Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

55. Der Mann im Monde.

Die Erde hat einen Sohn, den Mond. Die Sonne ist eigentlich seine Großmutter, und er ist ein alter Junggeselle, obwohl er immer wieder entflammt ist. Aber er flammt nur von fremdem Licht, denn wenn er seine Silberdecke über die Erde breitet, sind seine Strahlen nichts anderes als der Widerschein der Sonne. Der Mondschein ist die größte Zierde der Nacht und immer gleich bezaubernd, mag er zwischen den überschneiten Fichten des Waldes durchsickern oder sich wie silberne Schlänglein auf den Wellen ringeln.

Kein Himmelskörper ist der Erde näher als der Mond. Zu ihm haben wir nur einen Katzensprung, lumpige 380 000 Kilometer! Nach ihm ist die Venus unsere nächste Nachbarin, aber wenn sie uns auf ihrer Bahn am nächsten kommt, schwebt sie noch hundertmal so fern wie der Mond!

Unzählige Male habt ihr schon den Mann im Monde gesehen, der bei jedem Vollmond wiederkehrt und niemals seine Züge verändert. Das kommt daher, weil der Mond der Erde stets die gleiche Seite zukehrt. Gibt es auf der andern Seite des Mondes auch solch einen Mann, so hat er die Erde nie gesehen und ahnt nicht, daß unsere Welt existiert. Wohl aber sieht er die Sonne, wenn wir Neumond haben, und ebenso die Sterne, nur nicht die Erde, obwohl sie ihm beständig so nahe ist.

siehe Bildunterschrift

Erde und Mond.

siehe Bildunterschrift

Photographie des Mondes

Ebenso unmöglich ist es uns Menschen, jemals zu schauen, wie es auf der uns abgewandten Seite des Mondes aussieht. Um so besser kennen wir die uns zugewandte. Mit den stärksten Ferngläsern können wir Gegenstände unterscheiden, die hundert oder zweihundert Meter im Durchschnitt haben, und wir kennen die Oberfläche des Mondes sogar besser, als gewisse Teile unserer eigenen Erde, z. B. die Ländermassen um den Südpol herum.

Nun werft einmal einen Blick auf eine Mondkarte. Die matter leuchtenden Gebiete, eben die, die wir den Mann im Monde zu nennen Pflegen, sind auf der Karte als Meere angegeben. Da heißt es: Stilles Meer, Meer der Stürme, Meer der Fruchtbarkeit. Früher glaubte man nämlich, diese dunkleren Flecke seien wirklich Meere; jetzt aber wissen wir, daß sie nur mit Lava übergossene Einsenkungen sind. Denn auf dem Monde gibt es keinen Tropfen Wasser, weder Wolken noch Regen, weder Schnee noch Eis, und niemals spannt der Regenbogen dort seine farbenprächtige Brücke über die trocknen Meere.

Die Mondkarte verzeichnet auch einige wenige Bergketten, die Kordilleren, den Apennin und die Alpen. Viel zahlreicher aber sind die Krater und Ringberge, hohe, runde Wälle, die nach außen hin allmählich abfallen, nach innen aber steil nach dem muldenförmigen oder ebenen Boden abstürzen. Etliche dieser Ringberge haben einen Durchschnitt von zweihundert Kilometer, andere nur von einem Kilometer. Die höchsten Berge sind 8000 Meter hoch, im Verhältnis also viel höher, als die auf der Erde, denn der Mond ist ja fünfzigmal kleiner als sie. Die Ringberge sind nach berühmten Astronomen und Naturforschern benannt; so trägt ein Berg den Namen Linnés, ein anderer den Newtons, und so ist der Mond eine im Weltraum schwebende Westminsterabtei mit den Denktafeln großer Toten. –

Nun laßt uns dem Mond einen Besuch abstatten! Es ist die leichteste Sache von der Welt, sobald wir auf einem Lichtstrahl reisen, und geht fabelhaft schnell, denn das Licht legt in der Sekunde 300 000 Kilometer zurück; wir brauchen also nur etwas mehr als eine Sekunde und sind bereits in diesem Augenblick an der Mondoberfläche angelangt! Zwischen den Ringbergen und Kratern wandern wir umher. Etwas unbehaglich ist uns zumute – denn Luft zum Atmen gibt es hier nicht. Aber wir sind auch so erstaunt über alles, was wir dort sehen, daß wir schwerlich zu atmen wagen. Es ist gerade Vollmond, die Sonne glüht unmittelbar über unsern Köpfen. Solch eine Hitze haben wir selbst in Belutschistan und in der Sahara niemals, denn hierauf dem Monde ist es fast zweihundert Grad heiß, und das Gestein, über das wir wandern, glüht wie ein feuriger Ofen.

Aber wir lassen uns das nicht anfechten. Merkwürdig, wie leicht es sich auf dem Monde geht! Man wird gar nicht müde und kann ohne sonderliche Anstrengung die steilsten Abhänge hinauflaufen. Auf dem Monde ist alles sechsmal so leicht wie auf der Erde, weil der Mond so klein ist. Nord- und Südamerika würden seine Oberfläche vollständig bedecken. Daher erscheint auch der Horizont so nahe, und wir können die Wölbung der Mondfläche mit bloßem Auge erkennen.

Nun seht nur, welch seltsamer Himmel sich über dem Horizont des Mondes wölbt! Daheim auf unserer Erde ist der Himmel fast immer schön, bald klarblau, bald in weiße Dünste oder bleigraue Wolken gehüllt. Hier auf dem Mond aber ist der Himmel pechschwarz, und die Sterne funkeln wie Fackeln mitten am hellen Tag! Das kann auch nicht anders sein; denn hier gibt es keine Atmosphäre und keinen Luftkreis, kein Wasser, keine Nebel und keine Wolken. Niemals mildert eine Wolke die Sonnenglut, und der Himmel ist stets von gleicher Klarheit. Vergeblich suchen wir den kleinsten Bach, vergeblich ein Tal oder eine Rinne, die einstmals fließendes Wasser ausgewaschen hat. Die Berge hier haben ganz andere Formen als aus der Erde, sie sind plumper, steiler und höher. Keine Geröllhaufen sammeln sich an ihrem Fuß, Sand, Erde und Staub fehlen vollständig. Wohin wir auch im Wandern blicken, nichts als hartes, festes Gestein. Da es an Luft und Wasser hier fehlt, verwittern die Mondgebirge nicht; denn Luft und Wasser verursachen auf der Erde die Verwitterung, und die wechselnde Wärme und Kälte beschleunigen sie. Die Oberfläche des Mondes ist daher unveränderlich und sich gleich geblieben, seitdem er vor unzähligen Jahrtausenden erkaltete. Läge ein Sandkorn auf dem Rand eines Kraterringes, es würde liegen bleiben bis zum jüngsten Tag, denn kein Wind, nicht einmal der schwächste Lufthauch streicht je über die Oberfläche unseres Trabanten.

Auch zu hören ist hier kein Laut, wir mögen einander noch so heftig in die Ohren schreien; ohne Luft können sich die Schallwellen nicht fortpflanzen. Von der Höhe eines Kraterwalles stürzen wir einen Block in die Tiefe hinab; er ist sechsmal größer als die Blöcke, die wir auf Erden bewegen könnten; hübsch langsam rollt er die steilen Wände hinab, aber völlig lautlos. Am Rande des Kraters funkeln herrliche Kristalle, aber keine Schramme ist auf ihrer Oberfläche zu sehen; hier gibt es nichts, was sie verletzen könnte.

Nun klettern wir leichten Schrittes nach dem Rande eines der höchsten Ringberge hinauf. Tot und schweigend breitet sich die Oberfläche des Mondes um uns her aus. Blendende Helle umgibt uns, und unsere Schatten verschwinden fast unter unsern Füßen. Nur der Himmel ist schwarz. Auf der Erde sieht man Anhöhen und Berge, je weiter sie entfernt liegen, in immer leichteren und luftigeren Farbentönen verschwimmen. Hier auf dem Mond stehen alle Berge bis an den Rand des Horizonts gleich klar und scharf abgezeichnet.

Ein Tag aus dem Monde ist fast fünfzehnmal vierundzwanzig Stunden lang, und die Sonne schreitet daher verzweifelt langsam über ihren schwarzen Himmel. Endlich nähert sie sich dem Horizont. Alle Ringberge und Krater werfen Schatten, die langsam wachsen. Diese Schatten sind so schwarz wie chinesische Tusche, und wenn wir auf unserer Wanderschaft an einen solchen Schatten gelangen, gähn't er uns wie ein schwarzer Abgrund entgegen. Wie schwarz die Schatten der Ringberge sind, kann man übrigens schon von der Erde aus mit einem gewöhnlichen Fernglas sehen. –

Nun geht die Sonne unter. Noch glänzen die höchsten Gebirge wie silberne Wolken, aber auch dieser Glanz erlischt bald, und nun wird es plötzlich eisig kalt. Die Kälte ist so schneidend, daß keine irdischen Pelze gegen sie schützen, und an Feuer anzünden ist nicht zu denken; denn auf dem Monde gibt es durchaus nichts Brennbares, und wenn wir auch ein paar tüchtige Holzscheite mitgebracht hätten, wir würden sie nie zum Brennen bringen können, denn wo die Luft fehlt, ist keinerlei Verbrennung möglich.

Während der langsam dahinschreitenden Mondnacht, die ebenfalls fast fünfzehn Tage dauert, sinkt die Kälte auf 250 Grad herab, und im Weltenraum draußen soll es nach der Behauptung vieler Forscher sogar 273 Grad kalt sein! Da keinerlei Lufthülle die Ausstrahlung der Mondoberfläche dämpft, kühlt sie sich fast zur Kälte des Weltenraumes ab.

Aber in dieser Mondnacht wird das Schauspiel um uns unbeschreiblich schön. Wir eilen zur mittlern Mondscheibe, nach der flachen Einsenkung, die den Namen »Bucht der Mitte« führt. Dort legen wir uns auf den Rücken, um den gewaltigen leuchtenden Himmelskörper, der im Zenit gerade über unserm Kopfe steht, besser betrachten zu können. Wir sahen ihn eben, als wir am Rande des Mondes standen, aber dort zeigte er sich am Horizont. Wenn wir nun dort zwei Wochen lägen und ihn unverwandt anstarrten, ja, wenn wir Jahrtausende und Millionen Jahre hier liegen blieben – dieser Himmelskörper bewegt sich nicht von der Stelle! Die Sonne kommt, und geht, aber dieser andere Himmelskörper, der viele Male größer als die Sonne aussieht, bleibt unentwegt auf demselben Fleck. Dieser Himmelskörper ist ja nichts anderes – als unsere eigene alte Mutter Erde! Da der Mond ihr stets die gleiche Seite zukehrt, muß auch der Mann im Monde die Erde ewig an demselben Himmelspunkt stehen sehen.


 << zurück weiter >>