Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Viertes Kapitel.

Im Domgärtchen.

Feuchte Mauern und Lauben . . . nur für eine Nachtigall hat der kleine Garten hinter dem dumpf verschlossenen Hause der Domtanten Raum; diese eine Nachtigall schmettert unermüdlich auf der einzigen Linde, die sich neben verkrüppelten Aepfel- und Birnbäumen in dem etwas verwilderten Garten erhebt. Der schöne Junitag, der draußen die Oder versilbert und mit seinem Duft über den Weidendamm von Morgenau und den langen Pappelalleen schwebt, die von Breslau aus sich nach allen Seiten hin wie grüne nach dem Horizont gezogene Linien erstrecken: hier kehrt er etwas mürrisch ein, streut spärliches Gold auf die mit spärlichem Grün umrankte Laube und läßt dann so bald wie möglich das Gärtchen im Schatten liegen, düster wie das graue Haus mit seinen Gitterfenstern. Die Blumen und Bäume wollen hier 88 nicht gedeihen, sie finden keine Pflege; die Natur wird ja hier wie eine Ketzerin behandelt, die mit ihrer grünenden und blühenden Freigeisterei an die vergitterten Thüren und Fenster des kirchlich düstern und abgesperrten Hauses klopft.

Auf einer Bank in der Laube saßen Isabella und der Pater Maurus, in angelegentlichem Gespräch. Wer das schöne Mädchen seit Monaten nicht gesehen, mußte eine auffallende Wandlung in ihrem ganzen Wesen wahrnehmen; hatte sie schon damals ihre frühere Marmorkälte mit einem wärmeren leidenschaftlichen Zug vertauscht, so war jetzt eine flackernde Unruhe über sie gekommen; in ihren Augen glühte ein verzehrendes Feuer. Wer sie in ihrer Einsamkeit belauschte, der mochte noch oft die Thräne sehen, die sie einem verschwundenen Glücke nachweinte; doch das lag ja weit, weit hinter ihr, und es waren nur flüchtige Augenblicke, die sie der schönen Erinnerung und ihren friedlichen Träumen weihte. Das war damals ein warmer freudiger Sonnenschein, der ihr ins Herz fiel; sie konnte in stiller Hingebung zu ihrer Heiligen beten und ein Gefühl unendlicher Beruhigung kam über sie. Wie anders war es jetzt, wo sie, vom Fieber ergriffen, das durch ihre Pulse tobte, in stürmischer Erregung von einer Leidenschaft erfaßt war, von der sie nicht wußte, ob sie Glück oder Unglück, 89 Heil oder Verderben für sie bedeute, ob sie dieselbe bekämpfen oder sich ihr hingeben sollte! Ihr Sinn war verwirrt durch vieldeutige Lehren, welche an die Tiefe der Schmach den größeren Sieg der Buße und der Erlösung knüpften; doch der Kampf zwischen innerer Empörung über die von dem Priester verhängte Buße, welche die Heiligkeit der weiblichen Natur kränkte, und einer aus Qual und Marter wunderbar aufleuchtenden Verzückung der Leidenschaft drohte immer mehr, sich zu Gunsten der letzteren zu entscheiden. Es lag etwas Berückendes in dem Blick des schönen Paters; oft glaubte sie, wenn er glühend auf ihr ruhte, mit ihrem ganzen Wesen zu vergehen, wie der Thautropfen im Sonnenstrahl; sie hatte keinen eigenen Willen mehr. Nicht als ob ihr Herz in seinen Banden gewesen wäre; jene beglückende Neigung, die sie zu Arthur gefühlt, jener stille Zug der Seelen zu einander war den Empfindungen fremd, die sie zu dem Pater zogen. Sein Geist fesselte sie, die unheimlichen Räthsel, die in seinen Lehren lagen, erregten ihren Scharfsinn zugleich mit ihrer Einbildungskraft; die Buße aber, die er ihr auferlegte, die Strafen, die er selbst an ihr vollzog, versetzten sie in einen Fiebertaumel, von dem sie sich keine Rechenschaft zu geben wußte und von dem nur ein verzehrendes Ungenügen zurückblieb, das sie immer wieder zu dem 90 Priester hinzog mit einem unerklärlichen Zug der Natur.

Maurus war ein Mann von geistiger Bedeutung; er wußte mit überraschender Glaubwürdigkeit Geheimlehren vorzutragen, welche dem gesunden Verstand und Gefühl Trotz boten, aber in diesen verstrickenden Trugschlüssen lag nicht blos etwas Befremdendes, sondern auch etwas Bestechendes; sie beleuchteten eine Welt, in welcher andere Gesetze galten, als diejenigen, welche das alltägliche Leben beherrschten und schon deshalb mit dem Zauber des Ungewöhnlichen wirkten. Dabei sprach er mit einer Beredtsamkeit, welche nicht blos äußerliches Zungenwerk war, sondern über sein ganzes Wesen, über seine Züge einen verklärenden Schimmer breitete. Sein Auge flammte, seine sonst bleichen Wangen rötheten sich; die edeln und feingeschnittenen Umrisse seines Gesichtes schienen an Adel zu gewinnen durch die geistige Beleuchtung, die auf sie fiel, seine schlanke Gestalt zu wachsen unter der Macht der Begeisterung. Kein mit Pfingstzungen redender Apostel, welcher die ewigen Güter der Menschen, den Werth der Tugend mit den Worten eines unvergänglichen Evangeliums verkündet, konnte mit mehr Wärme, mit edlerer Erregung sprechen, als dieser geistvolle Baalspriester, wenn er die Sünde mit der Glorie der Tugend umgab und von dem 91 zerrissenen Rosenkranz der geweihten Sittenlehren eine Perle nach der andern abstreifte.

Noch ein Band verknüpfte das schöne Mädchen mit dem Pater; der gemeinsame Haß, den sie beide gegen den König von Preußen und seine Schaaren hegten. Isabella's Begeisterung für die Königin von Ungarn hatte noch zugenommen; als der Boden bis nach Breslau hin bebte unter dem Donner der Kanonen von Mollwitz, als man sogar auf dem Hinterdom das Heckenfeuer aus den Flinten zu hören, von dem Domthurme den Pulverdampf der Schlacht zu sehen glaubte, da lag das Mädchen in höchster Erregung auf den Knieen und flehte ihre Heilige an um den Sieg für die Waffen der jugendlich schönen Königin, welche ihr selbst wie eine Madonna im Lichtgewölk zu thronen schien. Und als die Schreckensnachricht von der Niederlage der Oesterreicher kam, da weinte Isabella heiße Thränen und ergab sich den eifrigsten Bußübungen, als gälte es den Himmel zu versöhnen und für den Schutz des Doppeladlers zu gewinnen.

Der Pater tröstete sie indeß; eine verlorene Schlacht, welche durchaus nicht mit der Vernichtung des österreichischen Heeres geendigt habe, sei noch keineswegs entscheidend für den Ausgang des Krieges; das Schlachtenglück könne sich wenden, das Heer der Königin sei zu erneutem Kampf gerüstet, und wenn 92 es denselben jetzt vermeide, so sei dies nur weise Vorsicht des Feldmarschalls, welcher den günstigen Augenblick abwarte. Der Ruhm des jungen Königs von Preußen sei für immer dahin, seitdem er auf dem Mollwitzer Schimmel das Weite gesucht habe und die Schlacht hinter seinem Rücken von seinen Generalen gewonnen worden sei. Mit Vorliebe erging sich der Pater in spöttischen Bemerkungen über den Nachtritt des Heldenkönigs, welcher in Oppeln, wohin er zuerst sich gewendet, fast in die Hände der Oesterreicher gefallen sei, die leider nicht sicher genug von den Wällen herab auf den flüchtigen Fürsten geschossen hätten. Auf die Iliade von Mollwitz sei die Odyssee von Oppeln und Löwen gefolgt; jene gehöre den Generalen; der König selbst aber sei wie der arme Dulder Odysseus umhergeirrt und von einer Gefahr in die andere verschlagen worden. Vor einem solchen König hege Oesterreich keine Furcht mehr. Das Heer der Oesterreicher sei in die Flucht geschlagen worden, das sei schlimm, aber auch der König von Preußen – das sei schlimmer.

Auch blieb es nicht blos bei solcher Tröstung. Der Plan, den Oesterreichern Breslau in die Hände zu spielen, war zuerst in den Kreisen der Jesuiten ausgebrütet worden; Pater Maurus hatte nicht geringen Theil daran.

93 Es war Anfangs nur ein unbestimmter Gedanke, der aber immer mehr Gestalt gewann. Mit Begeisterung hatte Isabella den Gedanken ergriffen; ihre Tanten und eine Zahl von Frauen, welche Verwandte im österreichischen Lager hatten, spannen ihn weiter aus; in dem vergitterten Hause der Domtanten war der Sitz einer geheimen Verschwörung, der es zunächst noch an Mitteln und Werkzeugen fehlte, die aber rastlos daran arbeitete, regelmäßige Beziehungen mit dem österreichischen Heere anzuknüpfen, um den günstigsten Zeitpunkt für einen Handstreich abzupassen und in der Stadt selbst alles für denselben vorzubereiten.

Das Gemeinsame dieser Bestrebungen gab dem Pater und seinem Beichtkind neuen Anlaß zu einem täglichen Verkehr, der immer inniger wurde durch die gleiche Wärme des Antheils, welchen Beide der Entwickelung der politischen Ereignisse entgegenbrachten.

Auch für den heutigen Abend war eine Sitzung des Frauenclubs bestimmt; noch stand indeß die Sonne hell am Abendhimmel, und vor der Dämmerung fanden sich die geheimnißvollen Kutten, Schleier und Kapuzen nicht zu ihren »Assisen« zusammen.

»Noch ist Alles so dunkel und im Werden,« sagte Isabella, zu dem Pater aufschauend, »werden wir heute weiter kommen?«

94 »Ich hoffe es,« erwiderte Pater Maurus, »es hat sich ein Besuch angekündigt, der das tiefste Geheimniß braucht!«

»Wer ist das?« frug Isabella gespannt.

»Ich darf ihn auch Dir nicht verrathen; es ist ein hochgestellter Mann, der die Angelegenheit ungemein zu fördern vermag. Wir müssen nur suchen, eine regelmäßige und unverdächtige Verbindung mit dem Lager des Feldmarschall-Lieutenants von Neipperg einzurichten und tägliche Auskunft über die Stellung und den Marsch seiner Truppen zu erhalten.«

»Und wird jener Fremde dazu beitragen?«

»Das ist mehr unsere Sache; aber er hat die Macht, in Breslau selbst Alles für die Entscheidung vorzubereiten.«

»O, dies ist dringend nöthig,« versetzte Isabella; »wenn ich so unsern Kreis betrachte, zweifle ich oft daran, ob von ihm etwas Großes und Entscheidendes ausgehen könne. Diese alten Fräuleins, so überzeugungstreu wie zum Beispiel meine guten Tanten, aber doch mehr auf's Reden und Plaudern bedacht, lassen so leicht alle Maschen an ihrem Strickstrumpf wieder fallen; es fehlt der kühnere Sinn, der Muth zum Handeln. O ich möchte mit der Fahne in der Hand mich auf die Mauer stellen, mitten im 95 Kugelregen – und solcher Frauen voll Todesmuth bedarf es, wenn die gute Sache siegen soll.«

»Du bist ungerecht gegen Deine Tanten,« sagte der Pater, »sie sind so eifrig für die gute Sache, daß ihr Beispiel alle zur Nachfolge entzündet. Und haben sie Dir nicht die große, von den Seidlitz bestrittene Erbschaft des Grafen Reichenbach ausdrücklich zum Geschenk gemacht, nachdem der Prozeß gewonnen ist? Die Schenkungsacte ist gerichtlich vollzogen und tadellos. Solche Güte verdient Schonung.«

»Ich bin ihnen dankbar und mache ihnen keinen Vorwurf; ich meine nur, es bedarf auch der thatkräftigen Jugend für unsere Zwecke. Die Entscheidung des Prozesses zu unseren Gunsten hat mich kaum gefreut . . .«

»Noch immer die stille Neigung zu dem edlen Junker!« warf Maurus spöttisch ein.

»Ich habe mich von ihm losgesagt, weil er zum Verräther wurde an seinem Vaterlande. Und er hat diesen Verrath zum Aeußersten getrieben; er trägt die Uniform unserer Feinde. Doch daß ich mich mit Schmerzen von ihm losgesagt, daß mein Herz dabei geblutet hat . . . ich habe es oft gestanden und oft gebüßt. Sein Bild ist mir eine liebe, aber schmerzlich süße Erinnerung.«

96 »Und immer erneut sich der alte Frevel,« sagte der Pater, indem er wie zur Abwehr die Hand ausstreckte.

»Doch nicht deshalb hat der Gewinn des Prozesses mich gleichgültig gelassen,« fuhr Isabella fort, »nein, das Verschwinden jenes Zeugen, des Försters, das bis jetzt noch immer nicht aufgeklärt ist, verleidet mir die Freude an dem Erfolg. Hier waltet irgend eine Hinterlist, und ich hasse den Betrug, am meisten, wenn ein Jugendfreund dabei der Betrogene ist.«

Der Pater warf einen lauernden Blick auf sein Beichtkind. »Frage Dich selbst, Isabella, bestimmt Dich blos der Haß gegen das anscheinend Verwerfliche, das in dem Gebrauch eines nicht billigenswerthen Mittels liegt, oder beherrscht noch immer der alte Zauber Deine Seele? Ist es Mitleid mit dem Verräther, was aus Dir spricht?«

Isabella schwieg; die bereits schräg fallenden Strahlen der Sonne beleuchteten eine Thräne in ihrem Auge. Die Nachtigall auf der Linde sang ein schmetterndes Lied, das in klagenden Tönen erlosch, ein Jubel, der in Wehmuth endete. Da fielen mit lautem Schall die Domglocken ein, und das Mädchen erhob sich, wie mit raschem Entschluß:

»Nein, nein, er ist meinem Herzen fremd und soll es sein! Er verleugnet die Madonna, wie er 97 seine Königin verleugnet! Ich will nicht mehr an ihn denken!«

Wie Isabella so in der Verklärung der Abendsonne dastand, hatte sie etwas Heldenhaftes; die Schönheit ihrer Gestalt, gehoben durch Stellung und Bewegung, ergriff mit ihrem Reiz alle Sinne des Paters. Er schritt auf sie zu, erfaßte ihre Hände und drückte sie an's Herz: »Uns beide trennt kein Zwiespalt der Meinungen; wir sind vereint durch den Glauben, uns trägt und hebt das gleiche Gefühl weit, weit über alle Schranken der Erde! Herrliches Mädchen! O gäb' es ein Gloriengewölk, welches uns beide hinwegtrüge über die Blicke der Menschen, in göttlicher, entzückender Einsamkeit, unter die Wolken, die Sterne . . . unbelauscht, nur der Inbrunst unserer Gefühle hingegeben. Jede Begeisterung ist eine Himmelfahrt.«

Isabella erwiderte den Druck der Hand, und als das feurige Auge des Paters in nächster Nähe in das ihrige blickte, da war sie wieder ganz in dem dämonischen Banne des schönen Mannes, der sie jetzt kühner umschlang, ohne daß sie sträubend auswich; er sprach, und seine Worte wurden zuletzt ein Flüstern: »Schöne Isabella! Nicht zum Verwelken, zum Beglücken ist des Leibes Schönheit gegeben. Sünde ist solches Glück, aber wo ist ohne tiefes Verschulden 98 wahre Heiligung? Es ist mehr Freude im Himmel über eine reuige Sünderin, als über hundert Gerechte. Es giebt einen Heiligenschein für ein Leben im schönen Gleichmaß der Tugend, das niemals abweicht von der vorgezeichneten Bahn, und mit solchen bleichen Lilien sind die Blumenbeete des Himmels bepflanzt; über sie hin weht der Hauch des Ewigen segnend, doch kühl. Doch jene Magdalenen, welche den schönen Leib sündiger Umarmung preisgaben, jene Männer der Kirche, welche alle Genüsse der Erde ausgekostet hatten, ehe sie sich dem Himmel zuwendeten: das sind die Heiligen, welche einen großen Namen haben auf Erden und im Himmel. Denn wer der Welt entsagt, ohne sie zu kennen, bringt ein geringes Opfer; wer sich aber aus dem verzehrenden Feuer der Leidenschaften zur seligen Ruhe flüchtet, der hat wahrhaft überwunden! Und in die Langeweile des ewig Wandellosen bringt er einen Schatz trüber Erinnerungen, welche, wie alles Trübe das reine Licht zum Farbenspiel reizt, so die ewige Einsamkeit mit einem bunten Spiel der Farben erfreuen. Verstehst Du mich, Isabella?«

»Das Wort ist dunkel, doch ich ahne seinen Sinn,« rief das Mädchen mit einem schwachen Versuch, sich den Armen des Priesters zu entwinden.

99 »Ich selbst habe bisher nur der Kirche gelebt, und dem Streben, die göttliche Weisheit zu ergründen, nicht wie sie sich der Menge offenbart, sondern wie sie den Auserwählten enthüllt wird. Auch dem äußeren Gesetz war ich gehorsam und fand Befriedigung darin. Doch jetzt ist es über mich gekommen wie ein Sturmwind, der alle Blätter meines Lebens durcheinander blättert, und wie jener fromme Augustinus, der Mann mit dem flammenden Herzen, später die Leuchte der Kirche, so werde auch ich verlockt von dem Reiz der Welt; und was zerstreut ist von berauschender Schönheit auf Erden und im Himmel – es hat Gestalt gewonnen für mich, eine einzige, entzückende Gestalt . . . . es ist die Deine, Isabella!«

Das Mädchen riß sich jetzt gewaltsam los und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Wir waren vereint in jener Andacht, deren göttliche Trunkenheit alles Irdische verzehrt und die Seelen wunderbar verschmilzt; wir waren vereint in jener Buße, welche die irdische Regung ertödtet und den irdischen Reiz züchtigt; o, es giebt noch eine glühendere Andacht, welche die Herzen und das ganze Leben vermählt. Ihr Beginn ist der unwiderstehliche Zug, der uns zusammenführt, ihr Ende unfaßbares Entzücken! In Deinen Armen, Isabella . . .«

100 »Zurück!« rief das schöne Mädchen, doch nicht mit jenem zürnenden Stolz, der ihr sonst eigen war; sie rief es wie mit zitternder Stimme, ihrer selbst unsicher und das Auge abgewandt von dem Priester.

»Zurück! Das ist nicht die Stimme Deines Herzens! Aus den Augen hab' ich's Dir gelesen, in den Stunden der Pein, daß Dein Herz mir entgegenschlägt, daß Du dem harrenden Entzücken nicht weigern wirst, was Du heiliger Buße nicht versagtest . . . himmlische und irdische Andacht schlingen das Band um uns; da gilt nicht das Maß der Sünde, mit dem die Menge mißt. Es gibt einen Bund im Lichte der Verklärung . . . eine Jungfräulichkeit, die das Entzücken überlebt, die immer den Heiligenschein verdient . . . sei meine Madonna!«

Die gotteslästerlichen Reden des Priesters empörten nicht das Gemüth der Jungfrau, welche zu sehr an die verwegenen Gedankengänge gewöhnt war, die Heiliges und Sündiges keck vermischen; sie ließ es nur schwach sich sträubend geschehen, daß er sie in seine Arme schloß und einen glühenden Kuß auf ihre Lippen drückte.

Dann aber flüchtete sie vor dem Frevel fort an das andere Ende des Gärtchens; doch da waren lauter volle Rosen theils aufgebrochen, theils sehnsuchtsvoll sich aus ihren Knospen hervordrängend, und 101 ein berauschender Duft wehte aus den Jasmingesträuchen, am Himmel aber blitzten die ersten Sterne hervor in dem träumerischen rothen Nachtschimmer der versunkenen Sonne . . . ein lauer Abendhauch legte sich weich und schmeichelnd an Wangen und Busen. Die ganze Natur schien im Einverständniß mit dem süßen Frevel und lud zur Reue nicht ein. Isabella ging einsam unter den Rosen mit hochklopfendem Herzen. Der Pater störte ihre Gedanken nicht; er wußte, daß sie ihm hold waren und daß diese unter den Geschwistern einherwandelnde Rose ihm nicht die Dornen, sondern die Blüthen zukehre.

Da trat Sidonie in den Garten, in der Hand die Gießkanne, hinter sich den Affen und den Mops, welche in der Regel ihren Hofstaat bildeten.

»Um's Himmelswillen,« rief das würdige Fräulein, »da hat es wohl Händel gegeben! Hat das Beichtkind nicht Ordre parirt? O sie ist jetzt immer ungehorsam, ich weiß es; sie hat einen trotzigen Sinn und wenn sie auch noch ihren Heiligen gehorcht . . . uns unheiligen Tanten folgt sie durchaus nicht mehr. Und wir meinen's doch so gut mit dem Kinde!«

»Hier herrscht keine Zwietracht,« sagte der Pater, »wir sprachen nur von den Rosen und Isabella eilte, mir eine zu pflücken.«

102 »Sie läßt sich Zeit damit,« erwiderte die Tante. »Hierher, Du eigensinniges Kind! Du vergissest Dein tägliches Geschäft, den Tulpenflor zu gießen. Und wir haben die schönsten holländischen Zwiebeln, Herr Pater, die theuersten! Es ist einmal meine Passion, und eine Passion muß der Mensch haben; er weiß sonst nicht, wo er das Geld lassen soll.«

Isabella folgte dem Ruf der Tante; es war ihr eine Zerstreuung, sich mit den Blumen zu beschäftigen, sie zu erquicken. Sie nahm aus der Hand der Tante die Gießkanne und eilte damit zu der grünumrankten Pumpe, die sich in einem Mauerwinkel des Gärtchens befand.

Der Pater, obschon er anscheinend dem unermüdlichen Geschwätz der guten Domtante Gehör schenkte, verfolgte doch mit seinen Blicken jede Bewegung des Mädchens, welche sich der kleinen Arbeit mit so stolzer Anmuth unterzog. Sie erschien ihm wie eine Najade, welche die plätschernden Wassergeister aus ihrer Urne goß; wenn sie sich bückte, geschah es mit so edlem Anstand, als wäre sie die Blumenkönigin, welche sich huldvoll zu den Kleinen herniederneigte.

Tante Sidonie bemerkte, was den Priester beschäftigte und nachdem sie in der Laube neben ihm Platz genommen, während der Affe sich ebenfalls tiefsinnigen Betrachtungen hinzugeben schien und 103 Tulifäntchen zu ihren Füßen knurrte, begann sie: »Dabei wird das Mädchen alle Tage schöner; ich weiß nicht, wo sie's hernimmt! Hin und wieder ein wenig blaß . . . das ist die viele Andacht, das färbt etwas ab; ich merk' es an meiner Schwester Ursula! Doch es steht ihr sehr gut, ich meine natürlich meiner lieben Nichte, nicht meiner lieben Schwester, denn die hat die Schönheit schon lange hinter sich. Isabellchen ist viel beweglicher als früher; sie war ja lange Zeit ein wahres Marmorbild und wo man sie hinstellte, blieb sie stehen; es war wie eine besondere Gnade, wenn sie die Glieder bewegte. Jetzt ist sie viel flinker; sehen Sie nur, wie sie zur Pumpe eilt, wie eifrig sie den Schwengel herauf und herunter tanzen läßt, wie rasch sie mit der vollen Gießkanne des Weges kommt, daß das Wasser herausspritzt und ihr das Kleid benetzt. Nimm Dich in Acht, Mädchen! Du kommst ja sonst zu unseren Assisen klatschenaß, und es ist ein theures Kleid, das Du anhast.«

Isabella achtete nicht auf die Worte der Tante; sie ging schweigend ihrer Beschäftigung nach.

»Da haben wir's,« sagte Sidonie, »ich kann stundenlang reden, und dabei sag' ich manches Gute und Nützliche; aber sie hört nicht, als ob ich blos meinem Mops und meinem Affen vordeclamirte. Das ist die heutige Jugend! Sie ist schon altklug in 104 der Wiege und räsonnirt schon über die Milch und über die Amme; man sieht es ja diesen verquollenen kreischenden Gesichterchen an; sie wollen alles besser wissen und sind mit nichts zufrieden! Und dann wird das Kind Jungfrau: und da ist ihr kein Kleid recht und kein Mann, und was erfahrene Frauen ihr sagen, ist in den Wind gesprochen. Mit nichts wissen sie Bescheid, diese Mädchen, und manche hat Kopf und Herz voller Tugend und weiß gar nicht, wie das Dings eigentlich aussieht und verwechselt es gelegentlich einmal mit dem Laster.«

Die Bemerkungen Sidoniens pflegten den Pater Maurus in der Regel nur zu erheitern. Diesmal aber gewannen sie ihm kein Lächeln ab: denn er fühlte unter der sonderbaren Einkleidung stechende Wahrheit heraus und betrachtete das gutmüthige Fräulein mit prüfendem Blick, ob ihre Rede vielleicht mit einem Stachel für ihn bewehrt gewesen war; doch in dem mopsartigen Gesicht war keine böse Absicht zu erkennen, ein behagliches Lächeln verrieth die vollkommene Harmlosigkeit, mit welcher das Domfräulein seine tiefsinnigen Bemerkungen ausstreute. Der Pater suchte indeß so schnell wie möglich den Gegenstand des Gespräches zu ändern.

»Werden die heutigen Assisen sehr besucht sein?«

105 »Gewiß,« erwiderte Sidonie, »da ist das Fräulein Ziermann; ihr Bruder ist österreichischer Offizier; und die beiden Fräulein von Rothschütz, und die Oberin vom Ursulinerkloster; und die Fräulein von Rothschütz bringen noch Freundinnen mit; alle sind von Herzen österreichisch gesinnt; und es sind Damen dabei mit vielem Geist, ganz von meiner Schwester Ursula abgesehen, welche allmählich etwas stumpf wird; doch die Sebalde von Rothschütz ist eine Dichterin und hat viele schöne Legenden gedichtet, und ihre Poesie hebt sich ab wie von lauter Goldgrund . . . und wenn sie spricht, es ist als ob ihr Milch und Honig von den Lippen flösse. Auch ist sie noch jung, kaum einige dreißig Jahre, es ist ein süßes Kind!«

»Doch mit der Poesie,« unterbrach der Pater, »schlagen wir nicht den Landesfeind aus dem Felde.«

»O sie hat auch sehr glückliche Einfälle und wird gewiß einen guten Plan ersinnen, wie wir uns mit dem österreichischen Lager in's Einverständniß setzen. Kommt denn Pater Eustachius?«

»Ich erwarte ihn mit Bestimmtheit,« sagte Maurus.

»O dann wird der heutige Abend wieder schön werden,« fuhr die Tante fort, »es war lange Zeit 106 so einsam hier! Eine verdrießliche Zeit, Ursula wird von Tage zu Tage mürrischer. Jetzt geht's lebhaft her, Unterhaltungen, Meinungsaustausch, dazwischen einmal ein lustiger Einfall und schallendes Gelächter, wenn auch Ursula darüber die Achseln zuckt. Leid thut es mir nur, daß ich meine Freunde aus dem Thierreich absperren muß, sie rumoren dann gewaltig in meinem Zimmer, und sie würden sich gewiß ganz artig bei unseren Assisen betheiligen. Nicht wahr lieber Joko!« fügte sie hinzu, den Affen streichelnd; »Du würdest nicht stören. Er paßt ganz gut in die Gesellschaft, denn er kann so ruhig sitzen, wie ein Philosoph, besonders wenn er etwas zu knabbern hat! Doch kommen Sie, Pater! Die Theemaschine brodelt gewiß schon lange, und Ursula wird ungeduldig, wenn sie so lange allein sitzen muß! Isabellchen . . doch das Kind hört wieder nicht! Sie vermeidet es jetzt, uns Gesellschaft zu leisten, so lange wir allein sind; sie kommt immer erst in die Versammlung, wenn sie fast vollzählig ist; sie will Aufsehen machen durch ihr Erscheinen. Lassen wir den kleinen Eigensinn!«

Sidonie, der Pater und das Gefolge aus dem Thierreich setzten sich in Bewegung und verfügten sich in das Haus. Isabella weilte noch lange in dem Garten, einsam auf- und niedergehend. Die Sterne 107 zogen am Himmel empor, die Blumen dufteten heißer . . . was war es für sie! Die Sterne brachten keinen Gruß, und sie durfte keine Blumen pflücken für denjenigen, dem einst ihr inniges Gefühl zugewendet war! Es war anders gekommen, als sie geträumt hatte; sie war unzufrieden mit dem Geschick, mit sich! Jene Neigung war so rein, still und klar gewesen, wie der durchsichtige Aether; es war jener schöne Lenz der Liebe, der nur einmal an die Herzen klopft; es war nur die Ahnung des Glückes, und doch gab sie volles Genügen. Er war verschwunden! Jetzt war es über sie gekommen, eine Leidenschaft dumpf und trüb, aber glühend und gewaltig, wie aus kirchlichem Weihrauchgewölk aufleuchtend, vermischt mit aller Andacht der Seele, aber entfesselnd geheime Mächte, die sie vergebens zu bannen suchte, ihr ganzes Wesen wie im Fieber schüttelnd, und ihre Seele heimsuchend bis in die tiefsten Träume. Es war das Feuerauge des Priesters, das auf ihr ruhte, bald groß und unerbittlich, wo er richtete, bald bittend, schmeichelnd, scherzend . . . . Schmach und Scham, Andacht und Entzücken, Sünde und Gnade . . . es wogten durch ihren Sinn die widersprechendsten Gedanken und Empfindungen und doch blieb eins unwidersprechlich: sie liebte den Priester, doch nicht wie sie Arthur geliebt, sie 108 liebte ihn zugleich mit der Andacht der Heiligen und mit der Glut der Sünderin.

Venus stieg hellfunkelnd am Himmel empor; tief im Schatten der Nacht verschwand das mit weißen Rosen umkränzte Madonnenbild des Gartens. 109

 


 


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