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4. Die Sahara.

Wenn es uns in Timbuktu nicht mehr gefällt – falls man einer Stadt, in der das Leben beständig wechselt, überdrüssig werden kann – machen wir uns selbst auf die Reise durch die Wüste. Zuerst wandern wir ostwärts nach dem Tsad-See, der zur Hälfte mit Inseln bedeckt, seicht und sumpfig und vom Schilf fast zugewachsen ist und dessen Spiegel je nach der Wasserzufuhr durch die großen, in ihn einmündenden Flüsse sich abwechselnd hebt und senkt, ähnlich dem Lop-nor in Zentralasien. Siebzig Kubikkilometer Wasser sollen sich jährlich in den Tsad-See ergießen, und da der abflußlose See immer den gleichen Umfang behält, läßt sich denken, wie stark die Verdunstung sein muß. Er gehört den Franzosen, Engländern und Deutschen.

Auf unsern Dromedaren und mit arabischen Führern versehen, auf die wir uns verlassen können, ziehen wir dann vom Tsad-See nach dem östlichen Sudan, wo wir schon früher mit Gordon weilten. Doch ehe wir den Nil erreichen, schwenken wir nach Norden ab, um die Libysche Wüste, den unzugänglichsten, ödesten und daher am wenigsten bekannten Teil der Sahara, der größten Wüste der Erde, zu durchqueren. Vegetation und Tierleben werden immer spärlicher, schon im Sudan sind die Savannen, je weiter wir vordringen, immer magerer und die Steppen immer wüstenartiger. Schließlich herrscht der Flugsand überall vor, und nun gilt es, sich auf solchen Wegen zu halten, die Araber und Ägypter seit Jahrtausenden benutzt haben.

Wir sind bald mitten im Sandmeer. Der rote Flugsand hat sich stellenweise zu Dünen von Kirchturmhöhe aufgehäuft! Kein Pfad ist mehr zu sehen, der letzte Sturm hat ihn verweht. Aber die Führer haben ihre Merkzeichen und verlieren die Spur nicht. Der Sand wird niedriger und das Land offener. Da ragt ein kahler, wüster Landrücken aus dem Sand auf wie eine Klippe über den Meereswellen. Nach diesem Merkzeichen, das mehrere Tagereisen weit sichtbar ist und später von einem andern Gipfel abgelöst wird, kann sich der Führer zurechtfinden.

An einem tiefen Brunnen lagern wir in der Nacht, trinken selbst und tränken unsere Kamele und sind am nächsten Tage wieder draußen im Sandmeer. Die Farbe des Himmels hat sich ungewöhnlich verändert; er wird gelb und schillert dann bleigrau, und die Sonne erscheint nur noch als eine rote Scheibe. Kein Lüftchen regt sich. Der Führer ist ernst und sagt mit gedämpfter Stimme: »Samum!« Der heiße, alles vernichtende Wüstensturm, die Geißel Arabiens und Ägyptens, zieht heran.

Da wir nicht mehr zurückkehren können zum letzten Brunnen, ehe der Sturm da ist, müssen wir vorwärts. Schutz gibt es nicht; die Dünen sind zu flach, um den Wind abzuhalten, der nun heransaust. Die Dromedare bleiben angstvoll stehen und wenden die Köpfe nach der dem Sturm abgekehrten Seite. Wir steigen ab, die Tiere legen sich nieder und bohren die Nase in den Sand. Wir selbst winden uns Tücher ums Gesicht und werfen uns der Länge nach neben unsern Tieren in den Sand, um durch sie ein wenig Schutz vor dem Sturm zu erhalten. So kann man stundenlang nach Atem ringend daliegen und froh sein, wenn man einem Samum lebendig entrinnt. Auch in einer Oase verursacht er Angst, und seine heiße Luft ist Palmen und Äckern gefährlich. Die Temperatur während solch heißen Wüstensturms, der seinen Namen »Giftwind« mit Recht trägt, kann auf fünfzig Grad steigen.

Endlich hat der Samum aufgehört. Die Luft klärt sich, es ist wieder still, und die Sonne leuchtet wieder in goldigem Glanz. Die erhitzte Lust zittert noch über dem Sand, aber es ist nicht mehr so erstickend wie zuvor. Da zeigt sich neben unserm Weg eine Reihe Palmen, und vor ihnen glänzt ein silberner Wasserstreifen! Warum der Führer nur in anderer Richtung weiterzieht? Das Bild, das da vor uns auftaucht, ist nichts weiter als eine Luftspiegelung, und da, wo wir Palmen erblicken, ist auf viele Tagereisen weit keine Oase zu finden!

Gegen Abend aber erreichen wir eine wirkliche Oase und ruhen nun ein paar Tage aus. Hier sickert Wasser in Hunderten von Brunnen aus dem Sand, hier kann der Boden im Schatten der Palmen bestellt werden, und auf saftigem Rasen genießt man in vollen Zügen die feuchte frische Luft. Die Oase ist eine Insel im Wüstenmeer, und zwischen den Stämmen der Palmen hindurch schimmert nach allen Seiten hin derselbe gleichmäßige Horizont, die ausgedörrte gelbe Wüste und die grenzenlose, von der Sonne grell bestrahlte Fläche.

Wenn wir jetzt nach Nordwesten abbiegen, berührt unser Weg zunächst das gelobte Land der Dattelpalme, Fessan, die südlichste Provinz von Tripolitanien. Die Dattelpalme wächst hier in solch überreichen Mengen, daß selbst Dromedare, Pferde und Hunde mit Datteln gefüttert werden. Das Erdreich ist nicht mehr so karg und mit Flugsand verschüttet wie in der Libyschen Wüste. Hier schon und weiter nach Westen hin wird das Land gebirgig. Bergrücken und einzelne Hügel aus Granit und Sandstein, verwittert und von der Sonne versengt, erheben sich hier und dort. Die weiten mit Geröll bedeckten Hochebenen nennt man Hammada; sie sind Ruinen ehemaliger abgebröckelter Gebirge. In der Sahara ist der Unterschied zwischen der nächtlichen Temperatur und der des Tages überaus groß. Die dunklen, nackten Gesteinplatten erhitzen sich daher, wenn die Sonne auf sie herabglüht, bis zu sechzig Grad, und in der Nacht findet eine so lebhafte Ausstrahlung nach dem klaren Himmel hinaus statt, daß die Temperatur auf den Gefrierpunkt sinkt. Durch diesen beständigen schnellen Wechsel wird das Gestein unaufhörlich ausgedehnt und wieder zusammengezogen, Risse entstehen, Stücke lösen sich ab und fallen herunter. Die härtesten Gesteinarten leisten am längsten Widerstand und ragen daher wie seltsame Mauern und Türme mitten in der großen Verwüstung empor.

Noch weiter nach Westen ist das Land der Tuareg. Auch hier erheben sich Gebirge, und Hammadas, Sandwüsten wechseln mit Oasen und trefflichen Weideplätzen. Schon in Timbuktu begegneten wir diesem kleinen kräftigen Wüstenvolk, das man an dem Gesichtsschleier erkennt. Alle Tuareg tragen solch einen Schleier und nennen jeden Unverschleierten »Fliegenmaul«. Die Tuareg sind kräftig gebaute, dunkelhäutige Menschen, die durch Vermischung mit den vielen aus dem Sudan geraubten Sklaven Negerblut in den Adern haben. Sie sind ebenso dürr und mager wie der Boden, auf dem sie leben, und die Natur ihres Landes zwingt sie Nomaden zu sein. Groß, einfach und öde ist die Wüste, groß und einfach ist auch das Leben der Nomaden. Aber der schwere Kampf ums Dasein hat ihre Sinne geschärft. Sie sind scharfe Beobachter, klug und listig. Sie kennen keine Entfernungen und keine Müdigkeit. Auf ihren Renndromedaren durchfliegen sie die halbe Sahara und sind eine Geißel ihrer festangesiedelten Nachbarn und der Karawanen. Aus dem Herzen ihres Landes nach dem weitentfernten Sudan zu reiten, um dort zu plündern, ist für sie eine Kleinigkeit. Den Bewohnern vieler Oasen haben sie das Leben unerträglich gemacht. Was hilft es, die Felder zu bestellen und die Palmen sorgsam zu pflegen, wenn die Tuareg in jedem Fall die Ernte einheimsen? Die Franzosen haben viele heiße Kämpfe mit den Tuareg zu bestehen gehabt, und noch heute ist die Eisenbahn, die durch ihr Land gehen und Algier mit Timbuktu verbinden sollte, nur ein frommer Wunsch. Und dieser Stamm, der seine Freiheit so tapfer gegen Fremde verteidigt, zählt kaum dreihunderttausend Köpfe! Sie sind nicht zu Sklaven geboren, und man muß ihren Freiheitsdurst, ihren Stolz und ihren Mut immerhin bewundern.

Die Wüste selbst hat sie die schwere Kunst des Lebens gelehrt. Auch die Tiere und Pflanzen, die in der Wüste leben, sind aus besondere Weise ausgerüstet. Einige der Tiere, z. B. Schlangen und Eidechsen, können ohne Wasser bestehen. Das Dromedar kann sich viele Tage hintereinander ohne Trinken behelfen, der Strauß legt ungeheure Entfernungen zurück, um Wasser zu finden. Die Kräuter haben gewaltig ausgebildete Wurzeln, um so viel Feuchtigkeit wie nur möglich aufzusaugen, und viele Pflanzen tragen Dornen und Stacheln statt der Blätter, damit die Verdunstung unbedeutend werde. Viele von ihnen werden durch einen einzigen Regen ins Leben gerufen, entwickeln sich in wenigen Wochen und sterben, sobald die lange Zeit der Trockenheit beginnt. Dann bleiben aber die Keime liegen und warten geduldig auf den nächsten Regen. Oft sehen diese Wüstenpflanzen völlig vertrocknet und wie vom Staub erstickt aus; aber wenn der Regen kommt, treiben sie dennoch grüne Schößlinge.

Wadi heißt jedes Flußbett in der Sahara. Überaus selten fließt aber ein Rinnsal darin. Doch ist in diesen Flußbetten die Vegetation reicher als anderswo, denn hier hält sich die Feuchtigkeit länger. Daher ziehen auch viele Karawanen neben ihnen hin, und Gazellen und Antilopen finden dort ihre Weide.

Trotz aller Schrecken der Wüste zieht der Europäer in die Sahara hinein. In den französischen Städten an der Mittelmeerküste Algiers kann er leben wie in seiner Heimat. Die Eisenbahn führt ihn durch die bewaldeten Berge des Atlas, wo klare Bäche zwischen den Bäumen rieseln. Aber er läßt Eisenbahn und Wälder hinter sich zurück und sieht die Berge immer kahler werden, je weiter er nach Süden vordringt. Schließlich dehnt sich vor ihm die ebene, öde, nur schwachgewölbte Wüste, und wie mit Zaubermacht zieht ihn die Sahara immer tiefer in ihr großes Schweigen und ihre Einsamkeit hinein. Alle Farben werden gedämpft und graugelb wie das Fell des Löwen. Der Europäer weiß nicht, warum ihm dies schöner erscheint als die Wälder und Bäche des Atlas. Ihn lockt der geheimnisvolle Horizont in der Ferne, der blutrote Sonnenuntergang und die mächtige, tonlose Stimmung, die über der Wüste liegt und in der man kaum laut zu sprechen wagt! –

Auf diesem Wege von Algier nach Süden durch die Sahara zog vor dreißig Jahren eine große französische Expedition, deren Führer Oberst Flatters war. Sie bestand aus ungefähr hundert Mann, darunter sieben französische Offiziere und einige Unteroffiziere; Gepäck und Proviant trugen dreihundert Dromedare. Die Expedition sollte im Auftrag der französischen Regierung das Land der Tuareg erforschen und für eine Eisenbahn eine passende Route abstecken, die quer durch die Sahara hindurch die französischen Besitzungen im Norden und im Süden miteinander verbinden könne. Es war nicht das erstemal, daß Oberst Flatters die Sahara durchreiste, und er kannte die Tuareg ganz genau. Daher war er scharf auf seiner Hut, und es schien, als ob alles aufs beste gelänge. Die Franzosen machten Kartenaufnahmen von Strecken der Sahara, die noch nie ein Europäer durchzogen hatte; selbst die großen deutschen Reisenden wie Barth, Rohlfs, Lenz und Nachtigal, die die Sahara in allen Richtungen durchquert hatten, waren hier noch nicht gewesen. Schon lagen die gefährlichsten Stellen hinter der Karawane. Die Tuareg hatten keinen Widerstand geleistet, einige Häuptlinge waren den Fremden sogar freundschaftlich entgegengekommen. In den letzten Briefen, die nach Frankreich gelangten, sprach Flatters die Hoffnung aus, seinen Auftrag ohne Schwierigkeit ausführen und bis in den Sudan vordringen zu können.

Aber es kam anders. Während der Rast an einem Brunnen wurde die Expedition plötzlich von den hinterlistigen Tuareg überfallen und erlag nach heldenmütiger Verteidigung der Übermacht. Die meisten Franzosen wurden erschlagen. Ein Teil der Karawane versuchte in Eilmärschen nordwärts zu flüchten, wurde aber eingeholt und niedergemacht.

Der Kampf um die Herrschaft über die Sahara hat Frankreich viele tapfere Soldaten gekostet, denen das gleiche Schicksal beschieden war wie dem Oberst Flatters.


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