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16. Kanada und die Großen Seen.

Wenige Tage später ist Fritz auf einem großen Frachtdampfer angestellt, der von den Wäldern Kanadas Holz nach Chicago befördert und jetzt durch den Michigansee nordwärts steuert. Sein nächster Mitarbeiter ist ein Engländer, der ihm ein langes und breites von dem ungeheuren Gebiete vorprahlt, das fast die ganze Nordhälfte Nordamerikas umfaßt.

»Kanada, müssen Sie wissen, ist eine britische Kolonie, und nach Indien und dem Mutterland ist es der kostbarste Edelstein in der Krone Großbritanniens.«

»Warum ist denn Kanada so wertvoll? Soviel ich bis jetzt gehört habe, soll es ziemlich dünn bevölkert sein.«

»Da haben Sie recht, an Menschen ist es nicht reich. Es hat bloß sieben Millionen zweihunderttausend Einwohner.«

»Fast soviel hat ja Groß-London allein!«

»Ja, und doch ist Kanada beinahe so groß wie ganz Europa und größer als die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Das Land erstreckt sich so weit nach Osten und Westen hin, daß es den vierten Teil des Umkreises der Erde einnimmt. Wenn Sie auf der kanadischen Pazifikbahn von Montreal nach Vancouver fahren, so haben Sie einen Weg von 4700 Kilometern zurückzulegen! Sie können sich wohl denken, welch ein ungeheurer Schatz solch ein großes Land für seinen Besitzer ist.«

»Allerdings, das ist in Sibirien ja auch so; da ist die Bevölkerung ebenso spärlich.«

»Genau so. Aber in Kanada geben Äcker und Berge, Wälder und Gewässer einen märchenhaften Ertrag. Was an Korn von Kanada alljährlich versandt wird, hat über eine halbe Milliarde Wert. Und dann die Ausbeute an Gold! Von Fischen und Pelzwerk gar nicht zu reden. Die englische Herrschaft in Nordamerika dehnt sich, sozusagen, zwischen zwei Goldgruben aus. Im äußersten Osten haben wir Neufundland und im äußersten Westen Klondike. Nie werde ich das Goldfieber vergessen, das Abenteurer in fast allen Ländern ergriff, als bekannt wurde, daß in den Kies- und Sandbetten an den Ufern des Yukonflusses Gold in Menge vorkomme. Ich selbst war einer von ihnen. Man stürmte ohne Besinnung dorthin, um noch rechtzeitig anzukommen und kleine Flecken des goldhaltigen Bodens sich zu sichern. Es war das richtige Räuberleben! Und wie schlecht es uns dort ging! Für einen Zwieback mußte man eine Mark bezahlen, und eine Büchse Sardinen kostete zehn Mark. Wie glücklich waren wir, wenn ein Jäger ein Elen oder ein Renntier schoß und uns das Fleisch um leidlichen Preis – in Goldkörnern – verkaufte. Man wohnte dicht zusammengedrängt in erbärmlichen Zelten und litt entsetzlich unter der Kälte. Wütende Schneestürme fegten im Winter über das Land hin, und manchmal sank das Thermometer auf fünfundzwanzig Grad unter Null. Und dann erst die Arbeit, um das elende Gold zu gewinnen! Da droben ist der Erdboden beständig gefroren, und man muß ihn erst mit Feuer auftauen, um nur arbeiten zu können. Nach und nach wurden zwar die Verhältnisse besser; auf dem Goldfelde entstand eine kleine Stadt, und manches Jahr betrug der Gewinn an reinem Golde über hundert Millionen Mark.«

»Und die andere Goldgrube?«

»Ist Neufundland! Ein sicheres, anständiges Unternehmen, aber es kann nicht weniger gefährlich werden als Klondike. Ein kalter Polarstrom bringt jedes Jahr Seehunde, Dorsche, Lachse, Heringe und Hummer in großen Massen nach der Neufundlandsbank, wo mehr als fünfzigtausend Fischer dem Fang obliegen. Da dieser Fischfang jährlich zwanzig bis fünfzig Millionen einbringt, ist auch diese östlichste Insel Nordamerikas so gut wie eine Goldgrube. – Daneben umfaßt Kanada zwar auch gewaltige Landstrecken, die ziemlich wertlos sind. Von der Küste des Nördlichen Eismeers, wo die Eskimos wohnen, haben wir nicht viel Freude.«

»Merkwürdig, daß gerade England diese Hälfte von Nordamerika besitzt!«

»Ja, es gibt in den Vereinigten Staaten noch mehr Leute, die geradeso wie Sie denken und begehrlich nach Kanada hinschielen, Am liebsten nähmen sie uns das ganze Gebiet fort, wie wir es einst den Franzosen genommen haben. Aber einstweilen wollen wir die wertvolle Besitzung noch selbst behalten.« –

»Sie wissen auf den Seen hier wohl gut Bescheid?«

»Nun ja, wenn man zehn Jahre lang auf ihnen herumgefahren ist, kennt man die Landspitzen und Buchten allmählich und weiß ungefähr, wann das Wasser gefriert, wann das Eis aufbricht und wann ein Sturm droht.«

»So gefährlich können doch hier die Stürme wohl nicht werden?«

»Na, ich sage Ihnen: sie können hier wenigstens ebenso gefährlich sein, wie auf dem Atlantischen Ozean, und wenn ein ordentliches Lüftchen heraufzieht, so tut jeder Schiffer gut, sich schnell nach einem geschützten Winkel umzusehen, sonst ist es im besten Fall um seine Last geschehen. Sie werden bald genug Gelegenheit haben, am eigenen Leibe zu spüren, zu sehen und zu hören, wie die Uferbrandungen toben, geradeso wie an der Meeresküste. Aber diese Seen sind ja auch ihrem Flächeninhalt nach mehr als halb so groß wie die Ostsee. Der nördlichste von ihnen, der Obere See, ist der größte Landsee der Erde. Da vorn, hinter jener Landspitze, liegt der Huronsee. Ist das nicht ein prächtiges Bild? Haben Sie schon jemals einen solch dunkelblauen Wasserspiegel, so dunkelgrüne Wälder und so friedliche, feierlich stille Ufer gesehen? So etwas haben Sie in Ihrem kleinen Deutschland nicht, das lassen Sie sich nur gesagt sein! Guten Morgen!«


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