Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Vierzehntes Kapitel.

Geständnisse.

Spätsommer war gekommen! Die Fäden des Altenweibersommers spannen alle Hecken ein, flatterten an den Silberweiden der Dämme, hingen an den alten Eichen herab, wie Gedankengespinnste ehrwürdiger Weisheit. Früher kam die trauliche Dämmerung, brannten die Lampen im stillen Kämmerlein! Wenn aber die schmucken Erlen sich im Spiegel des Teichs beschauten, da merkten sie bereits die gelben Blätter, die sich zwischen ihren grünen Schmuck eingeschlichen hatten. Mürrisch schüttelten sie die Häupter im Winde, sie waren gealtert mit dem alternden Jahr.

Agnes war vom Oderufer in die Stadtwohnung des Onkels übergesiedelt. Dort hatte sie ein trauliches Boudoir sich eingerichtet! Des jungen Königs Bild hing über dem Schreibtisch; auf demselben lagen allerlei gedruckte historische Nachrichten, Mittheilungen, 334 welche die Buchhandlung von Johann Gottlieb Korn verbreitete, ehe sie um ein Privilegium für eine neue Zeitung nachsuchte, das ihr im October dieses Jahres, des Geburtsjahres der »Schlesischen Zeitung«, gewährt wurde. Stickereien jeder Art bedeckten die Stühle, die Sophakissen, feine Handzeichnungen die Wände; es waren nicht Schäfer und Schäferinnen, welche die Nadel und der Zeichengriffel des feingebildeten Mädchens ausgeführt hatte; es war in Allem ein kühnerer Schwung der Seele unverkennbar. Hier war es irgend eine kriegerische Scene, dort der preußische Adler; eine Folge niedlicher Bilder stellte Rheinsberg dar, und es fehlte auch nicht der kleine Wasserfall mit dem Felsen, wo die erste Begegnung der Liebenden stattgefunden hatte. Auch als Stickerei war dies Bild vorhanden; es schmückte eine kleine elegante Schatoulle, welche ein Heiligthum enthielt . . die Briefe Arthurs. Eine aus der Phantasie gezeichnete Skizze stellte in wohlgetroffenen Umrissen die Züge des fernen Geliebten dar.

So eingesponnen in das Behagen einer selbstgeschaffenen Welt wahrte das liebliche Mädchen sich den heiteren Sinn, bei allem Ernst der Welthändel. Sie gehörte nicht zu den ungeduldigen Bräuten, sie hatte warten gelernt, und Erwartung und Sehnsucht hatten für sie einen eigenthümlichen Reiz. Sie ließ die düstern Bilder drohender Gefahren nicht Herrschaft 335 über ihr Gemüth gewinnen; sie glaubte, das Schicksal durch freundlichen Sinn und heitere Miene zu bestechen, doch auf eine wie harte Probe wurde ihre Geduld gesetzt! Arthur hatte den erbetenen Urlaub bisher immer nicht erlangen können; erst mit dem Könige zugleich sollte er nach Breslau kommen; doch die Kriegsactionen, besonders die Belagerung von Neisse, verzögerten den Tag der Huldigung in Schlesiens Hauptstadt!

Endlich nahte der ersehnte Tag! Hier, hier stand es mit küssenswerthen Zügen auf diesem groben Papier, wie es das Lagerleben allein auch für die zartesten Herzensergüsse vorräthig hatte: Der König kommt! Der Geliebte kommt! Es schwirrte dem glücklichen Mädchen vor den Augen, als wenn alle Bilder an den Wänden einen Rundtanz um sie machten; sie öffnete das Fenster, um frische Luft zu schöpfen und die heftigen Schläge ihres Herzens zu beruhigen. Bald fand sie indeß das heitere Gleichmaß wieder, mit dem sie sich so anmuthig durch das Leben bewegte, und von all' der Aufregung blieb nichts übrig, als ein rosiger Schein, von dem die ganze Welt um sie angehaucht war.

Als Agnes in so glücklicher Stimmung war, daß sie die schwachen Strahlen der Octobersonne begrüßte, als weckten sie den Mai und die Nachtigallen, trat 336 Marie bei ihr ein. Sie hatte sich lange nicht gezeigt; schwere Wolken lagerten wieder auf ihrer Stirn, und die seidenen Wimpern senkten sich über das müde, schmachtende Auge. Nach einem flüchtigen Gruß und Händedruck setzte sich das Mädchen auf einen Lehnstuhl, den Kopf auf die Hand gestützt.

»Freue Dich, Marie,« rief ihr Agnes zu, befremdet über die erneuerten Anwandlungen schwermüthigen Sinnes, »der König kommt in diesen Tagen. Dein Vater wird frei werden!«

»O wie herrlich,« sagte Marie, deren umflorte Blicke sich nicht erheiterten, »hätte ich ihn begrüßen können mit offener Stirn, hätte eine glückliche Tochter in seinen Armen gelegen! Doch mir sagt's eine schlimme Ahnung: ich werde nicht glücklich werden! Und was soll ein Vater mit einem verlorenen Kind, das um ein verfehltes Leben klagen muß! Besser nicht wiedersehen, nicht wiedersehen . . .«

»Aber, Marie,« unterbrach sie die Freundin.

»Jedes Leben hat des eigenen Weh's genug, warum es noch mit fremdem Weh belasten? So viel hat der Vater geduldet, Du hast es mir selbst mitgetheilt aus Arthurs Briefen; ich weiß, daß er schuldlos ist an meinem Unglück, meiner Verlassenheit . . soll noch die Tochter ihr ganzes Leid auf seine Seele laden, ihm für eine kurze trügerische Freude einen 337 langwährenden Kummer verkaufen? Diese Freude könnte nur seinen Schmerz erhöhen, wenn er mich elend sieht! Doch wenn ich wieder verschwinde aus seiner Nähe wie ein flackerndes Irrlicht, dann bleibe ich ihm ein dunkles Märchen. Er denkt meiner vielleicht mit Wehmuth, doch es zerreißt nicht sein Herz!«

»Welche thörichten Gedanken, Marie! Was ist denn geschehen?«

»Sigismund hat mich seit jener Begegnung auf der Bühne nicht wieder aufgesucht! Es sind seitdem Wochen vergangen und er ist in Breslau gewesen!«

»Hast Du ihn selbst gesehen?«

»Ich täuschte mich nicht! Flüchtig, ganz flüchtig zeichnete sich nur seine Gestalt unter der Menge im Theater ab, obgleich er nicht an seinem Pfeiler stand! Doch andere haben ihn gesehen . . .«

»Er war vielleicht nur auf Stunden in Breslau!«

»Wenn es wäre, wenn es möglich wäre,« rief Marie aufstehend, ohne auf die Trostworte der Freundin zu hören, »wenn er mich oder – es ist dasselbe – wenn ich mich abermals täuschen sollte! Warum bin ich so unglücklich, daß meine Seele aufgeht in einem einzigen Gefühl? Rings um mich der leichte, behagliche Wandel der Neigungen; das Heute straft das Gestern Lügen und man lächelt und spottet dazu! 338 Und ich, ich – wie mit eisernen Klammern festgekettet an ihn, den Einen, den Einzigen; nur um den Preis eines Lebens kann ich mich von ihm losreißen!«

»Schon oft,« sagte Agnes, »habe ich Dich gewarnt, Dein Glück auf eine so unsichere Nummer zu setzen . . . Du selbst hast ihn freigegeben . . .«

»O thörichte Uebereilung,« warf Marie ein, »es war die einzige Lüge meines Lebens! Ich gab ihn frei, weil das Wort das neue Band löste, frei, damit er wieder zu mir zurückkehre!«

»Und wer sagt Dir, daß er Dich vergessen hat?«

»Mein Herz sagt es mir, er meidet mich! Doch auch Andere sagten es mir. Schilt mich thöricht, ich war bei Frau Leuschner, an der Stätte, wo einst menschenfreundliche Hände mich in's Leben zurückgerufen hatten; ich ließ mir aus dem Kaffeesatz prophezeien; ich ließ mir die Karten legen. Die geheimen Mächte sprachen zu deutlich, sie sprachen alle einstimmig das eine vernichtende Wort: Verrath an Liebe und Treue!«

»Die geheimen Mächte würden mich wenig beunruhigen,« unterbrach sie Agnes, »allen Respekt vor dem Dreifuß der Frau Leuschner! Doch die Orakel verkünden uns nur, was wir hören wollen oder zu 339 hören fürchten, und die Priesterinnen sind schlau genug, uns dies an den Augen abzusehen.«

»Auch bei dem Theater wird es geflüstert,« fuhr Marie wie im Selbstgespräch fort, »und es ist nicht blos ein Flüstern, man sagt es mir laut genug. Ich habe einen Anbeter, den ich verabscheue, den wüsten, häßlichen Heldenspieler, der auf seine aufgeworfenen Lippen das süßeste Lächeln bannt, wenn er mich nur erblickt!«

»Ach, der Mörder Corneille's und Racine's,« rief Agnes lächelnd, »wer kennt ihn nicht, diesen Todtengräber der schönsten Verse! Wenn er deklamirt, man glaubt den Spatenstich zu vernehmen, die Knochen klappern zu hören! Und dabei ist er selbst ein Gerippe, das jeden Augenblick einen Todtentanz aufführen könnte!«

»Und doch schwärmen unsere Künstlerinnen für ihn,« sagte Marie achselzuckend.

»Er hat etwas Absonderliches und ein paar dämonische Augen! Für so süße Verlockungen nimmt man das Gerippe mit in den Kauf. O, über den Geschmack der Frauen! Und doch – ganze Männer giebt's wenig! Es ist ein Glück, daß die Liebe, da sie einmal mit Brüchen rechnen muß, nicht mit in die Brüche geht!«

340 »Unser Held liebt mich,« fügte Marie hinzu, »vielleicht nur, weil ich die Einzige bin, die – ihn zurückweist. Er folgt mir auf Schritt und Tritt, doch stets mit achtungsvoller Bescheidenheit! Ich sehe mich wenig um, denn es ist im Grunde gleichgiltig, was man für einen Schatten wirft. Doch jetzt hat er für mich eine unheimliche Bedeutung erlangt, denn er hat mir ein Wort zugeflüstert, das alle meine Pulse stocken machte!«

»Ein Wort der Liebe?« frug Agnes.

»Nein, eher ein Wort des Hasses; denn er haßt Sigismund! Er hat mir gesagt . . . o, es will nicht über meine Lippen.«

»Nur Muth! Nur Muth! . . Was kann denn ein solches Gespenst Erschrecklicheres bringen, als seine Erscheinung?«

»Er hat mir gesagt,« fuhr Marie mit krankhafter Anstrengung fort, indem sie laut weinend der Freundin in die Arme sank, »daß . . . daß Sigismund Kleopatra liebt!«

»Woher will er es wissen? frug Agnes.

»Es sei ein offenes Geheimniß, nur ich in meiner Blindheit merkte nichts davon, oder man suche mir es absichtlich zu verbergen. Während er mich meide, suche er sie auf; er sei schon öfter in Breslau gewesen. Und dann fügte der entsetzliche Anbeter mit einem 341 bösen Aufleuchten seiner Augen hinzu, während um seine Lippen ein überaus gutmüthiger Zug spielte, er habe mich mit der schlimmen Kunde nicht erschrecken wollen; da ich's aber früher oder später doch erfahren müßte, halte er es für seine Pflicht, mich zu warnen!

»Nur Ruhe, mein Kind, gieb nichts auf so böswilliges Gerede!«

»Jetzt um Kleopatra verschmäht . . . ich ertrüge es nicht! Und so getäuscht, betrogen von ihr, von ihm! Es ist unmöglich, ich will's nicht glauben!«

»Und Du thust wohl daran,« sagte Agnes mit voller Ueberzeugung; »wär' es ein Anderer, der es Dir mitgetheilt hätte, ich würde selbst Argwohn schöpfen. Doch dieser unglückliche Verehrer hofft durch solche Kunde über Deine Ungunst zu triumphiren, Dein Herz dem Ungetreuen abtrünnig zu machen, es ist gewiß ein leeres Gerücht!«

»Du willst mich trösten, Agnes! O, ich bedarf des Trostes! Wieder hat sich die Welt mir verschleiert . . . und wenn ich hinter dem Schleier das ehrwürdige Antlitz meines Vaters erblicke, der seine späte Zärtlichkeit an eine Elende verschwendet . . . nimmermehr! Er wird nicht beweinen, was er nie besessen hat!«

342 »Komm zu mir, frag' mich um Rath und Hilfe,« sagte Agnes mit Herzlichkeit, erschreckt durch die letzten räthselhaften Worte des Mädchens.

»Ich komme . . . wohin ich auch gehe, ohne Abschied scheide ich nicht! O, ich weiß Liebe zu schätzen,« sagte Marie, während eine Thräne ihrem Auge entströmte, »nur wenig sanfte Augen ruhten über meinem Leben mit jenem Blick unendlicher Güte, der sich uns tief in's Herz senkt! Deine Augen, Agnes, stehen wie milde Sterne über meinem Leben. Doch wiederum wächst die Flut, die mich hinwegrafft! Wehe, wenn ich fluchen müßte, wo ich segnen wollte . . . doch bei Dir, einzig Geliebte, weilen nur meine segnenden Gedanken!«

Und mit innigem Kuß und herzlicher Umarmung schied das seltsame Mädchen, dessen rührende Schönheit heute Agnes besonders aufgefallen war; sie hatte etwas wehmüthig Verschleiertes, durch welches hindurch aber der Blick in Seelentiefen fiel, die wie von einem ambrosischen Licht, von einer wunderbaren Verzückung beleuchtet werden! Die Liebe, welche das Herz dieses Mädchens erfüllte, war nicht eine Leidenschaft in des Wortes eigenster Bedeutung; sie war mehr, sie war ein ganzes Leben, das in Einer Empfindung aufging.

343 Während Agnes in solche Träumereien versunken und mit dem traurigen Geschick des armen Mädchens beschäftigt, ihre Sticknadel in Bewegung setzte, ließ sich ein anderer Besuch bei ihr melden, dessen Ankündigung sie zugleich mit Befremden und Spannung erfüllte; es war Isabella von Pogarell. Niemals seit jenem verhängnißvollen Abend hatte sie das stolze Domfräulein wiedergesehen; diese erschien schwarz gekleidet und schlug beim Eintreten einen schwarzen Schleier von den marmorbleichen Zügen zurück.

»Sie werden sich wundern,« sagte sie kalt und feierlich, »mich bei Ihnen zu sehen; ich habe mich nur schwer zu diesem Schritte entschlossen.«

»Sie sehen in mir die Feindin; ich bin es nicht,« erwiderte Agnes; »nicht aus Feindschaft gegen Sie, aus Liebe zu meinem König und Vaterlande –«

»Lassen wir das,« unterbrach sie Isabella, »mit Ueberzeugungen verhandelt man nicht; auch ist dies nicht meine Absicht. Unsere persönliche Belästigung war gering; die Haft wurde schon am nächsten Tage wieder aufgehoben; man wollte uns nur schrecken. Daß ich nicht die Feindin in Ihnen sehe, beweist dieser Besuch; er ist ein Ausdruck meines Vertrauens; denn ich komme mit einer Bitte –«

»Ich bin mit Freuden bereit, sie zu erfüllen, wenn ich's vermag!«

344 »Zunächst muß ich mich wegen einer Thorheit rechtfertigen! Sie selbst sahen, wie Ihre Mittheilung mich ergriff, daß Sie die Braut Arthur's von Seidlitz seien. Und doch hatte ich kein Recht auf ihn; er hatte sich von mir losgesagt, als ich von ihm verlangte, was ihm unmöglich schien, die Waffen für Haus Oesterreich zu ergreifen. Die Lage der Welt, der Kampf der Staaten wurde unser Schicksal; doch er vermag nicht zu zerstören, was unverwüstlich in unserem Gemüthe lebt. So übermannte mich die Erinnerung an ein zertrümmertes Glück, ein Glück . . . dessen ich längst nicht mehr würdig war!«

»Isabella,« rief Agnes mit innigem Antheil aus, »könnte ich Ihre Freundin sein!«

»Das ist alles zu spät! Nur um einen Freundschaftsdienst bitte ich Sie: bringen Sie Arthur meine herzlichsten Scheidegrüße! Ich werde ihn nie wiedersehen; denn schon morgen trete ich als Novize in das Kloster der Ursulinerinnen, dem ich im Voraus all' mein Vermögen, auch das Geschenk der Tanten, die durch Prozeß erstrittene Erbschaft vermacht habe.«

»Was wollen Sie thun, was haben Sie gethan?« frug Agnes in höchster Erregung.

»Er sehe daraus,« fuhr Isabella fort, »daß nicht persönlicher Eigennutz die Pogarells bestimmte, seiner Familie ein Erbe streitig zu machen, daß, was das 345 Recht ihnen zugesprochen, von ihnen nur zu frommen Zwecken, zu heiligem Dienst, ohne jeden eigenen Gewinn verwendet wird; er wird uns milder beurtheilen, und auch mich . . . o Gott! Ich muß ja mit Allem, was ich habe und bin, um die Gnade der Heiligen werben, damit sie eine schwere Schuld mir verzeihen.«

»Wie?« rief Agnes aus, »Sie wollen ein schönes, reiches Leben im Kloster vergraben, so viel Lebensmuth und heldenmüthige Entschlossenheit, die ich staunend bewundert habe? Bedenken Sie, daß der einmal gefaßte Entschluß unwiderruflich ist!«

»Er ist es und soll es sein; ich habe abgeschlossen mit dem Leben. Die Feinde unseres Glaubens sind siegreich, meine Träume von Glück vernichtet . . . und ihnen auf dem Fuße folgte ein sündhafter Rausch, der ein verbrecherisches Glück zu lügen wagte. Ja, die Worte der Nonne Beatrix haben zuerst unheimlich hineingeleuchtet in die verhängnißvolle Dunkelheit meiner Geschicke, wo Sünde und Buße sich wechselnd ablösten und neu erzeugten! Arthur habe ich mein Herz geopfert, meine Seele dem Pater . . . wie wenig ist das, was ich noch den Heiligen zu bieten habe! Ein erbärmliches, zerknicktes Leben . . . die Asche zweier Flammen, von denen die eine himmelwärts loderte, die andere verzehrend und versengend über dem Boden dahinkroch!«

346 »Doch bedenken Sie,« unterbrach sie Agnes, »Sie können auch büßen in der Freiheit des Lebens, Sie verschließen einem unerwarteten Glücke die Pforte –«

»Woher sollte es kommen, und wenn es käme, müßte ich ihm nicht die Pforte verschließen? Kann ich sie ihm mit einer Lüge öffnen . . . und die Wahrheit würde das Glück nicht vertragen! O, wie ist mein Stolz gedemüthigt worden!«

»Lassen Sie die Vergangenheit,« fiel Agnes ein.

»Den Heiligen gehörte mein Herz, wie es ihnen noch jetzt und für immer gehört,« fuhr Isabella fort, welche mit grausamer Selbstpeinigung Blatt für Blatt in dem Buche ihres jungen Lebens durchblätterte und welche in der Qual dieser Geständnisse eine Art schmerzlicher Befriedigung fand. »Da trat er in mein Leben, anders gesinnt, allem entfremdet, was mir das Höchste war, und doch auf einmal meine ganze Seele erfüllend, mit seiner Frische, Jugend, Schönheit! Man sagte mir, daß die Liebe zu dem Ketzer Sünde sei, daß die Heiligen mir darüber zürnten, ich glaubte es . . . und doch war diese Liebe, die sich mit den schönsten Erinnerungen meiner Kindheit und Jugend mischte, auf einmal siegreich, allgewaltig in meinem Herzen. Sie entzündete die Eifersucht und den Trotz, ich war eifersüchtig auf das 347 Mädchen, das er aus den Fluthen der Oder gerettet hatte.«.

»Auch eine Unglückliche,« sagte Agnes leise vor sich hin.

»Ich zweifelte an seiner Neigung; er verließ mich kalt und zog in die Ferne, ohne mir Kunde zu geben; ich wußte, daß dieser Aufenthalt im Reiche der Gottlosen uns noch mehr entfremden mußte. Doch im Stillen wuchs meine Leidenschaft; ich bekannte sie dem Beichtiger, den ich für den Verwalter aller himmlischen Schätze des Trostes und der Erlösung hielt; ich ahnte nicht, daß er einer sündigen Leidenschaft verfallen sei. Lassen Sie mich davon schweigen! Die Heiligen sprechen mich frei, denn mein Sinn war rein. Was ich für Verzückung der Andacht hielt, es war ein neues, ungekanntes Gefühl, das mich geheimnißvoll durchschauerte, mitten unter den Schmerzen der Buße. Ein Taumel erfaßte mich, mein Herz war entzündet und schmachtete wie nach einer unsagbaren Offenbarung des Himmels . . . immer mächtiger rief die Stimme in mir: »Diese Buße ist Verbrechen«; ich ließ sie betäuben durch des Priesters Worte . . . Da kam der Krieg . . . Arthur verließ mich für immer, mein guter Engel sagte sich von mir los . . . die frommen Genien meiner Kindheit, die mich noch auf Rosenwolken getragen, erblaßten, 348 verschwanden, und nichts blieb als ein verzehrender Blitz, das Auge des schönen, geistreichen Priesters. Die zarte Blüthe der Liebe war zerknickt,. die dunkle Wurzel der Leidenschaft geblieben; sie schlug aus, fortwuchernd in üppig giftigem Gedeihen. Ich war verloren!«

Eine Thräne in Isabella's Augen – weinen die Marmorgöttinnen? Agnes hörte schweigend das Bekenntniß dessen, was sie längst geahnt.

»Verloren – ich glaubt' es lange nicht; mich täuschten des Paters tiefsinnige Worte, die blendenden Lichter, die über dem Abgrund dahinspielten. Doch in mir rief's immer lauter, gewaltiger: es ist der Taumel der Leidenschaft, der ihn wie mich entflammt, der über seine schönen Züge ein Feuer gießt, wie es Lucifer hat auf den unvergänglichen Bildern der Meister. Da wurde die Nonne Beatrix das Echo jener inneren Stimme; ich taumelte empor. Zu spät! rief es in mir; dem vermeintlichen Frevel war der wirkliche gefolgt, ich war eine Sünderin geworden! Und als ich erkannt, daß auch die Kirche verdammt, was die Welt verurtheilen muß, da täuschten mich nicht mehr die Trugschlüsse des Priesters, der, auf die geheime Weisheit seines Ordens gestützt, sich über das Gesetz der Kirche stellen wollte. Noch wie die letzten Schläge eines fortziehenden Gewitters dröhnte das Echo der Leidenschaft nach, die ich jetzt erkannte als 349 frevelhaft, es kam über mich der Trotz der Sünde, der sich aufbäumt wie die Schlangen des Abgrunds und ein verfehmtes Entzücken sich raubt. Dann aber brach ich innerlich zusammen; ich fühlte mein Leben vernichtet; Wochen der Sünde verlangen Jahre der Buße . . . ich will sie in der Einsamkeit des Klosters suchen.«

Agnes blickte wehmüthig auf die Büßerin; es kam ihr vor, als verdiene sie selbst nicht den Sonnenschein des Glückes, der sie umgab, während ihr gegenüber ein so edles schönes Wesen stand, dem das Leben farblos in der Nacht erlosch. Gern hätte sie etwas von ihrem Glück geopfert, um die Trauer des tiefgebeugten Mädchens zu zerstreuen; doch gegen das innere Gericht giebt es keinen Trost; nur die Stimme der Liebe und Freundschaft hat noch einen erquickenden Klang.

»Magdalena!« rief Agnes mit tiefer Rührung.

»Ich bin es! Wohin ist all mein Stolz? Das Geheimniß meiner Schmach gab ich den Lüften preis.«

»Nicht den Lüften – einer Freundin, welche Dich liebt!« rief Agnes, indem sie Isabella herzlich an sich schloß.

Da verbreitete sich ein mildes Licht über die stolzen, schmerzergriffenen Züge der schönen Büßerin, ihr 350 ganzes Leben zerfloß in ein Gefühl süßschmerzlicher Wehmuth, und die heilige Trauer einer edeln Entsagung machte sie weich und hingebend: »Seid glücklich! Das ist's, warum ich kam . . . ich kam, Euch zu segnen! Wie ein Schatten schleiche ich aus Eurem Wege in's ewige Dunkel; doch mein Gebet für Euer Glück werden die Heiligen erhören; ich habe ja das Recht dazu erkauft mit dem Schmerz eines ganzen Lebens. Das ist mein Vermächtniß auch für Arthur. Sein Bild wird mich begleiten in die einsame Zelle; es darf mir folgen, denn es ist unentweiht und rein wie die Erinnerung meiner Kindheit! Lebt wohl, lebt auf ewig wohl!«

Und mit Kuß und Umarmung schied Isabella von der glücklichen Nebenbuhlerin, ohne ein Gefühl des Hasses, des Neides, der Eifersucht! Agnes aber sah im Geist, wie die Scheere das reiche Haar der Himmelsbraut zugleich mit allen Reizen der Welt, allen Hoffnungen des Lebens vernichtete. Im dumpfen Schattenreich des Klosters erlosch ein herrliches Mädchen. Hatte sie Mitschuld an so thränenwerthem Geschick? Sie prüfte sich und sprach sich frei; doch ihr war's, als legte sich das Leben wie eine bleierne Last auf die Häupter und Herzen, und sie klagte den eigenen heiteren Sinn an, dem die Welt stets wie in rosigem Schein erschien. 351

Doch lange sollte sie nicht der ungewohnten Schwermuth sich hingeben; Sporenklang ertönte im Vorsaal, die Thüre wurde aufgerissen . . . Agnes lag am Herzen Arthur's, der dem König um einen Tag vorausgeeilt war. O Eigennutz des Glückes! Wie rasch verschwanden die dunklen Bilder . . . alles war Licht, Leben, Wonne! Und der König selbst wollte den Freudentag beschleunigen; alle Hindernisse aufheben, welche der raschen Hochzeit im Wege standen, sie selbst mit seiner Gegenwart verherrlichen.

»So werden wir ja bei der Trommel getraut,« rief Agnes schalkhaft lächelnd, während Freudenthränen über ihre Wangen flossen.

»Das ziemt der Soldatenbraut, die uns Breslau erobern half,« erwiderte Arthur, indem er mit freudigem Stolz das anmuthige Mädchen an's Herz schloß. 352

 


 


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