farne, Schlingpflanzen und Kräuter, die an Indiens Dschungeln erinnern, flattern wunderbar farbenprächtige Schmetterlinge, und nachts, wenn der Mond am Himmel steht, schwirrt es in der Luft von Fledermäusen.

Um ovale Hütten, deren Dach die Blätter des Zuckerrohrs bilden und deren Boden mit Kokosmatten bedeckt ist, sind gelbbraune Polynesier beschäftigt, Leute von kräftigem Körperbau und stolzem Gang. Ihr teilweise tätowierter Oberkörper ist nackt, sie tragen Halsbänder aus Muscheln und Zähnen, schmücken sich mit Blumen und Federn und reiben sich die Haut mit Kokosöl ein. Friedlichen und heitern Temperaments, sind auch sie von den weißen Eroberern in ihrer Ruhe gestört und gezwungen worden, die Herrschaft über ihre Inseln an Deutschland und Nordamerika abzutreten.

Auf den Samoainseln fällt erfrischender Regen. Schwarze Wolken senken sich auf das Meer hinab, heftige Windhosen saugen in spiralförmigen Säulen, die sich nach oben hin wie Pinienkronen erweitern, das Wasser empor, und dann folgen Sturzregen, die oft wochenlang anhalten und alles derart mit Feuchtigkeit übergießen, daß selbst der Versuch, ein Zündholz zum Brennen zu bringen erfolglos ist. Fast jedes Jahr werden diese Inseln von plötzlichen Wirbelstürmen heimgesucht, die Wracktrümmer an die Küste werfen und Äcker und Anpflanzungen vernichten. Die Blätter der Kokospalmen fliegen wie Federbüschel umher, und oft auch liegen die Bäume selbst in langen Reihen da, als ob eine riesengroße Sichel sie niedergemäht habe. Dann fühlt sich der Albatros in seinem Element, er ist ja ein Sturmvogel.

Von alters her weiß er, wo sich die großen Dampferlinien hinziehen. Bei den Samoainseln und dann auf seinem weitern Flug nach den Fidschiinseln im Südwesten sieht er mehr Dampfer, als ihm auf seiner bisherigen Reise begegnet sind, und besonders wenn das Wetter stürmisch ist, verläßt er seine Fangplätze auf der großen Wasserwüste und sucht eine bekannte Dampferfahrstraße auf. Denn bei stürmischem Wellengang lassen sich die Weichtiere nicht finden, aber von einem Schiff wird in jedem Wetter Abfall über Bord geworfen. Der Albatros weiß ganz genau, daß die Samoainseln in regelmäßiger Schiffsverbindung mit den Sandwichinseln stehen und daß sich von diesen aus Dampferlinien wie die Strahlen eines Sternes nach Asien, Amerika und Australien ziehen. Aber er ahnt nicht, daß er bei den Fidschiinseln sogar über ein Telegraphenkabel hinwegfliegt, das dort auf dem Grund des Stillen Ozeans ruht.

An den Fidschiinseln segelt er stolz vorüber, und ebensowenig denkt er daran, noch einen Abstecher nach den Samoainseln und der Unzahl all jener Eilande zu machen, die gleich den Pfeilern eingestürzter Brücken auf dem Weg nach der Küste Asiens liegen. Auch Neukaledonien ganz nahe im Westen lockt ihn nicht; die Franzosen haben hier eine Strafkolonie eingerichtet, und da ist für unsern Vogel nicht viel zu holen.

Jetzt stellt er die Segel seiner Flügel südwärts, und bald tauchen die Gebirge der Nordinsel Neuseelands über dem Horizont auf. Zwischen ihnen ragt der noch tätige Vulkan Tongariro mit seinen sieben Kratern empor, und nordöstlich von ihm zeigt sich der Kratersee Taupo zwischen seinen Bimssteinfelsen. Im Norden dieses Sees liegen zahlreiche andere Seen, um die herum Dampfwolken und heiße Quellen emporsteigen und wo manch prachtvoller Geiser wie ein Springbrunnen in die Höhe sprudelt.

Auf der Südinsel Neuseelands sieht der Albatros die Gebirge, ganz so wie in Skandinavien, an der Westküste sich hinziehen; mächtige Gletscherzungen gehen von ihren ewigen Firnfeldern aus, und ihre Flüsse verlieren sich in den prächtigsten Alpenseen. Er wirft noch einen flüchtigen Blick auf den riesigen Berg, der den Namen des großen Seefahrers Cook trägt. Wie leicht könnte er den Gipfel jenes Berges erreichen, aber da droben hat er nichts zu suchen.

Auf den Ebenen und an den Abhängen treiben Hirten gewaltige Schafherden vor sich her. Der Wald ist ewig grün; im Norden wachsen Nadelholzbäume, zwischen deren Säulengängen Buchen leuchten und zu deren Kronen Baumfarne und Schlingpflanzen emporklimmen. Die Palmen aber finden sich auf dem südlichsten Teil der Insel nicht mehr, hier ist es ihnen schon zu kalt.

Die Vogelwelt Neuseelands ist überaus reich. Von ihren vielen Arten erregt keine so die Spottlust unseres Albatros wie der Kiwivogel, wenn er auf seinen starken Beinen umhertrippelt und mit seinem langen Schnabel Würmer und Insektenlarven vom Boden aufpickt. Ein einsamer Kiwi, so groß wie ein Huhn, legt den Kopf auf die Seite und guckt zum Albatros hinauf, der auf seinen weißen Flügeln vornehm über ihm hinschwebt. Das arme Geschöpf hat überhaupt keine Flügel, und der Albatros hat deshalb für den Kiwivogel nur ein verächtliches Mitleid übrig. Aber das Necken kann er doch nicht lassen, und er ruft ihm zu:

»Komm doch einmal zu mir herauf, damit wir ein bißchen miteinander plaudern können.«

Ärgerlich piept der Kiwi: »Hast du mich jemals fliegen sehen?«

Auf Neuseeland war auch ein längst ausgestorbener Riesenvogel zu Hause, der vier Meter hoch wurde, aber ebenfalls nur ein Laufvogel war. Die Natur hat vielen Vögeln Neuseelands deshalb keine Flügel gegeben, weil sie ihrer gar nicht bedurften. Sie hatten ja keinerlei Feinde, vor denen sie fliehen mußten, und ihre Nahrung fanden sie auf dem Erdboden, wie der Kiwi. –

Ehemals waren die beiden Inseln Neuseelands von den Maoris bewohnt, die sich den ganzen Körper mit kunstvollen, zierlichen Mustern tätowierten. Sie waren Menschenfresser und spießten die Köpfe ihrer Feinde um ihre Hütten herum auf. Jetzt leben ihrer nur noch 40 000, und auch diese werden allmählich von den Weißen ausgerottet. Ehemals gingen sie mit Streitkolben auf der Schulter einher, jetzt arbeiten sie als Tagelöhner im Dienst der fremden Eindringlinge.

Mit Wohlgefallen schaut der Albatros auf die Walfische, Delphine und Robben hinunter, die um die Küsten schwimmen und plätschern, aber ihm wird traurig zumute, wenn er bedenkt, daß auch ihnen das Schicksal des Maorivolkes bevorsteht. Die Pinguine weiter drunten im Süden würdigt er keines Blickes, auch sie können nicht fliegen, aber im Schwimmen sind sie dem Albatros weit überlegen, und das ärgert ihn.

Was für ein Einfall kommt plötzlich unserm Albatros? Er steigt so hoch über der Küste in die Luft, daß die Pinguine ihn kaum noch sehen können. Dort oben bleibt er eine Weile stehen, späht scharf umher und schießt dann pfeilschnell in südlicher Richtung nach der kleinen Insel Auckland hin. Plötzlich ist ihm eingefallen, daß er hier mit seiner Liebsten ein Stelldichein haben soll, und nun sind die beiden einige Tage eifrig beschäftigt mit der Herstellung ihres Nestes. Sie sammeln Binsen, Schilf und dürres Gras und kneten die Halme zusammen, bis das Ganze einem hohen runden Sessel gleicht. Der Monat November ist da, der Sommer hat also begonnen, denn auf der südlichen Halbkugel der Erde fällt der Mittsommertag auf den heiligen Abend und der Mittwintertag in das letzte Drittel des Monats Juni. Bei Beginn des Sommers versammeln sich die Albatrosse in unabsehbaren Scharen auf Auckland und andern kleinen einsamen Inseln dieser Gegend, um hier zu nisten.


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