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33. Das Trauerspiel von Queretaro.

Am 13. Juni trat das Kriegsgericht zusammen, das über den Kaiser und seine Generale das Urteil fällen sollte – eine elende Komödie, denn nach den Gesetzen der Republik waren sie unbedingt dem Tode verfallen! Und als ob man die ganze zivilisierte Welt verhöhnen wollte, wählte man zum Schauplatz dieses Kriegsgerichtes – das Theater Iturbide, das man wie zu irgendeinem andern Fest mit den Fahnen und Farben der Republik prächtig ausgeschmückt hatte. Das ganze Offizierkorps der republikanischen Armee mit seinen Damen füllte die Logen, und mancher dem Kaiser ergebene Bürger hatte sich seiner eigenen Sicherheit zuliebe überwinden müssen, von den ihm übersandten Billetts zu dieser entsetzlichen Vorstellung Gebrauch zu machen. Schon in früher Morgenstunde war das Theater gedrängt voll; um 9 Uhr sollte die Komödie beginnen.

Auf der Bühne, die durch Dekorationen zu einem Saal umgeschaffen war, agierten die Vertreter des Gesetzes, der Oberstleutnant Sanchez, der noch im November desselben Jahres von seinen eigenen Soldaten ermordet wurde, und sechs junge Hauptleute, von denen mehrere weder lesen noch schreiben konnten.

Nach Verlesung der Anklageakte schritt man zur Vernehmung der Angeklagten, und die Spannung der Zuhörerschaft erreichte sogleich ihren Höhepunkt: einen Sproß des Habsburger Kaiserstammes auf der Bühne vor ein mexikanisches Kriegsgericht treten zu sehen, war eine Sensation, die wohl in der Weltgeschichte nicht wiederkehrte!

Aber welch bittere Enttäuschung! Der Kaiser hatte sich unbedingt geweigert, sich persönlich dem Gericht zu stellen, und erklärt, daß man ihn nur mit Gewalt dorthin bringen werde. Ein menschlich fühlender Arzt hatte ihn dann durch ein Krankheitsattest vor dem Äußersten bewahrt. Aber seinen beiden »Mitschuldigen, den sogenannten Generalen Miramon und Mejia«, ersparte man ihre Rolle in der Komödie nicht. Von je zwei Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett bewacht, führte man sie auf die Bühne, wo sie auf den Anklagestühlen Platz nehmen durften; der dritte, mittlere Stuhl, der für den Kaiser bestimmt war, blieb leer.

Die eskortierenden Soldaten hatten den Befehl, bei jeder verdächtigen Bewegung die Angeklagten sofort niederzustoßen – so fürchtete man noch die allen rühmlichst bekannte Tapferkeit der beiden Helden, die selbst dem feindlichen Theaterpublikum Sympathie abnötigten. Vor dem stolzen Auftreten Miramons, der seiner Gewohnheit nach mit ausgesuchter Eleganz gekleidet war und sich mit der Sicherheit eines beliebten Salonhelden bewegte, geriet selbst die plumpe Soldateska dieses räuberhaften Kriegsgerichts in klägliche Verlegenheit. Der Indianer Mejia war nur von kleiner Statur, und, seine Füße berührten von seinem Sitz aus kaum den Boden; obendrein war er von Krankheit geschwächt; aber als ihn der Vorsitzende des Gerichts nach seinem Namen fragte, erwiderte er mit sarkastischem Lächeln: »Den kennen Sie gut genug!« Mejia war der einzige von den drei Angeklagten, der vielleicht auf Gnade zu rechnen hatte; während dem jungen heißblütigen Kreolen Miramon mancher Akt rücksichtsloser Strenge zur Last fiel, hatte der Indianer Mejia während des ganzen Krieges gegen die Republik die feindlichen Gefangenen milde behandelt und sogar einmal dem General Escobedo, der in seine Hände gefallen war, die Freiheit geschenkt! Daß im übrigen das Kriegsgericht von Escobedo den Auftrag hatte, gegen alle drei das Todesurteil zu fällen, wußte das ganze Theater, und den Verteidigern des Kaisers blieb daher nur die Aufgabe, durch juristische Einwendungen die Kompetenz dieses Gerichtes anzufechten, was im glücklichsten Fall den Urteilsspruch um kurze Zeit verschieben konnte. Die Richter kümmerten sich denn auch nicht im geringsten um die nutzlosen Anstrengungen der Advokaten, und selbst der General Miramon zog bei den Plädoyers der Verteidiger ganz ostentativ die Uhr, zum Zeichen, daß man der grausamen Komödie doch ein Ende machen solle.

Bis um drei Uhr nachmittags tagte das Gericht; dann wurden die Gefangenen wieder abgeführt, wobei Mejia, die Bühne verlassend, freundlich ins Parterre hinuntergrüßte. Erst am nächsten Tag wurde das Urteil gefällt, das den Kaiser und seine beiden Generale zum Tode des Erschießens verurteilte. Drei der Beisitzer hatten auf Verbannung erkannt, die Stimme des Vorsitzenden hatte den Ausschlag gegeben.

Am 16. sollte das Urteil vollstreckt werden. Aber noch immer hoffte der unglückliche Kaiser, daß der Präsident Juarez der blutigen Katastrophe im letzten Augenblick Einhalt tun oder ein Fluchtversuch gelingen werde. Wie furchtbar rächte sich jetzt das Vertrauen, das Maximilian auf das Wort des Generals Escobedo gesetzt hatte! Alle Vorbereitungen zur Flucht waren versäumt, und man besaß nicht einmal das, was zur Bestechung der Soldaten und Offiziere völlig unentbehrlich war: bares Geld, womit man Wunder hätte wirken können trotz der kurzen Spanne Zeit, die zur Verfügung stand. Wer von diesen indianischen Landsknechten, die gewohnt waren, im Fall einer Gefangenschaft ohne weiteres in das Heer des jeweiligen Feindes eingereiht zu werden, wenn sie nur ihren spärlichen Sold und halbwegs erträgliche Nahrung erhielten, hätte dem lockenden Reiz blanken Goldes Widerstand geleistet? Aber von Wechseln verstanden sie nichts, und über Summen auf dem Papier, mochten sie noch so hoch sein, schüttelten sie lächelnd den Kopf! Was galt ihnen die Bürgschaft eines österreichischen Erzherzogs, wenn er nicht mehr in ihren Händen war! Da teilten sie lieber Escobedo den ganzen Anschlag mit, um sich vor Verrat zu schützen. Und noch bevor der letzte Fluchtplan in der Nacht vom 15. auf den 16. ins Werk gesetzt werden konnte, wurden die diplomatischen Vertreter mehrerer europäischer Staaten, die bei seiner Vorbereitung beteiligt waren, gezwungen, sofort die Stadt zu verlassen, und keiner seiner Getreuen wurde mehr zum Kaiser gelassen.

Schon marschierten die Truppen, die zur Ausführung der Hinrichtung bestimmt waren, mit klingendem Spiel zur Richtstätte hinaus, zu der man den Cerro, den Hügel erwählte, auf dem der Kaiser sich so lange heldenhaft behauptet hatte, und der hohe Dulder bereitete sich gefaßt zu seinem letzten Gang. Da – ein Telegramm des Präsidenten: die Exekution ist bis auf den 19. verschoben! Also doch Menschlichkeit! Gnade!? Die Freunde des Kaisers atmeten schon auf! Unmöglich konnte der Präsident so grausam sein, den Todeskampf der drei Opfer nur verlängern zu wollen!

Der Kaiser selbst aber hatte die Hoffnung aufgegeben. Nur als ihm der General Escobedo am Abend des 18., als sein Opfer schon eingeschlafen war, einen – Abschiedsbesuch zu machen für richtig fand, blitzte aus den Augen Maximilians einen Augenblick so etwas wie ein letzter Hoffnungsstrahl. Aber der General empfahl sich bald wieder – kein Wort von Begnadigung! Es war nur eine Ausartung mexikanischer Höflichkeit, die Escobedo veranlaßt hatte, den Verurteilten in seinem letzten Schlaf zu stören! Und nur die dringende Bitte des preußischen Gesandten hatte Juarez zu jenem Aufschub bestimmt, um nicht allzu hart zu erscheinen. An der Erfüllung des Gesetzes war nichts zu ändern – die blutdürstigen Truppen der Republikaner murrten schon, als es kurze Zeit den Anschein hatte, daß der Kaiser ihnen doch entgehen würde. Juarez hätte sein eignes Leben gewagt, wenn er seinen demoralisierten Räuberhorden das Schauspiel der Hinrichtung eines Kaisers vorenthalten hätte! Auch die letzte Bitte Maximilians, wenigstens die beiden Generale zu schonen, hatte er abgeschlagen.

So graute der Morgen des 19. Juni. Der Kaiser hatte sich schon um ½4 Uhr erhoben; er trug einen dunklen kurzen Rock, schwarze Beinkleider und Weste und einen Filzhut. Nachdem der Geistliche, der dem Verurteilten Beistand leisten sollte, vor dem Kaiser eine Messe gelesen hatte, gab dieser seinem Leibarzt noch einige Aufträge und Grüße an seine Getreuen; sein Testament hatte er schon vorher gemacht; auch die Abschiedsbriefe an seine Gattin und seine Familie waren schon in den Händen sicherer Boten.

Punkt 6 Uhr erschien der kommandierende Offizier, dem der Kaiser sofort folgte. Als ihn vor der Zelle seine wenigen Diener weinend umringten und seine Hände küßten, tröstete er sie mit den Worten: »Seid doch ruhig, ich bin es ja auch! Es ist Gottes Ratschluß, daß ich sterben soll, und dagegen läßt sich nichts machen.«

Dann trat der Kaiser an die Zellen der beiden Generale heran und rief: »Meine Herren, sind Sie bereit? Ich bin schon fertig!« Als die beiden Todesgefährten heraus traten, umarmte der Kaiser sie und ging ihnen festen Schrittes voran, die Treppe hinunter. Auf der Straße atmete er die frische Morgenluft mit voller Brust ein und sagte:

»Solch einen herrlichen Tag habe ich mir immer zum Sterben gewünscht!«

Dann stieg er mit dem Geistlichen in eine der bereit stehenden Droschken; eines besseren Wagens hatte man den Kaiser nicht für wert gehalten.

Eine dichte Menschenmenge war auf den Straßen versammelt, obgleich der General Escobedo, um Demonstrationen vorzubeugen, die Exekution eine Stunde früher, als angekündigt war, stattfinden ließ. Alles grüßte in stummem Schmerz den Kaiser, die Frauen brachen in Tränen aus. Der Verurteilte dankte mit freundlichem Lächeln. Vier Monate gerade war es her, daß ihn bei seiner Ankunft die Bevölkerung der Stadt mit Jubel empfangen hatte! Welch ein furchtbarer Gegensatz zwischen jenem Einzug in Queretaro und diesem letzten Gang zur Richtstätte!

Bei der Ankunft auf dem Cerro ließ sich der Wagenschlag nicht öffnen; ungeduldig sprang der Kaiser über ihn hinweg und sah sich um. Niemand von den vielen, die sich zur Zeit des Glücks an ihn gedrängt hatten, war zu sehen; seine letzten Getreuen saßen selbst in sicherem Gewahrsam, und Escobedo hatte ihnen die Erlaubnis verweigert, ihren Kaiser zu begleiten. Nur sein ungarischer Koch hatte es durchgesetzt, Augenzeuge des Todes seines Herrn zu sein.

Während der Geistliche, der die Verurteilten trösten sollte, sich kaum aufrecht halten konnte, trat der Kaiser festen Schrittes in das offene Viereck, wo die Soldaten seiner warteten, und stellte sich mit seinen beiden Generalen gegen eine Mauer, die man zur Exekution errichtet hatte. Um Miramon noch in der Todesstunde zu ehren, bot er ihm den mittleren Platz an.

Nun traten ein Offizier und sieben Mann vor jeden der drei Verurteilten. Der Kaiser ging auf die Soldaten zu, drückte jedem ein Goldstück in die Hand, und auf die Stelle seines Herzens weisend, sagte er: »Schießt gut, schießt grade hierher!« Schon vorher hatte er den General Escobedo bitten lassen, man möge nicht nach seinem Kopfe zielen, damit sein Gesicht nicht so entstellt würde. Dann trat er wieder an seine Stelle zurück, wischte sich mit dem Taschentuch die Stirn, gab Tuch und Hut seinem Koch mit dem Befehl, sie seiner Mutter zu bringen, und sprach noch mit klarer Stimme folgende Worte:

»Mexikaner! Personen meines Ranges und meines Ursprunges sind von Gott entweder zu Beglückern der Völker oder zu Märtyrern bestimmt. Von einem Teile von euch gerufen, kam ich zum Wohl des Landes; ich kam nicht aus Ehrgeiz; ich kam von den besten Wünschen für die Zukunft meines Adoptivvaterlandes und für diejenigen meiner Tapfern beseelt, denen ich vor meinem Tode für die mir gebrachten Opfer danke. Mexikaner! Möge mein Blut das letzte sein, das vergossen wird für das Wohl des Vaterlandes; und wenn es noch nötig ist, daß Söhne desselben das ihrige vergießen, so möge es zum Wohl desselben und nie durch Verrat fließen. Es lebe die Unabhängigkeit, es lebe Mexiko!«

Fünf Schüsse knallten, und jede Kugel war tödlich. Der Kaiser fiel auf die rechte Seite, aber da er noch zuckte, zeigte der Offizier mit der Säbelspitze auf des Kaisers Herz – ein Soldat trat hervor und schoß auf die bezeichnete Stelle. Wenige Augenblicke später fielen auch die beiden Generale von Kugeln durchbohrt – das Trauerspiel von Queretaro war beendet. –

Als des Kaisers Anhänger einige Tage später die Richtstätte besuchten, hatten arme Indianer, die den Gefallenen als Märtyrer verehrten und ihre Tücher in sein Blut getaucht hatten, drei einfache Kreuze dort errichtet, und von liebender Hand war von Blättern ein Kissen dort aufgehäuft, wo der Kopf des Kaisers beim Fallen den Boden berührt hatte. Bei der Einbalsamierung wurde der Leichnam von Ärzten, die in ihrem Schlächtergewerbe jedes Gefühl für die Würde des Todes verloren hatten, in der brutalsten Weise mißhandelt, und seine Auslieferung und Überführung nach Europa wurde nur unter den größten Schwierigkeiten durchgesetzt; denn mit allem, was dem Toten gehörte, wurde seitens der Ärzte und der zufälligen Besitzer ein schwungvoller Handel getrieben! Endlich, am 18. Januar 1868, fand die Leiche des Kaisers von Mexiko in der Kapuzinerkirche zu Wien ihre letzte Ruhestätte.

siehe Bildunterschrift

Edouard Manet.
Erschießung des Kaisers Maximilian in Mexiko.
Org. s/w Bild durch Farbbild ersetzt.

siehe Bildunterschrift

Fischessende Indianer in Südamerika.

Und was war das Schicksal der Kaiserin, die einst im Glanze jugendlicher Schönheit und allen Erdenglücks mit ihrem Gatten von den Ufern des Adriatischen Meeres ausgezogen war, um in der neuen Welt der Republiken der Vereinigten Staaten eine Krone zu tragen? Vielleicht daß sie noch immer nicht ahnt, was sich vor bald fünfzig Jahren Furchtbares in Queretaro begeben! Nachdem sie in Paris bei Napoleon und beim Papste in Rom vergeblich um Hilfe für ihren bedrängten Gatten gebettelt hatte, verfiel sie, von Kummer und Verzweiflung gebrochen, in Geistesumnachtung, aus der sie nicht mehr erwachen sollte. Noch heute lebt die unglückliche Tochter Leopolds von Belgien und ehemalige Kaiserin von Mexiko in stiller Zurückgezogenheit auf einem Schloß in der Nähe von Brüssel.

Mit der Eroberung von Queretaro und der Erschießung des Kaisers war der Sieg des Präsidenten Juarez entschieden. Auch die Hauptstadt Mexiko ergab sich jetzt dem sie belagernden General Porfirio Diaz, und am 16. Juli 1867 zog der Indianer Juarez als Triumphator in den ehemaligen Palast des Ferdinand Cortez ein! Im Laufe der nächsten Jahrzehnte kamen dann die innern Zustände Mexikos einigermaßen zur Ruhe, besonders seitdem der General Porfirio Diaz im Jahre 1876 und dann wieder 1884 die Präsidentenwürde erlangte und sich bis 1911 auf diesem schwierigen Posten zu behaupten wußte. Aber noch immer ist bei dem unzuverlässigen Charakter der mexikanischen Mischlingsbevölkerung das Schicksal der dortigen Europäer allen Unsicherheiten revolutionärer Bewegungen ausgesetzt, und Räuberbanden sind die eigentlichen Beherrscher des Landes, genau so wie zu Zeiten des unseligen Kaisers Maximilian.


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