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19. Das Felsengebirge.

Kaum hat der ritterliche »Bisonochse« seine Rede beendet, so hält der Zug an einer großen Station. Der Indianer erhebt sich, nimmt mit einer leichten, würdevollen Verbeugung Abschied und ist im nächsten Augenblick in dem bunten Gedränge auf dem Bahnsteig verschwunden. Statt seiner steigt nun ein deutscher Naturforscher ein und setzt sich auf den Platz des Indianers. Er ist bestaubt und atemlos und freut sich, nachdem er seine Kisten und Koffer gut im Gepäckwagen untergebracht gesehen hat, eine Weile behaglich ausruhen zu können.

Als Naturforscher gewohnt, scharf zu beobachten, hat er in seinem Gegenüber Fritz bald den Landsmann erkannt, und noch hat der Zug die Grenze zwischen Kansas und Colorado nicht überschritten, als er sich auch schon ausführlich Fritzens Schicksale und Pläne hat berichten lassen.

Da erhebt sich im Westen der Landschaft eine hellblaue Wand, deren Zinnen wolkenumhüllte Berggipfel bilden. Beim Anblick der frischen, kühlen Höhen des Felsengebirges wird Fritz, den die melancholische Erzählung des Indianers und die heiße dumpfe Einförmigkeit der endlosen Prärie bedrückt haben, wieder lebendig, und er beginnt nun seinerseits, den Reisegefährten auszufragen, was ihn denn nach dem fernen Westen führe.

»Ich habe ein Stipendium von der Universität Heidelberg,« erklärt ihm der Gelehrte, »um in den Staaten des Westens Pflanzen und Tiere zu sammeln, und damit die Moneten soweit wie möglich reichen, reise ich so billig, wie es nur geht. Ich liebe dieses große herrliche Amerika. Ist Ihnen nicht aufgefallen, wie kolossal hierzulande alles angelegt ist, einerlei, ob der gute Gott oder die schlimmen Menschen die Bauherren gewesen sind? Stößt man auf eine Bergkette wie das Felsengebirge und seine südamerikanische Fortsetzung, die Anden, so ist sie gleich die längste auf der ganzen Erde. Fährt man über einen Fluß wie den Mississippi-Missouri, so hört man, daß es der längste Fluß sei, den es überhaupt gibt. Reist man mit einem Dampfer über die kanadischen Seen, so erfährt man, daß kein Süßwassersee auf der Welt sie übertrifft. Und nun die unzähligen Großstädte, die in hundert oder höchstens zweihundert Jahren aus dem Nichts entstanden sind! Diese Eisenbahnen, diese staunenerregenden Brückenbauten, diese unerschöpflichen Naturschätze und dieser weltumspannende Handel! Wie aufgeweckt und arbeitsam ist dieses Volk, wie schnell geht hier die Entwicklung, wieviel schneller und fieberhafter pulsiert hier das Leben als in der alten Welt, dem müden, abgelebten Europa, dessen Menschen sich zu Millionen hierher begeben, um ihr Los zu verbessern.«

Fritz denkt bei sich, daß sein gelehrter Landsmann doch ein wenig vorschnell sei; denn nach seinen bisherigen Erfahrungen ist sein unreifer Enthusiasmus für die neue Welt schon beträchtlich gesunken. Aber er schämt sich noch, das eingestehen zu müssen, und antwortet ausweichend: »Es sieht zu hübsch aus, wie das Felsengebirge immer deutlicher erkennbar wird und die verschiedenen Grate und Landrücken immer schärfer hervortreten, je näher wir kommen.«

»Ja freilich! Sie können es schon an dem Fahren des Zuges merken, daß es aufwärts geht. Sehen Sie, wie die Prärie allmählich in den Fuß des Gebirges übergeht? Bald werden wir in die Regionen der Zwergeichen und der Bergmahagonibäume hineinkommen. Erst höher oben sind die Abhänge mit prachtvollen Nadelholzwäldern bedeckt, und an den Bächen und Flüssen wachsen Weiden und Erlen, ganz wie bei uns zu Hause.«

»Da Sie Naturforscher sind, können Sie mir wohl sagen: Ist es wahr, daß es hier draußen im Westen, wie mir ein Schiffer auf dem Michigansee erzählt hat, Bäume gibt, die über hundert Meter hoch werden?«

»Vollkommen wahr! Ihr Bekannter meinte wahrscheinlich die beiden Arten aus der Familie der Nadelhölzer, die man Mammutbäume nennt, weil sie zu den Riesen der Pflanzenwelt gehören, wie einst das Mammut zu denen der Tierwelt. Sie wachsen in Kalifornien auf den Westabhängen der Sierra Nevada. Wenn man diese himmelanstrebenden Bäume sieht, möchte man glauben, ihr einziger Lebenszweck sei, sich so hoch emporzurecken, daß ihre Kronen über die Kämme der Küstenkette hinweg frei den Stillen Ozean beherrschen. Einer dieser Riesen, der schon lange entwurzelt ist, war sogar 144 Meter hoch und hatte an der Basis 35 Meter Umfang! Man nannte ihn den ›Vater des Waldes‹. Sein Stamm war hohl. Dies ist auch bei einem andern umgestürzten Mammutbaume der Fall, der den Namen ›die Reitschule‹ erhalten hat, weil man eine ganze Strecke weit in sein Inneres hineinreiten kann. Diese Bäume sollen mehrere tausend Jahre alt werden. Wenn sie reden könnten! Oder wenn die Jahresringe ihrer Stämme gleich alten Chroniken all die Begebenheiten aufgezeichnet enthielten, deren Augenzeugen diese Waldriesen unter dem Schutz ihrer Zweige gewesen sind! Sie haben die Rothäute, eine Generation nach der andern, einen Stamm nach dem andern, kommen und gehen sehen. Schließlich kamen die Weißen. Vor kurzem, würden die Mammutbäume sagen – denn was sind ihrem Alter ein paar Jahrhunderte! Die Stelle in der Sierra Nevada, wo die letzten dieser Baumriesen auf ihren uralten Wurzeln stehen, ist sogenannter Bannwald und Eigentum des ganzen Volkes. Niemand darf Hand an sie legen. Wenn das Gesetz sie nicht schützte, würden auch sie das Schicksal der Bisonochsen und der Indianer teilen.«

»Gibt es nicht auch hier im Felsengebirge solch eine Freistätte?«

»Ja, den Nationalpark am Yellowstone im Staate Wyoming. Das ist ein Wunderwerk! Ganze Bücher sind über ihn geschrieben worden. In seinen Tälern sprudeln etwa viertausend heiße Quellen und an die hundert Geiser. Der Geiser ›Riesin‹ sprudelt beinahe hundert Meter hoch, und ›der alte, treue Geiser‹ springt einmal in der Stunde. Außerdem enthält der Park noch viele andere Naturwunder, und eine Bisonherde, Elche, Antilopen und Hirsche sind dort vor jeder Nachstellung geschützt. Auch der Biber hat in den Flüssen dieses Parkes eine Freistatt gefunden.« –

siehe Bildunterschrift

Warme Quellen im Yellowstone-Park.


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