Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Siebentes Kapitel.

Die türkische Potiphar.

Arthur hatte sich am nächsten Vormittag auf dem Oberamt eingefunden und von Sigismund in der That den gewünschten Schein erhalten, der ihm Zutritt in den Kerker der Jesuiten verschaffen sollte. Er begab sich damit ausgerüstet in die alte Burg, in welcher der Orden seinen Wohnsitz genommen und die Gemächer und Säle, die früher für fürstliche Schauscenen, Huldigungen der Stände und Empfang der Gesandten bestimmt waren, für seine Zwecke sich angeeignet hatte. Arthur schritt durch das große gewölbte, oben mit einer Gallerie versehene Portal in den ersten Hof der Burg. Der Freibrief des Oberamts that seine Schuldigkeit. Ein Pater mit einem edelgeschnittenen Gesicht, mit einem Auge, aus welchem ein feuriger Geist, ein reges Gemüth sprach, obschon das ergraute Haar spätere Lebensjahre anzeigte, wurde 122 zur Führung des Junkers bestimmt. Ihm war, wie es schien, die Oberaufsicht über die unterirdischen Gefängnisse soeben erst anvertraut worden; er mußte die anderen Ordensbrüder um Rath und um den Weg fragen. In der That erfuhr Arthur aus diesen Gesprächen, daß Pater Nikolaus erst seit wenigen Tagen in der Burg verweile; er führte mit einer wohlwollenden Freundlichkeit den Junker durch ein großes Thor, in den zweiten Hof und in einen der starken Defensionsthürme, welche nach der Oder zu den früheren Herrschersitz schirmten. Hier ging es dann eine dunkle Treppe abwärts; mehrere schwere Thüren mußten aufgeschlossen werden, ehe Arthur in die Zelle trat, in welcher der würdige Schwenckfelder Emanuel saß, bei dem schwachen Oberlicht, welches durch das vergitterte Kellerfenster fiel, in einem Buche lesend. Der Jesuit beeilte sich, die Zelle wieder zuzuschließen und ließ den Junker mit dem Gefangenen allein; Arthur begrüßte den Freund mit Herzlichkeit, doch nicht ohne einen Anflug von Wehmuth; denn er sah, daß seine blassen Züge jene körperliche Verkümmerung verriethen, welche die unvermeidliche Folge einer Haft in diesen ungesunden Räumen war.

»Leider!« rief Arthur, »bringe ich Euch nicht die Freiheit,« und als Emanuel mit den Achseln zuckte, als verzweifle er überhaupt daran, daß ihn dies 123 Geschenk je wieder erfreuen werde, fügte der Junker rasch zum Trost hinzu: »Doch Ihr werdet wieder frei werden! Ich habe schon jetzt dafür gethan, was ich irgend vermag, und daß ich hier Zulaß finde, in dem verborgensten Ordensgefängniß, mag Euch beweisen, daß meine einflußreichen Verbindungen sich bereits bewährt haben und daß Eure Angelegenheit in guten Händen ist.«

»Luft und Licht, wie sehne ich mich nach ihnen!« erwiderte der Gefangene, »auch die Seele kann sie nicht entbehren. O ich fühle es, wie ihre Flügel lahm werden! Da verlernt zuletzt auch das Auge, nach der Sonne zu sehen! Und doch ist die Sehnsucht danach immer in mir lebendig. Und so bedarf auch der Geist der Nahrung; man hat mir einige Bücher gelassen; ich vertiefe mich in sie mit Aufopferung meines Augenlichtes, denn es ist nur ein schwacher Wiederschein des Tages, der hier in diese dumpfen Räume dringt. Darum Dank, herzlichen Dank, daß Ihr mir die Freiheit von fern zeigt, daß Ihr sie mir erringen helft! Ich habe keinen Freund mehr hier in dieser Stadt als Euch.«

Emanuel räumte dem Gast seinen Schemel ein und setzte sich selbst auf sein Strohlager; mit einer Erquickung, wie er sie lange nicht gekannt hatte, lauschte er auf die Mittheilungen Arthurs von Rheinsberg 124 und dem jungen Preußenkönig. Was war das für eine andere Welt; andere Gestirne bewegten sich an jenem Horizont; wie war dort alles weit, licht und glorreich, hier alles eng, dumpf und schmachvoll! Doch nach diesen Mittheilungen bat auch Arthur den Freund, ihm seinen Lebensgang zu erzählen, der gewiß viel des Ungewöhnlichen aufzuweisen habe; vielleicht könne er dies oder jenes Erlebniß bei dem Oberamt zu seinen Gunsten wenden. Emanuel zögerte nicht, dieser Bitte zu willfahren; seine Phantasie führte vor seine eigene Seele alle Gestalten, die ihm nahe gewesen, mit solcher Lebhaftigkeit, daß er mit liebevollem Verweilen, wie es das Erinnern an vergangene Zeiten oft mit sich bringt, das Buch seines Lebens aufschlug und umblätterte, der traurigen Gegenwart fast vergessend. Arthur aber hörte mit Andacht zu; denn es sprach ein edler Sinn aus diesen Geständnissen, und manches traurige Erlebniß heischte innigen Antheil. Emanuel begann:

Als ein Kind ländlicher Arbeiter in der Nähe von Jauer geboren, wuchs ich wild im Freien auf. Jahre vergingen, ich sah gedankenlos die Sonne kommen und gehen; denn ich theilte früh die Mühe meiner Eltern, und wenn ich die Saat bestellt, die Pferde des Erntewagens gelenkt, das Korn in der Scheuer gedroschen oder Lasten in die Mühle getragen 125 hatte, da kannte ich am Abend kein anderes Bedürfniß, als den Schlummer. Arbeit und Schlaf – das sind die Pole im Leben vieler Millionen!

Wieder kamen andere Jahre, in denen mir die Welt auf einmal in seltsamer Beleuchtung erschien. Wenn ich auf einem Hügel sitzend in's Abendroth sah, das hinter den Waldbergen aufglühte, wenn ich sah, wie die weiße Birke ihre schimmernden Aeste, die Pappel ihre zitternden Blätter in die rothe Glut tauchte, da überkam mich ein Gefühl, dem ich nicht Rede stehen konnte, ein Gefühl, als wäre ein geheimnißvoller Zusammenhang zwischen mir und der Natur, und wiederum, als wäre dies alles ein großes Wunder, droben der Gang des Tagesgestirns, hier das Keimen und Sprossen der Millionen Pflanzen. Das Nächste und Alltäglichste erschien mir plötzlich so befremdlich und erstaunend, daß ich meine Augen rieb, als könne das alles nur ein Traum sein.

Ich begann nach dem »Warum« zu fragen. Meine Eltern waren der Kirche abtrünnig geworden und der Schwenckfeld'schen Gemeinde beigetreten, vielleicht nur, weil der kirchliche Zwang ihnen lästig geworden war. Jetzt besuchten sie keine Kirche mehr; sie gingen nicht mehr zum Abendmahl. Das Sacrament des Altars war für sie nur eine Gedächtnißfeier, welche blos mit dem Geist genossen werden mußte. Mein Vater 126 konnte indeß meinen Wissensdurst nicht befriedigen. Wohl hatte er einzelne Wahrheiten aus dem Glaubensschatze der Gemeinde in sich aufgenommen; doch vermochte er nicht, sie zu erklären. Und wenn ich ihm von den Gefühlen Kunde gab, die mich bewegten, und deren heimlich inneres Quellen ich nur mit schwerfälligem Stottern schildern konnte, so pflegte er mir stets mit einer Lieblingswendung unserer Prediger zu erwidern: »Das Wort Gottes wird im inneren Menschen geboren, es regt sich in Dir!« Wohl bemerkte ich, daß ich einer geächteten Gemeinde angehöre; denn die Rechtgläubigen wandten sich ab von uns, und ich war oft dem Hohn und der Verachtung ausgesetzt!

Immer mehr gab ich mich meinen Naturträumereien hin; es waren wunderbare, überschwängliche Gefühle, in welche mich die untergehende Sonne, irgend ein Gewölk am Himmel, ja ein über die Getreidefelder dahinschwebender Wolkenschatten versetzen konnte. Es lag für mich ein unerklärlicher Reiz darin, mich loszulösen von Allem, was mich sonst beschäftigte, ja gleichsam von meinem eigenen Körper, und so ganz in der großen Natur aufzugehen. Mir war's in solchen Augenblicken, als spräche Gott zu mir. Die arbeitsfreien Sonntage brachte ich auf den Fluren und in den Wäldern zu, um Blumen zu 127 pflücken und Pflanzen zu sammeln, was durch die vielen Laboranten der Gegend auf unseren Dörfern eine verbreitete Uebung und Kunde war. Gerade der stillen Pflanzenwelt fühlte ich mich innerlich verwandt, während ich die Thiere nicht leiden mochte; denn in ihrer ewigen Unruhe beängstigten sie mich; es ist ja in ihnen derselbe rastlose Trieb, der auch in der Menschennatur liegt und von dem ich mich freimachen wollte, indem ich mich in das friedliche Leben des Alls versenkte. Der Pflanze stiller Zug nach Luft und Licht, ihr ruhiges Entfalten, ihr liebliches Blumenauge: das entsprach den Stimmungen, die mich beherrschten. Und wenn die Eichen und Buchen über mir rauschten, da glaubte ich oft den Strom des ewigen Lebens zu vernehmen, der, wie er hier durch den Luftkreis zog, durch die Tiefen der Erde sich als quellendes Leben ergoß und oben mit den Sternen in ewigen Bahnen kreiste.

Lange Jahre vergingen, ich war Mann geworden, aber geblieben, was der Knabe, der Jüngling war, ein Feldarbeiter. So gewöhnt hatte ich mich an diesen beschränkten Kreis, daß nicht einmal in meinen Träumen mir eine andere Art und Weise des Lebens vorschwebte. Einst sammelte ich Blumen im Walde, sternblättrigen Waldmeister und Labkraut: bereits lag ein großer würziger Strauch neben mir, als ich in 128 einem Wiesengrund beschäftigt war, jene seltenen und schönen Parnassien zu pflücken, in deren Kelch oft eine so seelenhafte Bewegung der zarten Fäden wie ahnungsvoll die Geheimnisse eines höheren Lebens verkündigte. Da hörte ich plötzlich eine Stimme über mir ertönen, kräftig und sanft zugleich: »Warum pflückt Ihr diese Blumen?« Ich sah empor und erblickte einen Greis von hoher Gestalt, mit freundlichen blauen Augen und mildem Lächeln. Frische und Gesundheit röthete seine Wangen; er trug einen knorrigen Wanderstab, und an seiner Seite hing eine große Blechkapsel.

»Es macht mir Freude, sie zu besitzen,« entgegnete ich..

Damit begann ein längeres Gespräch. Der Fremde zeigte sich bald als ein großer Pflanzenkenner und sprach dabei Gedanken aus über Natur und Leben, die mich freundlich anmutheten, denn er berührte damit jene Saite in meinem Innern, die oft so geheimnißvoll erklungen war, ohne daß ich meinem Gefühle hätte Worte leihen können. Auch er schien an mir Gefallen zu finden; er erkundigte sich nach allen meinen Verhältnissen, und als wir, durch den Wald wandernd, auf der großen Heerstraße angekommen waren, die nach Jauer führt, und ich mich von ihm trennen wollte, frug er mich, ob ich Lust hätte, 129 in sein Haus zu ziehen, mit ihm Pflanzen zu sammeln und sie zu Heiltränken zu bereiten? Ich solle es mir überlegen! Sei ich aber solchen Sinnes geworden, so erwarte er mich am nächsten Sonntag um die gleiche Nachmittagsstunde an demselben Kreuzweg. Nach freundlichem Gruß schritt er den Thürmen von Jauer zu, die sich in der Ferne erhoben.

Ich konnte mich lange nicht an den Gedanken gewöhnen, daß ich, des schweren Tagewerkes ledig, einer Lieblingsbeschäftigung würde nachgehen können. Dabei fragte ich mich, wer der Alte sein mochte, und ob er vielleicht bei seiner freundlichen Einladung geheime Absichten verfolge. Trotz dieser Zweifel war ich entschlossen, mein Glück zu versuchen.

Ich nahm Abschied von meinem Vater und fand mich mit meinem Reisebündel zur bestimmten Stunde an der Jauer'schen Heerstraße ein. Unverwandt richtete ich meine Blicke auf die fernsten Wanderer, welche von der Stadt her des Weges kamen, doch immer wurde ich enttäuscht; Viertelstunde verging auf Viertelstunde; der Alte kam nicht. Aergerlich warf ich mich in's Gras, in den Schatten eines blühenden Kirschbaumes; ich kümmerte mich nicht um Roß, Reiter und Fußgänger auf dem Wege. Ich entschlummerte, das beste Heilmittel für das ungeduldige Harren, wie der Tod es ist für des Lebens rastlose Ungeduld.

130 Da weckte mich eine Knabenstimme; ein pockennarbiger, hochaufgeschossener Junge fragte mich, ob ich hierher von einem alten Manne bestellt worden, und als ich dies bejahte, forderte er mich auf, ihm zu folgen. Er verhielt sich auf dem ganzen Wege schweigsam und erwiederte mir auf alle meine Fragen, er wisse nichts, ich würde in Jauer schon das Nähere erfahren.

Wie erschrak ich, als mich der Knabe in den düstern Gefängnißthurm führte, von dem ich schon so viel Unheimliches gehört; ich zögerte, über die Schwelle zu treten, doch der Knabe ermuthigte mich und sagte, es würde mir nichts zu Leide geschehen. Er brachte mich zu seinem Vater, es war der Sohn des Gefängnißwärters.

»Ich darf Euch nicht zu dem alten Manne führen, der hier gefangen sitzt,« sagte er, »wenn ich mich streng an meine Ordre halte. Doch wenn Ihr mir versprecht, nie davon zu reden –«

»Mit Freuden,« sagte ich, ihn unterbrechend.

»So will ich ihm seinen Wunsch erfüllen; er hat mir einmal durch eine Arznei das Leben gerettet, und ich bin ihm Dank dafür schuldig.«

Er führte mich in eine Zelle, in welcher ich den Alten aus dem Walde fand, ganz so freundlich und heiter wie unter den Blumen.

131 »Was Ihr hier zu sprechen habt, müßt Ihr in meiner Gegenwart verhandeln,« sagte der Kerkermeister.

»Lieber Freund,« begann der Alte, »ich bin hier wegen eines kleinen Fehls gegen die Sonntagsordnung in Haft. Das dauert nur einige Tage. Ich bin Georg Haubtmann, Chymikus und practicus medicinae, und gelte etwas bei meinen Glaubensgenossen, den Schwenckfeldern. Ich brauche einen jungen Laboranten als Gehilfen. Begieb Dich nach Lautersseifen; dort steht mein Haus, und meine Hauswirthin, die von Deiner Ankunft unterrichtet ist, wird Dich gastlich empfangen. Ich kehre bald heim und wir gehn dann zusammen an's Werk.«

Ich hatte den Namen Haubtmann's im elterlichen Hause oft nennen hören; denn er war das Haupt der Schwenckfelder in jener Gegend; ich freute mich der Auszeichnung, die in solcher Berufung lag, besonders wenn ich an die Freude dachte, die mein Vater darüber empfinden würde, dankte dem wackern Mann für sein Vertrauen und setzte meinen Stab weiter nach Lautersseifen.

Es war ein stattliches Haus, in das ich trat; wenn auch die Räume, in denen der Besitzer selbst waltete und schaltete, einfach waren, sowohl die chemische Küche, wie das Arbeits- und Studirzimmer des Chymikus, so herrschte doch in dem obern 132 Stockwerk ein Luxus, der zugleich etwas Geheimnißvolles und Fremdartiges hatte. Schwere Teppiche dämpften den Schritt; ebenso schwere dreifache Gardinen verdüsterten die Fenster und ließen kaum das Tageslicht herein; prächtige Ottomanen mit gestickten Kissen standen an den Wänden und hohe Spiegel reichten von der Decke bis zu ihnen herab. Ich konnte alsbald diese Wunder anstaunen, denn ich wurde gleich nach meiner Ankunft in eines dieser Zimmer geführt, wo ich eine, in allerlei Schleiern halbverhüllte Dame auf einem Sopha liegen sah; sie erhob sich nicht, als ich eintrat, sondern sagte mir nur mit gebrochenem Deutsch, daß unten für mich ein Zimmer eingerichtet sei und daß ich mit den andern Gehilfen zusammen unten speisen werde. Dann entließ sie mich wieder mit einer leichten Handbewegung. Ich hatte allerlei Märchen gelesen, und diese Frau, deren Züge ich bei der Dunkelheit, die im Zimmer herrschte, nicht erkennen konnte, machte auf mich den Eindruck einer verzauberten Prinzessin.

Lange lastete indeß nicht dies ungelöste Räthsel auf mir; dafür sorgten meine Gefährten, die jungen Laboranten im Erdgeschoß. Ich erfuhr, daß Meister Haubtmann ein großer Weltwanderer sei, daß er von jeder seiner Weltreisen irgend eine Merkwürdigkeit nach Hause zu bringen pflege, daß er aber besonders 133 von seiner letzten Reise nach dem Osten etwas sehr Merkwürdiges mitgebracht habe, nämlich eine leibhafte und lebendige Türkin, die in Konstantinopel gewachsen sei und die er mit Stiel und Stengel und sammt der Wurzel ausgerissen und in's Jauer'sche verpflanzt habe. Sie sei zum Christenthum übergegangen und nach Schwenckfelder Ritus sein ehelich Weib geworden. Man vermuthe, daß sie jung und schön sei, denn es hatte sie Niemand so recht von Angesicht zu Angesicht gesehen. Eine Türkin sei sie aber jedenfalls in ihrem Herzen geblieben; denn sie vergrabe sich hinter Schleiern, Vorhängen, auf Ottomanen und Kissen, fürchte die frische Luft und die deutsche Sonne und lebe, wie sie zu Hause hinter den fensterlosen Mauern des Harem gelebt.

Ich war kaum einige Tage im Hause des Chymikus, als derselbe, aus seiner Haft entlassen, zurückkehrte. In unserer Hausordnung wurde wenig dadurch geändert; er speiste meistens mit uns, nur hin und wieder oben mit seiner Frau. Wir zogen viel mit ihm auf den Fluren und in den Wäldern umher, um Pflanzen einzusammeln. Er bevorzugte mich vor den andern, und seine Gespräche hatten für mich etwas höchst Anregendes und Erweckendes. Ich durfte in den Büchern seiner Bibliothek lesen. Da fand ich Jacob Boehm's »Aurora« und viele Schriften 134 geheimnißvollen und kühnen Inhalts und ich freute mich ihrer Deutung durch den kundigen Meister. Immer mehr zog er mich in sein Vertrauen, und so erfuhr ich auch von ihm, daß er aus Edelmuth die Türkin in seine Heimat geflüchtet habe; er war dort in Konstantinopel in arge Händel verwickelt worden, auf der Flucht vor seinen Verfolgern in ihre Gemächer gerathen, von ihr beschützt worden, sie aber war dadurch dem Gesetz verfallen und nur, indem sie schleunigst mit ihm entfloh, konnte sie gerettet werden.

Hin und wieder sah ich sie; Haubtmann schickte mich bisweilen mit Aufträgen zu ihr hinauf. Nicht immer war sie eine in Schleiern vergrabene Mumie, sie wandelte sogar und sprach und schob mehrmals, wenn ich im Zimmer war, die Vorhänge beiseite, um mehr Licht in das Gemach zu lassen. Fast war mir's, als ob sie noch immer erröthete, wenn sie ohne Schleier sich zeigte, und doch zeigte sie sich mir ohne Schleier. Ich sah in ein volles Gesicht mit schwellenden Lippen und schwimmenden Augen; tiefdunkle Haare umrahmten die üppigen Züge, üppig wie die ganze Gestalt; solchen Reizen, die dem raschen Verfall ihres Zaubers geweiht sind, indem das massenhaft Träge der körperlichen Fülle ihn wachsend erstickt, kann nur die Jugend den Hauch der Schönheit geben. Und sie war jung und deshalb schön, am meisten für mich, 135 dessen Herz, obgleich ich schon lange kein Jüngling mehr war, von Frauenschönheit noch ungerührt geblieben. Die orientalische Umgebung, das gebrochene Deutsch, in dem sie mit mir sprach, die Freundlichkeit, mit der sie mich ansah: das alles regte mich geheimnißvoll an, so daß ich oft des Nachts, aus dem Schlafe erwachend, mich auf Träumen ertappte, aus denen ihr Bild wie mit leuchtendem Schimmer mir entgegentrat.

Bald ging auch mit ihr eine gänzliche Umwandlung vor; sie verließ zu Zeiten ihre Gemächer; sie begleitete uns, wenngleich tiefverschleiert, auf unseren Ausflügen in die Wälder. Freilich kam sie nicht weit; auf irgend einem Waldhügel setzte sie sich nieder und erwartete unsere Rückkehr; sie wand Blumen zum Kranze, worin sie bald eine große Fertigkeit gewann. Sie schenkte die Kränze dem wackeren Chymikus, der über ihre innere Wandlung ein freudiges Behagen empfand. Nur einmal setzte sie wie scherzend mir den Kranz auf's Haupt und ihre Augen leuchteten unter dem Schleier.

So verging ein Jahr in dem Gleichmaß der Arbeit; ich erfreute mich der wachsenden Gunst meiner Herrin. Zwar blieben die Begegnungen noch immer selten; denn besonders den Winter hindurch spann sie sich wie eine Chrysalide in ihre Schleier und 136 Vorhänge ein. War es eine Neigung, die sie für mich empfand? Keinesfalls zeigte sich dieselbe, wie bei den Frauen des Abendlandes, als eine still wirkende Huld, die über den Geliebten wacht. Sie vergaß mich oft wochenlang, und wenn sie dann mit mir sprach, erschien sie mir oft wie ein naschhaftes Kind, dem eitle Begehrlichkeit auf den Lippen glühte.

Da griff in unser stilles Leben plötzlich zerstörend eine fremde Macht ein. Zur Bekehrung der Schwenckfelder sandte der kaiserliche Hof eine Mission der Jesuiten aus und der Landeshauptmann von Liegnitz forderte auf, ihnen nicht hinderlich zu sein, auch nicht unter dem Vorwande, daß sie die Schranken der Mission überschritten. Da bauten sie in Jauer auf dem Markte ein großes Theatrum und hielten von dort aus Reden, wobei sich die Patres abwechselten. Der Eine sprach für Weiber, der Andere für Männer, der Dritte für Junggesellen, der Vierte für Jungfern. Sie zogen in Processionen umher und errichteten überall hohe rothe und schwarze Kreuze zum Zeichen, welch ein Geist jetzt im Lande walte. Harte Bedrängniß aber traf die Gemeinde. Bei strengen Strafen wurde verboten, den Schwenckfeldern etwas abzukaufen, damit sie nicht Geld zur Auswanderung erhielten; ihre Leichen wurden ohne Sang und Klang auf dem Schindanger am Viehweg verscharrt; sie 137 wurden auf einem Schubkarren hinausgefahren, Niemand durfte sie geleiten. Die Ehen der Schwenckfelder wurden für ungiltig erklärt; so erschienen auch eines Tages die Schergen der Jesuiten, klopften an unsere Pforte an und führten Haubtmann in's Gefängniß, zur Strafe dafür, daß er mit einem Weibe wider göttliches Recht zusammenlebe. Diese Haft war von längerer Dauer, als alle früheren.

Die Türkin berief mich zu sich und verlangte von mir zu erfahren, was die heiligen Muftis begehrten und warum sie den Gatten ins Gefängniß geworfen? Ich erzählte ihr, daß man die Ehen der Schwenckfelder und auch ihre Ehe für ungültig erkläre. Da lief sie im Zimmer umher und jammerte, daß sie betrogen worden sei; ich vermochte sie kaum zu trösten. Nach einigen Tagen ließ sie mich wieder kommen; ich bemerkte keine Spur mehr von ihrem Schmerze. Sie wiederholte diesmal wie mit innerer Freude: »Also meine Ehe ist ungültig?« Ich suchte ihr auseinanderzusetzen, daß dies nur die lügenhaften Priester behaupteten, welche gekommen seien, Glück und Frieden der Gemeinde zu stören, daß ihre Ehe vor Gott gelte – sie hatte kein Verständniß dafür. Was die Priester sagten, das sei der Wille Gottes, und wenn sie die Leichen verscharrten auf freiem Felde, so müsse der Zorn Allahs schwer auf den Unsrigen ruhen. Sie 138 schauerte zurück vor dem Anger, wo die Raben zu Gaste kämen, sie wolle hier nicht sterben. Sie drückte mir die Hand; sie schmiegte sich eng an mich; sie bat mich, daß ich sie beschützen möchte.

Wochen und Monde vergingen, Haubtmann kehrte nicht zurück; wir wußten nichts von der Dauer der Haft, zu der er verurtheilt war. Ich mied das schöne Weib soviel ich konnte; ich machte meine Ausflüge mit den Gehilfen, ich war oft thätig unten in der Küche, wo wir die Heiltränke brauten. Doch bis in das Dunkel des Waldes verfolgte mich das Bild der fremdartigen Schönheit. Und doch empfand mein Herz nichts für sie, aber sie hatte meine Sinne, meine Einbildungskraft entzündet. Und wenn ich, von Waldkräutern umduftet, überströmt von dem würzigen Lebenshauch aus niederen Sträuchern und hohen Wipfeln, in heißer Mittagssonne am Waldsee lag, da glaubte ich es oft im Schilf rauschen zu hören und empor, mit dem Schilfkranz im Haar, stieg die Wasserjungfrau, und wenn ich näher hinsah, trug sie die Züge des schönen Weibes, und je mehr sie den Fluten entstieg, desto mehr entzückte mich die schöne Gestalt mit ihren üppigen Reizen.

Ich war krank, ich fühlte, daß ich fort mußte. Doch Haubtmann hatte mir sein Haus zur Bewachung anvertraut; ich leitete sein Geschäft; ich konnte mich 139 nicht entfernen, ohne sein Vertrauen zu täuschen. Während ich so in innerem Kampfe befangen war, trat ein Ereigniß ein, das meinem Zögern nur allzu rasch ein Ende machen sollte.

Eines Tages kam die Negerin zu mir, welche den ganzen Hofstaat der Schwenckfelder Odaliske bildete; sie sagte mir, ich möchte zu ihrer Herrin kommen und wenn ich sie nicht in den vorderen Zimmern träfe, nur ohne Bedenken durch die Thüren nach rechts weitergehen. Ich that, wie mir geheißen; ich kannte bisher nur diese vorderen Räume; ich trat jetzt in ein Cabinet, welches mit noch reicherem Luxus ausgestattet war und durch halboffene Vorhänge den Blick in ein Badezimmer und auf ein kleines, prächtiges Marmorbassin gestattete. Auf einem Divan neben dem Vorhang lag die Türkin, in prächtige Decken gehüllt, aus denen heraus sie mir einen vollen, schönen Arm entgegenstreckte.

»Komm, komm und rette mich! Er hat mich betrogen! Gestern war einer der frommen Muftis bei mir, er hat mir Alles klar gemacht, Alles! Es giebt kein heiliges Band, das mich an ihn fesselt, und weil er mich so lügenhaft verstrickt hat, will ich frei sein!«

Noch immer bot ich meine Beredtsamkeit auf, ihr den Lug und Trug der Jesuiten zu beweisen, die sich auch hier, von uns Allen unbemerkt, eingeschlichen 140 hatten; doch meine Beweisführung war nicht siegreich genug; ich verwirrte mich oft in den Sätzen, denn ich sah die Wassernixe vor mir, und ihr Zauber hatte mir es angethan.

»Du liebst mich nicht,« rief sie statt jeder Widerlegung, »ja, ich fühl' es, Du liebst mich nicht, Du verschmähst meine Schönheit! Und doch – hier das Leben ertrage ich nicht! Fliehe mit mir, laß uns zusammen fliehen!«

Und sie richtete sich vom Lager auf, und unter den sich verwirrenden und halb abgestreiften Hüllen sah ich das Traumbild meiner Mittagsruhe im Walde. Ich trat wie bestürzt zurück zur Thüre: ich wollte fliehen vor dem Zauber, der mich gebannt hielt, doch sie streckte flehend die Arme zu mir aus: »Ich bin frei und will mich der Freiheit freuen! Alles sei Dein, meine Reize, meine Schätze! Dir will ich angehören, wir kehren zurück unter die Palmen des Ostens.«

Wie zur Abwehr streckte ich die Hand aus; denn mir war's, als wenn ein Feuerstrom mir entgegenflutete; ich war ein Mann geworden und hatte nie des Weibes Schönheit gesehen. Ich starrte wie im Traum auf das Wunder der Schöpfung, das so freigebig mit seinem Zauber sich mir offenbarte.

Da plötzlich erblaßte das schöne Weib, sank auf die Kniee, zog mit ängstlicher Hast die Hüllen um 141 sich, wie von plötzlichen Frostschauern befallen und legte die Hände kreuzweise auf die Brust. Ich konnte mir diese Wandlung nicht erklären, ich sah mich um, und an der Thüre, die er leise geöffnet, stand hinter mir der würdige Meister, bleich und still. Mir war's, als sähe ich eine Thräne in seinen Augen; kein Wort des Zornes, keine Verwünschung, kein Fluch kam über seine Lippen. Auch mich befiel nicht Angst, nicht Schreck, nur eine unbegrenzte Liebe zu dem braven Mann, dem ich in diesem Augenblicke alles, auch mein Leben zu opfern bereit gewesen wäre, nur um ihm einen Schmerz zu ersparen.

»Ich bin schuldig,« sagte ich mit dumpfer Stimme; »von wildem Sinnenrausch ergriffen, drängte ich mich in diese Gemächer; doch noch ruht kein Schatten auf dem Glücke Deines Lebens. Es war eine Vermessenheit, für welche ich mich selbst bestrafen will; ich greife zum Wanderstabe und kehre nimmer wieder!«

Und ohne ein Wort des Abschieds zu sagen oder zu verlangen, obschon mein Herz mich drängte, mich an die Brust des Mannes zu werfen, der mir vor allen theuer war, und auf dessen ehrwürdiges Haupt ich den Segen des Himmels herabflehte, verließ ich das Gemach und bald darauf das Haus, das mir zur zweiten Heimat geworden war. 142

 


 


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