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47. Der Stille Ozean.

Unser Albatros ist ein kluger Vogel. Sonst würde er nicht wochenlang den Schiffen folgen, von deren Bord, wie er weiß, so mancherlei schmackhafte Dinge ins Wasser geworfen werden. Diesem Geier des Meeres ist gewiß auch schon von alters her bekannt, wo die kleineren Sturmvögel sich ihre Beute holen; wenn er sie beim Fang überrascht, stößt er blitzschnell auf sie herab, raubt ihnen alles, was da ist, und kümmert sich nicht im geringsten um die laute Unzufriedenheit dieser kleinen Leute.

Aber sein Beobachtungsvermögen und seine Kenntnisse reichen sicherlich noch viel weiter als wir Menschen ahnen. Seit vielen tausend Jahren haben die Vorfahren des Albatros auf dem Meere gelebt und hier ihre Sinne zu größter Schärfe entwickelt. Sie kennen die beständig herrschenden Winde und sehen es der Farbe des Wassers an, ob ein kalter oder warmer Meeresstrom unter der Oberfläche hinzieht. Wenn sich nun unser Freund, der Albatros, auf seinem Wege nach Westen über die Inseln Polynesiens vom Winde tragen lassen will, so weiß er genau, daß er nur immer zwischen dem Wendekreis des Steinbocks und dem Äquator zu bleiben braucht, um von dem beständig innerhalb dieses Gürtels wehenden Südostpassat getragen zu werden. Dieser Wind ist auch die Ursache des Äquatorialstroms, der sich breit und mächtig über den ganzen Stillen Ozean nach Westen hinzieht. Und will der Albatros im Norden des Äquators bleiben, so kann er bei dem beständig wehenden Nordostpassat auf die gleiche Hilfe rechnen. Flöge er aber vom Äquator aus viel weiter südwärts oder nordwärts, so würde er Gegenwind haben und finden, daß auch die Meeresströme nach Osten gehen. In der nördlichen Hälfte des Stillen Ozeans heißt dieser nordostwärts fließende Strom Kuro-schio; er wälzt sich längs der Küste Japans hin und dann in gerader Richtung nach Westkanada hinüber. Dieser Meeresstrom ist einer der Lieblingsaufenthalte des Albatros.

Auch im Atlantischen Ozean, das weiß der Vogel aus Erfahrung, haben Winde und Strömungen die gleichen Gesetze. Hier aber heißt der nach Osten gehende Strom Golfstrom, und sein vom Äquator kommendes warmes Wasser ist es, was das Klima Nordwesteuropas so mild macht und sogar die nördlichsten Fjorde Norwegens im Winter nicht einfrieren läßt. –

Unser Albatros fliegt also nun nach Westen, unabhängig von allen Winden und Strömungen. Er fürchtet ja selbst den heftigsten Sturm nicht, und wo sollte er sich auch vor ihm verstecken? Seine eigentliche Wohnung ist ja die Luft. Die See geht hoch. Er schwebt dicht über dem Wasser, hebt sich mit jedem Wellenkamm, senkt sich mit jedem Wellental und netzt sich die Flügelspitzen an den Schaumkronen der Meereswogen. Die Sonne funkelt in dem Sprühwasser der Wellen, und der Albatros spiegelt sich in dem glatten, blauen Dach der Wellendünung, das sich über den kristallenen Märchengrotten der Tiefe wölbt.

Mit einemmal hebt er sich empor, um Ausschau zu halten, ob das, was ihn in Gedanken beschäftigt, schon über dem Horizont sichtbar ist. Unter ihm dehnt sich öde und verlassen das weißgestreifte, dunkle, rauschende Meer. Von Westen her ziehen blauschwarze Regenwolken herauf. Schon öffnen sie ihre Schleusen. Wird nun der Albatros vom Regen, der heftig auf seinen Rücken und seine Flügel herniederprasselt, in seinem Fluge gehindert oder hinabgedrückt? Nun freilich, ein Hindernis wird ihm der Regen schon sein. Aber das kluge Tier ist Wetterprophet genug, um ihm aus dem Wege zu gehen, und es fliegt schnell genug, um sich rechtzeitig davon zu machen, wenn der Regen es überraschen will. Im schlimmsten Fall hat es ja immer noch die Aussicht, die Luft zu verlassen, seine Fallschirme zusammenzufalten und schaukelnd auf den Wellen zu ruhen.

Der Regen hört wieder auf. Der Albatros schwingt sich wieder empor und sieht nun die Osterinsel vor sich, die sich in schauriger Einsamkeit und schwindelerregender Tiefe im Großen Ozean erhebt. Was sind das auf den Uferabhängen für steinerne Statuen? Sie sind zehn Meter hoch und stellen Menschenköpfe vor! Sie bezeichnen uralte Gräber und sind Denkmäler einer längst verschollenen Kultur. Heute leben nur noch etwa 150 Eingeborene auf der Osterinsel; aber auch sie sind zum Aussterben verurteilt. Außer ihnen wohnen noch drei Weiße dort, aber man hat lange nichts von ihnen gehört, denn seit mehreren Jahren hat kein Schiff die Insel angelaufen. Im übrigen hausen nur Ratten, Ziegen, Hühner und Seevögel auf diesem Eiland.

In einiger Entfernung liegt Sala y Gomez, eine kleine, aus lauter kahlen Felsen bestehende Insel, die ein deutscher Dichter, Adelbert von Chamisso, besungen hat. Hier nisten nur Seevögel, und ab und zu macht ihnen der Albatros einen flüchtigen Besuch. Im allgemeinen aber zieht er das Alleinsein vor. –

Weiter geht es nach Westen, und bald taucht eine ganze Menge kleiner Inseln aus dem Meere auf; wir nennen sie die »Niedrigen Inseln«, aber die dunkelhäutigen Wilden, die ein unergründliches Schicksal hierhin verbannt hat, nennen sie Paumotu oder »die Inselwolke«. Welch seltsamer Name! Kein Dichter hätte einen bessern ersinnen können. Nicht weniger als fünfundachtzig Inselgruppen liegen hier beisammen, und jede dieser Gruppen besteht aus unzähligen Schären. Das Ganze ist wirklich einer Inselwolke, einem Sternennebel am Himmel vergleichbar. Aber diese Inselmenge ist nur eine von den unzähligen andern, die dem ganzen westlichen Teil des Stillen Ozeans ein punktiertes Aussehen verleihen. Es ist, als ob die mächtige Hand des Schöpfers alles, was von Erde und Felsblöcken nach Vollendung der fünf Weltteile übriggeblieben war, wie Pfeffer über diesen Ozean gestreut hätte.

Dieses Gewirr von tückischen Riffen und Klippen hat einen Flächeninhalt von knapp zehn Quadratkilometern und birgt zahllose Gefahren für jedes Schiff, das in seinen Bereich kommt. Alle diese kleinen Inselchen sind von Korallen gebaut, kleinen Tierchen, die Kalk absondern. Sie vermehren sich durch Knospung, und jede Gesellschaft bildet einen gemeinsamen Stamm, worin lebende und tote Mitglieder bunt durcheinander hausen.

Das Korallentierchen braucht zum Gedeihen einen festen, harten Meeresboden, kristallklares Salzwasser, ausreichende Nahrung, die ihm durch Wellenschlag und Strömung zugeführt wird, und schließlich eine Wassertemperatur, die nicht unter zwanzig Grad hinabsinken darf. Deshalb findet es sich nur in den tropischen Meeren und nahe an der Oberfläche, denn mit zunehmender Tiefe wird das Meerwasser immer kälter. Tiefer als fünfzig Meter unter der Oberfläche leben diese Tierchen nicht gern. Sie vermehren sich ungemein schnell, und infolgedessen wächst das Korallenriff an Höhe und Breite, und nur der Wasserstand der Ebbe setzt seinem Aufbau nach oben hin eine Grenze. Die ewige Brandung des Meeres und seine vom Sturm gepeitschten Wellen brechen oft große Blöcke dieses Korallenkalkes los, die dann einherrollend zu Sand zerrieben werden. Dieser Sand füllt und verstopft alle Löcher, und so trägt das Meer selbst mit seiner zerstörenden Arbeit dazu bei, die Festigkeit und Stärke des Korallenriffs zu vermehren. Auch andere kalkabsondernde Tierchen und Algen lassen sich auf dem Riffe nieder. Im Lauf der Zeit spülen die Wellen abgerissene Blöcke auf die Oberfläche des Riffs hinaus, so daß nun einzelne Teile beständig über Wasser stehen. Wenn sich der Meeresspiegel zur Flutzeit hebt, erkennt man das Riff schon aus weiter Ferne an der weißschäumenden Brandung. Wenn Ebbe herrscht, liegt es sichtbar da, und das Wasser ringsherum ist ruhig. In der Zeit zwischen Ebbe und Flut sind diese Fahrstraßen am gefährlichsten, denn dann gibt es hier nichts, was vor einem Riff warnen könnte, und ein auflaufendes Schiff ist verloren!

Die Riffe haben verschiedene Formen und Ausdehnungen. Das große »Wallriff« z. B. vor der Nordostküste Australiens ist zweitausend Kilometer lang! Andere sind rund, bilden Ringe und heißen dann Atolle, Lagunenriffe, die im Innern eine ruhige Wasserfläche umschließen. Winde, Vögel und Meeresströmung tragen Pflanzenkeime über das Meer hin; diese schlagen dann in den Teilen des Riffes Wurzel, die über dem höchsten Stand der Flut hinausragen. So wird das Atoll langsam fertig, von Tieren und Pflanzen gemeinsam aufgebaut.

Die »Inselwolke« ist das größte zusammenhängende Atollgebiet auf der ganzen Erde. Die ringförmigen Koralleninseln liegen hier wie eine ganze Ernte kleiner Kränze, die man auf das Meer geworfen hat. Das Wasser in ihrem Innern kann bis zu siebzig Meter tief sein, und in den Lagunen einiger dieser Atolle hätten alle Flotten der Welt Raum genug! So gewähren diese winzig kleinen Korallentierchen durch ihre fleißige Arbeit oft genug gewaltigen Schiffen Schutz.

Auf vielen dieser Atolle wachsen Kokospalmen, und nur dann sind diese Inseln bewohnbar. Ein wunderbar seltsamer Anblick, wenn man sich mit einem Schiff ihnen nähert! Über dem Horizont winken nur die Kronen der Palmen, die Insel selbst ist zu niedrig, um schon sichtbar zu sein. Wie eine Oase erheben sie sich in der grenzenlosen Sahara des Meeres. Erst wenn man ziemlich nahe gekommen ist, tritt auch der feste Korallengrund der Insel hervor. An der äußern Seite des Riffringes tosen die Meereswogen, aber die Lagunen im Innern liegen blank wie ein Spiegel da im Schutz der Korallen und Palmen.

Siebentausend Eingeborene polynesischen Stammes wohnen auf den Klippen dieser »Inselwolke«, zweihundert auf jedem Atoll. Sie treiben Handel mit Perlen und Perlmutter und kaufen zu schamlosen Preisen europäischen Kram dafür ein. Auf einigen Inseln werden Brotfruchtbäume, Ananas und Bananen gezogen. Das Tierleben ist sehr spärlich, es gibt nur Papageien, Tauben, Drosseln, Ratten und Eidechsen. Um so reicher aber ist das Leben draußen im Meere. Die Eingeborenen sind die vorzüglichsten Seeleute, und sie sind alles eher, denn Gefangene auf ihren Inseln. Auf ihren flinken Kähnen, die mit von den Weibern angefertigten Mattensegeln versehen sind und durch Seitenquerplanken, Ausleger, große Sicherheit haben, wagen sie sich unerschrocken auf das Meer hinaus, und es findet ein lebhafter Verkehr zwischen den einzelnen Inseln statt.


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