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6. Christoph Kolumbus.

Die Sage erzählt, daß im Jahre 1000 Leif Eiriksson auf einer Fahrt von Norwegen nach seiner Heimat Grönland vom Sturm an das Festland von Nordamerika verschlagen worden sei. Da, wo er landete, wuchsen Weintrauben und Korn wild, und er soll deshalb die neue Küste Vinland genannt haben, eine Bezeichnung, die allerdings von neueren Forschern wie Fridtjof Nansen als Frauenland gedeutet wird. Drei Jahre später legte Thorfinn Karlsevne eine Ansiedelung an dieser Küste Vinland an, wurde aber von den Eingeborenen vertrieben und segelte nach Grönland zurück.

Die Erinnerung an die kühne Fahrt der Nordmänner und an jene Sage verblaßte in der Nacht der Jahrhunderte. Um die Zeit, als die Hauptstadt des maurischen Königreichs in Südspanien, Granada, fiel (1492) und damit die Maurenherrschaft aus der Iberischen Halbinsel ihr Ende erreichte, ahnte auf dem europäischen Festland keiner etwas von einem Kontinent im Westmeer. Das Streben der Portugiesen ging nur auf den Seeweg nach Indien, dem reichen Lande der Gewürze und des Goldes, der Perlen und der Korallen. Um dahin zu gelangen, gab es noch keinen andern Weg als den an der Küste Afrikas entlang.

Im fünfzehnten Jahrhundert lebte aber ein gelehrter Mathematiker namens Paolo Toscanelli in Florenz. Dieser zog aus der Kugelgestalt der Erde den Schluß, daß man Japan, China und Indien unbedingt auch dann erreichen müsse, wenn man von Europa aus immer gerade nach Westen segele. Schon im Jahre 1474 legte Toscanelli Karten und Beweise für die Richtigkeit seiner Behauptung vor. Er war es also, dessen Genie den Plan zur Entdeckung Amerikas entwarf. Aber derjenige, dessen Kühnheit es vorbehalten war, diesen Plan ins Werk zu setzen, war Christoph Kolumbus.

Kolumbus entstammte einer Weberfamilie in Genua und war der Älteste unter fünf Geschwistern. Auch er widmete sich, wie seine Brüder, dem Weberhandwerk. Da aber die Geschäfte des Vaters nicht recht gehen wollten, beschlossen die Söhne, sich irgendwie anders in der Welt ein besseres Fortkommen zu suchen. Christoph wurde Seemann und erwarb sich alle die Kenntnisse und Geschicklichkeiten, die zur Führung eines Schiffes erforderlich sind. Einmal fuhr er mit einem englischen Segelschiff nach Thule oder Island, die weiteste Ozeanreise, die die Seeleute jener Zeit zu unternehmen wagten. Dann suchte er sein Glück in Portugal und verdiente sich sein Brot mit Zeichnen von Seekarten und als Schiffer auf portugiesischen Fahrzeugen, die die Ostküsten des Mittelmeers besuchten oder nach Guinea gingen. In der Schule der seetüchtigen Portugiesen legte er den eigentlichen Grund zu seinem umfassenden Wissen, das für seine Zukunft so große Bedeutung haben sollte. In Lissabon hatte er sein Heim, und hier verheiratete er sich mit einer vornehmen Dame.

Mit dem Mathematiker Toscanelli war er in Briefwechsel getreten und erhielt von diesem eine Karte des Weges über den Atlantischen Ozean nach Japan und China und mancherlei Aufklärungen, die der Florentiner den Schilderungen Marco Polos entlehnt hatte. Diese Mitteilungen machten aus Kolumbus den tiefsten Eindruck. Er antwortete also Toscanelli, daß er die feste Absicht habe, seinen Angaben entsprechend westwärts nach den Ländern Marco Polos zu segeln, und Toscanelli freute sich nicht wenig darüber, von einem Zeitgenossen so gut verstanden worden zu sein. Eine solche Seereise, versicherte er dem kühnen Landsmann, werde ihm großen Gewinn und unsterblichen Ruhm bei allen christlichen Völkern bringen.

Wo aber die Unterstützung finden, die zur Ausführung eines für die damalige Zeit so märchenhaften Planes notwendig war? Der König von Portugal und die Gelehrten des Landes hörten Kolumbus zwar aufmerksam an, behandelten ihn aber nur wie einen vermessenen Träumer. Dennoch dachten einige von ihnen im Stillen, er könne am Ende wirklich recht haben, und ohne sein Wissen ließ der König auf ihr Anraten Schiffe nach Westen ins Meer hinauslaufen. Aber bald waren sie wieder da, und von Land hatten sie nichts gesehen. Natürlich erfuhr Kolumbus von dieser hinterlistigen Handlungsweise, zornig verließ er Lissabon und begab sich nach Spanien. Frau und Kinder ließ er zurück und sah er nie wieder; nur sein Sohn Diego folgte später dem Vater.

Zwei Jahre lang reiste nun Kolumbus in Andalusien, einem Teile Südspaniens, von einer Stadt zur andern und lebte vom Verkauf von Seekarten, die er selbst gezeichnet hatte. Da gelang es ihm endlich, an den Hof des spanischen Königs zu kommen, und er durfte einer Versammlung spanischer Großen und Geistlichen seinen Plan vortragen. Aber die Spanier waren viel zu sehr mit dem Krieg gegen die Mauren in Granada und Malaga beschäftigt, um sich auf solche Unternehmungen, wie die des Kolumbus, einlassen zu können. Wieder gingen zwei Jahre tatenlos dahin. Noch einmal verschwendete Kolumbus am spanischen Hofe, der damals in Cordova am Ufer des Guadalquivir weilte, erfolglos seine Beredsamkeit und seine Begeisterung. Vergeblich wartete er abermals zwei Jahre. Da beschloß er, Spanien den Rücken zu kehren und sein Glück in Frankreich zu versuchen.

Aufs tiefste niedergeschlagen zog er von Cordova aus auf der Landstraße dahin. Arm wie er war, klopfte er eines Tages an das Tor eines Klosters am Wege und bat um ein Stück Brot für seinen kleinen Sohn Diego, den er an der Hand führte. Während er noch mit dem Pförtner sprach, ging der Prior des Klosters vorüber, merkte an der Sprache des Fremden, daß er Italiener war, und erkundigte sich nach seinen Schicksalen und Wünschen. Der Prior war ein kluger und wohlwollender Mann, und als er von den Plänen des italienischen Seefahrers vernahm, sah er sofort ein, daß sich Spanien solch eine Gelegenheit zum Erwerb neuer Länder in Ostasien keinesfalls entgehen lassen dürfe. Er schrieb also selbst an die Königin Isabella, und Ende des Jahres 1491 stand Kolumbus abermals vor den Gelehrten des spanischen Hofes. Einige behandelten ihn geradezu wie einen Ketzer, aber andere glaubten seinen Worten, und als die spanische Regierung nach dem Fall Granadas freie Hand bekam, wurde der Beschluß gefaßt, Kolumbus zu seiner ersten Reise über den Atlantischen Ozean auszurüsten.

Aber noch im letzten Augenblick schien die ganze Unternehmung an den Forderungen des Seefahrers zu scheitern. Kolumbus verlangte, zum Großadmiral über den Ozean und zum Vizekönig aller Länder, die er entdecken würde, ernannt zu werden, und außerdem beanspruchte er ein Achtel aller Einnahmen aus diesen neuen Ländern für sich und seine Nachkommen. Da er aber erklärte, er wolle diese Gelder dazu verwenden, um den Türken Jerusalem zu entreißen, gab man seinem Willen nach, und nun wurden die zur Ausrüstung dreier Schiffe im Hafen Palos erforderlichen Mittel angewiesen.


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