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41. Über die Llanos von Venezuela.

Am 16. Juli 1799 betrat Humboldt mit seinem Pylades Bonpland zum erstenmal die Küste Südamerikas. Ein unter der Mannschaft ausgebrochenes Fieber zwang den Kapitän des »Pizarro«, bei Cumana in Venezuela an Land zu gehen. Mit welcher Spannung hingen die Blicke der beiden Reisenden an der Küstenlandschaft, die beim frühen Morgengrauen allmählich sichtbar wurde! Kokosbäume, deren Stämme mehr als zwanzig Meter maßen, umsäumten das Ufer, und die gefiederten Blätter der Palmen hoben sich klar von dem Blau des Himmels ab, das keine Spur von Dunst trübte. Baumartige Mimosen breiteten gleich den Pinien Italiens schirmartig ihre Zweige aus, und die Ufer wimmelten von braunen Pelikanen, Reihern und Flamingos. »Das glänzende Tageslicht,« schrieb Humboldt noch an Bord des »Pizarro« in sein Tagebuch, »die Kraft der Pflanzenfarben, die Gestalten der Gewächse, das bunte Gefieder der Vögel, alles trug den großartigen Stempel der tropischen Natur.«

Nachdem die beiden Forscher vier Monate lang die Umgegend von Cumana kreuz und quer durchstreift hatten, begaben sie sich nach der Hauptstadt Caracas, um von hier aus südwärts über die Llanos von Venezuela, ungeheure Grassteppen, die im Sommer an Dürre mit Sandebenen wetteifern, sich aber zur Regenzeit, von April bis Oktober, in ein wogendes Meer tropischer Vegetation verwandeln, zum Orinoco vorzudringen, dem drittgrößten Strom Südamerikas, dessen gewaltige Süßwassermenge bei seiner Mündung in den Atlantischen Ozean Kolumbus auf seiner dritten Reise in der Nähe der Insel Trinidad verspürt hatte.

Schon die Umgegend von Cumana und das Gebirgsland bei Caracas boten durch die Pracht und Mannigfaltigkeit der Vegetation für die Sammlungen der beiden Naturforscher, die sich durch einen längern Aufenthalt an gesunden Plätzen der Meeresküste an das tropische Klima erst gewöhnen mußten, eine unermeßliche Ausbeute. Da wuchsen auf dürren Sandstrecken Fackeldisteln, die über zehn Meter hoch wurden. Stachlichte Kaktuspflanzen bildeten undurchdringliche Dickichte, und an den Ufern der Flüsse kletterten herrliche Rankengewächse mit ihrer bunten Blütenlast an prächtigen Tamarinden- und Ceibabäumen empor. Der Sagobaum, die Bananenstaude und der Kakaobaum erlaubten den faulen Eingeborenen, ein Leben wie im Schlaraffenland zu führen; Mais und Zuckerrohr bedurften kaum der Pflege. Die Blumenscheiden der Palmen boten Kopfbedeckungen und Kleider ohne Naht, und die Stämme des Bambus dienten zum Bau von Hütten und zur Herstellung von Waffen und Hausgerät. Das Merkwürdigste war aber der Kuhbaum, dessen Erscheinung auf Humboldt einen der stärksten Eindrücke machte, die je ein Wunder der Natur auf ihn ausübte. »An einer kahlen Felswand,« so schildert er selbst dieses Phänomen, »wächst ein Baum mit trocknen, lederartigen Blättern; seine dicken holzigen Wurzeln dringen kaum in das Gestein. Mehrere Monate im Jahre netzt kein Regen sein Laub, die Zweige scheinen vertrocknet, abgestorben; bohrt man aber den Stamm an, so fließt eine süße nahrhafte Milch heraus. Bei Sonnenaufgang strömt die vegetabilische Quelle am reichlichsten; dann kommen von allen Seiten die Eingeborenen und die Schwarzen mit großen Näpfen herbei und fangen die Milch auf, die sofort an der Oberfläche gelb und dick wird. Die einen trinken die Näpfe unter dem Baume selbst aus, andere bringen sie ihren Kindern. Es ist, als sähe man einen Hirten, der die Milch seiner Herde unter die Seinigen verteilt.«

Sorglos botanisierend streiften Humboldt und Bonpland eines Abends am Meeresufer von Caracas hin, um nach der Hitze des Tages sich zu erfrischen und den Eintritt der Flut zu beobachten. Ein Geräusch schleichender Schritte veranlaßte Humboldt sich umzuwenden – da stand vor ihm ein baumlanger Neger, eben im Begriff, seine Keule aus Palmholz auf den Kopf des Fremden niedersausen zu lassen. Ein Sprung zur Seite und Humboldt war gerettet, aber der ihm bestimmte Schlag streifte die Schläfe Bonplands, der bewußtlos zu Boden sank. Während sich Humboldt um den Freund bemühte, kümmerte sich der Neger nicht weiter um sein Opfer und dessen Begleiter, hob vielmehr Bonplands Hut auf, der eine Strecke weit fortgerollt war, betrachtete ihn mit Neugier und trollte sich dann langsam davon. Nach kurzer Zeit kam Bonpland wieder zu sich, und die beiden Forscher begaben sich nun auf die Verfolgung des Meuchelmörders, den sie auch erreichten. Als aber Bonpland ihn angriff, zog der Kerl ein scharfes Messer aus seinen weiten Baumwollhosen, und die beiden zufällig unbewaffneten Europäer wären verloren gewesen, wenn nicht vorübergehende Handelsleute zu Hilfe geeilt wären. Vor der Übermacht entwich der Neger in die Kaktushecken, als man ihn aber von mehreren Seiten umstellte, flüchtete er in einen Ziegenstall, wo er sich ruhig gefangen nehmen ließ. –

Nicht weniger reich und mannigfaltig als die Flora zeigte sich auch die Tierwelt Südamerikas. Durch die Dickichte streifte der Jaguar auf Beute, und im Uferschlamm der Sümpfe und Lagunen, die sich durch den Sommerregen bildeten, lagen die Krokodile zu Dutzenden mit weit aufgerissenem Rachen und träge blinzelnd behaglich in der Sonne. Sie und die zahlreichen Wasserschlangen geboten Vorsicht beim Baden. Unzählige Affenarten belebten mit Geschrei und Gezänk die Wälder, und buntgefiederte Sumpfvögel jagten im Röhricht ihre krabbelnde und zappelnde Beute. Überall eine sprudelnde Fülle, eine beängstigende Überkraft der Schöpfung! Das Merkwürdigste war die berühmte Guacharohöhle bei Caracas. Bis zu dreiundzwanzig Meter hoch, erstreckt sie sich weit in das Innere eines Berges hinein, und in dieser Höhle nisten Tausende großer Nachtvögel, die Guacharos heißen. Die Spannweite ihrer Flügel beträgt einen Meter. An die Wände der Höhle kleben diese Tiere ihre beutelartigen Nester, und um Johanni, kurz bevor die Jungen flügge werden, kommen die benachbarten Missionare und Indianer, um ihre alljährliche »Fetternte« zu halten. Mit langen Stangen reißen sie die Nester herab, sammeln und töten die jungen Tiere, während die alten mit heftigen Flügelschlägen und mißtönigem Geschrei ihre Brut zu verteidigen suchen, und gewinnen an riesigen Feuern das vielbegehrte Guacharoschmalz, denn am Unterkörper tragen diese Vögel dicke Fettgeschwulste, die für die ganze Umgegend das nötige Speisefett und den Missionsanstalten außerdem das zu ihren Kirchenlichtern nötige Öl liefern müssen. So unerschöpflich ist die Natur in den Tropen, daß trotz diesem regelmäßigen Massenmord der Guacharos immer noch ein genügender Überschuß für das nächste Jahr übrigbleibt.

siehe Bildunterschrift

Christian Anton Göhring,
Zitteraal-Lagune in Venezuela

Eine der frühesten wissenschaftlichen Untersuchungen des jungen Humboldt hatte die elektrischen Erscheinungen des tierischen Organismus zum Gegenstand, und der Forscher brannte auf seiner Reise nach Südamerika geradezu darauf, darüber neue Experimente zu machen. Die Lagunen der Llanos von Venezuela boten dazu die beste Gelegenheit, denn hier leben die Zitteraale, die so starke elektrische Kraft in sich erzeugen, daß sie gefährliche Schläge an Tiere und Menschen austeilen können. Die eingeborenen Indianer hatten vor diesen Tieren einen höllischen Respekt, und nur das unablässige Drängen Humboldts vermochte sie, ihn an eine der ihnen bekannten Lagunen hinzuführen.

Aber wie sollte man den Tieren beikommen? Die Indianer wußten Rat. Sie trieben etwa dreißig Maulesel mit großem Geschrei in die Lagune hinein. Dieser unwillkommene Besuch schreckte die Zitteraale auf, und bald gingen sie zum Angriff über, indem sie sich an die Maultiere herandrängten und bei der Berührung ihre elektrischen Schläge austeilten. Die Maultiere zitterten und rissen angstvoll die Augen auf, mehrere wurden sofort betäubt und ertranken, andere schlugen mit den Hufen und strebten, wild geworden, nach dem Ufer zurück, von wo sie immer wieder aufs neue ins Wasser hineingetrieben wurden. Das Elektrizitätswerk der Zitteraale kann aber auch nur eine gewisse Menge Kraft erzeugen, und nachdem sich diese im Kampf gegen die Maultiere nach und nach erschöpft hatte, wurden sie matt und flüchteten sich auf das Ufer, wo sie jetzt leicht gefangen wurden. Die Experimente, die Humboldt und Bonpland mit ihnen anstellten, erzeugten Übelkeit und Muskelschwäche bei beiden Forschern, und als Humboldt einmal unvorsichtigerweise beide Füße auf solch ein Tier setzte und dadurch den elektrischen Strom schloß, erhielt er einen so starken Schlag, daß er noch lange heftige Gliederschmerzen verspürte!

Zwanzig Tage dauerte der Ritt durch die Llanos bis zu dem Punkte, wo sich Humboldt mit seiner Expedition auf dem Rio Apure, einem Nebenfluß des Orinoco, einschiffen wollte. Meilenweit zeigte sich nicht die geringste Erhebung, nicht das kleinste Gebüsch, das Schutz gegen die senkrechten Sonnenstrahlen bot. Diese unermeßliche Einförmigkeit der Ebene ohne Hügel, Baum und Strauch wäre beinahe Humboldt und Bonpland zum Verhängnis geworden.

Zwei Nächte waren sie unausgesetzt zu Pferde gewesen; an Schlaf war tagsüber bei der mörderischen Hitze nicht zu denken. Da kamen sie endlich an ein Haus, das ein Viehzüchter mit seinen Knechten bewohnte. Rinder, Pferde und Maultiere liefen frei umher, und die Hirten jagten zu Pferde über die Savannen, um das Vieh zurückzutreiben, wenn es sich allzuweit vom Hofe entfernte. Aber statt der erbetenen Milch erhielten die Reisenden nichts anderes als gelbes, schlammiges Wasser für ihren quälenden Durst. Die Maultiere wurden von ihren Lasten befreit, damit sie sich selber Wasser in der Wüste suchen gingen. Sie schnupperten eine Weile in der Luft herum und stürmten dann mit hocherhobenem Schweif auf kleine schlammige Teiche zu, in denen sich noch Wassertümpel erhalten hatten. Humboldt und Bonpland eilten ihnen nach, in der Hoffnung, wenigstens ein erquickendes Bad nehmen zu können. Schon plätscherten sie in dem trüben Wasser umher, als am jenseitigen Rande des Teiches ein mächtiges Krokodil sie Hals über Kopf zurücktrieb!

Darüber war die Nacht plötzlich hereingebrochen, und sie wollten nun zu dem Viehhofe zurückkehren. Aber nirgends am Horizont war die dunkle Silhouette eines Hauses zu sehen! Einen Kompaß hatten sie zwar bei sich, aber nach welcher Richtung sie von dem Hofe aus gegangen waren, konnte keiner von ihnen sagen! So wanderten sie also aufs Geratewohl in die Nacht hinaus. Vergebens spähten sie nach einem Feuerschein am Horizont – immer waren es aufgehende Sterne, deren Bild durch die atmosphärischen Dünste rötlich vergrößert wurde.

Halb verdurstet und unfähig noch weiter zu wandern, beschlossen sie endlich, an einer trocknen, mit kurzem Gras bewachsenen Stelle den Tag zu erwarten.

So lagen die beiden in der weiten stillen Nacht und sahen mit begreiflicher Unruhe dem Morgen entgegen. Da traf auf einmal ferner Hufschlag an ihr Ohr – er kam näher und näher, und plötzlich sahen sie einen mit einer Lanze bewaffneten Indianer vor sich, der von einer Streife auf verirrtes Vieh zurückkehrte. Bei dem Anblick zweier Weißen fürchtete er zuerst einen Hinterhalt, und es kostete schwere Mühe, ihm so viel Vertrauen einzuflößen, daß er sich bereit erklärte, die Verirrten zum Hofe zurückzuführen!

Nach diesem Abenteuer wurden Humboldt und Bonpland vorsichtiger, und ohne weitere Fährlichkeiten kamen sie am 27. März 1800 in der Kapuzinermission San Fernando am Rio Apure an.


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