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35. Das Inkareich.

In diesen Bergen an der Westküste Südamerikas wohnte einst ein bewunderungswürdiges Volk, das unter gerechten und geliebten Königen an Macht und Bildung hoch dastand. Zu dem führenden Stamm gesellten sich einige umwohnende Völker, und im Lauf der Zeiten blühten hier das mächtigste Reich und die höchste Kultur Südamerikas empor. Der Sage nach leitete das regierende Königshaus seinen Ursprung aus einer Gegend her, wo sich die Firnfelder einiger höchsten Andengipfel in dem Wasser des Titicacasees spiegeln. Der König hieß Inka, und wenn wir vom Inkareich sprechen, so meinen wir das alte Peru, ein Land, dessen unschuldige Träume von Europäern, den Spaniern, zerstört und vernichtet wurden.

Das Reich des Inka erstreckte sich von Columbia und Ecuador im Norden bis weit in das jetzige Chile hinein. Die Macht dieses Königs war unbeschränkt, und nach seinem Tode erwies man ihm göttliche Verehrung. Eine rote Kopfbedeckung mit weißen und schwarzen Federn war das Zeichen seiner Würde, und königliche Pracht und Reichtum umgaben ihn. Ihm zur Seite stand der Oberpriester, dem es oblag, den Willen der Götter zu erforschen und zu verkünden.

In Cuzco, der heiligen Stadt der Indianer, nordwestlich vom Titicacasee, hatte das Inkavolk der Sonne und dem Mond herrliche Tempel erbaut. Die Säle des Sonnentempels waren mit Platten von rotem Gold gepflastert, und Friese und Portale waren ebenfalls aus lauterem Gold. Im innersten Heiligtum des Tempels verehrte man das Bild der Sonne, eine Goldscheibe, deren von Strahlen und Edelsteinen umgebene Mitte ein menschliches Antlitz zeigte. In einem andern Saale glänzte das Bild der Mondgöttin aus Silber.

Sonne und Mond waren also Gegenstand der höchsten göttlichen Verehrung. Aber auch den Regenbogen und den Gott des Donners betete das Inkavolk an, und seinen Götzen empfahl es den Schutz seiner Herden und Wohnungen, seiner Felder und Kanäle. Um den Hals trugen die Eingeborenen Amulette, die vor Gefahr und plötzlichem Tod bewahrten und auch den Verstorbenen mit ins Grab gegeben wurden. Die Leichen wurden zusammengebogen in Häute oder Matten eingenäht und unter dem Wohnhaus oder, wenn es vornehme Leute waren, in besondern Grabtürmen beigesetzt. An der Küste bettete man die Leiche in Geröllgrotten, Sandhügel oder große Tongefäße. Toten Männern gab man Waffen und Werkzeuge mit, Frauen ihre Hausgeräte und Handarbeiten und Kindern ihre Spielsachen, und man opferte den Abgeschiedenen Blumen, Früchte und Lamas. Die Begräbnisstelle der Könige war der Sonnentempel selbst, die ihrer Gemahlinnen der Mondsaal.

Zur Zeit der Wintersonnenwende wurde das Sonnenfest gefeiert, und hierbei war der Inka selbst in seiner Eigenschaft als Sohn der Sonne der Hohepriester. Dann zündete man auf einem Altar das Sonnenfeuer an das von den Sonnenjungfrauen das ganze Jahr hindurch unterhalten wurde. Diese Jungfrauen hatten ihr Kloster in der Nähe des Sonnentempels, der Königsburg und der Häuser der Adligen, und ihre Pflicht war es auch, kostbare Gewänder für die Priester und die Fürsten zu weben, das Maisbier zu den Götterfesten zu brauen und bei Siegesfesten oder beim Regierungsantritt eines Inka sich selbst den Göttern opfern zu lassen.

Die frühesten Geschicke des Inkavolkes verschwinden im Dunkel der Sage. Genauer aber kennen wir die Staatseinrichtung und ihre sozialen Verhältnisse, denn die spanischen Eroberer haben ja alles mit eigenen Augen gesehen. Die Verfassung war durchaus kommunistisch. Grund und Boden, Äcker und Weiden waren in drei Teile geteilt; zwei davon gehörten dem Inka und der Priesterschaft, und einer war Eigentum des Volkes. Der angebaute Boden stand unter der Aufsicht besonderer Regierungsbeamten, die für die nötige Düngung mit Guano von den Inseln der Westküste und für die gerechte Verteilung des Ertrags zu sorgen hatten. Auch Kleidungsstücke und Haustiere wurden von Staats wegen unter dem Volke verteilt. Alle Arbeiten wurden gemeinsam zum Wohl der Gesamtheit ausgeführt; man baute Brücken und Landstraßen, legte Bergwerke an, schmiedete Waffen, und wenn feindliche Stämme den Frieden bedrohten, rückte alle waffenfähige Mannschaft ins Feld. Die Steuern wurden in den Regierungsgebäuden der verschiedenen Provinzen erlegt, und über alles Eigentum des Staates, wie Lebensmittel, Kleider und Waffen, wurde peinlich genaue Rechnung geführt. Niemand durfte seinen Wohnsitz ohne Erlaubnis wechseln, niemand auch sich einem andern Berufe widmen als dem seines Vaters.

Allenthalben herrschte militärische Ordnung, und diese Einrichtung machte das Inkavolk stark genug, sich seine Nachbarn zu unterwerfen. Todesfälle und Geburten wurden genau verzeichnet. Mit welcher Schrift? werdet ihr fragen. Ja, dieses merkwürdige Volk hatte gar keine Schrift! Statt ihrer bediente man sich einzelner Schnüre, deren Knoten und Verschlingungen in verschiedenen Farben verschiedene Bedeutung hatten. Wenn der Inka einer entfernten Provinz einen Befehl erteilen wollte, schickte er einen Läufer mit solch einem Bündel verknoteter Schnüre hin. Der Empfänger sah sich die Schnüre an und wußte sofort, um was es sich handelte.

Zur leichtern Beförderung seines Heeres legte der Inka zwei vortreffliche Straßen an, eine durch die Berge, die andere längs der Küste. In Cuzco trafen beide zusammen. Mit Recht haben die Europäer diese gewaltigen Anlagen bewundert. Die Heerstraßen waren gepflastert und mit Mauern und Alleen versehen, und in bestimmten Abständen fanden sich Herbergen, in denen die schnellfüßigen Boten während der Nacht einkehrten. Die Hauptstraße verband Cuzco und Quito. Wenn sich der Inka selbst auf Reisen befand, saß er auf einem goldnen Thron, den die Großen des Reiches auf einer Bahre trugen.

Noch heute werden von europäischen Forschern wunderbare Altertümer aus der Zeit der Inka gefunden. Sie waren hervorragende Baumeister. Zwar kannten sie keine Gewölbe, keine Ziegelsteine und keinen Mörtel. Und dennoch sind ihre Tempel und Festungen, ihre Tore, Türme und Mauern wirkliche Perlen der Baukunst! Oft sind kaum noch die Fugen zwischen den verschiedenen Blöcken sichtbar; viele Portale sind aus einem einzigen Stein gehauen und zeigen kunstvoll und eigenartig gemeißelte Figuren und Bilder des Sonnengottes.

Ebenso hoch stand die Geschicklichkeit des Inkavolkes in der Töpferei, und auch in der Metallbearbeitung fand es auf dem südamerikanischen Festland nicht seinesgleichen. Aus Bronze fertigte es Keulen und Beile, und aus Gold und Silber Gefäße und Schmucksachen. Auch die Kunst der Weberei zeigt die hohe Entwicklung des Inkavolkes; in Gräbern haben Forscher neuerer Zeit viele sprechende Beweise dafür gefunden. Benutzt wurde dazu die Wolle des Lamas, des Alpakas, des Vicuñas und des Guanakos, und noch heute leisten diese dem Kamel nahestehenden Tierarten den Indianern große Dienste. Das Lama ist über den größten Teil der Anden verbreitet und dient gleich dem Kamel als Karawanentier, wenn auch nur das Männchen mit seinen Kräften entsprechenden Lasten beschwert wird. Das Lama ist scheu, dumm und friedfertig, und sein Kopf erinnert ein wenig an den des Schafes. Das Alpaka wird nicht beladen, aber des Fleisches und der feinen Wolle wegen als Haustier gehalten. Das Vicuña und das Guanako werden nicht im Dienst des Menschen verwendet. Letzteres ist hauptsächlich auf den Steppen Patagoniens heimisch und teilt hier das Schicksals des südamerikanischen Straußes, unter den Pfeilen der Indianer zu fallen.

siehe Bildunterschrift

Rudolf Reschreiter, Cotopaxi.

Aus der Wolle dieser Tiere und außerdem auch aus Baumwolle webte das Inkavolk sich seine Kleider. Das wichtigste Kleidungsstück der Männer war ein kurzes, ärmelloses Hemd, das der Frauen ein längeres Hemd mit einem den Leib umschließenden Gürtel. Das Haar trugen die Männer kurz geschnitten und um den Kopf eine schwarze Binde, um die wieder eine Wurfschlinge, ein Lasso, gewunden war. Die Frauen hatten langes Haar. An den Füßen trug man Sandalen, und in die Ohrläppchen zwang man runde Zapfen.

Das Inkavolk trieb Viehzucht, Jagd und Fischerei. Es baute Kartoffeln und viele andere Knollenfrüchte, Bananen, Tabak und Baumwolle und säte seinen Mais auf weitausgedehnten Feldern. Die Eingeborenen trugen alle Kennzeichen der amerikanischen Rasse, einen kurzen Schädel, der oft absichtlich gewaltsam zusammengepreßt wurde, scharf ausgeprägte Züge und einen kräftig gebauten Körper.


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