Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Drittes Kapitel.

Passion.

Kaum war das Mädchen, von dem Wächter, wie es schien, gewaltsam herbeigeschleppt, in das Thurmzimmer getreten, als es mit gefalteten Händen und irren Blicken stehen blieb und, von dem Glanz der Lichter geblendet, zu Boden schaute. Dann erhob es die Augen und ließ sie anfangs starr auf der fremden Uniform haften. Sie sah in die Züge des Offiziers mit dem Ausdruck des höchsten Staunens. Dann schien es, als wolle sie sich aus den Augen die wahnsinnigen Träume reiben, sie von der Stirn sich streichen, doch vergebens, denn es war kein Traumgebilde, es war eine Gestalt von Fleisch und Blut, die vor ihr stand. Mit einer blitzartigen Bewegung riß sie sich von dem Wächter los, der sie zu halten suchte, stürzte vor Arthur auf die Kniee, hob die Hände flehend zu ihm empor mit den Worten: »Kein 64 Traum, kein Traum! So rette mich zum zweitenmale, mein Retter!«

Arthur hatte gleich bei dem Eintreten des Mädchens erkannt, daß er jene Marie vor sich hatte, die er einst aus den Fluten der Oder errettet und welche nach dem Locatelli'schen Verlobungsfest spurlos verschwunden war. Er erinnerte sich der Erzählungen der Kleopatra, der Mittheilungen der Baronin . . . und wie von einem Blitz erleuchtet stand das ganze unglückliche Geschick des armen Mädchens vor seiner Seele. Er hob sie auf, dann griff er wie unwillkürlich zum Säbel, um sie zu schützen. Die Tafelrunde war durch dies plötzliche Ereigniß gesprengt; die Schönen stiegen die Stufen des Thurmzimmers in den Saal hinunter in unruhiger Bewegung, flüsternd und die Blicke gespannt richtend auf die Vorgänge bei der Tafel; der Intendant hatte im ersten Augenblick drohend seine Pistolen erhoben, doch unsicher über die Beziehungen des Fremden zu seinem Herrn beschränkte er sich darauf, an den Stufen des Thurmzimmers wie ein grollender Cerberus Wache zu halten, hin- und hergehend und keinen Blick fortwendend von dem Offizier und dem Mädchen.

Marie hatte sich neben Arthur gesetzt; im Jagdsaal spielte indeß die Zigeunerin wilde Melodien auf ihrer Geige, und als die Entwickelung im 65 Thurmsalon den spannenden Reiz verloren hatte, begannen die Mädchen, vom Weine erhitzt, sich wieder den Freuden eines zügellosen Tanzes zu überlassen.

»Ich werde Dich schützen, soviel in meinen Kräften steht,« sagte Arthur, »das verspreche ich Dir!«

»Herzlichen Dank,« erwiderte das Mädchen, indem es den Offizier mit seinen Gazellenaugen treuherzig ansah; es blitzte durch ihre wehmüthige Umflorung wie ein Strahl der Freude.

»Doch, mein Kind, es ist nicht so leicht, Dich zu schützen;« sagte Arthur, »es ist in Dir ein unruhiger Geist, der Dich in immer neue Gefahren verwickelt. Als wir Dich bei Frau Leuschner in Sicherheit gebracht hatten . . . da entflohst Du plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, diesem Zufluchtsort.«

»Verzeihung, mein gütiger Beschützer,« sagte Marie, »es war Unrecht, doch es ließ mir keine Ruhe. Ruhe hätte ich nur in den Fluten der Oder gefunden. Was mich forttrieb, war grenzenlose Liebe, verzehrende Leidenschaft; ich hatte gehört, daß Sigismund sich verloben würde; zu ihm trieb es mich, und wäre es mein Untergang gewesen; es trieb mich, wie es den Schmetterling zur Flamme treibt, mag er auch zuletzt mit versengten Flügeln in den Tod stürzen.«

»Und wo bliebst Du in der Zwischenzeit?« frug Arthur.

66 »Eine Freundin vom Theater bot mir auf mein Flehen ein Unterkommen. Was ich bei dem Verlobungsfest that, ich that es in der höchsten Erregung des Augenblickes; und es war eine Thorheit. Mochte ich ihm den Ring zu Füßen schleudern . . . mein Herz blieb doch ewig an ihn gefesselt. Mochte ich ihn freigeben . . . er gab mich nicht frei. Und als ich sinnlos fortstürzte, da verstrickte ich mich in neue, in lange und schwere Leiden.«

»Du geriethst in die Gewalt des Grafen« –

»Wie ein Wahnwitziger kam er mir nachgestürzt, er kannte die Räumlichkeiten des Locatelli'schen Saales genau; er hatte mit seinem Adlerblick den Augenblick erfaßt, wo ich forteilte, und schnitt mir unten an der Seitentreppe den Rückzug ab. Mit bestrickenden Worten bot er mir seinen Schutz an; in der That, ich war schutz- und hilflos genug; zu meiner Freundin wollte ich nicht mehr zurückkehren; ich mußte alles fürchten von den städtischen Behörden und vom Zorne Sigismunds; denn ach! wenn er's auch später bereut . . . in seinem Zorn kennt er sich nicht. Gleichwohl lehnte ich trotzig das Anerbieten des Grafen ab.«

»Und er, und er?« frug Arthur.

»Er erneuerte seine Versprechungen, seine Bitten; ich wollte nicht zögern, ich stürzte fort; doch unglücklicherweise gerieth ich in jene Wagenburg, welche vor 67 der Locatelli'schen Wirthschaft in langen Reihen aufgepflanzt war. Der Graf wich nicht von meiner Seite. An einer eleganten Equipage öffnete er selbst den Wagenschlag, hob mich hinein, trotz meines Widerstandes, mit den Worten.

»»Folge mir, mein Kind! Du bist gerettet!««

»Fort ging's im Galopp! Bei einer Stockung durch das Gedränge der Wagen erkannte ich auf der Straße Kleopatra . . . ich rief um Hilfe . . . vergebens! Der Graf suchte mich zu beruhigen . . . . und ich ergab mich in mein Schicksal! Mich erfaßte das Gefühl dumpfer, tiefer Gleichgültigkeit . . . was war mir das Leben? Was konnte mir Schlimmeres begegnen, als mich schon getroffen hatte? Ich schwieg . . . vielleicht schlummerte ich auch vor Ermattung ein. So fuhren wir bis in den hellen Tag. Der Graf saß neben mir und trällerte polnische Lieder; oft sah er mich mit glühenden Blicken an; doch sprach er kein Wort, da ich vorher auf keine Frage geantwortet hatte.«

»Und hier auf dem Schlosse?« frug Arthur gespannt.

»Hier änderte sich sein Benehmen; er räumte mir ein prächtiges Zimmer ein, doch ich merkte bald, daß ich eine Gefangene war. Das Thor war fest versperrt; nur mit ihm durfte ich ausreiten und 68 ausfahren, und so sehr ich mich anfangs dagegen sträubte, das Bedürfniß, frische Luft zu schöpfen, auf Stunden wenigstens das Gefühl der Freiheit auf den von hohen Weiden umrauschten Dämmen und weiterhin im Walde zu genießen, ließ mich sein Anerbieten annehmen. Jetzt begann eine Zeit grenzenloser Marter für mich, eine Zeit heißer Liebeswerbung von Seiten des Grafen, der ich mit einer unerbittlichen Kälte begegnete. Wohl gab es Augenblicke, in denen ich den verführerischen Reiz dieser Werbung empfand; denn ich konnte mir nicht verhehlen, der Graf war ein schöner Mann und das Fieber der Leidenschaft, das ihn beseelte, hatte etwas Ansteckendes. Er zeigte mir eine Schwärmerei, eine Hingebung, die mich bisweilen mit ihrem Zauber zu bannen drohte; doch meine Liebe zu Sigismund, meine hoffnungslose, geopferte Liebe, die aber um so mächtiger in meinem Herzen wurde, war mein Talisman.«

»Da machte ich eine Entdeckung, welche mir den längeren Aufenthalt im Schlosse unerträglich machte. Schon längst hatte ich bemerkt, daß in demselben geheime Dinge vorgingen, in welche man mich nicht einweihte; mir war es oft, als hörte ich in dem Stockwerk über mir Klänge von Musik und rauschenden Lärm. Es war in der Abendstunde, in welcher der Graf sich nie bei mir einfand. Einmal schlich ich 69 die Treppe hinauf und lauschte an der festverschlossenen Thüre des Saales; weibliche Stimmen, Gesang, Gelächter tönte mir entgegen. Allmählich verklang der Lärm. Wer waren diese Frauen und Mädchen? Wo waren sie? Im Schlosse vernahm man den Tag über nichts von ihnen; es war eine Art von Zauberei, welche in dunkler Stunde den Saal oben belebte. Kein Kommen und Gehen; keine Wagen und Pferde hielten vor dem Schloß . . . dann wurde es wieder still; ich glaubte, daß mich meine Sinne getäuscht hatten. War dies nicht der Fall, so befand ich mich in der unheimlichen Behausung eines Wüstlings. Eine Leidenschaft, die mir allein huldigte, vermochte ich abzuwehren, aber ich konnte sie achten; mit Andern zusammen mich als ein Opfer wilder Laune zu betrachten, das erschien mir unerträglich; ich stürzte die Treppe hinunter, wie von blinder Gewalt getrieben, und rüttelte an dem Schloßthor, obwohl ich wußte, daß es fest verschlossen und der Mechanismus, der es öffnete, in sicheren Händen war. Es blieb mir nichts übrig, als in mein Zimmer zurückzukehren. Ich theilte dem Grafen meine Entdeckung mit; er tadelte mich wegen meiner Neugierde, hörte mich indeß im Uebrigen mit ruhigem Lächeln an. Hatte ich ihn bisher mit Stolz behandelt, so zeigte ich ihm jetzt Verachtung; alle meine Gedanken waren auf Flucht gerichtet. Einstmals bei 70 einem Spazierritt begegnete ihm ein benachbarter Gutsbesitzer, der mit ihm in Händeln lebte; die Begegnung war eine feindliche, und fast glaubte ich, Zeugin eines Turniers zu werden, welches mit Reitpeitschen ausgefochten werden sollte. Als der Graf, in höchster Erregung, seine polnischen Flüche auf seinen Gegner wetterte und während ihm das Blut in das Gesicht schoß, nichts anderes zu hören und zu sehen schien, als das Opfer seines Zorns: da lenkte ich mein Pferd sacht beiseite und als ich unbemerkt von dem Grafen mich eine geraume Strecke entfernt hatte, gab ich meinem Roß die Sporen und jagte in den Wald hinein, an dessen Saum ich zuletzt hielt; doch ich war keine glänzende Reiterin, und da ich in der Aufregung die Himmelsgegenden nicht beachtet hatte und die Waldungen kreuz und quer und in der Runde ritt, so führte mich mein Unstern zuletzt dem verfolgenden Grafen wieder entgegen. Vergeblich suchte ich ihm noch einmal zu entfliehen; bei einem Sprung des Pferdes über einen Graben verwickelte sich mein Reitkleid in eine Hecke; ich war in seiner Gewalt, in der Gewalt eines Tyrannen; denn zu einem Tyrannen war der Liebhaber geworden, der alle seine Künste scheitern sah. »Ich habe Dich ausgezeichnet, wie keine, Du solltest auch meinem Herzen werth sein,« rief er hochroth vor Zorn, »jetzt theile das Loos der 71 andern! Du wolltest meine Herrin nicht sein, wohlan, so sollst Du meine Sclavin werden!«

»Er machte seine Drohung zur Wahrheit; bald sollte ich den Schlüssel finden zu dem geisterhaften Lärm, welcher in später Abendstunde durch den öden Jagdsaal brauste. Jener riesenhafte Scherge erschien, der dort die Wache hielt; er brachte mich ins »Harem«. Ja mit diesem kecken Wort bezeichnet man den Frauenkerker im Schloßhof! O die Schmach und Erniedrigung, die ich jetzt erleben mußte! Keine Macht der Welt konnte mich zwingen, diese wilden Vergnügungen zu theilen, aber mitansehen mußte ich doch, was meine Lippen nimmer erzählen werden. Meine Verzweiflung wich zuletzt einer stumpfen Gleichgiltigkeit und, wie man zu jeder Zeit ein reiches, inneres Leben führen und verhungernd und verdürstend in der Wüste noch wunderbare Träume haben kann, so war mir zuletzt, was um mich vorging, als ob es nicht geschehe; ich sah und hörte nichts als die Bilder und Stimmen in mir; das Bild meines Sigismund blieb mir zuletzt nur übrig von allem, aber es ersetzte sie mir alle.«

»Seltsame Täuschung der Liebe,« dachte Arthur, »ein Mädchen von so reichem Gemüth liebt den herzlosesten aller Menschen. Ist unsere Liebe etwas anderes als der Selbstgenuß des eigenen 72 Seelenreichthums, mit dem wir verschwenderisch dies oder jenes Wesen ausstatten, das uns auf unserem Lebenswege begegnet?«

»Immer noch bevorzugte mich der Graf; er bot mir, wenn ich seine Liebe erwidern wollte, die Wohnung in den früheren Prachtzimmern, die Herrschaft im Schlosse an, doch ich war gefeit gegen solches Anerbieten, so sehr ich mich fortsehnte aus unwürdiger Umgebung, gefeit durch meine Liebe und durch meine Verachtung des Wüstlings.«

»Armes Kind,« sagte Arthur, »ist Dein ganzes Leben so voll Qual und Unruhe gewesen oder ist es erst Deine unglückliche Liebesleidenschaft, die so viel Verderben für Dich zur Folge hatte?«

»So lange ich denken kann,« erwiderte Marie, »ist mein Leben ein unstetes und heimatloses gewesen, und doch trug ich in mir stets den verzehrenden Drang, mich an der Welt und ihren geheimsten Schätzen zu freuen; mir ahnte etwas von einem grenzenlosen Glück, erst in meiner Liebe habe ich es gefunden. Meine Kindheit und erste Jugend war düster und einsam; nahe bei einem böhmischen Kloster an der Elbe wuchs ich auf, von den Klosterfrauen erzogen.«

»Bei einem Kloster an der Elbe?« frug Arthur aufhorchend.

73 »Ja! meine Mutter lebte nicht mehr; spät erst erfuhr ich, daß sie durch einen Sturz in die Fluten des Stroms ihrem Leben freiwillig ein Ende gemacht hatte.«

Marie konnte nicht begreifen, warum diese traurige Mittheilung in Arthurs Zügen ein Aufleuchten hervorrief, welches freudiger Art war; doch der Gedanke, einem im Kerker schmachtenden Vater die langentbehrte Tochter zuführen zu können, erfüllte sein Herz mit aufrichtiger Freude, und bei jedem Worte, welches Marie sprach, wurde dieser Gedanke in ihm lebendiger. Es konnte ja nicht anders sein; dies war die Tochter jener Minka, welche aus so seligem Liebesleben hoch auf den Bergen in klösterliche Einsamkeit und in ein unseliges Verhängniß gerissen wurde.

»Als ich erwachsen war,« fuhr Marie fort, »sollte ich als Novize in den Dienst des Klosters eingeweiht werden; doch mein Sinn und Herz war solcher geistlichen Haft abgewendet, und so wenig ich die Welt kannte, ich erfuhr genug von ihr, um zu wissen, daß in diesen Mauern ein Grab der Lebendigen war, daß aber von draußen an dieselben der hochgehende Wogenschlag eines Lebens pochte, das tausend Freuden, tausend ungeahnte Erregungen und Entzückungen barg. Es gelang mir zu entfliehen und das Leben kennen zu lernen, das nicht nach den Schlägen der Klosteruhr 74 geordnet war, das in wilden Wirbeln dahinbrauste und mich anfangs selbst wie alles Neue und Fremde mit einem wunderbaren Rausch erfüllte, bis ich aus demselben erwachte und mit Schrecken sah, in welche Untiefe ich gerathen war. Die Noth zwang mich, einer reisenden Schauspielertruppe mich anzuschließen, bei welcher ich anfangs den niedrigsten Rang einnahm und neben kleinen Rollen vorzugsweise mit den wirthschaftlichen Besorgungen und mit der Oberaufsicht über die Garderobe betraut war, die wie der Laden eines Pariser Lumpensammlers gemahnte. Dennoch machte ich Fortschritte in meiner Kunst; mir wurden größere Rollen in den Haupt- und Staatsactionen zuertheilt, die wir vorführten. Bald erfreute mich auch der Beifall und war es auch nur in Scheuern und auf dem Markte und von schwieligen Händen; doch wir Schauspielerinnen fragen ja nie danach, woher uns der Beifall kommt.«

»Nun lernte ich die unglücklichen Abenteuer des Bühnenlebens kennen; der Hanswurst verliebte sich in mich, bald folgte der Director seinem Beispiel. Kaum wußte ich mit einer Kunst, welche wir Schauspielerinnen ja rasch lernen und zur Nothwehr lernen müssen, die Verehrer in Schranken und einen durch den andern in Schach zu halten. Doch das Duell zwischen dem Schauspielleiter und seinem ersten Künstler 75 wurde immer bedrohlicher, und ich hielt es für das Beste zu entfliehen, nachdem ich noch trostlose Erfahrungen über den wüsten Sinn gemacht hatte, der in diesen Kreisen herrscht. Ich suchte eine Stellung bei einer Breslauer Truppe; ich fand sie. Es gelang mir, mich immer höher aufzuschwingen, allgemeine Beachtung, auch Bewunderer zu finden. Unter ihnen war Sigismund, der sich gern in Theaterkreisen bewegte; jetzt war Glanz, unvergänglicher Glanz in mein Leben gekommen; er konnte verdunkelt werden durch die Treulosigkeit des Geliebten, aber sein Nachleuchten in meinem Herzen ist die einzige Weihe meines Lebens. Mein weiteres Schicksal kennen Sie. Ich bin zum Unglück bestimmt; Dulden, nimmer endendes Dulden ist mein Loos. Und wenn ich erlitten habe, was viele erleiden, was ich nur tiefer fühle, als diese alle: die Untreue, wo mein Herz an ewige Treue glaubte, so trifft mich auch noch das Ungewöhnliche, und ich falle in die Hände eines Räubers und Wüstlings, wie es deren Gott sei Dank nur noch wenige giebt in dieser Zeit, und leide hier in den Staaten der Königin von Ungarn, was auf dem Sclavenmarkt in den Ländern des Ostens alltägliches Loos sein mag, das Unerhörte, wofür es hier nirgends einen Richter zu geben scheint.«

76 »Vertraue auf mich, mein Kind,« sagte Arthur, den ein aufrichtiges Mitleid mit dem träumerischen Mädchen ergriff, das durch eine Liebesleidenschaft gegen so andauernde Verführung gewaffnet war. »Besitzest Du keine Angedenken an Deine Kindheit, an Deine Mutter?« frug Arthur weiter, indem er hoffte, in diesem Falle jeden Zweifel an der Herkunft Mariens bei anderen beseitigen zu können.

Und Marie holte ein einfaches, stählernes Kreuz hervor, das sie an der Brust zu tragen pflegte, das ihr, wie sie mittheilte, zum ewigen Andenken von ihrer Mutter schon in der Wiege umgehängt worden war und das sie stets wie ein Heiligthum bewahrt hatte. Arthur nahm das Kreuz prüfend in die Hand und fand in dasselbe eingegraben mit lateinischen Buchstaben den Namen: »Minka.« Indem er Marie herzlich die Hand drückte, sagte er: »Armes Kind, ich hoffe, die Zeit Deines Duldens ist vorüber, und die Freude, die Du nie gekannt, wird auch in Dein Leben treten. Ich kenne Deinen Vater.«

»Meinen Vater . . . unmöglich . . . er lebt?«

»Er lebt und wird selig sein, seine Tochter zu umarmen.«

»Mein Vater . . . wer ist es und wo lebt er?«

»Auch Du kennst ihn. Du hast, ohne es zu wissen, zu seinen Füßen gesessen.« Marie versank in 77 tiefes Sinnen; doch sie konnte sich nicht des Mannes erinnern, den Arthur bezeichnete.

»Es ist jener würdige Schwenkfelder Prediger, der gleich Dir bei der Frau Leuschner eine Zufluchtsstätte gefunden hatte.«

»Wär' es möglich!« rief Marie, »der edle Mann, dem ich ein so volles Vertrauen entgegengebracht . . . er ist es und er kannte mich nicht! Doch wie ist es möglich, daß er sich nie um mich gekümmert, mich in meiner Kindheit vergessen, in meiner Jugend hat einsam durch die Welt irren lassen? O, er hatte so treuherzige Augen, voll Seelengüte!«

»Es ist nicht seine Schuld,« erwiderte Arthur, »man hat Deine Mutter ihm entführt, ehe Du das Licht der Welt erblickt hattest; man hat ihm nach ihrem Tode jede Kunde von Dir verweigert; weil er ein Ketzer war, hat die Kirche ihn ausgeschlossen und verdammt!«

»Mein armer Vater!« rief Marie, Thränen in den Augen.

»Doch er, der nichts auf der Welt hat, was er sein eigen nennen kann, hat sein Kind nicht vergessen . . .«

»O, seine Hände haben segnend auf mir geruht,« sagte Marie, die sich jetzt ganz in die Erinnerung an jene 78 Begegnung versenkte, »und ich hatte keine Ahnung, daß es der Segen meines Vaters war.«

»O wie wird er sich freuen,« rief Arthur, »doch er ist selber im Kerker der Jesuiten. Verzweifle nicht, ich werde Mittel und Wege finden, Euch alle aus den Gefängnissen unwürdiger Willkür zu befreien . . . und Dich zuerst!«

»Das ist nicht so leicht!« sagte Marie, »Pallisaden, ein Thor mit dreifachem Schloß und Riegel sperren im Hofe die Zwingburg ab und auch dieser geheime Gang ist durch mehrfache eiserne Thüren gesperrt.«

»Und wenn das ganze Raubnest in Flammen aufgehen sollte,« rief Arthur, »ich werde mir den Weg zu Dir zu bahnen wissen.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als vom äußersten Ende des Jagdsaals herüber ein Schuß ertönte und eine Kugel hoch über Arthurs Kopf in die Thurmmauer schlug.

»Ich kann auch tiefer zielen,« rief eine schmetternde Stimme herüber; wiederum brach die Violine der Zigeunerin mit einem kreischenden Ton ab; die wilden Tänzerinnen drängten sich wie vom Habicht verfolgte Tauben in einen Winkel des Saals; eine Reitpeitsche sauste dem hünenhaften Wächter um die 79 Ohren. »So gebt Ihr mein Geheimniß preis? Fort, herunter mit allen und fest zugeschlossen, fest!« Die gescheuchten Tauben flatterten durch die Wandthüre; der Hüne ergriff Marie mit starkem Arm, während Arthur den Säbel aus der Scheide riß, um sich zur Wehr zu setzen, denn die Reitpeitsche fortwerfend und den Säbel aus der linken Hand in die rechte nehmend, stand mit funkelnden Augen der Graf vor ihm. Marie verschwand mit einem kreischenden Schrei in dem geheimen Gange. Arthur trat die Stufen des Thurmzimmers herunter und stand, den Säbel in der Parade haltend, dem Grafen gegenüber.

»Das ist der Dank für meine Gastfreundschaft« rief der Graf schäumend vor Wuth, »ich kehre zurück, weil ich zu spät daran gedacht hatte, dem Wächter die nöthigen Ordres zu ertheilen! Ihr aber drängt Euch in den Kreis dieser Frauen, buhlt um die Gunst der eigensinnigsten Schönen, die sich Euch holder erweist als mir, – ha, sacredieu, das fordert Blut.«

»Mich kümmert's nicht,« rief Arthur, »wie viele gefällige Schönen Ihr in Euerm Burgverließ verbergt, doch daß Ihr eine einzige hier gefangen haltet wider ihren Willen, das ist unritterlich und verbrecherisch und verdient von jedem wahren Edelmann gezüchtigt zu werden.«

80 »Das ist die freche Sprache eines Eindringlings,« rief der Graf, »so steht mir Rede, die Waffe in der Hand!«

Bald sprühten die gekreuzten Säbel in der Beleuchtung der Ampeln funkelnde Lichter; Arthur hatte noch nicht die volle Kraft zu freier Bewegung; der Graf aber verlor über seiner tollen und wilden Leidenschaftlichkeit jede Vorsicht; seine Wuth, hier Widerstand zu finden, wo er als Herr gebot, riß ihn blindlings fort und so gelang es seinem Gegner, das Uebergewicht in diesem Kampfe zu gewinnen. Ein Säbelhieb, der den rechten Arm des Grafen traf, lähmte diesen und der Säbel entfiel seiner Hand.

»Die Lehre that Euch noth, Graf!« rief Arthur, »ich werde Alles aufbieten, das Täubchen aus den Krallen des Geiers zu befreien. Euer Leben schone ich jetzt, doch gegen jeden heimtückischen Ueberfall bin ich gewaffnet und wer mir zum zweiten Male zu nahe kommt, den schone ich nicht mehr, der wagt sein Leben! Noch aber hoffe ich, daß ich nicht in einer Räuberhöhle, sondern in dem Hause eines Edelmannes weile.«

Und er zog sich in sein Zimmer zurück, schob die noch offenstehende Rahmenthüre vor, die er dann durch einen großen Bücherschrank verstellte und überließ den Grafen seinem Schicksal.

81 Am andern Morgen vernahm er, daß der Graf bettlägerig war und daß man nach dem Arzt geschickt hatte. Er selbst sandte einen zuverlässigen Boten an das nächste Militair-Commando mit einem Schreiben, in welchem er soldatische Hilfe verlangte und um ein anderes Quartier ersuchte; die Ausrüstung und Werkzeuge, welche die Mannschaft mitbringen sollte, hatte er genau angegeben.

Nach zwei Tagen erschien ein soldatisches Commando im Hof und machte sich durch eine Salve bemerkbar, die es in die Lüfte feuerte. Einen Augenblick schien es, als solle den Eindringlingen Widerstand geleistet werden. Der Wirthschafts-Inspector sammelte seine Getreuen aus den Scheuern und von den nächsten Feldern und waffnete sie mit Heugabeln, mit Stangen und einigen rostigen Säbeln, wie sie ehemalige Soldaten in ihren Stallgelassen über dem Strohlager hängen hatten, doch dem wilden Haufen fehlte jede Leitung und der Muth zum Angriff. Dieses halb polnische Aufgebot, dem die Noth und schlechte Pflege aus allen Löchern der zerrissenen Jacken sah, blieb kleinlaut hinter dem Düngerhaufen des Hofes stehen. Nach der lebhaften Ankündigung durch die Salve öffnete sich das Schloßthor; Arthur hatte dafür Sorge getragen, indem er den kundigen Lenker des Mechanismus mit der Pistole bedrohte. Mit 82 dem commandirenden Unteroffizier trat er vor das Bett des Grafen.

»Geben Sie jetzt das Mädchen heraus, welches Sie wider seinen Willen hier gefangen halten?«

Der Graf lag im Wundfieber, er sah mit glühenden Blicken auf die preußischen Uniformen; doch er antwortete nicht und wandte sich zur Seite.

»Ich wiederhole meine Frage,« sagte Arthur, »Sie zwingen uns sonst Gewalt zu brauchen.«

»Nun, so brauchen Sie Gewalt,« erwiederte der Graf, »verletzen Sie das Hausrecht, rauben Sie ein Mädchen, welches mir Dank schuldig ist, welches ich gerettet habe und das jetzt zufällig die vorübergehende Grille hat, mein Schloß zu verlassen; thun Sie dies Alles, wenn Sie es können! Ich protestire gegen diese Gewalt; es ist die Frechheit siegestrunkener Horden, die unser schönes Schlesien verwüsten, ich bin hier machtlos. Doch freiwillig gebe ich so schamloser Forderung nicht nach!«

»Wohlan denn,« sagte Arthur, »an's Werk!«

Er begab sich mit dem Unteroffizier und mit den Soldaten in den Hof, wo der merkwürdige Bau, umgeben von Pallisaden, mit dem verschlossenen eisernen Thor sich erhob. Eine neue Salve . . . Trommelwirbel . . . der dreifache laute Ruf: In die 83 unterirdischen Gänge! ertönte als genügende Warnung für die Bewohnerinnen des Bollwerkes. Der metallene Mörser der Petarde wurde an sein Brett geschraubt, das Brett an die Pallisaden gehängt und der Sprengsatz durch den Zünder angesteckt. Ein schmetternder Schlag . . . und in die Wehr der Pallisaden war eine gewaltige Lücke gerissen, während die verkohlten Holzstücke durch die Lüfte flogen.

Es folgte abermaliger Trommelschlag und Warnruf! Jetzt galt es dem eisernen Thor! Zwei Petarden saugten sich an ihm fest und mit einem unerhörten Donner schlug es wie mit krampfhaftem Flügelschlag zusammen; Mauer und Dach stürzten ihm nach. Als der Dampf und der wirbelnde Staub des Schuttes sich verzogen, drang Arthur in die Bresche; er gelangte in Frauengemächer von zierlichstem Behagen und Schmuck; sie standen leer und vergebens suchte er nach einem Ausgang. Da bewegte sich ein Wandspiegel, der kein Anzeichen dafür bot, daß er eine geheime Thüre bilde . . . . und Marie stand vor ihm. Der Wächter hatte sie selbst dem eindringenden Feind entgegengeschickt, um weitere Gewaltthat zu hemmen. Sie war bleich von dem Schrecken, den der Donner der Explosion bis in die unterirdischen Räume verbreitet hatte; und doch schwebte über ihren bleichen Zügen ein Lächeln der Freude, als sie Arthur erblickte.

84 »Du bist die Einzige,« fragte er sie, »die sich aus diesem Kerker fortsehnt?«

»Die einzige,« erwiderte Marie.

»So kümmern wir uns nicht um die andern! Du bist frei, folge mir!«

»Mein Beschützer . . . wie soll ich Ihnen danken!«

»Folge mir! Vorwärts, Soldaten!«

Arthur's Habseligkeiten hatte inzwischen der Bursche geordnet; ein kleiner Wagen wurde im Dorfe aufgebracht; Marie setzte sich auf den Strohsitz, der ihr hier zurechtgemacht war; auch Arthur, der noch immer nicht reiten konnte, nahm neben ihr Platz. Die Soldaten begleiteten den Wagen, und bald lag das Schloß des wilden Grafen hinter ihnen. Der Zug bewegte sich durch einige Dörfer, bis er den Sitz des militairischen Commandos erreicht hatte. Die Offiziere hätten über diese soldatische Entführung gewiß spöttische Bemerkungen nicht unterdrückt, wären sie nicht durch Arthur's Brief von den eigenthümlichen Vorgängen auf dem Schloß des Grafen unterrichtet gewesen. So betrachteten sie Marie nicht ohne eine Gefühl von Mitleid, zugleich aber mit einer gewissen Verwunderung, da sie nicht recht begriffen, wie das bleiche zarte Mädchen eine solche Leidenschaft einflößen könne. Nach ihrem Geschmack war es keinesfalls . . . 85 und sie machten Arthur gegenüber kein Hehl daraus.

Da der Schulze des Dorfes mit seiner Frau gerade eine Fahrt nach Breslau unternahm, so vertraute ihm Arthur das Mädchen an; dort aber sollte eine andere für sie sorgen, er empfahl sie in einem Briefe an seine Agnes. Er wußte, daß dem freidenkenden heitern Mädchen jeder eifersüchtige Gedanke fern liege, und er fühlte es mit Stolz, daß er hierin der Freundin voll und ganz vertrauen könne. Mit Stolz . . . denn wie wenige Mädchen und Frauen halten in ihrem kleinlichen Sinn sich von solchen Anwandlungen fern! Galt doch die Eifersucht stets für einen sichern Beweis der Liebe . . . und doch ist sie nur das krampfhafte Fieber einer sich unsicher und bedroht fühlenden Leidenschaft, sie hat dieselben Wurzeln mit dem Geiz und dem Neid und gedeiht nur in einem engherzigen Sinn. Agnes, das wußte Arthur, hatte ein viel zu freies und offenes Gemüth, um kleinlichen Bedenken Raum zu geben, oder gar einer unheimlichen Leidenschaft den Zutritt zu gestatten und dabei war sie umsichtig und weltgewandt, wie wenige, und ihre Sorge für das Mädchen schlug gewiß die richtigen Wege ein.

O wie gerne wäre er selbst dem armen Kinde nach Breslau gefolgt; oft schon in seinen Träumen 86 sah er die Thürme der alten Stadt ragen als Wahrzeichen seines höchsten Glückes; und in der That faßte er auch den Entschluß, wenn der Krieg wie jetzt noch lange in fruchtlosen Hin- und Hermärschen ohne Aussicht auf eine große Entscheidung bestehen sollte, sich zu den Truppen in den Vorstädten von Breslau versetzen zu lassen, in die Nähe der Geliebten, mit der vereint er für die beiden Verlassenen, den Vater und die Tochter, sorgen und sie zusammenführen wollte. 87

 


 


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