Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Zweites Kapitel.

Der Empfang.

Aus dem Posthause von Rheinsberg, wohin Arthur am nächsten Morgen sein Rößlein gelenkt, wanderte er im Strahl der Nachmittagssonne dem Schlosse zu. Er hatte sich bereits bei Frau von Katsch anmelden lassen und war zum Nachmittagskaffee von ihr eingeladen worden. Erstaunt über den ungezwungenen Ton, der, wie aus dieser Einladung hervorging, im Schlosse herrschen mußte, hatte Arthur auch kein Bedenken getragen, als schlichter Fußgänger nach dem Schlosse zu pilgern, um alle Eindrücke ungestörter und nachhaltiger auf sich wirken zu lassen.

Arthurs Einbildungskraft, genährt mit den Vorurtheilen seiner heimatlichen Kreise, hatte sich Schloß Rheinsberg als eine düstere Burg gedacht, um deren Zinnen die Dohlen und Eulen flatterten, und in deren Verließen, Gemächern und Sälen ein geheimnißvoller 182 Kreis von Verschwörern und Gotteslästerern sich versammle. Sein frischer, jugendlicher Sinn hatte zwar inzwischen gelernt, diese Uebertreibungen zu verlachen, seine Phantasie aber dennoch bis jetzt keine Muße gefunden, dies in dunkeln Umrissen ihr vorschwebende Bild zu verbessern.

Wie war er von dem lichten prächtigen Eindruck des Schloßvierecks und der zwei flankirenden Thürme überrascht! Daß hier ein »Sitz des Lichtes« sei, schienen schon die Bildsäulen der Brücke anzudeuten, denn sie stellten die sieben Planeten vor, und jede hielt eine Laterne in Gestalt der Himmelskugel in der Hand. Arthur trat durch ein Portal, welches in großen, schön geschmückten Lettern die Inschrift trug: Friderico tranquillitatem colenti! Ein junger Prinz, der im Soldatenstaat der Potsdamer Garde die Ruhe der Natur, den Frieden der Musen genießt! Ein Prinz, der auf eine Königskrone hinaus, in einen düstern Kerker und auf ein Todesurtheil zurückblickt, vielgerühmt, vielberufen, verketzert als Freigeist, als Gottesleugner, als Roué, hochgepriesen als ein begabter, nach höchsten Zielen strebender Königssohn! Hier aber, welche anmuthige Gegenwart neben der düstern Vergangenheit, der lichten Zukunft! Alles so still – die Mittagssonne wirft ihre Strahlen; die Statuen, die von den Attikas der Vorsprünge 183 herabsehen, die Thürme selbst zeichnen ihre Umrisse ruhig ins Rasengrün; aus einem Laubdach blickt der Kirchthurm des Städtchens, blicken seine Dächer hervor.

Der innere Schloßhof aber bietet ein noch anmuthigeres Bild! Denn durch einen langgestreckten offenen Säulengang blickt das Auge auf den blauen, hellglänzenden Spiegel eines See's, auf welchem sich eine grüne Insel zu schaukeln scheint, während ein Hügelkreis von hohen Laubwäldern mit frischem Maigrün und bläulich darüberschwebendem Frühlingsduft das heitere Bild abschließt. Hell am lichten Mittagshimmel aber zeichnen sich die Vasen und Kindergruppen, welche die Gallerie über dem Säulengange krönen.

Ein Geist des Friedens, der Beschaulichkeit kam über Arthur an dieser künstlerisch geschmückten, durch den Reiz ländlicher Natur verschönten Stätte. Er freute sich, daß er um eine halbe Stunde zu früh gekommen war, indem er so sich noch länger den anmuthigen Träumereien hingeben konnte. Er bog in den Garten ein, der sich an der einen Seite des See's lang hinzieht und beschritt die Hauptallee, welche auf einen mit hieroglyphischen Figuren bedeckten Obelisken zuführt. Weiterhin blickten aus dem Gebüsch Tempeldächer, Eremitagen, kleine Pavillons und Lusthäuserchen in buntem Gewirre. Ein prächtiges Orangeriehaus 184 schien noch nicht ganz vollendet. Arthur erblickte vor demselben ein Melonenbeet, dessen Glasscheiben von dem Gärtner emporgehoben wurden, während ein Anderer damit beschäftigt schien, das Gewicht der einzelnen sehr stattlichen Kinder des Mistbeetes prüfend abzuwägen. Eine sehr gewichtige Frucht, welche er mit dem Messer aus dem großblätterigen Geranke losgeschnitten, hatte seinen besonderen Beifall gefunden; denn er wog sie wohlgefällig in der Hand. Als Arthur näher trat, erkannte er, trotz seines einfachen hechtgrauen Rockes, an der Haltung und dem Ausdrucke des Gesichtes, daß dieser Mann kein Gärtner, sondern wohl ein Hofcavalier sein müsse und grüßte ihn mit schuldiger Höflichkeit.

Sein Gruß wurde freundlich erwidert; ein großes Auge sah ihn freundlich und fragend zugleich an. Der Cavalier befahl dem Gärtner, diese Melone zur Versendung nach Berlin einzupacken und wandte abermals dem Fremden einen fragenden Blick zu. Arthur hielt sich für verpflichtet, sein Eindringen in Schloß und Garten zu rechtfertigen und zögerte nicht mitzutheilen, daß sein Besuch der Frau Oberhofmeisterin von Katsch gelte.

»Ich geleite Sie gern zu dieser würdigen Dame,« entgegnete der Cavalier, »da auch mein Weg mich zu ihr führt. Es ist Sitte im Schlosse, daß der 185 Nachmittagskaffee abwechselnd in den Gemächern der verschiedenen Damen genossen wird – und heute ist Frau von Katsch an der Reihe.«

Der Begleiter des Junkers beflügelte indeß keineswegs seine Schritte, er machte sich beim Vorübergehen bald hier bald dort geschäftig mit den Gewächsen und Beeten zu thun; ja er machte einen offenbaren Umweg durch einen abgelegenen Theil des Gartens, dessen Gemüsebeete und Obstbäumchen weniger der Schönheit, als dem praktischen Nutzen huldigten. Er ließ es sich dabei nicht verdrießen, von einzelnen Kirschbäumen die Raupen abzulesen, welche die Frucht zu schädigen drohten.

»Wir kommen noch zeitig genug zur Oberhofmeisterin. Wundern Sie sich nicht, daß ich den Gärtnern in's Handwerk greife! Doch ich führe die Oberaufsicht über die Gärten – man gewinnt Alles lieb, mit dem man sich angelegentlich beschäftigt, und ich kann sagen, daß für mich jedes Bäumchen hier seine Geschichte hat.« Dann ging's an Gemüsebeeten vorüber, bei denen der Cavalier einige Zeit verweilte, indem er mit Wohlgefallen die geradlinigen Reihen und das regelmäßige Wachsthum der jungen Gemüse beobachtete. Endlich bog er wieder in den parkähnlichen Theil des Gartens ein und trat mit seinem Begleiter in eine Seitenthüre des Schloßflügels. In 186 den Corridoren huschten mit tiefen Knixen einige Zofen vorüber und Arthur glaubte in einer derselben die geheimnißvolle Briefträgerin aus der Waldschenke zu erkennen.

Lebhaftes Gespräch und lautes Gelächter scholl ihnen entgegen, als sie die Thüre des Kaffeesalons der Oberhofmeisterin ohne weitere Meldung öffneten. Ein großer Kreis von Herren und Damen war hier versammelt – alle in modischer, doch leichter Sommergewandung und, wie es schien, in der heitersten Laune von der Welt. Doch wie erstaunte Arthur, als der ganze Kreis sich mit ehrfurchtsvollem Gruße erhob, der nur seinem Begleiter gelten konnte! Er wandte den Blick mit einer gewissen Scheu auf ihn und wurde jetzt erst durch das große flammende Auge und durch den Geist, der aus den jugendlichen Zügen sprach, betroffen.

»Ohne Störung! Ich bringe hier einen Gast aus Schlesien mit, den Neffen der Oberhofmeisterin.«

»Königliche Hoheit sind sehr gnädig,« entgegnete eine ältliche schlanke Dame mit etwas spitzen, aber durchaus nicht unangenehmen Zügen.

Arthur verbeugte sich tief gegen den Prinzen. »Hätt' ich ahnen können –«

»Schon gut,« fiel ihm dieser ins Wort, »Sie sind mir so am besten vorgestellt!« Dann begrüßte Arthur 187 seine Tante mit ehrfurchtsvollem Handkuß, während diese sich zunächst auf ein freundliches und herzlich gemeintes Lächeln beschränkte und ihr Auge mit Wohlgefallen auf dem frischen Jüngling ruhen ließ. Hinter mehreren Stickrahmen fielen einige beobachtende Blicke auf den neuen Eindringling, und das wohlwollende Lächeln, mit welchem an den Rosen und Tulpen, Hirschen und Mohren fortgearbeitet wurde, zeigte, daß das zarte Gewissen der Hofdamen gegen den Neffen der Oberhofmeisterin keinerlei Bedenken hege. »Ei Frau Tourbillon,« flüsterte der Prinz, nachdem die feierliche Vorstellung des Herrn von Seidlitz stattgefunden, zu seiner Nachbarin, einer wie Feldmohn blühenden Schönheit von großer Unruhe und Beweglichkeit, welche ein Kleingewehrfeuer von Blicken nach allen Seiten hin sprühen ließ, »wie gefällt Ihnen denn das junge Oesterreich?«

»Aechter Rittersporn,« entgegnete Frau von Morien, indem sie von ihrer Stickerei aufsah, »naturwüchsige Feldblume! Ein frischer, fröhlicher Menschenschlag muß da im Schlesierlande sein! Sehen Hoheit nur meinen Verehrer dort, den Herrn Bielefeld – er wird nicht allzu viel älter sein – welch ein Unterschied! Das ist nordisches Blut – ächte Hamburger Finance! So weise, so bedächtig – der macht nur einen dummen Streich, wenn er sich verrechnet hat! 188 Der Schlesier aber kann gewiß nicht rechnen, der ist ganz Empfindung!«

»Lassen Sie mir Bielefeld in Ruhe! Das ist ein ächter Edelstein, schleift sich ab in unseren Kreisen! Zwar fühlt er sich noch immer etwas als Paria – seine bürgerliche Herkunft drückt ihn! Er ist noch unsicher, schüchtern.«

»Nun, was das betrifft,« entgegnete die muntere Frau, »so macht er anerkennenswerthe Fortschritte! Er hat seine Schüchternheit fast ganz abgelegt!«

»Das müssen Sie freilich am besten wissen,« sagte der Prinz mit Lachen, »denn mir scheint, daß er bei keiner anderen Lehrmeisterin Stunden nimmt, als bei meiner reizenden Nachbarin. Doch sehen Sie nur, wie unser Gast bereits in's Feuer geräth!«

In der That hatte Arthur so viele Fragen seiner Tante nach schlesischen Zuständen und Verhältnissen zu beantworten, daß seine Phantasie ganz in die Heimat zurückversetzt wurde und er mit den lebendigsten Farben ein Bild ihrer Schönheiten und Vorzüge entwarf. Da die meisten anwesenden Damen außer der märkischen Schweiz und den pommerschen Landseen wenig Naturschönheiten kannten und auch für die Herren Schlesien, welches seitab von der Heerstraße der neuesten brandenburgischen Geschichte lag, eine terra incognita war, so hörten Alle mit 189 Theilnahme auf die begeisterten Schilderungen des Junkers, und auch Friedrich überließ seine kokette Nachbarin ihren Stickereien, und wandte sein tiefes Auge, das von eigenthümlichem Glanze leuchtete, dem Erzähler zu.

»Gewiß, ein schönes Land,« unterbrach er ihn plötzlich, »und unseren Vorfahren nicht fremd! Sie besaßen Herzogthümer in jenen Bergen und verloren ihren rechtmäßigen Besitz, nur weil sie für die Freiheit des Glaubens gegen kaiserliche Bedrückungen stritten. Das ist ein altes Unrecht, für welches wir mit Haus Habsburg abzurechnen haben!«

»So ist's recht, mein Prinz,« rief ein kleiner Tischgenosse von tiefdunkler Gesichtsfarbe, kleinen Augen, mit einer Nase, welche etwas breit gequetscht der Antike nach Kräften Hohn sprach, »niemals zu Oesterreich gesagt: Soyons amis, Cinna, wie Augustus in Corneilles unsterblicher Tragödie! Niemals, o Augustus, wenn Dich die Krone schmückt, schmeichle und streichle mit Deinem Scepter den Nachbar im Süden!«

»Bravo, Cäsarion, unerschöpflicher Citatenborn,« sagte der Nachbar des quecksilbernen Redners, ein Männlein mit feurigen Augen, großen schwarzen Augenbrauen, dunklem Bart. Man konnte dies etwas wilde Gesicht, wenn es von geistigem Feuer beseelt war, mit einem brennenden Dornbusch vergleichen.

190 »Herr von Keyserling ist immer so glücklich, den Beifall des Herrn Jordan sich zu erringen,« warf Frau von Morien dazwischen, »und das will viel sagen, denn uns anderen gelingt dies nicht in gleichem Maße, wenn wir uns auf das Gebiet der Gelehrsamkeit begeben.«

»Er ist zu kriegerisch und sucht fortwährend Händel,« sagte eine bleiche, aber anmuthige junge Dame mit schwärmerischem Augenaufschlag, welche bisher, ganz in ihre Arbeit vertieft, nur hin und wieder den Prinzen eines verstohlenen Blickes gewürdigt hatte.

»O nein, Frau von Brandt,« entgegnete der bewegliche Keyserling, indem er aufsprang und auf die in der Fensternische sitzende Dame zutänzelte, »ich liebe den Frieden, das Pastorale! Und giebt's ein schöneres Pastorale, als unser Rheinsberg? Unsere holden Chloë's und Daphne's führen uns wie Lämmlein am rosenrothen Bande – der Klang der Hirtenflöte tönt zur himmlischen Venus empor, wenn sie über dem Buchenhain am Abend auftaucht, zu tief am Rande des Horizonts, um dem See ihr strahlendes Bild zu gönnen! Da gleiten wir auf der Barke, neben den Schwänen, über die schimmernde Flut. O Arkadien, wenn du hier nicht bist, so bist du nirgends! Reizende Chloë – an Deiner Seite gelagert 191 im weichen Moose, in Dein schwärmerisches Auge emporblickend, da seh' ich den Himmel doppelt über mir und verwechsle die Sterne! Ist das kein Pastorale? Wozu denn Krieg und Händel?«

Frau von Brandt erröthete etwas über diese so anschaulich ausgemalte Idylle, während die Oberhofmeisterin dem Gespräch plötzlich eine ernste Wendung gab, indem sie mit Würde und nicht ohne Eifer anhob: »Ich sollte meinen, Haus Oesterreich hat sich mit jenen Fürsten redlich abgefunden! Es sind alte, begrabene Geschichten, gut aufgehoben unter den Acten und verbürgt durch ehrliche Pergamente. Lassen wir die Vergangenheit schlummern!«

Arthur fühlte sich durch die Angriffe, denen sein Herrscherhaus hier ausgesetzt war, gekränkt, besonders dadurch, daß man in diesem lustigen Kreise auf seine Anwesenheit, die Anwesenheit eines Oesterreichers, gar keine Rücksicht nahm. Doch als ein so neuer Gast auf diesem Schlosse, dem Kronprinzen gegenüber, bezwang er seinen inneren Unmuth und secundirte seiner Tante nur mit der schüchternen Bemerkung, daß Böhmen und Schlesien die zwei schönsten Perlen in der Krone der Habsburger seien.

Der Prinz hörte mit Ungeduld Erörterungen, welche dem Gange seiner Gedanken widersprachen. Vor seiner Seele zogen alle die Demüthigungen seiner düsteren 192 Jugendjahre vorüber, die er, mehr noch als dem Jähzorne seines Vaters, den Einflüsterungen und Rathschlägen eines Seckendorf und Grumbkow verdankte. Es war die österreichische Politik, welche seine Jugend vergiftet hatte, welche Preußen zu einem Vasallenstaate des Kaiserreichs machte. Und aus dieser herrschsüchtigen Politik wehte ihm nirgends jener befreiende Hauch entgegen, der aus den unsterblichen Geisteswerken der großen alten und neuen Denker und Dichter so anmuthend und wahlverwandt sein Herz erregte, sondern eine Art von Moderduft, wie aus langverschlossenen, ungelüfteten Gewölben, aus Klöstern und Gefängnissen.

Seiner innersten Abneigung gegen das Haus Habsburg Worte zu geben, war nicht seine Art. Dennoch sprach er jetzt mit vielem Nachdruck:

»Ich bedarf nicht guten Rathes, um meine alte und neue Rechnung mit Haus Habsburg ins Reine zu bringen. Bin ich doch bis auf diesen Augenblick ein Observat von Kaiser und Reich! Ja, meine Damen und Herren, erst heute habe ich Briefe von Berlin erhalten, die keinen Zweifel darüber lassen, daß unser ganzes Leben hier in dieser friedlichen Zurückgezogenheit ausspionirt und in feindlicher Weise geschildert wird, daß man noch immer wie früher versucht, Zwiespalt zwischen mich und meinen Vater 193 zu säen. Ja, es giebt einen Verräther, einen Spion in unserer Mitte, der im Solde jener österreichischen Hofpartei stehen muß und den ich entlarven will um jeden Preis, um unserem ländlichen Aufenthalte den wahren Frieden, unseren Vergnügungen die alte Harmlosigkeit wieder zu sichern.«

Nach diesen Worten erhob sich der Prinz und verließ mit einer leichten Verbeugung den Salon. Spannung und Bestürzung malte sich auf allen Gesichtern; mißtrauisch blickte Einer den Anderen an – konnte nicht jeder dieser Spion, dieser Verräther sein? Eine unheimliche Mißstimmung bemächtigte sich der Gemüther – hinaus ins Freie, um im sonnigen Maientag die trüben Gedanken zu verscheuchen!

Arthur blieb am längsten bei der Tante zurück. Frau von Katsch war betroffen, still, zerstreut. Erst als Arthur des Doctor Salomon in der Waldschenke gedachte, zeigte sie plötzliche Theilnahme:

»Das ist ein ehrenwerther Mann! Wir haben noch viel zusammen zu sprechen, lieber Neffe! Ich hoffe, in Dir eine Stütze zu finden, denn ich stehe hier einsam in diesem wilden Treiben! Bleibe recht lange in meiner Nähe – ich bitte Dich! Ich traue Deinen offenen Augen, aus denen die offene Seele spricht. Ich werde Dich in Vieles einweihen, was 194 hier dem Blicke verborgen ist; denn Geheimnisse der Liebe, der Politik lauern hier in allen Winkeln dieses dem Anscheine nach so offenen und lichten Schlosses. Doch jetzt ruft mich der Dienst zu meiner Kronprinzessin, die heute unwohl ist und das Zimmer hütet! Du sollst auch sie kennen lernen; sie ist die Edelste von allen Frauen dieses Schlosses, Diana unter den leichtfertigen Nymphen!«

In tiefen Gedanken, fast verwirrt durch die Menge von Eindrücken, die auf ihn einstürmten, begab sich Arthur in die Stadt zurück! Sollte doch die Verleumdung Recht haben, sollte ein böser Geist in den lichten Hallen dieses Schlosses spuken? Sollte der unruhige Kopf des Kronprinzen hier, statt den Frieden der Musen zu pflegen, über Plänen brüten, welche den Frieden der Geister, den Frieden der Welt zu stören vermöchten?

Wir folgen indeß den Hofdamen und Cavalieren in den Garten. Gemeinsam wagte man nicht, die auffallende Aeußerung des Prinzen zu besprechen, doch bald sonderten sich einzelne Paare ab, zerstreuten sich in die Gänge und Lauben und tauschten vertraulich ihre Gedanken aus. Auf einer Moosbank vor der Eremitage hatte Frau von Morien Platz genommen, der wie ihr Schatten der Hamburger Kaufmannssohn folgte.

195 »Endlich einmal erhasch' ich Sie, holde Göttin!«

»Ich bin doch keine Daphne und Sie noch weniger ein Apoll,« entgegnete rasch die Tourbillon, um ihrem Verehrer vom Hause aus in die Parade zu fallen.

»Nein, doch Sie sind ein reizendes Weib, heute reizender als je, und wenn ich auch kein Apoll bin und nichts vom Saitenspiel verstehe, so bin ich doch empfänglich für die Schönheit und nehm's darin mit jedem griechischen Gotte auf.«

Frau von Morien hatte ihre Stickerei mit einem Strickstrumpfe vertauscht, dessen Nadeln fortwährend in klirrender Bewegung blieben. Jetzt flog der Wollknäuel von ihrem Schooße und kugelte in die nächste Sycomorenhecke. Der galante Kaufmann lief ihm nach und bückte sich, ihn aufzuheben, was ihm bei seiner stattlichen, zum Embonpoint geneigten Gestalt keineswegs leicht wurde.

»Ich werfe diesen Knäuel wie den Apfel des Paris in Ihren Schooß,« sagte Bielefeld, indem er die Trophäe seiner Galanterie als ein Wurfgeschoß benutzte. »O dieser beneidenswerthe Knäuel!«

»Herr Bielefeld,« entgegnete Frau Tourbillon etwas unwillig, »ich erkenne Sie gar nicht mehr wieder! Sie waren, als Sie hier ankamen, die Schüchternheit, die Verlegenheit selbst! Die Worte kamen von Ihren Lippen, einzeln, mühselig, wie die 196 Tropfen aus einem verstopften Siebe! Sie errötheten, wenn Sie sprachen, ja schon wenn man Sie anredete! Sie wagten kaum die Augen aufzuschlagen, einer Dame vom Hofe gegenüber! Und jetzt hat die Gunst des Kronprinzen Sie so kühn gemacht, ist es die Macht der Gewohnheit –«

»Man gewöhnt sich an Alles,« warf Bielefeld trocken dazwischen.

»Unser Adonis, der vor einer Venus schüchtern erröthete, unser Joseph, der einer Potiphar eher seinen Mantel, als sein Herz zurückließ, ist wunderbar verwandelt worden. Sie sind so keck, als wären Sie von Jugend an zu Hause auf dem Parquet des Hoflebens. Und wir wissen doch Alle, daß der ›Cavalier‹ mit Ihnen nicht auf die Welt kam – denn zwischen der Elbe und Alster, in den Comtoirs, auf der Börse, in den Speichern, auf den Fleeten und Kanälen gedeiht diese Sorte nicht.«

Bielefeld erröthete über diese Anspielungen auf seine kaufmännische Vergangenheit, deren Spuren noch durch keinen Adelsbrief verwischt waren, und grollte mit zusammengezogenen Brauen der schönen Sprecherin, welche indeß mit lächelnden Mienen fortfuhr:

»Glauben Sie indeß nicht, daß Sie mir in dieser Verwandlung besser gefallen! Ihre mädchenhafte Schüchternheit hatte etwas Reizendes, 197 Eigenthümliches! Sie waren uns eine neue Erscheinung! Jetzt sind Sie wie die Anderen – Sie verschwinden in der Masse!«

»Auch für Sie?« frug Bielefeld, indem er sich auf die Moosbank neben Frau von Morien setzte und ihr in die feurigen Augen sah.

»Auch für mich,« entgegnete die kokette Dame mit dem gleichgiltigsten Tone von der Welt und ließ ihren Knäuel wieder weithin in die Büsche rollen. Der junge Kaufmann sprang auf, um mit der Geschwindigkeit eines wohldressirten Pudels zu apportiren, wobei er die Blätter der Spiräen mit einigem »Mehlthau« bestäubte, den die Zweige von seinem Toupé abgestreift. Doch kehrte er diesmal nicht mit der Miene eines ergebenen Dieners zurück, der seiner Herrin einen pflichtschuldigen Dienst geleistet, sondern mit der Entschlossenheit eines Eroberers, der eine errungene Beute nicht leichten Kaufs herauszugeben gedenkt.

»Ich habe ein Pfand und Sie müssen es auslösen,« sagte er mit trockenem und festem Ton.

»Sehr viel Keckheit! Die Simsonslocken wachsen Ihnen – es ist Zeit, daß die Scheere darüber kommt«

»Glauben Sie nicht, daß ich nach dem Ehrenposten strebe, der Attaché Ihres Strickstrumpfes zu sein! Ich wiederhole, Sie müssen dies Pfand auslösen!«

198 »Und womit?« frug Frau von Morien.

»Mit einem Kusse! Ich springe dieser Kugel, so oft Sie wollen, in die Büsche nach, wenn ich jedesmal mit einem Kuß dafür belohnt werde.«

Frau von Morien warf dem Zudringlichen einen strafenden Blick zu.

»Herr Bielefeld – Sie werden ein – Tyrann! So leicht ist es doch nicht, Herzen zu erobern.«

»Mein Gott – aber nach einer so langen regelrechten Belagerung! Ich habe eine Parallele nach der andern eröffnet; endlich muß doch einmal zum Sturm geschritten werden.«

»Sie sind ja der wahre Vauban geworden durch den Umgang mit dem Prinzen und dem Herrn von Keyserling. Der militärische Schnurrbart steht Ihnen gar nicht – Sie sollten Ihre Gleichnisse lieber aus der Welt Ihres Berufes entlehnen und von den trockenen Wechseln sprechen, die Sie auf mein Herz girirt haben.«

»Jedenfalls ist der Verfalltag da, Madame!«

»Halt, nicht so ungeduldig! Meine Küsse stehen höher im Cours, als Sie zu glauben scheinen! Wenn sich früher die anständigen Ritter die Hälse brachen, um die Gunst ihrer Damen zu gewinnen, so müssen auch heutigen Tags die Herren dafür mehr thun, als einen Strickknäuel aufheben. Rücken Sie nur immer 199 etwas weiter fort von mir; denn wir sind noch lange nicht so weit, wie Sie glauben. Ich verlange von Ihnen einen Dienst – Sie sollen nicht mit Riesen oder Drachen kämpfen, das ist nicht mehr zeitgemäß.«

»Auch würde ich dabei eine schlechte Rolle spielen,« warf Bielefeld ein.

»Sie sollen nur eine Entdeckung machen!«

»Ich fühle mich schon ganz als Columbus. Doch wo liegt die unbekannte Welt, die ich entdecken soll?«

»Hier im Schlosse! Sie sollen mir sagen, was der Prinz und die Mitglieder des geheimen Bundes in ihren abendlichen Sitzungen treiben. Heute Abend ist wieder Sitzung, ich kann kein Geheimniß ertragen. Der Prinz sprach von Spionen, es muß hier also Glückliche geben, die es bereits ausgekundschaftet haben!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, gnädige Frau, ich gehöre nicht zu diesen Glücklichen! Die Mitglieder des Bundes bewahren das tiefste Schweigen.«

»Und dennoch erhalten Sie erst dann einen Kuß von mir, wenn Sie mir glaubwürdige Mittheilung machen können, was bei diesen geheimnißvollen Zusammenkünften vor sich geht. Sie werden jetzt zeigen, wie viel Ihnen an meiner Gunst gelegen ist. Denn das schwör' ich Ihnen bei'm Styx oder bei'm Barte des Propheten oder bei Ihrem eigenen Bart, der bald 200 schon einen Schwur vertragen wird, daß niemals meine Lippen Ihnen freundlich zulächeln sollen, bis Sie mir die gewünschte Botschaft gebracht! Und jetzt geben Sie mir den Strickknäuel, doch ohne sich in seine Fäden zu verwickeln; denn es ist durchaus nicht meine Absicht, Sie zu umgarnen!«

Und mit leichtem vornehmem Kopfnicken und schäkernder Beweglichkeit hüpfte Frau von Morien fort und überließ Bielefeld seinen unerfreulichen Gedanken. Je verlockender der Preis, je üppiger diese blühende Schönheit, desto ärgerlicher, daß die Aufgabe so mißlich, welche die Sirene ihm gestellt hatte! Wohl war es ihm auch selbst von Interesse zu erfahren, was hinter jenem Geheimniß steckt, das von allen Theilnehmern so ängstlich bewahrt wird. Es mußte ein neues Licht auf den Charakter des Prinzen werfen, denn ohne Zweifel hing der Geheimbund mit seinen tieferen Plänen zusammen. Doch wie den Schleier lüften? Wie vorlaut und aufdringlich wäre es gewesen, die Genossen des Bundes selbst zu fragen, und wie erfolglos, ohne Zweifel! Durch geheime Vorkehrungen aber die Versammlung zu belauschen, das hieße sich als Spion an den Pranger stellen! So trieben die Gedanken des jungen Kaufmanns hin und her, bis sie zuletzt bei Fredersdorf Anker warfen, bei dem Kammerdiener Fredersdorf, dem schlanken, schönen, 201 schlauen Fredersdorf – dem Factotum des Prinzen! Vielleicht war ihm mit aller Vorsicht ein wenig von dem Geheimniß abzulocken, und wenn er nur erst einen Zipfel davon hervorschimmern sah, so sollte es ihm nicht schwer werden, einen ganzen Mantel daraus zu machen. Der schmetternde Gesang einer Nachtigall im nahen Fliederbusch erinnerte ihn zur Unzeit, wie entzückend diese melodische Begleitung zu dem »ersten Kuß« gepaßt hätte, wenn er ihn dem Rosenmunde der jungen Frau entwendet hätte. Doch wagte er nicht, sich die Nachtigall auf morgen zu bestellen; denn es schien ihm mehr als fraglich, ob er zum Ziele gelangen werde.

Nicht weit von der Eremitage in einer Rosenlaube, aus deren maigrünen Blättern die ersten schüchternen Knospen blickten, hatte inzwischen ein anderer Cavalier einen ebenso mißlungenen Sturmversuch auf das Herz einer jungen Dame gemacht. Dieser Cavalier war der muntere bewegliche Herr von Keyserling, ein vielbewanderter, vielbelesener, in allen Sätteln gerechter Herr, ein Gelehrter mit großer Wucht von Kenntnissen, doch mit der äußern Flinkheit eines Tänzers. Sein Kopf glich einem aufgeschlagenen Lexikon, dessen Blätter fortwährend vom Winde in einer raschelnden Bewegung gehalten werden. Auch sein Herz war ein perpetuum mobile, und seine Neigungen wechselten 202 schneller, als der Mond. Die Liebe, die jetzt sein Herz erfüllte, hatte sich indeß sehr ausdauernd bewiesen und bereits vom ersten bis zum letzten Mondviertel gewährt – vielleicht weil sie gänzlich erfolglos war und seine Eitelkeit auf eine schwere Probe stellte. Der Gegenstand dieser Neigung übte eine so große Anziehungskraft auf ihn aus, weil er seinem eigenen Wesen in jeder Hinsicht entgegengesetzt war; denn die stille schwärmerische Frau von Brandt und der lustige Obrist von Keyserling machten, wenn man sie zusammen sah, den Eindruck, als wären sie von den feindlichen Polen der Erde hergekommen. Frau von Brandt konnte stundenlang in schweigsamer Melancholie dasitzen, Keyserling nicht eine Minute lang, ohne ein lebhaftes Gespräch anzuknüpfen. Frau von Brandt hatte den Beinamen »die Nonne« erhalten, weil sie oft halbe Tage sich in der Eremitage einschloß, deren Schlüssel immer in ihren Händen war, und sich ihren einsamen Träumereien überließ; Herr von Keyserling hatte mit einem Mönch nicht die entfernteste Aehnlichkeit und war in Schloß Rheinsberg bekannt wegen seiner Allgegenwart, weil er wie ein Irrlicht bald hierhin, bald dorthin flackerte.

»Warum dieser Zorn, meine Gnädigste?« sagte der flinke Cavalier, indem er sich vor der unmuthig dasitzenden Dame in ungeduldigen Pirouetten hin und her bewegte.

203 »Mich vor aller Welt, mich vor dem Kronprinzen selbst an den Pranger zu stellen, sich den Anschein zu geben, als ob wir zusammen Schäferscenen aufführten – es ist empörend!« sagte Frau von Brandt, indem sie eine unschuldige Rosenknospe grausam zerpflückte. »Hab' ich Ihnen je erlaubt, mich als Ihre Daphne zu betrachten? Haben Sie je ein Zeichen meiner Gunst erhalten?«

»Leider, nein!« entgegnete Keyserling mit wehmüthiger Resignation.

»Sie gefährden meinen Ruf nur, um Ihrer Eitelkeit eine Genugthuung zu geben,« fuhr Frau von Brandt fort, indem sie sich mit dem Schnupftuche eine Thräne aus dem Auge wischte.

»Sie wissen, ich kann Sie nicht weinen sehen, ich hasse die Thränen überall, am meisten in Ihrem Auge! Wenn Sie noch über mich weinten, über meine unglückliche Liebe zu Ihnen – rührt Sie denn meine Hingebung gar nicht? Sehen Sie mich zu Ihren Füßen, ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie gekränkt!«

Die Dame legte das Schnupftuch beiseite – der Anblick eines knieenden Verehrers tröstete sie.

»Doch in Gegenwart des Kronprinzen,« sagte sie unerbittlich, »was muß er von mir denken? Und seine Meinung gilt mir mehr, als die der ganzen 204 Welt! Wenn ich bei ihm im Schatten stehe – was nutzt es mir, fiele in den Augen der Welt alles Licht auf mich?«

»Da Sie sich gar nicht beeilen, mich zu pardonniren, gnädige Frau, so werden Sie mir erlauben, wieder aufzustehen; denn es ist mir unmöglich, lange in einer und derselben Stellung zu verharren,« sagte Keyserling, indem er sich erhob und mit dem Schnupftuche den Staub von seinen Knieen wischte.

Die Dame blickte ungnädig; doch ihr Sinn war sanft und ihr Gemüth versöhnlich. Nach einer kleinen Pause, in welcher Keyserling hin- und hergehend ein eifriges Selbstgespräch führte, reichte sie ihm die Hand, unter Thränen lächelnd: »Ich vergebe Ihnen, Herr von Keyserling!«

Der Cavalier drückte einen seelenvollen Kuß auf die zarte Hand, die er lange in der seinigen hielt, ohne daß sie den Versuch gemacht hätte, sich dieser Gefangenschaft zu entziehen. Denn weiche und zarte Gemüther suchen jede Kränkung wieder gut zu machen – und Frau von Brandt war so sanft, so zart, so empfänglich! Sie sah dabei den Cavalier mit einem jener schwärmerischen Blicke an, die sie bisher nur auf den Mond und auf den Kronprinzen zu richten pflegte, mit einem jener vielsagenden Blicke, welche bei einer weltlich gesinnten Dame als Begleiter einer 205 Liebeserklärung ganz an ihrem Platze gewesen wären – doch die Nonne aus der Eremitage war über solchen Verdacht erhaben.

Und wie rasch zog sie ihre Hand zurück, als sie bemerkte, wie sie aus allzu großer Herzensgüte fast vergessen, ihr unbestreitbares Eigenthum dem fremden Besitze zu entziehen.

Keyserling, der sehr schnell zu denken pflegte, hatte in diesem Augenblicke eine Reihenfolge von Gedanken, die sich gegenseitig ablösten und ergänzten. So hoffnungslos ist meine Liebe doch nicht, dachte er, ich fühl' es an diesem Drucke der Hand. Gerade die schwärmerischen Gemüther fallen plötzlich einmal aus den Wolken und Einem an's Herz. Doch ich habe einen Nebenbuhler, der mich in Schatten stellt, und dieser Nebenbuhler ist der Kronprinz. Ich glaube nicht, daß er die Dame liebt. Das muß klar werden! Eher kann ich nicht glücklich sein!

»Reizende Daphne,« fuhr er in seiner Schäferidylle mit Ruhe fort, »Sie haben Ihrem Damon verziehen! Doch was nützt mir Ihre Güte, wenn Sie mich nicht lieben? Hören Sie mich an – ich kenne Ihr Geheimniß!«

»Mein Geheimniß?« frug Frau von Brandt mit ängstlichem Erstaunen.

206 »Ja, es giebt ein Wesen auf Erden, dem diese himmlischen Augen ihren Himmel verheißen, dem diese Lippen lächeln, dies Herz schlägt, ohne daß jener Beglückte eine Ahnung davon hat! Dies Wesen ist –«

»Halten Sie ein!« rief Frau von Brandt erschrocken.

»Warum in aller Welt? Die Rosenknospen hier plaudern's nicht weiter. Und ist es denn so strafbar, den Kronprinzen zu lieben?«

Die schwärmerische Schöne erhob sich tieferröthend von ihrem Sitze und sah sich besorgt rings um. Doch die Knospen der Monatsröschen und Centifolien bewahrten das tiefste Schweigen, und die schüchternen Blüthenblättchen guckten nicht neugieriger aus der Knospe, als vorher.

»Den Kronprinzen zu lieben?« rief sie mit schwunghafter Wärme, »und wer liebte ihn nicht? Ist er nicht schön, geistreich, von welterobernder Jugendlichkeit, Preußens aufgehender Stern? Wer könnte kalt bleiben ihm gegenüber? Sein Anblick würde eine Mumie beleben, die Memnonssäule in der Wüste würde, wenn er zu ihr träte, vor dem Strahle seiner Augen erwachen und erklingen und glauben, es sei 207 die Sonne! Und ich sollte ihn nicht lieben? Kein weiblich Herz schlägt in Rheinsberg, das nicht für den Kronprinzen schlüge!«

»Doch mit Unterschied im Takt,« entgegnete der Cavalier, »so entgehen Sie mir nicht, meine ungnädig Gnädige! Ich weiß genug! Indem Sie sich vertheidigen wollten, haben Sie sich angeklagt! Sie lieben den Kronprinzen – gut! Er soll es wissen!«

»Um's Himmelswillen, was wollen Sie thun?« rief Frau von Brandt die Hände ringend.

»Nur meine Schuldigkeit! Kann ich ihm eine so beglückende Thatsache vorenthalten? Wäre das nicht unverantwortlich, meinem Herrn und Gebieter, meinem Freunde gegenüber? Er ahnt nicht, welche Blume ihm blüht! Sie haben mich Ihrer Freundschaft gewürdigt – ich weiß auf meine Liebe zu verzichten! Denn überhaupt, was das betrifft, Madame, denke ich ganz wie Cäsar und will lieber in einem Dorfe der Erste, als in Rom der Zweite sein.«

»Herr von Keyserling, ich bitte, ich beschwöre Sie –«

»Ich handle jetzt als Freund; ich will Andere glücklich machen, wenn mir das Glück versagt ist. Er soll es erfahren, daß Sie ihn lieben,« sagte der Cavalier, indem er hurtig hinwegtänzelte.

208 Frau von Brandt folgte mit flehend ausgestreckten Armen, obgleich ihr Herz mit dieser verzweifelten Geberde nichts zu thun hatte.

»Lieber in einem Dorfe der Erste, als in Rom der Zweite,« wiederholte der Unerbittliche, indem er hinter einem Hollunderbusch verschwand. 209

 


 


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