Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Sechstes Kapitel.

Pater Maurus.

Im Salon der »Domtanten« war freudige Bewegung, denn Pater Maurus mit einem Collegen vom Jesuiten-Collegium wurde erwartet. Ursula erschien im feierlichen Putz, während Sidonie so schleunig wie möglich den Papagei, Tulifäntchen, den Waldmenschen und die beiden Katzen abfütterte, um später nicht mehr durch die Anforderungen ihrer Familie aus dem Thierreiche in geistlichen und weltlichen Gesprächen gestört zu werden. Der Theetisch war stattlich servirt; ja aus dem Keller, der nach der Meinung des Volkes die »fabelhaften« Schätze der »steinreichen« Domtanten barg, hatte die bucklige Thürhüterin, nicht ohne unkenartig über diese Verschwendung zu krächzen, einen Korb mit geheimnißvoll verpichten Flaschen heraufgeholt, welche einen sehr feurigen und sehr weltlichen Ungarwein enthielten.

71 Isabella saß am Fenster, in Gedanken verloren, und schaute in den kleinen Garten, über den der erste Frühlingshauch hinwehte. Doch kaum wagten sich die ersten, schüchternen Blattknospen hervor; die kleinen Obstbäume streckten ihre Aeste noch wie kahle Besen in die Luft; Schneeglöckchen und Veilchen, die draußen eine freie Wiese schmückten, wuchsen nicht auf den eng abgegrenzten Beeten. Vielleicht dachte sie, gegenüber diesem karg zugemessenen Stück Natur, an die Wälder jener reizenden Hügellandschaft, welche zwischen dem Kamm des Eulengebirges und dem einsamen Gipfel des Zobten sich in so anmuthigem Wechsel von Wald und Feld, Berg und Thal dahinzieht, und an die Abenteuer ihrer Kindheit, die seit dem Besuche des großen Vetters wieder lebendiger in ihre Erinnerung traten.

»Laß diese Träumereien,« rief Ursula ihr unfreundlich zu, »seit zwei Tagen schon hast Du Deinen Nachmittagsgang in die Kirche unterlassen. Das gefällt mir nicht an Dir! Und wie Du Dich aufgeputzt hast.« –

»Nun, der Pater Maurus kommt ja,« entgegnete Isabella.

»Der Pater Maurus ist schon oft gekommen, ohne daß ich Dich in diesem geblümelten Kleide gesehen hätte und mit dem parfümirten Wedel in der Hand. Doch freilich! wir haben auch den Vetter Arthur 72 eingeladen, aus Höflichkeit; denn er hat uns Besuch gemacht, und man muß Artigkeiten erwidern.«

»Das ist auch mein Grundsatz,« sagte Isabella erröthend. Sidonie unterbrach das Gespräch, indem sie in den Salon trat, aber an der geöffneten Thüre ihres Gemaches ihre ganze Beredtsamkeit aufbieten mußte, um Tulifäntchen zu überzeugen, daß er diese Schwelle heute nicht übertreten dürfe. Tulifäntchen aber war hartnäckig, bellte und kratzte an der Thüre. Schon klingelte es draußen, die frommen Väter kamen. Ursula warf der Schwester einen strafenden Blick zu. Es blieb dieser nichts übrig, als Tulifäntchen auf den Arm zu nehmen, mit der theuren Last in ihr Zimmer zurückzukehren und dort durch Zuckerwerk unterstützte Besänftigungsversuche anzustellen, auf die Gefahr hin, die Patres bei ihrem Eintritt nicht bewillkommnen zu können. Der kleine Mops war heute von einer Aufgeregtheit, welche Besorgnisse über seine Gemüthsverfassung und seinen Gesundheitszustand erregen mußte. Waren es prophetische Anwandlungen? Wenn ein so wohlerzogenes Geschöpf plötzlich so ungeberdig wurde, da mußte irgend ein Unheil in der Luft stecken. Tulifäntchen war dem Anschein nach dumm – doch gerade solche in sich gekehrte Gemüther haben oft die merkwürdigsten Offenbarungen. Es dauerte lange Zeit, bis Sidonie den auf weiche Polster gebetteten 73 Friedensstörer auf ihrem Schaukelstuhl in Ruhe gewiegt, wobei sie noch viel Mühe hatte, Mimi und Lieschen, die gerade recht kampfbegierig waren, und den dreisten Joko abzuwehren, der nicht übel Lust verrieth, sich auf die weichen Kissen des Schaukelstuhles zu setzen, unbekümmert um den kleinen, darin versteckten Patienten. Als sie endlich in den Salon trat, fand sie das Gespräch schon in vollem Gange. Pater Maurus und sein College, der Professor, verneigten sich mit so großer Höflichkeit, daß Ursula, um ihre Schwester nicht eitel zu machen, es für gerathen fand, durch eine rasch hingeworfene Frage die Aufmerksamkeit der Jesuiten mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen.

»Und wo will man ihn gesehen haben?«

»Hier in Breslau selbst,« entgegnete Pater Maurus, »es ist einer der gefährlichsten Ketzer, ein Schwenkfeldianer, der aber auch über die Lehren seines Meisters hinausgegangen. Uns ist's sonst ganz lieb, wenn drüben im lutherischen Heerlager das Unkraut zwischen dem Weizen aufgeht, und ob Luther oder Zwingli oder Schwenkfeld – das kümmert uns wenig. Mag sich die Drachensaat vertilgen! Doch dieser langbärtige Sünder ist ein eifriger Gegner unseres Ordens und wiegelt, wo er nur kann, mit feuriger Beredtsamkeit das Volk gegen uns auf. Er ist da weiter im Reiche gewesen und mit einem gewissen »Edelmann« 74 zusammengekommen, einem der hartgesottensten Freigeister dieses Säculums. Wir gehen darauf aus, ihn einzufangen und ihn dem geistlichen Gericht zu überliefern, welchem er wegen der Blasphemien, von denen er übersprudelt, verfallen ist.«

Die Domtanten bekreuzten sich; auch Isabella konnte einen leisen Schauer vor einem so gottverlassenen Ketzer nicht unterdrücken.

»Noch gilt das Dreiding in Schlesien,« sagte der Professor des canonischen Rechts, indem er sich tapfer einschenkte und den glühenden »Ausbruch« der ungarischen Rebenhügel mit prüfendem Wohlgefallen betrachtete, »solche Ruchlosigkeiten werden nicht geduldet. Ich begreife die Kühnheit dieses Ketzers nicht, daß er sich wieder hier ins Land wagt, nachdem wir ihn schon einmal durch ganz Schlesien gejagt haben und er unsern Häschern kaum entgangen ist.«

»Ich fürchte noch immer,« meinte Maurus, »daß man sich geirrt hat. Seine auffallende Erscheinung macht zwar einen Irrthum schwierig; doch müßte er besondere schwerwiegende Gründe haben, hierher zurückzukehren, wo nicht nur wir auf seiner Fährte sind, sondern auch die Herren Lutheraner von Sanct Elisabeth, so wenig sonst eine Krähe der andern die Augen aushackt. Denken Sie sich, holde Isabella, eine hohe Gestalt, eine freie Stirn, ein Paar 75 Feueraugen, einen Silberbart, der bis zum Gürtel reicht; auf einem Esel würde er aussehen wie Peter von Amiens, wie ein gottbegeisterter Kreuzfahrer, obgleich er nur ein Werkzeug des Satans ist. In seiner Jugend mag er manches schöne Fräulein bezaubert haben, denn nichts fesselt die Schönen mehr, als Schwärmerei einer großen Seele, wenn nur der dazu gehörige Leib ein massiver Leuchter des himmlischen Lichtes ist.«

Isabella hörte nicht auf diese freien Ergüsse des Jesuiten; sie war zerstreut und ihr Auge haftete an der Thüre. Pater Maurus wurde nur durch Sidoniens verständnißinniges Lächeln belohnt, während Ursula durch frommen Augenaufschlag verrieth, daß sie von der letzten Redewendung nur den geistlichen »Schaum« und »Ueberguß« genascht. Der Pater war in der besten Laune, denn er befand sich in einem Kreise, der ihn vergötterte. Doch legte er seine bleichen, schönen Züge in eigenthümliche Falten, um seine Mundwinkel spielte ein feines Lächeln und die tiefliegenden Augen glänzten vor Siegesgewißheit, als er, sein Glas erhebend, in die Worte ausbrach:

»Beiläufig, man kann ja gratuliren!«

»Wozu?« riefen die Tanten verwundert und auch Isabella lauschte gespannt.

76 »Nun, der protestantische Herr Vetter hat ja wohl die Friedenspräliminarien überbracht, und der böse Proceß ist zu Ende.«

»Ach nein,« seufzten die Tanten gemeinsam, wenn auch mit verschiedenen Nebengedanken.

Der Pater war mit Hilfe des Küchengnoms längst von Arthurs Besuch unterrichtet.

»Wohl ein charmanter Herr, der Herr von Seidlitz?« Mit scharfem Blicke betrachtete er bei dieser Frage über das hochgehaltene Glas hinweg Isabella, welche unwillkürlich von diesem Blicke betroffen wurde.

»Ein prächtig frisches Blut,« erwiderte Sidonie.

»Etwas keck, ganz wie sein Vater,« ergänzte Ursula.

»Laßt Euch nicht bestechen! Darauf ist es blos abgesehen! Keinen Schritt breit nachgeben – Ihr seid in Eurem Rechte! Der schmucke Junker ist gewiß ein vortrefflicher Diplomat – ich kenne das! Es wird ihm an Fürsprache nicht fehlen, denn der schmeichelt sich in die Herzen ein. Doch er ist und bleibt ein Ketzer und hinterdrein wird's zu Tage kommen, daß alle Versprechungen nur Lug und Trug gewesen.«

»Sie irren,« rief jetzt Isabella plötzlich hoch erzürnt. Der Pater vergoß einige Tropfen aus dem vollen Glase, das in ein leichtes Schwanken gerieth; denn Don Juan konnte vor dem steinernen Comthur, der unversehens zum Leben erwachte, nicht mehr 77 erschrecken, als der Jesuit vor diesem bisher so schweigenden Mädchen, über das plötzlich eine tiefe Erregung gekommen war.

»Sie irren! Arthur ist redlich und meint es gut. Ich darf es nicht dulden, daß unsere liebsten Verwandten verdächtigt werden.«

Der Jesuit zeigte sich keineswegs entrüstet über diese Empörung im eigenen Heerlager. Er lächelte nur mit triumphirendem Lächeln, wie Einer, der eine erfreuliche Entdeckung gemacht, leerte sein Glas mit einem Zuge und setzte es mit einem gewissen Nachdruck auf den Tisch. Da öffnete sich die Thüre, und Arthur trat ein, kalt von Ursula begrüßt, deren Groll gegen den Neffen durch das letzte Gespräch gesteigert war, und von Isabella, die sich zu weit vorgewagt hatte, um sich nicht auf das Sorgfältigste den Rückzug zu decken, auf das Herzlichste dagegen von Sidonie und den beiden Patres empfangen. Bald befeuerte der Ungarwein die Geister; die Unterhaltung wurde lebendig. Arthur erstaunte über die Fülle des Wissens, welche der Professor des canonischen Rechtes wie eine entkorkte Flasche hervorsprudelte; er erstaunte noch mehr über die weltläufige Gewandtheit des Pater Maurus, der in allen Welthändeln so trefflich Bescheid wußte, welcher die hohen Häupter der Stadt Breslau, den Syndikus Gutzmar nicht ausgenommen, mit der 78 feinsten Silhouettenscheere auszuschneiden verstand und die Denkwürdigkeiten des Wiener Hofes so genau erzählte, als hätte er die Tagebücher sämmtlicher Hoffräuleins durchgelesen; er erstaunte am meisten über die Regungslosigkeit Isabellas, die dem ganzen Gespräche so gar keine Theilnahme schenkte und sich nicht einmal durch die glücklichen Einfälle, die er nach seiner Ansicht heute gehabt, ein flüchtiges Lächeln entlocken ließ. »Der Proceß kann noch ein Jahrhundert lang fortdauern,« dachte er bei sich, »denn ich kann doch niemals ein Mädchen heirathen, das nicht einmal über meine Witze lacht! Sie konnte doch früher sprechen und lachen; jetzt steht ihr ganzes inneres Uhrwerk stille. Eine schöne Heilige – wo sie nur ihren Heiligenschein gelassen hat! Wenn sie den goldenen Streifen über dem eirunden Köpfchen hätte, da wüßte man doch gleich, woran man wäre!«

Arthur schied nicht ohne gekränkte Eitelkeit, daß sein Geist und seine Liebenswürdigkeit hier nur unter die Disteln ihren Samen gestreut hatten. In der Nähe der Sandkirche empfahl er sich den begleitenden Vätern und bog in ein Seitengäßchen ein, um bei der Wahrsagerin Erkundigungen über das Befinden ihres Pfleglings einzuziehen.

Er hatte indeß dem Pater Maurus ein so tiefes Interesse eingeflößt, daß dieser beschloß, ihm von 79 weitem zu folgen. Der Pater hatte guten Grund, auf den neuen Eindringling in das fest verschlossene Haus der Domtanten eifersüchtig zu sein. Die alten reichen Fräulein waren ganz von ihm umstrickt, und namentlich Ursula zeigte sich nicht abgeneigt, ihr Hab und Gut der Kirche zu vermachen. Die schöne Isabella aber für's Kloster zu gewinnen, erschien als eine glänzende, des höchsten Eifers werthe Eroberung. Das Vermögen der Pogarell war durch das Testament Reichenbachs mit schönen, begehrenswerthen Besitzungen vermehrt worden, welche ihnen freilich in dem Proceß streitig gemacht wurden. Doch gab dieser, so lange er schwebte, einen willkommenen Anknüpfungspunkt für die Rathschläge des Paters und für seine beständige Einmischung in die Angelegenheiten der Familie. Alle diese Pläne durchkreuzte die Ankunft des Junkers, der, wie der Pater sich heute Abend überzeugen konnte, bereits in bedenklicher Weise Isabellas Theilnahme erregt hatte. Doch war Arthur für den Jesuiten noch ein unbeschriebenes Blatt; – es galt, in den Chiffern einer nur für ihn leserlichen Geheimschrift sein Charakterbild, sein Leben und Streben in die Register des Ordens einzutragen. Jeder, auch der zufälligste Anhalt war erwünscht, und so zögerte der Pater nicht, den heutigen Abendgang des Junkers zu belauschen. Es gelang ihm auch, trotz der engen 80 Gäßchen, in welche Arthur einbog, noch rechtzeitig die letzte Straßenecke zu erreichen, um den Junker in das Hausthor der Wahrsagerin eintreten zu sehen. Er erkannte auf den ersten Blick, daß dies nicht die Wohnung eines Herrn von Seidlitz sein könne – das abenteuerliche Bauwerk mit den russigen Balken und der hölzernen Galerie sah doch zu ärmlich dafür aus. So war er sicher, hier irgend eine für seine Zwecke nicht unwichtige Entdeckung machen zu können, und hoffte mindestens eine kleine Liebschaft ans Tageslicht zu bringen und dann den Verbrecher vor den frommen Domtanten und der stolzen Isabella an den Pranger zu stellen. Er beschloß, am nächsten Tage in bürgerlicher Tracht das Haus zu besuchen, nachdem er vorher über die Bewohner desselben Erkundigungen eingezogen, um einen geeigneten Vorwand zu finden, und trat mit dem stolzen Selbstgefühl, diesen Tag nicht verloren zu haben, seinen Rückweg an. 81

 


 


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