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1. Im Reich der Zwerge.

Die »alte Welt« umfaßt die drei Erdteile, durch die, von einem flüchtigen Ausblick auf Australien abgesehen, unsre bisherigen gemeinsamen Reisen »Von Pol zu Pol« geführt haben. Soweit der Scharfsinn unsrer Forscher die Nacht der Jahrtausende zu durchdringen vermag, gehörten Europa, Asien und Afrika, wenn auch in sehr unvollständigen und verschwommenen Umrissen, zum Bilde der östlichen Halbkugel, die bis vor vier Jahrhunderten der ausschließliche Schauplatz alles dessen war, was Geschichte hieß. Erst die Entdeckung Amerikas verdoppelte mit einem Schlage das Reich der Erdbewohner, zauberte die westliche Hälfte des Erdballs aus dem Nichts, aus einem wolkenbedeckten Chaos hervor und eröffnete der Wirksamkeit des Kulturmenschen der alten Welt unermeßliche Weiten.

Ehe wir aber mit Kolumbus der »neuen Welt« zusteuern, folgt mir noch einmal in den schwarzen Weltteil, dessen nordwestliche Ausbuchtung gleichsam ein Sprungbrett über das große Wasser hinüber darstellt! Durch die Nähe Europas ist die Entdeckungsgeschichte Afrikas zu reich, sein Kulturzustand zu vielseitig und eigenartig, um nicht wenigstens mit einigen charakteristischen Bildern, derengleichen auch das »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« nicht aufzuweisen hat, von ihm Abschied zu nehmen. –

Von guten und bösen Zwergen erzählen die Märchen aller Völker und Zeiten, und die Kunde von dem Vorhandensein eines Menschenschlags von unnatürlich kleinem Wuchs hat ihre Wurzeln in vorhistorischen Jahrhunderten. Schon der Dichter der Ilias fabelt von den Kranichen, die »fliehend der Winterkälte und Regen unter Krächzen und Schreien den ozeanischen Strömen zueilen, um den Faustmännchen (Pygmäen) Tod und Verderben zu bringen«. Fünf kecke Jünglinge der Nasamoner, weiß der alte Herodot zu berichten, hätten sich eines Tages aufgemacht, von ihrer Heimat Libyen aus immer nach Sonnenaufgang zu wandern, »weiter, als man je zuvor gekommen«. Zuerst zogen sie durch bewohnte Gegenden, dann durch das Land der wilden Tiere, und darauf kamen sie an eine große Sandwüste, zu deren Durchwanderung sie viele Tage brauchten. Endlich sahen sie wieder einmal Bäume, die wuchsen auf dem Felde. »Und sie gingen hin und pflückten von den Früchten, die auf den Bäumen waren, und wie sie pflückten, kamen herbei kleine Männer, noch unter Mittelgröße, und griffen sie und führten sie von dannen; aber sie verstanden einander kein Wort, weder die Nasamoner von ihnen, noch sie von den Nasamonern. Und sie führten sie durch große Sümpfe, und wie sie durch dieselben hindurch waren, kamen sie in eine Stadt, da waren alle Leute ebenso klein wie die Führer und schwarz von Farbe. Und bei der Stadt floß ein großer Strom, und floß vom Abend nach Sonnenaufgang, und waren Krokodile in demselben zu sehen.«

Unter diesem Strom vermutete Herodot nichts anderes als den Nil, den auch Homer unter den »Ozeanischen Strömen« versteht; denn damals glaubte man noch, der Nil entströme dem Ozean, der Afrika umfließe. Und daß die Kraniche im Winter nach Afrika hinüberflogen, wußte man damals so gut wie heute.

Herodot berichtet durchaus vom Hörensagen. Hundert Jahre später aber scheint die Afrikaforschung der Alten schon einige Fortschritte gemacht zu haben. Der Weise von Stagyra, Aristoteles, verzeichnet es als eine feststehende Tatsache, daß an den Quellen des Nils, dem Winteraufenthalt der Kraniche, die Pygmäen wohnen, und zwar sei das »keine Fabel, sondern die reine Wahrheit«.

Wie recht hat die primitive Kenntnis der Vorzeit behalten! Die weite Quellengegend des Nils ist in der Tat die Heimat von Volksstämmen, die den Namen Pygmäen oder Zwergvölker durchaus verdienen. Aber erst der modernen Afrikaforschung war es vorbehalten, die Zeugnisse der griechischen Historiker auf ihren richtigen Kern hin zu prüfen.

Ein wenig anders zwar sehen die afrikanischen Kobolde aus, als das Zwergvölkchen der Sagen und Märchen Europas. Und doch wieder welch nahe Verwandtschaft mit der dichtenden Phantasie weit entlegener Zonen! Der deutsche Reisende Georg Schweinfurth, der sich um die Erforschung der oberen Nilländer und der nach dem Kongo sich senkenden Wasserscheide grundlegende Verdienste erworben und auch als Erster eines der afrikanischen Zwergvölker, das der Akka, wissenschaftlich beobachtet und geschildert hat, berichtet von seinen nubischen Begleitern, daß ihre Phantasie die Zwerge genau so sah wie nur irgendeine Großmutter an einem deutschen Kamin. In einem südlich vom Gebiet der Niam-Niam gelegenen Lande hätten sie Männchen angetroffen, die nie über drei Fuß Höhe erreichten und bis an die Knie mit einem langen weißen Barte versehen seien, weshalb sie auch nicht anders als »Leute mit spannenlangem Bart« geheißen hätten. Natürlich aber bewachten diese afrikanischen Heinzelmännchen nicht Gold und Edelsteine im Schoß der Berge, sondern sie verkauften das nicht minder kostbare Elfenbein an die Händler und waren große Jäger vor dem Herrn. Mit guten Lanzen bewaffnet schlüpften sie gewandt den Elefanten unter den Leib, wo sie sie mit Leichtigkeit töteten, während die kurzsichtigen Tiere trotz des langen Rüssels ihrer nicht habhaft werden konnten. –

Es war im September 1887 in der Araberstation Ugarrowwa am Ituri, als Stanley zum erstenmal einen Vertreter des Zwergstammes erblickte, der nördlich von jenem Flusse stark verbreitet war, und zwar eine kleine Dame von etwa siebzehn Jahren, die nur 87 Zentimeter groß war, sich aber körperlich wohl ausgebildet zeigte und ganz ansprechende Züge und prächtige Augen gleich einer jungen Gazelle besaß. Ihre glatte, glänzende Haut glich an Farbe gelb gewordenem Elfenbein, war also viel heller als die der andern hochgewachsenen Eingeborenen. Die Miniaturdame bewegte sich mit Anmut, und die Bewunderung, die sie erregte, schmeichelte sichtlich ihrer Eitelkeit. Im Februar 1888 fingen Stanleys Leute sogar die Frau eines Häuptlings, eine Zwergenkönigin, die etwa neunzehn bis zwanzig Jahre zählte und 32 Zentimeter groß war. Wenn sie die Arme gegen das Licht hielt, bemerkte man einen weißlich-braunen Flaum auf ihnen. Die Haut des ersten ausgewachsenen Zwerges, den man im Oktober 1888 nebst seiner Ehegesponsin vor Stanley brachte, fühlte sich beinahe pelzartig an mit Haaren von fast 1,3 Zentimeter Länge. Sein Kopfschmuck bestand aus einer Art Kappe, ähnlich wie sie Priester tragen, und war mit einem Büschel Papageienfedern geschmückt. Im übrigen war er nur mit einem Streifen Baumwollenrinde bekleidet. Seine Hände waren überaus zart und erregten durch ihre monströse Ungewaschenheit Aufsehen. Das Paar war gerade mit Schälen von Bananen beschäftigt gewesen, als man es im Dickicht überraschte.

Als nun die breitschulterigen Sudanesen und die großen Zanzibariten sich um den kleinen Mann scharten, war es ergötzlich zu beobachten, wie die Gedanken sich mit Blitzesschnelle in seinen Zügen malten: die Verwunderung, die ihn erfüllte, die rasch wechselnde Furcht wegen seines Schicksals, die ängstlichen Zweifel und die entstehende Hoffnung, als er in den Zügen der Fremden gute Laune entdeckte, dann die Neugier, zu erfahren, woher diese menschlichen Ungetüme gekommen seien und was sie etwa mit ihm machen, ob und wie sie ihn töten würden, ob sie ihn lebendig braten oder ihn trotz seines Schreiens in fässergroße Kochtöpfe werfen würden. Ach Gott! hoffentlich nicht. Dann zeigten ein leichtes Kopfschütteln, eine noch bleichere Färbung der Lippen und ein nervöses Zwinkern mit den Augen, in welcher Not er sich befand.

Stanley forderte ihn auf, sich zu ihm zu setzen, die Sudanesen strichen ihm über den Rücken und gaben ihm einige geröstete Bananen, um seinen aufgeblasenen Bürgermeisterbauch zu füllen, worauf der Zwerg dankbar lächelte. Was für ein verschlagener Spitzbube er war! Und wie rasch er begriff! Er sprach mit seinen Gesten so beredt, daß jeder ihn verstand.

»Wie weit ist es bis zum nächsten Dorf, wo wir Lebensmittel erhalten können?«

Er legte seine rechte Hand mit der Fläche über das linke Handgelenk (mehr als zwei Tagemärsche).

»In welcher Richtung?«

Er wies nach Osten.

»Wie weit ist es bis zum Ihuru?«

»Oh!« Er hob seine rechte Hand bis zum Ellenbogen. Das sollte die doppelte Entfernung bedeuten, vier Tage.

»Sind nach Norden hin Lebensmittel?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nach Westen oder Nordwesten?«

Er schüttelte wieder den Kopf und machte eine Bewegung mit der Hand, als wollte er einen Haufen Sand fortwischen.

»Weshalb?«

Er streckte seine beiden Hände aus, als ob er ein Gewehr anlegte, und sagte: »Duuu!«

Sicherlich hatten die Manjema Tippu Tips alles vernichtet.

»Sind jetzt ›Duuus‹ in der Nachbarschaft?«

Er blickte aus und lächelte so arglos, wie eine Kokette, als ob er sagen wollte: »Das wißt ihr selbst am besten; unartiger Mann, wie kannst du mich so zum besten haben?«

»Willst du uns den Weg nach dem Dorfe zeigen, wo wir Lebensmittel erhalten können?«

Er nickte rasch mit dem Kopfe und strich seinen Vollmondsbauch, was bedeutete: »Ja, denn dort werde ich eine volle Mahlzeit erhalten, hier« – nun lächelte er verächtlich und drückte den Daumennagel auf das erste Glied des linken Zeigefingers – »sind die Bananen nur so groß, während sie dort« – seine Wade mit beiden Händen erfassend – »so groß sind«.

»Oh, das Paradies!« schrien die Leute, »Bananen so dick wie ein Menschenbein!« Dem Zwerg war es gelungen, die Zuneigung aller zu erringen, und er fühlte das sehr wohl, wenn auch seine Züge arglose Unschuld ausdrückten und er sich ebensogut bewußt war, daß die Geschichte von den riesigen Bananen nichts weiter als Schwindel war.

Während dieser Unterhaltung spielte das kupferfarbene Gesicht der nußbraunen kleinen Dame in beredter Weise die Gefühlsregungen des männlichen Zwerges wieder. Ihre Augen strahlten vor Freude, und mit blitzartiger Geschwindigkeit glitt ein listiger Zug über ihr Gesicht. Ihr Mienenspiel zeigte dieselben Zweifel und Hoffnungen, dieselbe erstarrende Furcht und dieselbe Neugier, als sie erriet, welche Stimmung ihr Gefährte erregte. Sie war so rundlich wie eine Gans am Weihnachtstage und glänzte in der Farbe alten Elfenbeins. In dem Männchen steckte, sagt Stanley, die nachgeahmte Würde eines Adam, in der Frau die ganze Weiblichkeit einer Miniatureva. –

Im übrigen waren diese Zwergenstämme keineswegs so harmlos wie die Pygmäen, die vor Tausenden von Jahren die fünf Jünglinge der Nasamoner durch die Sümpfe in ihre Stadt geleiteten; denn diese Nasamoner kamen ungefährdet wieder nach Hause zurück, wie Herodot ausdrücklich versichert, sonst hätten sie ja ihre Erlebnisse niemandem erzählen können. Die Zwergenstämme an den Ufern des Aruwimi umschwärmten aber Stanleys Karawane allenthalben wie giftige Insekten, sie lauerten auf jeden günstigen Moment, mit ihren kindlichen, aber durch die vergifteten Spitzen dennoch lebensgefährlichen Pfeilen Schaden anzurichten und durch Diebstahl und Verwüstung allerhand Teufeleien auszuhecken. Dem von Stanley angelegten Fort Bodo wurden sie so lästig, daß sie verschiedene Male energisch gezüchtigt werden mußten. Nomadenartig streiften die einzelnen Zwergenfamilien durch die Wälder und lebten von ihrer Jagd- oder Kriegsbeute. Den übrigen Eingeborenen, denen sie gerade befreundet waren, um von ihnen Bananen und sonstige Früchte gegen Elfenbein einzutauschen, dienten sie als überaus gewandte Kundschafter, die allenthalben rechtzeitig Stanleys Ankunft in den Dörfern meldeten, so daß die Hütten der Eingeborenen verödet standen und alle Lebensmittelvorräte fortgeschafft waren.

Abgesehen von den einzelnen Gefangenen, die sich gelegentlich erwischen ließen, gelang es den Leuten Stanleys nur selten, solch ein Zwergvölkchen unter sich zu beobachten. Eines Tages hatte einer der Träger, wie so oft, seine Last, eine Kiste Patronen, nicht ins Lager gebracht, sondern einfach am Wege unter einen großen Baum niedergelegt. Am Abend wurde er unter Bedeckung zurückgeschickt, um sie zu holen. Als die ausgesandte Schar in der Nähe der Stelle ankam, sah sie einen ganzen Stamm von Zwergen, Männer, Frauen und Kinder, versammelt, und zwei Männlein machten gerade den Versuch, das Gewicht der Kiste zu probieren. Da die kleinen Leute außerordentlich scharfe Augen hatten, hielten sich Stanleys Leute versteckt, um zu sehen, was die Zwerge mit der Kiste machen würden. Jedes Mitglied des Stammes schien einen Vorschlag zu machen, während die kleinen Kinder auf einem Bein umherhüpften und vor unwiderstehlichem Vergnügen über den Fund sich auf die Schenkel klappten und die zierlichen Frauen mit ihren noch zierlicheren Babies auf dem Rücken in der Weise kluger Weiber ihren Rat dazwischen schrien. Da nahm ein beherzter Mann eine leichte Stange und schob sie durch die Handgriffe an den Enden der Kiste, worauf die sämtlichen kleinen Leute vor Freude darüber, daß sie eine so geistreiche Erfindung gemacht hatten, laut schrien und kreischten. Einige Herkulesse des Stammes drängten sich nun heran, wandten ihre äußerste Kraft auf, um die Kiste bis zur Schulterhöhe zu heben, und schwankten dann damit fort ins Dickicht. Da fiel plötzlich seitens der Leute Stanleys ein harmloser Schuß, und im Augenblick war das ganze hübsche Märchenbild zerstoben. Ihrer wieselartigen Geschwindigkeit verdanken die Zwerge auch den Ruf, sich unsichtbar machen zu können. –

Diese Zwergvölker, von denen alle Afrikaforscher der letzten Jahrzehnte zu berichten wissen, sind unter verschiedenen Namen quer durch den ganzen schwarzen Weltteil verbreitet, sie ziehen sich wie eine Kette in der ganzen Breite des Äquatorialgürtels von Küste zu Küste; am dichtesten sind sie im Nordosten des großen zentralafrikanischen Urwalds westlich vom Albert- und Albert Eduard-See. Um Stanleys Fort Bodo herum hießen sie Wambutti; am Hofe des Monbuttukönigs Munsa, wo Schweinfurth längere Zeit reiche Gastfreundschaft genoß, nannte man sie Akka. Nach der Ansicht der meisten Anthropologen gelten die Zwerge und die mit ihnen verwandten etwas größeren Buschmänner in Südafrika als die ursprüngliche Eingeborenenbevölkerung, die durch die Wanderungen und Vorstöße umwohnender Völker und Stämme versprengt wurden. Denn von Entartung ist an ihren wohl ausgebildeten Körpern nichts zu verspüren. Emin Pascha hat viele Zwerge gemessen, die alle nicht größer als 124 Zentimeter waren. Die Größe der Wambutti ist nach Stanleys Angaben nur 90-140 Zentimeter. Nach Schweinfurths Schilderung hatten die Akka einen großen runden Kopf, große Ohren, einen flachen Brustkasten und lange dürre Arme mit außerordentlich zierlichen Händen. Schön von Angesicht sind sie keineswegs, die schnauzenartig vorspringenden Kiefer und die tiefeingesenkte Nasenbasis geben ihnen eine bedenkliche Ähnlichkeit mit dem Affenmenschen Darwins, nur ihre Augen sind, in auffallendem Gegensatz zu den zusammengekniffenen Augen der Buschmänner, groß und offen. Schweinfurth nennt ihren Haarwuchs spärlich entwickelt, von Bart zeigten die Akka keine Spur; die Farbe ihrer Haare glich dem Werg. Unter den Zwergen, die Jephson während seines Aufenthaltes bei Emin Pascha sah, waren aber viele Männchen mit langen Bärten, ein überaus abschreckender Anblick.

Oft beobachtete Schweinfurth, wie auch Stanley, an ihnen einen grotesken Hängebauch, der aber mehr die Folge ihrer unmäßigen Gefräßigkeit war. Der deutsche Forscher führte anderthalb Jahre einen 134 Zentimeter großen Akka als Begleiter mit sich, doch starb der Zwerg infolge seiner Unmäßigkeit trotz sorgfältigster Pflege. Ein anderer Reisender brachte in den siebziger Jahren zwei Akka nach Europa, die unter der Wirkung europäischer Kultur trefflich gediehen und ganz manierlich aussahen. In dem altertümlichen Palast eines Patriziers in Verona hatten sie ein sorgloses Asyl gefunden und fühlten sich dort überaus wohl.

Im allgemeinen ertragen aber die Zwerge den Aufenthalt im offenen Lande nur schlecht, denn sie sind durchaus Waldmenschen, wodurch vielleicht auch die hellere Hautfarbe verursacht ist. Ihre Sinne sind überaus scharf entwickelt, und sie sind für die Jagd mit den vorzüglichsten Fähigkeiten ausgerüstet. Mit ihren Waffen, kleinen Bogen und Pfeilen, deren Spitzen dick mit Gift bestrichen sind, und Speeren, töten sie Elefanten, Büffel und Antilopen; außerdem graben sie Gruben und bedecken sie in geschickter Weise mit leichten Stöcken und Blättern und streuen Erde darauf, um das Wild zu überlisten. Sie stellen schuppenartige Bauwerke her, deren Dach an einer Ranke hängt, und breiten Nüsse oder reife Bananen darunter aus, um Schimpansen, Paviane und andere Affen hineinzulocken; bei der geringsten Bewegung fällt die Falle zu. Auf den Fährten der Zibetkatzen, Iltisse, Ichneumons und kleiner Nagetiere stellen sie Bogenfallen auf, die die Tiere beim eiligen Durchschlüpfen festhalten und erdrosseln. Aus der Haut des geschlachteten Wildes verfertigen sie Schilde und verkaufen diese nebst Pelz und Elfenbein an die größeren Eingeborenen für Bananen, süße Kartoffeln, Tabak, Speere, Messer und Pfeile.

Sobald eine Abteilung Zwerge in der Nähe eines Dorfes erscheint, beeilt sich der Häuptling, sie durch Geschenke von Getreide und Gemüse zu Freunden zu machen. Solange dieser Tauschhandel ehrlich betrieben wird, herrscht zwischen beiden Parteien das beste Einvernehmen; sobald sich aber die überaus empfindlichen Zwerge im geringsten beleidigt fühlen, üben sie rachsüchtige Vergeltung, töten ihre Feinde aus dem Hinterhalt und zerstören die Bananenpflanzungen. Ihre eigenen zeitweiligen Niederlassungen sind meist in größerer Entfernung von den Eingeborenendörfern unter Bäumen und Büschen mitten im Walde, möglichst in der Nähe eines Baches. Die bienenkorbartigen Hütten haben oft nur einen Durchmesser von einem Meter, und die Bewohner schlafen daher nur mit dem Oberkörper innerhalb derselben, während die Beine aus der Tür hervorragen; Knaben und Mädchen begnügen sich damit, sich Schutzdächer aus niedergebogenen Zweigen junger Bäume herzustellen. Als geborene Kundschafter bevorzugen sie für ihre Lager die Kreuzungspunkte der Eingeborenenwege und sind damit freiwillige Posten, die Lichtungen und Ansiedelungen bewachen. Dadurch aber sind sie gleichzeitig auch Belagerer, die die Eingeborenenstämme selbst in Schach halten und ihnen jede Bewegung über ihr Gebiet hinaus so gut wie unmöglich machen! Die Einrichtung ihrer mit breiten Blättern gedeckten Hütten ist denkbar roh und einfach. Hausgerät kennen sie nicht; sie kochen ihre Nahrung, indem sie sie in Blätter einwickeln und auf glühende Kohlen legen; gelegentlich erhalten sie Kochtöpfe aus den Dörfern, in deren Nähe sie als lästige Schmarotzer ihr Lager aufgeschlagen haben. Ihr einziges Haustier ist das Huhn. Erstaunlicherweise wußte man auch das schon vor mehreren tausend Jahren. Eine Mosaik aus Pompeji, die man heute im Nationalmuseum zu Neapel bewundern kann, stellt die Pygmäen dar, umgeben von ihren Häuschen und Hüttchen, alle voll von Hühnern!

Gleich den umwohnenden Eingeborenen huldigen auch die Zwerge bei günstiger Gelegenheit dem Kannibalismus. Hauptsächlich aber leben sie von Wild und den Feldfrüchten ihrer jeweiligen Freunde. Sie selbst pflegen nur ausnahmsweise Pflanzungen anzulegen. –

Hinterlist und Bosheit sind die vorstechenden Charaktereigenschaften aller dieser afrikanischen Zwergvölker, und auch da, wo man ihnen mit Freundschaft entgegentritt, ist man vor ihren Unarten und Teufeleien niemals sicher. Diese Erfahrung machte auch Georg Schweinfurth oft genug mit seinem Akka-Zögling. Emin Pascha hatte eine Zwergenfrau als Dienerin; sie war sehr fleißig, schien nie müßig zu gehen und zeigte sich dabei stets fröhlich und gutmütig. Die Männer dagegen sind keine Freunde der Arbeit im Dienste anderer, und auch da, wo sie als Sklaven gut gehalten wurden, waren ihr Unabhängigkeitssinn und ihre Widerspenstigkeit niemals auszurotten. –

Eine Sage der alten Griechen erzählt, daß die Pygmäen einstmals den schlafenden Herakles überfielen, um den Tod ihres Riesenbruders Antäus, des mythischen Beherrschers von Libyen, an ihm zu rächen. Sie krabbelten auf seinen Gliedern herum und versetzten sein Haupt in Belagerungszustand, ohne ihm aber Böses antun zu können. Der Halbgott wachte auf, lachte, sammelte die kleinen Helden in sein Löwenfell und brachte sie seinem Arbeitgeber Eurystheus. Gleicht nicht der ungeheure Erdteil Afrika dem erwachenden Riesen, auf dessen Leibe die schwarzen Zwerge noch immer umherkrabbeln?


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