Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Zweiter Band.

Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Bei den Exequien.

Wochen einförmiger Trauer waren über Breslau dahingezogen; alle Amtsstuben waren schwarz ausgeschlagen; die Glocken läuteten früh und spät; in der Stadt und in den Vorstädten schwieg der Jubel der Volksbelustigungen; Kaiser Karl VI. war im October 1740 gestorben. Man hatte sich in Breslau nicht viel um diesen Kaiser gekümmert, so lange er lebte; nur von seinen Räthen sprach man, die man bestechen mußte, wenn die Stadt Breslau irgend ein altes Vorrecht bewahren wollte. Doch ein todter Kaiser hat einen Anspruch auf warmes Mitgefühl. Daß er, dem Loos der Sterblichen verfallen, wie jeder Andere, mit Kron' und Scepter sich in die Erbgruft legen muß: das erinnert zu schmerzlich an die Vergänglichkeit des Irdischen, und wenn dazu der rauhe 2 Novembersturm durch die Zweige fegt und die Weiden auf den Weidendämmen an der Oder und die Eichen auf den Wiesen im Park von Scheitnig ihres in allen Farben schimmernden, gelben und blutrothen Herbstschmuckes entkleidet, da wird auch das Gemüth des Breslauer Zunftgenossen, so aufsässige Gedanken gegen Wien es sonst hegen mag, schwarz ausgeschlagen wie die Rathsstuben, und zu dem Trauergeläute von der Dominsel und vom Sand und den geschwisterlichen Magdalenenthürmen passen die melancholischen Gedanken der Menschen.

Doch in die Trauer mischten sich allerlei Befürchtungen wegen der Zukunft. Die neue Regentin Maria Theresia sah sich von allen Seiten bedroht. In Preußen hatte der Prinz Friedrich den Thron bestiegen; dunkle Gerüchte von Rüstungen, von der Annäherung preußischer Truppen erfüllten alle Gemüther; schon waren von Wien aus Befehle ergangen und Vorsichtsmaßregeln angeordnet worden, welche auch für die Befürchtungen der Hofburg ein unzweideutiges Zeugniß ablegten. In der Luft lag jene Unruhe und Bangigkeit, wie sie großen Ereignissen vorauszugehen pflegt.

Es war an einem milden Decembertage, als die Glocken des Domes zu den Exequien einluden, welche die Geistlichkeit zum Abschluß der Landestrauer für 3 den verstorbenen Kaiser feierte. Nach den rauhen Novemberstürmen hatte sich der Himmel aufgeklärt und der Wanderer, den wir dort am Ufer der Oder erblicken, sah die Thürme und Bastionen der Stadt sich mit festen Umrissen an dem klaren Horizont abzeichnen. Ohne den Blick auf die ferne Stadt, gemahnte hier die Oder wie ein Strom der Wildniß, der ungeregelt zwischen dem wüsten Weidengestrüpp auf beiden Ufern dahinfloß. Der Wanderer suchte offenbar die Einsamkeit; denn er folgte mit Vorliebe den verworrenen Pfaden, welche durch das Weidendickicht führten, und wenn ihn die alten hohlen Stämme angrinsten oder die Ruthen, durch die er den Weg sich bahnte, ihm ins Gesicht schlugen, so schien es ihm willkommen, sich in dieser unheimlichen Welt zu bewegen, und der leichte körperliche Schmerz lenkte seine Seele ab von ihren schmerzlichen Gedanken.

Arthur hatte seit seiner Rückkehr von Rheinsberg lange Zeit auf seinem väterlichen Gute zugebracht, bestürmt von der Familie, dem noch immer unentschiedenen Proceß durch eine Verlobung mit Isabella von Pogarell ein Ende zu machen. Denn wenn man auch durch das Zeugniß jenes früheren Försters des Grafen Reichenbach ein bedeutendes Gewicht gegen die Pogarell in die Wagschale zu werfen hoffte, so fürchtete man doch die Macht der Jesuiten, welche 4 Mittel und Wege genug hatten, auch solche Zeugnisse zu entkräften.

Dem Willen seines Vaters folgend, war Arthur vor wenigen Tagen abermals nach Breslau gekommen, um eine neue Anknüpfung zu versuchen, noch aber hatte er sich nicht entschließen können, an der Pforte der Domtanten anzuklopfen. Von seinen Abenteuern in Rheinsberg hatte er zu Hause geschwiegen; doch die Briefe seiner Tante, der Frau Oberhofmeisterin, ließen keinen Zweifel darüber übrig, daß er bei dem jungen Prinzen in Ungnade gefallen sei. Umsomehr hoffte man, daß er jetzt mit klingendem Spiel in ein Lager übergehen werde, in welchem der Name des neuen Königs von Preußen von Hause aus geächtet war. Doch so wenig Arthur die letzte Kränkung verwinden mochte, die der Prinz ihm zugefügt, so hatte doch die Gestalt des jugendlichen Fürstensohnes den Zauber nicht verloren, mit dem sie ihn gefesselt; mit fieberhafter Spannung harrte er auf jede Nachricht aus der märkischen Hauptstadt; dort schien ihm das Entscheidende, Große sich vorzubereiten, während er ringsum nur eine kleinliche Verwirrung sah.

Und in diese Träumereien neigten sich zwei anmuthige Mädchengestalten! Noch fehlte ihm die glückliche Klarheit eines allmächtigen Gefühls, denn was auch die Dichter singen, es giebt eine Zeit der 5 Gefühlsdämmerung, der schwankenden Neigungen, die sich noch nicht befestigt haben, und in dieser Zeit fällt bald der eine, bald der andere Eindruck mit größerem Gewicht in die Wagschale. Die hohe Gestalt der schönen Isabella war nicht in seiner Erinnerung verlöscht. Das Drängen der Familie zu pflichtschuldiger Liebe erschien ihm zwar als eine Entweihung und machte ihm das Haus der Domtanten verhaßt; doch das Bild des kalten, stolzen Mädchens übte einen eigenthümlichen Reiz auf seine Phantasie aus! Diese Kälte zu besiegen, ein Lächeln der Hingebung auf diese Lippen zu zaubern, ein Wort der innigen Neigung, der Zusage zu erringen, diesen Marmor zu beseelen – war's nicht ein verlockendes Ziel, schwer zu erreichen, aber erreicht auch in der eigenen Brust die glühende Leidenschaft entfesselnd? Dann aber verschwand ihm dies Bild fern und fremd in den Weihrauchwolken der Kirche! Frisch und heiter aber, mit lächelnder Anmuth trat die Nymphe aus dem Buchenhain von Rheinsberg vor ihn hin und von ihren Lippen erklang ein prophetisches Wort von Mannesthat, von Ruhm und Sieg, und die Kränze für den Sieger hielt das reizende Mädchen bereit.

Doch auch sie war von ihm mit Mißtrauen geschieden; er verwünschte die zweideutige Stellung, in die ihn eine Reihe von Zufälligkeiten gebracht hatte. 6 Umsonst hatte er damals in der Waldschenke den kleinen Doctor aufgesucht, damit dieser durch sein Zeugniß ihn von jedem Verdacht reinige. Der Doctor war spurlos verschwunden, und da er nicht einmal den wahren Namen desselben kannte, so war es ihm unmöglich, dies Zeugniß für sich zu gewinnen. Auch schien der kleine geheimnißvolle Mann sich absichtlich nach wie vor ins Dunkel zu hüllen. So blieb Arthur mit einem Makel behaftet, der an seiner Seele zehrte, mit dem Makel, ein österreichischer Spion zu sein. Und wie sollte jene Schönheit von Rheinsberg von ihm denken, welche mit der Begeisterung für den Prinzen Friedrich den Haß gegen alle seine Gegner vereinigte? Mußte nicht ihre Neigung, von welcher er so freundliche Beweise erhalten, sich in Verachtung verwandeln? Er sah es, wie sie schmerzlich sich von ihm losgesagt, und dies Bild des Abschieds auf der Schloßtreppe zu Rheinsberg verdunkelte all' die holden Wald- und Gartenbilder, die ihm in den Schattengängen und unter den Rosenbüschen ein lieblich lächelndes Antlitz zeigten.

Alle diese Gedanken erfüllten ihn mit innerer Unruhe und endeten mit Beschämung; sein letzter Trost blieb die Hoffnung, daß die Zukunft diese Verwirrung lösen und ihm Gelegenheit zur Rechtfertigung geben werde. Träumend blickte er auf den breiten 7 Spiegel der Oder, welcher eben das Bild der Sonne mit weithin leuchtendem Wiederschein auffing; vielleicht erhellte sich noch einmal sein Leben so! Dann endete er die Irrgänge durch das Weidendickicht und begab sich auf den Weg nach Breslau.

Er mochte einige hundert Schritte den Domthürmen entgegen gegangen sein, als er von ferne eine seltsame, riesenhafte Gestalt auf sich zukommen sah. In der Dämmerung des Abends würde er sie gewiß für ein Ungeheuer der Wildniß gehalten haben; da aber die helle Sonne keinen Spuk duldete, so zeichneten sich die Umrisse des Näherkommenden immer verständnißvoller vor Arthurs Augen ab. Er erkannte einen riesigen Bärenpelz, der mit der milden Decembersonne in schreiendem Widerspruch stand; über demselben funkelte eine Jagdflinte, und als der Jäger näher kam, sah Arthur unter der majestätischen Pelzmütze in die frischen Züge seines alten Freundes, des Junkers Hans Leopold von Schweinichen, den er seit seiner Abreise nach Rheinsberg nicht wiedergesehen hatte.

»Herzensjunge!« rief ihm Schweinichen entgegen und schüttelte ihm herzlich die Hand; »das ist ein Wildpret, auf das ich bei meinem Jagdplaisir gar nicht gerechnet hatte. Glücklich zurückgekehrt?«

»Schon seit Wochen, doch ich war auf dem väterlichen Gut!«

8 »Ist König geworden, Dein preußischer Prinz! Na wer weiß, was er jetzt zusammenreimen wird!« sagte der Junker, indem er die Pelzmütze abnahm und sich den Schweiß von der Stirn trocknete. »Du siehst mich verwundert an? Ich komme Dir wohl zu winterlich vor für den warmen Tag heute! Lieber Freund, bin ich daran schuld, wenn die Natur aus ihren Gleisen weicht? Ich habe mich einmal für den Winter eingerichtet, und da die Zeiten schlecht sind, der Handel und die Gewerbe stocken, so werden die braven Zunftgenossen schwierig mit dem Borgen und nur mein wackerer Kürschnermeister hat es gewagt, mir wieder einen stattlichen Pelz zu verkaufen, obschon alle seine Vorgänger noch nicht bezahlt sind! Dies ist nun mein einziges Kleidungsstück, welches Wind und Wetter Trotz bietet! Ich habe auf einen anständigen Winter gerechnet; kann ich dafür, daß dieser December seinem Namen so wenig Ehre macht? Und wenn jetzt die Nachtigallen sängen, ich müßte in diesem Pelz erscheinen. Ich erinnere wenigstens damit den lässigen Winter an seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit,«

»Wohin geht es denn, Freund?«

»Zur Jagd nach Scheitnig! Ich muß frische Luft schöpfen. Dies ewige Gebimmel der Trauerzeit thut meinen Ohren weh!«

9 »Was giebt es Neues in Breslau?«

»Das Oberamt ist bestürzt, der Rath ist confus, doch das könnte noch hingehen, das sind nur etwas lebhaftere Symptome eines längst vorhandenen Leidens. Der alte Rampusch rasselt mit seinem Säbel, daß die Funken stieben, und sie schleppen alle Geschütze von selbstmörderischer Beschaffenheit auf die Wälle; ich bin überzeugt, daß sie vor Schreck auseinanderplatzen, wenn sie mit der Erfindung des wackern Berthold Schwarz in nähere Berührung kommen.«

»Und was machen meine Freunde?«

»Der unglückliche Bräutigam Sigismund tröstet sich in lustiger Gesellschaft; ich sah ihn jüngst mit zwei flotten Schauspielerinnen spazieren fahren. Er sah dabei aus, wie das Leiden Christi, hatte aber den spöttischen Zug, der ihm immer eigen ist. Seine Begleiterinnen waren sehr rüstige Damen und glühten von Wein, vielleicht auch etwas von Schminke, denn was wäre die deutsche Kunst ohne den Schminktopf und das Weihrauchfaß! Das kleine Fräulein von Gutzmar schöpft irgendwo frische Luft auf dem Lande, um sich von dem Eclat bei Locatelli zu erholen; sie begreift noch immer nicht, daß man so viel Aufhebens von dem ganzen Spektakel macht; denn was ihr Sigismund thut, ist wohlgethan. Ihr Vater ist ein 10 sehr gescheuter Mann; aber sie hat den Geist von ihrer Frau Mutter geerbt.«

»Und hat man das arme Mädchen wiedergefunden, das jenen Eclat verursachte?« frug Arthur mit Antheil. »Seit ich das bleiche Kind den Fluten der Oder entrissen, kann ich ihr rührendes Bild nicht aus meiner Erinnerung bannen.«

»Alle Nachforschungen sind vergeblich gewesen,« entgegnete Schweinichen, »selbst der Rath hat sich der Sache angenommen und eine öffentliche Bekanntmachung erlassen. Nirgends in der Stadt war ihre Spur zu entdecken, – und wer kann alle Winkel in diesem gesegneten Schlesierland untersuchen?«

»Und der Schwenckfelder?« frug Arthur weiter.

»Wen die Jesuiten einmal haben, den halten sie fest. Er ist verschollen.«

»Aber Sigismund versprach mir doch –«

»Das Oberamt hat jetzt andere Sorgen, und die Jesuiten befinden sich wohler als je. Da sah ich den Pater Maurus mit Deiner Cousine über die Straße gehn! Uebrigens ein Prachtmädchen, allen Respekt! Stattlich stolz, schöne Züge, wie so eine alte Göttin aus der seligen Heidenzeit, wie die dingsda, ich habe die Namen vergessen, aber ich weiß nur, es waren sakermentsche Dinger da auf dem Olymp, und sie führten ein höchst fideles Leben. Ich habe allerlei 11 Büsten von ihnen gesehen – und das behält sich! So sah die schöne Isabella aus, und der Pater schritt ihr ebenso stolz zur Seite, mit einem triumphirenden Blick; er hat ein Feuerauge, der Pater, und ist ein schöner Mann. Doch genug des Plauderns! Ich muß fort; denn ich bin in einer grausamen Jagdstimmung und möchte einiges Geflügel erlegen, nicht blos um des Ruhmes willen, sondern auch um etwas in meine kalte Küche zu bekommen. Es sind böse Zeiten jetzt und die Maschine, die Du vor Dir zu sehen das Glück hast, will geheizt sein.«

Heiter empfahl sich der Freund, dessen Lebensverhältnisse noch immer keine glücklichere Wendung genommen hatten. Arthur aber schritt in tiefem Nachdenken weiter. Die Erinnerung an seine Jugendgespielin war wieder lebhafter wachgerufen worden; er sah aber ihr glänzendes Bild in einer unheimlichen Umgebung. War der Zauber so machtvoll, mit welchem die Kirche die Gemüther fesselt?

In solchen Gedanken hatte er den Dom erreicht; Glockengeläute ertönte von den zierlich durchbrochenen Thürmen, Orgelklang aus dem Innern des Gebäudes; eine Menschenmenge drängte sich an den Pforten. Ihn trieb es hineinzutreten und das Schauspiel mit anzusehen, das hier den Gläubigen bereitet war. Ihm war's zu Muthe, als müßte er die Macht dieser 12 Eindrücke einmal ganz und voll auf sich wirken lassen, um zu erproben, wie weit sie ein jugendliches Gemüth zu bannen vermochten. Unwillkürlich waren in dem Sprengel des Doms seine Gedanken im Bann der schönen Isabella, welche als die Schutzheilige dieser ganzen kirchlichen Pracht ihm erschien. Er trat durch die Seitenpforte ein; in dem hohen Hauptschiff der Kirche drängte sich die Menge Kopf an Kopf. Vor dem Hochaltar war das castrum doloris errichtet.

Das Trauergerüste war mit einer seltenen Pracht von Statuen und Inschriften ausgeschmückt, eine bewältigende Fülle von allegorischen Figuren und lateinischen Epigrammen an demselben angebracht. Freistehende Säulen erhoben sich an den stumpfen Ecken des viereckigen Katafalks, dahinter korinthische Wandpfeiler. Auf einem erhöhten Sockel stand das Ganze; ein zierliches Geländer umgab den Sockel, in dessen Mitte sich ein Gefäß mit einem Baum befand, von dem der Tod den stärksten Ast abgebrochen hatte. Ueber dem Katafalk senkte sich von dem Gewölbe der Kirche eine große kaiserliche Krone als eine Art von Baldachin herab, und von ihr aus waren an die Wände der Kirche lange schwarze Vorhänge mit schwarzgoldenen Fransen gezogen. Ein Adler fuhr von des Kaisers Bildniß in die Höhe, auf der einen Seite die Fama, auf der andern die Ewigkeit. Ueber 13 dem Bildnisse des Kaisers erhob sich als sein Sinnbild eine mit Wolken umgebene Erdkugel; das bezwungene Gewölk wird zu einem Kranz für ihn. Darunter reichte ein weiblicher Genius dem männlichen Krone und Scepter, eine trostreiche Anspielung auf die neue Monarchie. An den Ecken des Hauptsimses standen vier Postamente, auf denen sich die Bildsäulen der Beständigkeit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Gottesfurcht befanden, alle mit den Attributen eines Doppeladlers ausgestattet, der bald über Blitzen flog, bald sich ein Nest baute, bald in jedem Schnabel eine Wagschale trug, bald in die Sonne sah, und außerdem Genien mit Waffen, brennende Herzen, Fackeln und Weihrauch. Weiter unten sah man die Reiche des Kaisers personificirt, zu ihren Füßen Schilde mit den Wappen der Königreiche Deutschland und Oesterreich, Spanien mit dem gethürmten Wappen, Ungarn mit dem gedoppelten Kreuz, Mailand mit der Schlange, Niederland mit dem Löwen, und außerdem waren dem sieghaften, friedfertigen, frommen und großmüthigen Kaiser an den Ecken des untersten Fußes noch vier hohe Pyramiden errichtet mit Bildern seiner Thaten. Dieses Prachtgebäude der Trauer war mit lateinischen Inschriften übersät, und ein glänzendes Denkmal des Scharfsinns, mit dem ein Professor der von Karl begründeten Liegnitzer 14 Ritterakademie und ein Canonicus der Kreuzkirche dem verstorbenen Kaiser die Unsterblichkeit zu sichern versuchten.

Gedämpfte Pauken- und Trompetenklänge tönten dem Eintretenden entgegen; dann erklang eine Vigilie von mehr als sechzig Musikern und Sängern gesungen.

Alles Volk lag auf den Knieen. Arthur stand theilnahmlos an einen Pfeiler gelehnt, ihm war diese Feier ohne Sinn und Bedeutung. Was war dieser deutsche Kaiser den Schlesiern gewesen? Wie zum Hohne hatte das Schicksal die Weltmacht des fünften Karl eine Zeit lang in seine Hände gegeben; aber wie rasch war sie zerbröckelt! In Spanien, in Italien – überall kämpften die deutschen Heere für die Familieninteressen des Hauses Habsburg; den früheren Siegen folgten die späteren Niederlagen und ein schönes Reichsland, Lothringen, fiel in die Hände der Feinde. Um die pragmatische Sanction durchzusetzen, um seiner Tochter Maria Theresia die Kaiserkrone zu sichern, war Karl VI. zu jedem Opfer an deutschen Landen und deutschem Volk bereit gewesen. Und welche Bande knüpften überhaupt das zusammengeraffte Schlesien an das Haus Habsburg? Der Krone Böhmen lehnsherrlich zugetheilt, wurden des Landes Herzöge und Fürsten allmälig von den Kaisern beerbt, aber so lockere Gemeinschaft war ohne ein 15 inneres festes Band. Wenig war für die Blüthe des Landes gethan. Nur die Priester hatten ein Recht, den sonst gutmüthigen Kaiser zu feiern; er war ein mächtiger Schutzherr des Priesterthums, ein Pfleger des mittelalterlichen Geistes, abhold jeder freieren Regung; und so brütete auch über dem schönen Schlesien, der Heimat so vieler guten Köpfe, der Wiege so vieler begabten Dichter, eine geistige Nacht. Und nicht die Schuld einer noch dazu bestechlichen Regierung war es, wenn sich das ganze Land nicht in eine große Jesuitenschule verwandelte.

Als Arthur den Blick auf die Weihrauchwolken am Hochaltar richtete, da war es ihm, als blitzte aus ihnen hervor ein feuriger Strahl, der sie zertheilte; ihm war es, als sähe er die Feueraugen des Prinzen Friedrich hervor aus dem kirchlichen Nebel leuchten! Er ließ das Auge über die knieende Menge schweifen; nirgends bemerkte er den Ausdruck wahrer Trauer; eine gleichgiltige Frömmigkeit lag auf allen Gesichtern. Diese äußere glänzende Schaustellung bei der inneren Leere widerte ihn an. Er wandte sich dem Seitenschiff zu, wo einzelne Beter vor den Heiligenbildern in den Kapellen auf den Knieen lagen. Vor den Aposteln mit dem Goldschein, vor der Jungfrau Maria, die in mancherlei Gestalt sich von den alten Bildern abhob, leuchteten auf den kleineren 16 Seitenaltären die frommen Kerzen. Da sah Arthur in der Marmorkapelle der heiligen Elisabeth, der duldenden Landgräfin Thüringens, eine schlanke schwarze Frauengestalt mehr liegen, als knieen, wie in schmerzlicher Zerknirschung auf die Stufen des Altars hingeneigt. Welche Sünden hatte diese Magdalene zu bereuen? Denn wie auf den schönsten Bildern diese Büßerin nicht als eine von ihrer Buße aufgezehrte Jammergestalt dargestellt ist, sondern als eine lebensvolle Schönheit, deren üppige Formen noch immer in alles Glück der Welt verstrickt sind, während die ringende Seele sich von ihnen loszureißen sucht, so schien auch diese lebenathmende Gestalt, über deren Formen der Wiederschein des Kerzenschimmers hinglitt, indem er sie im Halbdunkel der Kapelle in eine ambrosische Beleuchtung rückte, so fremd der hingebenden Buße, der die Seele sich weihte, und wie durch einen äußeren Zauber auf die kalten Steine dieser Altarstufen hingeworfen.

Arthur wartete, die Hand auf das Gitter der Kapelle gestützt, bis die Gestalt sich erheben würde. War es eine Magdalena, so hatte sie viel zu büßen; denn es dauerte lange, bis sie aus ihrer gänzlichen Hingebung sich halb emporrichtete, und nun knieend in frommem Gebete verweilte. Gewiß nicht um Kaiser Karl lag diese fromme Schönheit auf den 17 Knieen. Sie hörte nicht auf den Gesang der Priester, auf das Läuten der Meßglöckchen; wenn sie um einen Todten klagte, so hatte sie ihm im Herzen einen Katafalk errichtet; doch sie weihte ihm nicht eine stumpfe und dumpfe Frömmigkeit, sondern die ganze Glut einer hingebenden Seele.

Noch hatte sie ihr Antlitz abgekehrt, und Arthur konnte mit aller Muße sich die Züge ausmalen, die er mit einer majestätischen Figur und der hold anmuthigen Neigung des Kopfes vereinbar fand. Da zerriß ein mächtiger Orgelklang die feierliche Stille des Doms; das schlanke Mädchen erhob sich und sah Arthur wie traumverstört mit verwirrten Zügen an. Es war Isabella. So hatte er sich ihr Antlitz nicht gedacht, so weich, so schmerzlich bewegt. Sie aber schien nicht zu wissen, ob sie noch das Traumbild vor sich sehe, das vor ihrer Seele geschwebt, oder lebensvolle Wirklichkeit. Doch ohne Zögern und Besinnen, wie um den Zusammenhang zwischen ihren Träumen und dem was sie mit wachem Sinne sah, krampfhaft festzuhalten, schritt sie auf Arthur zu, reichte ihm die Hand und sprach mit sanfter Innigkeit seinen Namen aus. »Arthur, Du hier?«

Und auch Arthur verglich die Gestalt, die vor ihm stand, mit dem Bilde seiner Erinnerungen. Seltsame Ohnmacht der Phantasie, auch das Bild des 18 geliebtesten Wesens unverfälscht bewahren zu können! So ist jedes Wiedersehen anfangs eine Ueberraschung, und allmälig verbessern sich die schwankenden Linien des verdämmernden Phantasiebildes, und nicht ohne Gewaltsamkeit stellt sich das Gleichgewicht mit dem Leben wieder her. War diese Isabella das stolze, kalte Marmorbild seiner Träume? Ja, es waren dieselben edeln und feingeschnittenen Züge; es war dieselbe hohe Gestalt mit dem stolzen Ebenmaß der Glieder; es war dasselbe blaue tiefe Auge, aber wo war der strenge kalte Blick geblieben, wo der marmorne Ausdruck der Züge, wo das Unnahbare der ganzen Erscheinung? Erst allmälig trat sie scheuer zurück und vornehmer, nachdem sie dem Eindruck des ersten Gefühls gefolgt; wohl erschien sie dann verändert, weicher gestimmt, aber sie entsprach doch mehr der Gestalt, wie sie so lange in Arthurs Seele lebendig gewesen.

Er erwiderte ihren Gruß, ihren Händedruck mit Wärme, aber gleichgiltig glitt das kurze Gespräch über die Oberfläche des Lebens hin. Er erzählte kurz von seinem Aufenthalt in Rheinsberg bei dem Prinzen von Preußen und sprach mit Begeisterung von ihm. Isabella erblaßte; es war nicht Verschiedenheit der Ansichten, es war als ob in ihrem innersten Leben etwas geknickt und gebrochen wäre. Erst als er das 19 Mißverständniß erwähnte, welches ihm die Ungnade des Prinzen zugezogen, belebten sich ihre Züge wieder.

»Bei uns hat sich Manches geändert,« rief sie mit umflortem Blick und Ton! »Komm zu uns, man erwartet Dich!«

»Doch die Ungunst der Tanten –«.

»Ich habe Dir viel zu sagen. Die Ungunst der Tanten ist nicht unüberwindlich. Es freut mich, wenn Du kommst, doch wenn Du Bedenken trägst« – rief sie mit stolzer Wendung des Hauptes, »wir bitten nicht!«

Arthur versprach bald sich in dem Haus der Domtanten zu zeigen.

Sie traten in das Mittelschiff.

»Ein Kaiser ist gestorben,« sagte Isabella, auf den Katafalk deutend, »aber das Kaiserthum lebt. Die Krone der Habsburger schmückt das Haupt einer schönen, jungen Fürstin – wehe dem, der diese Krone antastet!«

Und noch einmal sich vor dem Heiligenbild des Mittelpfeilers in stummem Gebete verneigend, verließ sie mit freundlichem Blick und Gruß die Kirche. Erschien sie ihm doch einen Augenblick selbst in Hoheit und Majestät der Erscheinung jener Maria Theresia ähnlich, die zum ersten Male dem Thron der Wiener Hofburg den Glanz weiblicher Schönheit lieh und 20 deren Bilder bereits in Breslau die Raths- und Amtszimmer schmückten!

Sie war verwandelt – das erkannte Arthur bei der flüchtigen Begegnung; das Marmorbild athmete Leben; doch durch welchen Zauber war sie verwandelt worden? Hatte die Liebe dies Wunder gethan, waren Ereignisse in ihr Leben getreten, welche ihre schlummernde Seele gewaltsam wachgerufen hatten? Sie erschien ihm anziehender und begehrenswerther als je, aber er sah auch die Kluft, die sich zwischen ihm und ihr aufthat und welche kaum die glühendste Leidenschaft überspringen konnte. Sie war eine begeisterte Anhängerin des österreichischen Kaiserhauses, sein Herz war in dem feindlichen Lager. Der Katafalk, die Gesänge der Priester, die schwarzverhangene Kirche – alles sah ihn auf einmal mit unholden Augen an; das ganze Zauberwerk stand zwischen den Wünschen seiner Familie, ja seines Herzens und diesem schönen stolzen Frauenbilde, es erschien ihm alles wie eine dämonische Verführung, welche das ruhige, harmonische Glück seines Lebens störte. Und wieder stand mit anmuthigem Lächeln, den Schilfkranz im Haar, die Nixe von Rheinsberg vor ihm, wandte dem Katafalk verächtlich den Rücken und flüsterte ihm schalkhaft zu: »Mögen die Todten ihre Todten begraben!«

21 Und als Arthur durch die Seitenthüre den Dom verließ, da war es ihm, als ob die merkwürdigen Köpfe, welche des Bildners Kunst hier aus dem Holz geschnitzt, ein unheimliches Leben gewönnen, als ob die langbärtigen Gestalten ihm Gesichter schnitten und als ob sein Leben selbst eine Faschingskomödie sei, zwecklos und ziellos und zum Lachen, nicht blos für die hölzernen Fratzen der Domthüre! 22

 


 


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