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5. Im Banne des Atlas.

Kehren wir nun aus der Wüste nach Norden zurück. Wellige Dünen von der Farbe der Orange überfliegen wir, schimmernde Salzlachen riesigen Umfanges liegen hinter uns, und vor uns steigen die schroffen Abhänge eines mächtigen gelbroten Gebirgsstockes auf, in dessen Talfalten graugrüne Büsche und Felder schlummern. Es ist der Mons Aurasius der Alten, der heutige Dschebel Aurès, dessen windzerfetzte und regenzernagte Zinnen von allen Bergen des östlichen Atlas der Himmelswölbung am nächsten kommen und daher für uns den besten Sitz bieten, um dem Kommen und Gehen der Zeiten am Nordrand des immer noch dunkeln afrikanischen Erdteils zu lauschen.

Von unserm Platz aus streckt sich wie eine braune Riesenschlange der Atlas am Rand der hier tischflachen Wüste in marokkanische Fernen, während gen Osten vielstufige Terrassen zu einem blauflutenden Meere abdachen, den stürmischen Golfen der Syrten. So sitzen wir gerade im Angelpunkt einer Titanenschere deren eine Klinge hochgebirgig ist und den Franzosen gehört; die andere entbehrt bedeutender Höhen und geht allmählich in den Besitz der Italiener über. Wenn beide Schneiden zusammenklappen, treffen sie sich im Gebiet der uns schon bekannten Tuareg und scheren sie vom Boden weg.

Aber nicht von dem untergehenden Völkchen der Wüste wollen wir sprechen, sondern von den Geschicken und Eigenarten des afrikanischen Mittelmeersaums. Der verschlungene Gebirgsknoten unseres Aurasius war zu allen Zeiten ein Hort der berberischen Eingeborenen, und von ihm ging fast immer der hartnäckigste und letzte Widerstand gegen Eroberungsgelüste der Völker Europas aus. Hier flatterte ehemals auf vorspringender Felsenkanzel das schneeweiße Gewand einer Priesterin, die die kämpfenden Scharen zum letzten Widerstand gegen die eisernen Helme und Lanzen der römischen Legionen entflammte.

Wenige Jahrhunderte später sehen wir die Römer weichen, und nunmehr schaltet ein ganz anderer Menschenschlag über den afrikanischen Nordrand. Inmitten brauner Gefolgsmannen jagt der vandalische Feudalherr im Schmuck seines blonden deutschen Haares auf sehnigem Berbergaul die Gazelle.

Wieder einige Jahrhunderte später. Es ist ziemlich ruhig geworden ringsum. Das ganze Berbertum betet zum Kreuz, und die Glocken gellen geschäftig durch die eifrig bestellten Bergtäler, die den Byzantinern zinsen. Eines Tages aber wälzt sich ein klirrender Reiterzug heran, gelbe Halbmonde schwanken unter grünen Bannern, geschweifte Säbel blitzen im frühen Morgenlicht – der Vortrupp des ersten arabischen Glaubensheeres fällt über die verschlafenen Berberdörfer her.

Zwar gelang es der neuen Lehre schnell die Bewohner der ebeneren Teile des Landes zum Islam zu bekehren. Aber die schwere Zugänglichkeit der bergigen Distrikte, besonders des Aurasius, bewahrte diese noch lange vor dem völligen Eindringen Allahs. Noch heute finden sich im Berbertum entlegener Teile des Atlasgebirges Spuren uralten Heiden- und auch Christentums.

Was seit der Eroberung durch die Araber im afrikanischen Orient geschah, ging nicht über den Charakter innerer Umwandlungen hinaus. Erst viele Jahre später gewannen diese Länder allgemeines Interesse, und wieder ging, wie zur Römerzeit, ein Vorstoß von Europa aus.

Die ersten Versuche blieben allerdings ohne dauernden Erfolg. Die Kreuzritter von Malta, Karl V. und die Spanier besetzten einzelne Küstenstädte wie Tripolis, Tunis und Algier, aber die Herrlichkeit des Kreuzes war stets nur von kurzer Dauer. Der Haß der Mohammedaner gegen die Christen wurde durch diese Eroberungen nur geschürt und zum unerbittlichen Angriff gereizt, Doch reichte die Herrschgewalt der orientalischen Machthaber niemals weit ins Binnenland hinein, und so zersplitterte sich ihre Kampfeslust in kleine, wenn auch empfindliche Nadelstiche. In jener Zeit erwarben sich die Reiche Nordafrikas, die zur Türkei nur in einem lockern Anhängigkeitsverhältnis standen, die noch heute bekannte Bezeichnung »Barbareskenstaaten«. Fast jedes europäische Schiff auf dem Mittelmeer ward von diesen Seeräubern geplündert und seine weißhäutige christliche Besatzung in die Sklaverei verkauft.

In den nordafrikanischen Städten konnten dann die Gefangenen Europas Kiesel und Muscheln am Strande suchen oder die nackten Beine vom Kai herunterbaumeln lassen, denn allzu schwere Arbeit mutet der Orientale auch seinem Sklaven nicht zu. Da gab es denn oft viel Zeit zum Nachdenken, und einem dieser Sklaven gelang es einst, unter der sengenden Sonne Nordafrikas Unsterbliches zu ersinnen. Es war Don Miguel de Cervantes Saavedra, dessen Don Quijote in der Sklaverei des Deï von Algier geschaffen wurde.

Am Anfang des 19. Jahrhunderts häuften sich die Raubzüge der Barbaresken mehr und mehr. Die christlichen Seefahrer mußten ihnen große Summen zahlen, nur um ihre Handels- und Kriegsschiffe auf dem Mittelmeer ungeplündert zu wissen. Diese Tyrannei wurde unerträglich. Da wagte Frankreich, das für die Versorgung seiner südlichen Provinzen mit Getreide aus die afrikanische Kornkammer angewiesen war, den ersten Vorstoß großen Stils. Zwischen der Regierung Karls X. und dem Deï von Algier schwebten Meinungsverschiedenheiten, und bei der offiziellen Staatsvisite zu Beginn des großen Beiramfestes erkundigte sich der Deï beim französischen Konsul, weshalb ihm vom Könige noch keine Antwort auf seine letzte Nachricht zugegangen sei. Der Konsul erwiderte, Se. Majestät erachte es unter Ihrer Würde, solch einem Kerl wie dem Deï überhaupt eine Antwort zu geben! Der orientalische Despot war darüber natürlich aufs höchste entrüstet und schlug den Konsul mit dem türkisenbesetzten Fliegenwedel ins Gesicht. Zur Sühne dieser Beleidigung landete am 14. Juni 1830 ein 33 000 Mann starkes französisches Expeditionsheer, und drei Wochen später war Algier in den Händen der Franzosen. Mit dem Deï fiel ihnen auch dessen Barvermögen in die Hände, ein Schatz von fast vierzig Millionen Mark, der die Kosten der Unternehmung vollauf deckte!

Die Eroberung von Algerien, die sich bis 1857 hinzog, zeitigte zwei Erscheinungen von eigenartigem Gegensatz, die Persönlichkeit Abd el-Kaders und die Errichtung der Fremdenlegion! Bei dem einen heldenhafte Hingabe mit Gut und Blut an das Heimatland, bei den Soldaten der andern Aufopferung für eine gleichgültige fremde Fahne. Abd el-Kader, der Emir von Maskara, scharte die fanatischsten Stämme West-Algeriens um das grüne Halbmondbanner und führte aus den Schluchten des Atlas jahrelang einen heldenmütigen Kampf gegen die französischen Eroberer, er überfiel die jungen Anpflanzungen der Fremden, schlachtete die Männer ab und raubte Weiber und Kinder. Erst nach fünfzehn Jahren (1847) ergab sich der Emir und wurde nach Frankreich in die Gefangenschaft gebracht. Napoleon III. schenkte ihm aber die Freiheit wieder, verlieh ihm eine Pension und Abd el-Kader lebte dann weiterhin ruhig in Damaskus. Nur noch einmal trat er hervor, indem er 1860 bei der Niedermetzelung der dortigen christlichen Einwohner durch die Drusen mit Hilfe seiner Berber sechstausend Christen das Leben rettete!

Wie gänzlich verschieden von diesem Bilde erscheint das des Fremdenlegionärs! Ein paar Ulanen sind bei den Metzer Herbstmanövern des Dienstes überdrüssig geworden und reiten schlankweg über die französische Grenze. Der nächste Maire hält sie an und führt sie hocherfreut, denn klingender Lohn steht ihm bevor, zum nächsten Büro der Fremdenlegion. Die Kerls nehmen Handgeld, das sie natürlich gleich vertrinken, und werden schleunigst über Marseille nach Oran transportiert. Oder ein Handwerksbursche »auf der Walze« will sich die Belle France ansehen, findet aber als Deutscher nirgends Arbeit, hungert und friert: er fällt Agenten in die Hände, läßt sich von ihnen beschwatzen und zieht den schmucklosen Rock des Fremdenlegionärs an. Aus solchen gescheiterten Existenzen, Deserteuren, Verbrechern, Verzweifelnden, setzt sich diese Legion moderner Landsknechte zusammen; da keucht neben dem ruinierten Spieler ein hochgeborener Herr unterm Lebelgewehr, da marschiert ein ehemals eleganter Leutnant nach dem Takt der Marseiller Hymne. Name und Stand sind gleichgültig, jeder Name ist recht, jedes Alter und jede Figur wird unter das verachtete Kanonenfutter eingestellt, dem man nur aus Lumpen zusammengeflickte Fahnen hat verleihen mögen.

Tief im Süden ist ein Araberstamm unruhig geworden. Wer muß heran? Die Légion étrangère en avant! Über Dünen und Steinfelder geht der Marsch, Tag für Tag viele Stunden lang. Die Verpflegung ist elend, Hunger, Durst und Typhus verfolgen wie Geier die wandernde Soldateska. Wer am Wege niederfällt, wird mit Prügeln auf- und vorwärtsgetrieben. Von Zeit zu Zeit knallt es hinter den Dünen, ein Dutzend Söldner beißt in den Sand, und hohnlachend huschen in der Ferne weiße Reiter davon. In der Nacht aber finden Schakale an den Toten reiche Mahlzeit.

Das ist nur zu oft das Ende des Legionärs! Oder aber er schleppt sich durch die fünfjährige Dienstzeit hindurch, die ihm eine Tageslöhnung von – vier Pfennigen einträgt, und wird schließlich mit einem Sechs-Mark-Anzug entlassen! Kein Ansiedler oder Kaufmann in Algerien will mit dem Sohn des Elends zu tun haben; helfen ihm nicht Freunde in die Heimat zurück, so fängt der Hunger wieder an, und was macht dann der Legionär? Er nimmt zum zweitenmal Handgeld und ist zum zweitenmal an die Galeere geschmiedet!

Ein Barbareskenstaat wie Algerien war auch Tripolis. Hier hauste die Dynastie der Karamanli, kümmerte sich keinen Pfifferling um die Oberhoheit der Pforte und trieb Seeraub in großem Stil. Den Türken war aber der unerwartete Verlust Algeriens nahe gegangen, und 1835 brachten sie daher Tripolis durch List und Verrat wieder fest in ihre Hand. Die Karamanli wurden ausgerottet bis auf zwei, von denen der eine zuckerkrank war. Die übrigen wurden nachts im Meer ertränkt oder mit duftendem Kaffee vergiftet. Der letzte seines Stammes aber trieb sich bettelnd in den engen bogenüberwölbten Gassen von Tripolis umher! Wenn man vor einigen Jahren durch den schmalen Suk el Harra ging, wo jüdische Händler in engen Läden verhüllten Frauen Stoffe und Seide aufschwatzen, so konnte man auf einer ungestrichenen Holzbank stets zwei bejahrte Männer sitzen sehen. Der eine war Ali Bedaui, europäisch gekleidet, die dunkle Jacke auch im Hochsommer mit wolligem Krimmer besetzt, auf dem Kopf den türkischen Fes. Die braunen Knochenhände spielten mit zwei vom nackten Hals herabhängenden goldenen Uhrketten, und die stechendschwarzen Augen sprachen eifrig zu denen seines Nachbars. Dieser war feister, in den Seidenholi des reichen Berbers gekleidet und sah zufriedener aus als der Intrigant neben ihm. Beide sind gegenwärtig die Häupter der schnell wieder vermehrten Familie der Karamanli. Der Dicke ist Hassuna Pascha, der zwar bei den Türken gut angeschrieben war, sich aber dadurch nicht abhalten ließ, Italienisch zu lernen und den Italienern im Herbst 1911 eine wichtige Stütze zu werden. –

Während die Türken Tripolitanien an sich brachten, trauten sie sich an Tunesien nicht heran, obgleich dieses aus eigener Kraft dem Sultan nicht hätte widerstehen können. Die dortigen Verhältnisse waren um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die schlimmsten am Nordrand Afrikas. Der Bei von Tunis praßte in seinem Bardo, taumelte von einem Fest zum andern und umgab sich mit einem Gefolge französischer Ratgeber und Geldnehmer. Das Land wurde bis auf den letzten Piaster ausgesogen, ständig strich Militär durch die Dörfer, um den Bauern Gut und Blut abzuzapfen, und die Bevölkerung wurde durch diese jahrelange Vergewaltigung so sklavisch duldsam, daß die Besetzung Tunesiens durch Frankreichs Legion 1881 einem friedlichen Spaziergang gleichkam. Nur einer aus der Umgebung des Bei hat es zu Weltruhm gebracht, ein stiller, bescheidener deutscher Mann, der 1863-1868 als Arzt in Tunis wirkte, der Altmärker Gustav Nachtigal, der als erster die Schleier von Tibesti und Wadai heben konnte. Er war einer der erfolgreichsten Afrikareisenden, und wenn es sich um die Bewältigung denkbar schwierigster Hindernisse durch Zähigkeit und Selbstüberwindung handelte, so kann höchstens Livingstone mit ihm verglichen werden.

Auch in Marokko ist schon die Axt an die Wurzel noch nicht der mohammedanischen Religion, aber doch an die Wurzel der mohammedanischen Staatsherrlichkeit gelegt. Das gebirgige und das ebene Marokko sind streng voneinander geschieden. Das ebene und daher leicht zugängliche Marokko allein bildet den politischen Begriff des Sultanats, weshalb es auch Blad el marsen oder Kanzleiland heißt. Das Rifgebirge an der Nordküste aber und besonders der Hohe Atlas waren der Gewalt des Sultans niemals unterworfen. Hier lebt jeder Berberstamm, jedes Berberdorf, ja häufig jede Berberfamilie in völlig unabhängiger Einsamkeit für sich. Der Vater häuft mit seinen Söhnen Steinreihen über Steinreihen, um auf den abschüssigen Bergeshängen Terrassen für ein paar Felderstreifen zu gewinnen; Frauen und Töchter weben Stoffe aus den Haaren der Ziegen und dem Wollkleid der Schafe, schütteln die stinkende Schafbutter zurecht und stampfen roten Pfeffer. Alle Vierteljahr lädt die Familie den dürftigen Hausrat auf einen Esel, läßt Haus oder Hütte im Stich und wandert singend und schwatzend über steinige Halden und durch stille Dörfer zur nächsten Marktstelle, oft viele Wochen weit. Nach einem Aufenthalt von einem oder mehreren Tagen zieht die ganze Karawane wieder in die Berge zurück, die Männer beritten und in neuen bunten Lederschuhen oder mit neuen Flintenriemen, einer ausgebesserten Pistole usw. bereichert; zu Fuß hinterher die Weiber, auf deren starken Hüften sich die Kinder schaukeln und unablässig nach dem neuen bunten Kopftuch der Mutter schielen. Die Männer summen eintönige uralte Schlachtgesänge oder moderne Gassenhauer, und die Frauen jauchzen dazu in schrillen Tönen, die aus den felsigen Klüften des Gebirges widerhallen.

Doch wir verlassen jetzt die baumlosen Felder und Steppenfluren des Atlasvorlandes und reiten auf blauen Maultieren von Fes nach Tanger. Von einer grüngepolsterten, mit dem Unkraut der fächrigen Zwergpalmen überwucherten Kuppe der westlichsten Rifzüge aus blicken wir auf eine der erhabensten Landschaften. Wie ein weißer Zelter ruht die flache Stadt Tanger zwischen uns und dem Westtor des Mittelmeers, durch das die Salzflut des Atlantischen Ozeans weißschäumend hereinwogt. Ein großer deutscher Dampfer steht eben im Begriff, in die Meerenge hineinzusteuern; da lösen sich von Tangers neuer Hafenmole ein französischer Kreuzer und von dem englischen Felsen Gibraltar ein eisengraues britisches Schlachtschiff und dampfen dem Fremden entgegen, als wollten sie ihm die Einfahrt in das Mittelmeer verwehren! Die rote Bergburg von Gibraltar glüht im Schein der Abendsonne zu uns herüber. Die Küste dort drüben ist Spanien, das Land der Orangen und der Schokolade, der Stierkämpfe und des Kolumbus.


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