Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Zwölftes Kapitel.

Im Reich der Täuschung.

Der Zauber der Bühne ist zu allen Zeiten derselbe gewesen! Wer ihm einmal verfallen ist, kehrt trotz aller Enttäuschungen immer wieder zurück zu der lampenhellen Scheinwelt, zu dieser Welt von Pappe und Lumpen mit ihrem ölgetränkten Theatermond, dessen Licht mit dem schönsten Mondschein der Juninacht in berückender Magie wetteifert. Die Flucht aus der Alltagswelt und ihren kalten trüben Nothwendigkeiten in das Reich der Phantasie; das ist das Geheimniß des Reizes, den die Bühne ausübt; jedes Bild im Spiegel ist ein verklärtes Abbild der Wirklichkeit.

Für Marie hatte die Bühne neuen Zauber; es war ein Leben, dem sie so lange entfremdet war und obschon sie das Treiben hinter den Coulissen nach wie vor in seiner Hohlheit und Widerwärtigkeit 286 durchschaute, so fand doch ihr dichterisch gestimmtes Gemüth hohe Befriedigung in der Wiedergeburt der Gestalten der Dichter, im Ausdruck der Empfindung und der Leidenschaft. Die Zuhörer aber waren darüber einig, daß sie an Kraft und Feuer der Darstellung gegen früher viel gewonnen hatte, und obschon das Zärtliche, Empfindsame und Gefühlvolle ihrer Eigenheit am verwandtesten war, so hatten doch die Schicksale, die sie erlebt, die Aufregungen, die sie durchgemacht hatte, sie auch für die Darstellung gesteigerter Leidenschaft befähigt. Ohne die mächtige Stimme einer Kleopatra zu besitzen, wirkte sie durch die innerlich erzitternde Ergriffenheit ihres ganzen Wesens und durch jene einzelnen zündenden Ausbrüche, in denen sich Tiefempfundenes zu gewaltiger Wirkung zusammenfaßt.

In dem Schaffen und Wirken selbst fand Marie, welche so lange zu einem Leben thatloser Ergebung verurtheilt war, neue Befriedigung . . . und wer vermag sich der betäubenden Macht des Beifalls zu entziehen, welche nicht blos der Eitelkeit eine willkommene Nahrung giebt, sondern auch jedes künstlerische Streben zu doppeltem Eifer der Bewährung, zu erhöhten Leistungen ermuthigt? Auch ließ sich Marie nicht irre machen durch ungünstige Beurtheilungen, welche bisweilen ihren Vorführungen in der Zeitung: »Immer was Neues, selten was Gutes« zu 287 Theil wurden; der Kritiker tadelte oft ihr weinerliches Wesen mit auffallender Gehässigkeit. Es war dies eine kleine Genugthuung, welche Kleopatra sich verschaffte, gegenüber den Erfolgen einer Schauspielerin, die sie nicht entbehren konnte, deren Beliebtheit ihr als Directrice willkommen, aber als gefeierter Künstlerin ein Dorn im Auge war. Der Kritiker ließ sich in vertraulichen Unterredungen, deren überzeugende Kraft durch klingende Münze verstärkt wurde, »dirigiren« und hielt einen klugen Mittelweg ein, indem er Marie hinlänglich lobte, um den Einnahmen der Direction keinen Schaden zuzufügen, aber bisweilen mit hämischen Bemerkungen und durch herabsetzende Vergleichungen mit Kleopatra sie in die Schranken zurückwies, welche eine Künstlerin zweiten Ranges nicht überschreiten darf.

Zu allen Zeiten haben die Bühnenleiter dem Geschmack der Menge gehuldigt, um ihre Kassen zu füllen; es war eine seltene, glänzende Ausnahme, wenn ein Director bestrebt war, bildend auf diesen Geschmack einzuwirken, selbst auf Unkosten seiner Kasse. Die größten Hoftheater rühmen sich nur ihrer Einnahmen, nicht ihrer künstlerischen Richtung. Das Deficit des Geschmacks ist gleichgiltig, das Deficit der Kasse ein haarsträubendes Ereigniß. Auch Kleopatra, obschon sie persönlich lebhaften Sinn für die in dem 288 Kränzchen gepflegte dramatische Dichtung der schlesischen Poeten hegte, huldigte der Richtung des Publikums, das sich immer mehr dem französischen Geschmack zuwendete; denn Stücke von Racine, Corneille, Regnard, Voltaire, Favart bildeten den Kern des Repertoirs; deutsche Dichtung trat ganz in den Hintergrund, und war meistens nur durch Hanswurstiaden vertreten. So war es unter Kleopatra, wie unter ihrem Nachfolger Schoenemann. Doch die französischen Tragödien boten dem Talent der Schauspieler und Schauspielerinnen manche glänzende Aufgabe, und Marie hatte für diese Stücke, in denen sich immerhin eine geläuterte Bildung aussprach, die dankbaren Sympathien, welche die Künstlerinnen den Dramen zuwenden, denen sie Anregungen ihrer schöpferischen Kraft und lebhafte Erfolge verdanken.

Das Ballhaus in der Neustadt, damals das Schauspielhaus von Breslau, hatte noch sehr ursprüngliche Einrichtungen; es war eine Art von Rohbau und die Bühne, da der Saal auch oft anderen Vergnügungen diente, nur wie ein Nomadenzelt hineingebaut. Doch Darsteller und Publikum vergaßen die wenig glänzenden Umgebungen, wenn die schwunghaften Worte der Dichtung, die Spannung der Verwicklungen, der Geist der Künstler und die Schönheit der Künstlerinnen die Gemüther in ihrem Bann 289 hielten. Marie selbst wurde getragen durch eine erhöhte Stimmung ihrer Seele; ihre Hoffnungen auf ein Wiedersehen mit Sigismund wurden von Kleopatra künstlich genährt; sie fühlte gleichsam den beseligenden Hauch seiner Nähe; sie glaubte an die Rückkehr des verlorenen Liebesglückes. Allabendlich suchten ihre Blicke ihn unter den Zuschauern, und wenn sie ihn nicht fanden, war sie um eine Enttäuschung reicher, aber nicht um eine Hoffnung ärmer; denn was der heutige Tag versagt hatte, konnte ja der nächste gewähren. In diesem süßen Bangen der Sehnsucht fand sie von selbst den hinreißenden Ausdruck für eine Ximene im »Cid« und ähnliche Rollen und bestrickte die Herzen empfänglicher Hörer; ja der erste Liebhaber des Theaters selbst war von dem theatralischen Liebesspiel so bezaubert, daß er auch außerhalb der Bühne der Künstlerin seine Huldigung zuwandte und sie mit einer verschämten Neigung verfolgte, wie sie sonst auf den Mistbeeten des Theaterlebens sich nicht zu zarter Blüthe zu entfalten pflegt. Er weihte ihr einen aufopfernden Ritterdienst, errieth alle ihre Wünsche und bewahrte dabei eine fast schüchterne Zurückhaltung. Gleichwohl galt er sonst für einen Don Juan, für einen Wüstling mit unbezähmbaren Leidenschaften, der einer heute erwachten Neigung morgen schon den vermessensten Antrag folgen ließ; 290 es giebt aber weibliche Mimosen, welche durch ihr zartes, scheues Wesen jede Berührung von sich fern halten, und für den Reiz solcher Weiblichkeit sind oft gerade diejenigen am empfänglichsten, welche sonst gewohnt sind, die Frauen wie Bücher zu behandeln, die man durchblättert und dann bei Seite wirft.

Agnes besuchte Marie und auch das Theater öfters; sie erfreute sich an der zarten Empfindung, an dem edlen Schwung der Darstellerin; sie tröstete sie über die harte Geduldprobe, die sie nicht blos ihrem Sigismund, sondern auch ihrem Vater gegenüber zu bestehen hatte; denn nach längerer Rücksprache mit Doctor Morgenstern hatte auch Agnes die Ueberzeugung gewonnen, daß es am besten sei, die ja bald bevorstehende Ankunft des Königs in Breslau abzuwarten, um durch einen entscheidenden Machtspruch die Haft des Predigers zu brechen.

Kleopatra, bei welcher die Ruhmsucht mit der Trägheit in einem bei Künstlern nicht ungewöhnlichen Kampfe lag, hatte die eine oder andere Rolle, wenn auch nicht ohne ein unbehagliches Gefühl künstlerischer Eifersucht, an Marie abgetreten. So hatte diese auch an einem Morgen die Rolle der »Phädra« erhalten und beeilte sich, der Directorin dafür ihren Dank auszusprechen. Diese wohnte längst nicht mehr in der ärmlichen Wohnung mit den durchsichtigen Thüren, 291 in der wir einmal ihr ernstes Gespräch mit Sigismund belauschten; sie hatte sich in einem der stattlichen Patrizierhäuser auf dem Ring eingemiethet, wie es einer »Komödienmeisterin« geziemte. Durch lange, stattliche Hausflure mußte man hindurchschreiten, vorbei an schweren, eisenbeschlagenen Thüren, ehe man zu der steinernen Treppe gelangte, welche in die höheren Stockwerke führte; alles athmete behaglichen Wohlstand und auch Kleopatra lebte nicht mehr hinter den vier Pfählen der wandernden Schauspielerin; der Vorsaal, der zu ihrer Wohnung gehörte, war stattlich und geräumig; es blitzerte alles, Wände, Fußboden, Thüren und Thürklinken.

Marie ließ sich anmelden, doch es dauerte geraume Zeit, ehe sie eingelassen wurde. Keineswegs hatte die »Komödienmeisterin« diese Zeit dazu verwendet, Toilette zu machen, denn als Marie endlich eintrat, fand sie dieselbe in einem Negligée, welches durchaus keine besondere Sorgfalt verrieth. Kleopatra erschien zu Hause immer im Negligée, und es kam nur darauf an, ob dasselbe einen größeren oder geringeren Grad von Luftigkeit besaß. Es richtete sich dies mehr nach der Temperatur, als nach den Besuchern; denn als Machthaberin fühlte sich Kleopatra über die Kritik erhaben, und ihre Bequemlichkeit hatte große Fortschritte gemacht. Auch ihre Eitelkeit litt nicht unter 292 der Lässigkeit ihrer Toilette; im Gegentheil, sie glaubte in einer leichten Gewandung, welche diesen oder jenen Reiz gelegentlich ausplauderte, alle Nebenbuhlerinnen beschämen zu können.

Kleopatra erhob sich kaum vom Sopha, als Marie im Zimmer erschien. Auch hier blitzerte alles, die Messingbeschläge der künstlerisch geschweiften Kommoden, die Schränke mit dem vielfach, auch mit bunten Figuren geschmückten Holzgetäfel, die Spiegel mit den geschweiften, mit Drachen und allerlei Figuren überladenen Goldrahmen, die Kandelaber; doch der Blick der Eintretenden fiel sogleich auf das kleine Sophatischchen, auf welchem sich eine Tokaierflasche mit zwei Gläsern befand, und in beiden Gläsern waren noch Reste des köstlichen Trankes sichtbar.

»Setze Dich, meine Liebe,« sagte Kleopatra mit Würde, indem sie auf einen Polsterstuhl hinwies, dessen Lehne die Phantasie des Rococotischlers mit einem Durcheinander von Schlangen, Sphinx- und Drachenköpfen geschmückt hatte.

»Ich komme,« sagte Marie, »Dir für die Rolle der Phädra zu danken; ich werde mir Mühe geben, sie so durchzuführen, daß ich meiner Vorgängerin nicht ganz unwürdig bin.«

»Ach, man altert und wird bequem,« sagte Kleopatra, »und mit Unrecht tadeln die Menschen unsere 293 Eitelkeit. Wir werden der Lorbern nur zu rasch müde, und freuen uns aufrichtig an den Triumphen jüngerer Kräfte. Du bist noch etwas jung für die Phädra; Dir fehlt noch ein gewisser Aplomb für die Leidenschaft und Würde für die Königin. Du machst noch immer zu sehr den Eindruck eines harmlosen Dings! Doch das mußt Du eben lernen abzustreifen. Nimm eine gesetzte Miene an, laß alle jugendliche Schwärmerei! Diese Phädra ist eine kundige Athenerin; es muß in ihrer Leidenschaft ein gewisses Raffinement durchschimmern. Närrchen, das mußt Du eben lernen darzustellen.«

»Doch dieser Hippolyt . . . die Zuschauer werden an solche Leidenschaft gar nicht glauben können.«

»Ich gebe einen Hippolyt, so gut ich ihn habe,« sagte Kleopatra majestätisch, »ich kann ihnen jetzt keinen besseren liefern. Es ist wahr, er bewegt seine Arme wie Windmühlenflügel und klappt sie bei den Umarmungen in den Liebesscenen wie eine Fliegenklatsche zu; er hat die Figur eines Knochenmannes und die Geberden eines Zappelmannes und dazu eine unglückselige Nase, groß und dick zugleich und nichts weniger als griechisch. Das mußt Du alles vergessen machen durch Dein Spiel, darin soll ja Deine Kunst bestehen. Die Zuschauer müssen mit den Augen der Phädra, mit Deinen Augen sehen und Deine 294 Schwärmerei so begreiflich finden, als wäre dieser Hippolyt ein wahrer Antinous und nicht ein klappernder Storch.«

»Und dann Theramen – er deklamirt zu falsch; wird er die lange Erzählung vom Tode des Hippolyt nicht zu Fall bringen?«

»Ich habe auch keinen anderen Theramen; es ist wahr, er hat eine Stimme, die immer umschlägt; doch wer kann es ändern? Im Uebrigen, liebes Kind, kümmerst Du Dich viel zu viel um die Mitspielenden. Du scheinst die Geheimnisse des theatralischen Erfolges nicht zu kennen. Je schlechter die andern sind, desto mehr dienen sie Dir zur Folie; je tiefere Schatten ringsum, desto heller strahlt Dein eigenes Licht. Das sind ja alles nur Maschinen; wenn sie die Stichwörter richtig bringen, haben sie ihre Schuldigkeit gethan. Geht auch das Trauerspiel dabei in Fetzen: das sind nur Schleifen für Deine Lorberkränze. Jeder Künstler will glänzen: das ist sein gutes Recht.«

Marie horchte den Mittheilungen der kunstverständigen Bühnenleiterin mit anscheinender Andacht, indem sie ihren widersprechenden Empfindungen nicht Ausdruck gab. Sie erhob sich indeß, um Kleopatra nicht länger zu stören, denn die beiden Weingläser waren doch zu plauderhaft und vielsagend, und wenn Marie noch Zweifel gehegt hätte, ob sie in der That einen Besucher vertrieben, so wurden dieselben gerade 295 in diesem Augenblicke zu fester Gewißheit, denn in dem Nebengemach, dem Garderobezimmer der Komödienmeisterin, stürzte eben ein Kleiderhalter geräuschvoll um und irgend ein vorzeitlicher Säbel einer Semiramis oder Kleopatra rasselte lärmend auf dem Boden. Doch ehe Marie schied, konnte sie die Frage nicht unterdrücken, die sie längst auf dem Herzen hatte.

»Wie geht es Sigismund?« sagte sie flüsternd.

»Gut, ganz gut,« erwiderte Kleopatra, »er ist zwar in der Verbannung, doch er macht sich dieselbe so angenehm wie möglich.«

»Hat er jüngst geschrieben?« frug Marie.

»Er läßt Dich grüßen, freundlich grüßen wie immer.«

»Doch warum schreibt er nicht selbst.«

»Ei, liebes Kind, nach dem was vorgefallen, müßt Ihr Euch zuerst sehen und aussprechen! Ein so tiefer Riß läßt sich nicht aus der Ferne heilen; ich hoffe, er wird nächstens in Breslau eintreffen, denn seitdem das Oberamt beseitigt ist, drückt man längst ein Auge zu, wenn die einzelnen Herren Beamten sich in Privatangelegenheiten hier einfinden. Dann verständigt Euch; das geht immer besser, wenn man sich Aug' in Auge steht; ich geb' Euch dazu meinen mütterlichen Segen.«

296 Diese Worte zauberten ein freudiges Lächeln auf Mariens Lippen und mit leichtbeflügelten Schritten hüpfte sie die steinerne Treppe hinunter, während die angelehnte Thür des Garderobezimmers aufgerissen wurde und ein junger Mann mit etwas erzürnter Miene der Theaterleiterin gegenübertrat.

»Muß ich mich vor dem Geschöpf noch in diesem Winkel verbergen,« rief Sigismund ärgerlich; »man kann sich gar nicht rühren vor lauter Hermelinmänteln und königlichen Schleppkleidern; vor Ungeduld warf ich einen Ständer um, an dem auch ein solches Amazonenschwert baumelte – hoffentlich ist es nicht aus der Scheide und in den Flitter hineingefahren!«

Kleopatra eilte mit ängstlicher Miene in ihr Heiligthum; denn das Garderobezimmer ist das Heiligthum einer Schauspielerin; hier ist alles, woran ihr Herz hängt, der Schatz ihrer Ersparnisse, in allerlei Prunkgewändern angelegt. Der Schaden erwies sich als erträglich; es lagen nur ein paar Mäntel im Staube, der sich wieder abschütteln ließ.

»Ich bin Jurist und weiß, daß ich ersatzpflichtig bin, wenn Deine Kleider Havarie gelitten haben,« rief Sigismund der Zurückkommenden entgegen, indem er sich mit Gemüthsruhe ein Glas Tokaier einschenkte.

297 »Ich verlange keine Entschädigung,« sagte Kleopatra stolz; »wer könnte uns für den Schaden aufkommen, den uns die Ungeschicklichkeit der Männer zufügt! Was soll sich Marie denken?«

»Was sie mag,« meinte Sigismund ärgerlich, »sie wird dergleichen schon oft gedacht haben, ohne daß gerade Deine Kleiderständer umzustürzen brauchen.«

»Und doch ein wenig schadlos mußt Du mich halten,« sagte Kleopatra, indem sie sich zu Sigismund auf das Sopha setzte.

»Nun,« brummte dieser, »ich bin nicht gerade neugierig.«

»Du mußt Marie sprechen und einmal freundlich gegen sie sein.«

Sigismund wollte mit einem unwilligen Satz vom Sopha aufspringen, doch Kleopatra hielt ihn mit starkem Arm zurück und umarmte ihn dann zärtlich, indem sie ihm liebevoll in die Augen sah. Ihre eigenen, junonischen, etwas starren Augen nahmen den feuchten Schimmer an, wie er zu einer rührenden Bitte paßte, während Sigismund wie verwundert über diesen seltenen Edelmuth auf das üppige Weib sah, das ihn so fest umstrickt hielt.

»Du bist ja erstaunlich großmüthig,« sagte er, »oder bist Du meiner schon wieder satt?«

298 »Das weißt Du, wie ich Dich liebe,« erwiderte Kleopatra, »ein so schlechter Mensch wie Du verdient solche Liebe gar nicht.«

»Schlange!« sagte Sigismund mit selbstgefälligem Lächeln und warnend aufgehobenem Zeigefinger.

»Hör' mich nur an! Marie ist meine Freundin und man will seine Freundinnen glücklich wissen, so weit dies eben möglich ist . . .«

»Und uns nicht in unserm Glücke stört,« fügte Sigismund spöttisch hinzu.

»Außerdem ist sie das beste Mitglied meiner Gesellschaft, und da ich jetzt anfange ein wenig nachlässig zu werden – lieber Freund, es ist Deine Schuld! Nicht blos die Rinaldo's werden im Zaubergarten der Armiden müde und träge, sondern auch diese selbst –«

»Mein Schatz, Sie nehm' in Acht die Würde Ihres Standes,«

declamirte der Assessor, indem er das gefüllte Glas leerte:

»Und faß im tiefsten Fall ihr diesen Muth in Sinn,
So starb Egyptenlands geborne Königin.«

Das sagt Antonius zu Kleopatra!«

»Ich glaube nicht,« fuhr die Künstlerin mit gewichtigen Mienen fort, »daß ich mir vor der Welt bisher das Geringste vergeben habe; wenn ich mir's bequem mache, so glaubt sie, daß ich müde bin von den Directionslasten. Doch da ich's einmal bin, so 299 ist Marie die Hauptstütze meines Unternehmens und ich muß sie bei guter Laune halten, damit ihre schwermüthigen Neigungen nicht wieder das Uebergewicht gewinnen. Sie ist mir jetzt unentbehrlich. Du mußt sie sehen und sprechen, ihr Deine Verzeihung zusichern, freundlich gegen sie sein; dann ist sie auf lange Zeit hinaus getröstet und geht immer frisch an's Werk, sie ist eine genügsame Seele . . .«

»Bei Gott, das kann ich nicht finden,« unterbrach sie Sigismund; »das Mädchen ist gefährlich, sie gehört zu jener unglücklichen Sorte, welche gleich an's Heirathen denkt, was doch sonst beim Theater nicht gerade Mode ist. Ich habe gesehen, wozu solche Heirathstollheit fähig ist, und habe durchaus nicht Lust, noch einmal diese Erfahrung zu machen. Ich kann die Spröden und die Wilden vertragen, aber nicht die Berechnenden! Handelte es sich nur um einen Shawl oder einen Zobelpelz; doch gleich die Ehe zu verlangen . . . es ist schamlos!«

»Thu mir's zu liebe,« sagte Kleopatra; »sieh, so bald Du nicht eine andere heirathen willst, ist auch Deine sanfte blauäugige Freundin geduldig! Du sprichst sie einen Augenblick, Du reisest ja bald wieder fort, und wir haben dann eine tapfere Darstellerin voll frischen Muthes!«

300 »Ei, ist denn keine Gefahr dabei, siegesgewisse Egypterin,« sagte Sigismund, »bin ich denn an Deinen Triumphwagen so fest gebunden, daß die Stricke nicht reißen können? Wenn sie mir nun wieder gefiele, die liebe Kleine, wenn ich wieder Geschmack an dem Veilchen fände und die Centifolie am Wege stehen ließe?«

»Das wirst Du nicht, Sigismund,« sagte Kleopatra, »ich bin Deiner sicher! Wer die Göttin umarmt hat, sehnt sich nicht danach eine Wolke zu umarmen. Marie ist nur eine Wolke, in Thränenschauern und Abendroth, sie zerrinnt Dir unter den Händen!«

»Stolze Göttin! Das nenn' ich ein üppiges Selbstgefühl! Das sprengt ja alle Schnürbrüste und Reifröcke! Nun meinetwegen! Ich will Dir zu liebe liebenswürdig gegen sie sein, ein paar Worte mit ihr sprechen. Ich grolle ihr gar nicht mehr, ich habe im Gegentheil allen Grund ihr dankbar zu sein, denn ich glaube nicht, daß es ein sehr glücklicher Gedanke von mir war, das Fräulein Gutzmar heirathen zu wollen. Sie hat kein allzugroßes Vermögen; und was nützt auch bei einem Fingerhut Verstand das größte Nadelgeld? Und mit dem Einfluß des Herrn Onkels ist es jetzt zu Ende; er ist ein Gefangener der Preußen. Ich hatte mich verrechnet, und wenn mir die schwärmerische Kleine einen Strich durch diese falsche Rechnung 301 machte, so hatte es weiter nichts zu sagen. Doch wo soll ich sie sprechen?«

»Heute Abend im Theater! Sie spielt die Ximene im »Cid«, Du kannst ja in einem Zwischenakt auf die Bühne kommen.«

»Wohlan, ich werde das Album meiner Vergangenheit wieder aufblättern und das Blatt mit dem Vergißmeinnicht andächtig betrachten!«

Nach dieser ernsten Unterredung sprachen der Oberamtsassessor und die Komödienmeisterin wieder dem Tokaier eifrig zu, und Kleopatra suchte durch das ganze Aufgebot ihrer Liebenswürdigkeit im voraus die bevorstehende Zusammenkunft möglichst unschädlich zu machen.

Am Abend fand sich Sigismund pünktlich in dem Ballhause der Neustadt ein; die »breite Straße« war mit glänzenden Equipagen angefüllt; denn seit dem »krummen Lorenz« war wieder frisches Leben in die Stadt eingekehrt, der Würfel war einmal gefallen, und auch die Widerstrebenden fügten sich in das Unvermeidliche. Die preußischen Offiziere besuchten das Theater fleißig; sie spendeten Marie stets den lautesten Beifall, denn nicht nur gefiel ihnen die anmuthige Erscheinung des Mädchens; sie wußten auch, daß sie ein Schützling von Agnes von Walmoden sei, und diese wurde in ihren Kreisen wie eine Schutzheilige 302 verehrt; ihr Name war mit der Besetzung Breslaus eng verknüpft. Sigismund fand sich nicht gerade behaglich unter diesen Uniformen, die einen breiten Raum auf den Sitzen des Ballhauses einnahmen; doch mit der gewiegten Miene des alten Stammgastes und erprobten Kunstkenners an dem Pfeiler lehnend, wo seit unvordenklichen Zeiten sein Platz war, kam er bald wieder in jene künstlerische Stimmung, in welcher ihm seine Umgebung gleichgiltig wurde. So abgestumpft er gegen die Gefühle war, die ihm im Leben entgegentraten, so empfänglich war er für alle Eindrücke der Künste, besonders der Dicht- und Schauspielkunst. Hier konnte dem ausgebrannten Wüstling noch das Feuer begeisterter Theilnahme entlockt werden, und hierin lag auch der Zauber, den Sigismund in so nachhaltiger Weise auf das Gemüth Mariens ausübte.

Gleich als der Vorhang in die Höhe gezogen war, erblickte Ximene ihren Cid am Pfeiler lehnend; sie konnte mit Mühe einen leisen Aufschrei unterdrücken und legte die Hand an das hochschlagende Herz. Eine kleine Pause ungewollten stummen Spieles trat ein, ehe Ximene die ersten Worte des Stückes sprach. Dann aber führte sie mit doppelter Hingebung und Wärme ihre Rolle durch; sie sprach einzelne Stellen mit einem Ausdruck, der den lautesten 303 Beifall zur Folge hatte. Das Gefühl des Glückes und der bangen Ahnung, die das Herz oft bei seinem plötzlichen Eintritt beschleicht, ein Gefühl, welchem der große Dichter Corneille so ergreifende Worte geliehen, beseelte ja ihre eigene Brust, und sie sprach diese Worte wie mit einem verschleierten Entzücken, dessen tiefinnerliches Glück mit unheimlichen Ahnungen kämpft:

Und doch – ich fühle mich bedrückt in tiefster Brust,
Als weigerte mein Herz sich der verhängten Lust:
Wie plötzlich ändert sich des Schicksals Angesicht,
Indem ein großes Weh aus großem Glücke bricht!

So wenig sie sonst aus ihrer Rolle herauszutreten pflegte: so konnte sie doch nicht umhin, bei diesen Worten einen Blick auf Sigismund zu werfen, . . . er klatschte Beifall mit den Andern.

Die Schlußscene des zweiten Aktes, in welcher Ximene die Rache des Königs auf den Mörder ihres Vaters, den Geliebten ihres Herzens, herabbeschwört, übte eine zündende Wirkung aus. Im Zwischenakte erschien Sigismund selbst auf der Bühne; sie war zufällig leer, indem die Künstler und Künstlerinnen sich in ihren Garderobezimmern befanden. Nur Marie war mit hochklopfendem Herzen zurückgeblieben; sie erwartete den Geliebten; er mußte ja kommen; sie lehnte an einer Coulisse, fast unfähig, sich aufrecht 304 zu erhalten. Der stürmische Beifall hatte sie heute trunken gemacht . . . so war sie seiner würdig!

Sigismund kam nicht ohne Verlegenheit in seinem Auftreten, er wußte nicht recht, wie er seine Worte setzen sollte und suchte so rasch wie möglich über die mißliche Einleitung hinwegzukommen.

»Sigismund,« rief sie ihm entgegen, mit einem Ausbruch tiefsten Gefühls, mit ausgebreiteten Armen, die sie plötzlich wieder sinken ließ.

Er trat auf sie zu und reichte ihr freundlich die Hand: »Ich freue mich, nach langer Zeit Dich wiederzusehen.«

»Und ich habe Dir verziehen, hast Du auch mir vergeben?« sagte Ximene, so recht aus vollem Herzen heraus, mit dem Tone edelster Hingebung.

»Lassen wir das,« erwiderte ihr Rodrigo, »darüber ist längst Gras gewachsen! Du hast in Deiner Kunst große Fortschritte gemacht, herrlich gespielt, besonders die letzte Scene! Feuer, Leidenschaft!«

»Und seh' ich Dich nie wieder allein? O, ich habe Dir so viel zu sagen, ich habe so unendlich viel auf dem Herzen. Erschrick nicht – nein, keine Vorwürfe! Ich lebte nur in Dir, nur durch Dich, so fern Du mir warst!«

»Heute Nacht muß ich Breslau wieder verlassen, doch bei meinem nächsten Besuch hier werden wir 305 uns wiedersehen, länger, ungestörter! Doch jetzt lebe wohl: ich bin hier ein unerlaubter Cid, und der aufgehende Vorhang könnte mich zum Helden einer Hanswurstiade machen, welche das schallende Gelächter des Publikums erregen würde. Leb' wohl, reizende Melpomene!«

Mit diesen Worten und einem warmen Händedruck verabschiedete sich der Assessor. Marie war selig – seltsame Täuschung des Herzens, das wie die Bienen selbst aus giftigen Blumen süße Nahrung zieht! Die Flüchtigkeit der Begegnung, der unpassende und leichtfertige Ton hätten jeden anderen von der Gleichgiltigkeit überzeugt, welche Sigismund der hübschen Schauspielerin gegenüber sogar offen zur Schau trug; sie aber sah in Allem nur den Wiederschein ihrer eigenen Liebe, welche durch die flüchtige Begrüßung zu glühender Leidenschaft entflammt war, und wie auf den Schwingen derselben getragen, war sie an diesem Abende eine Ximene von hinreißender tragischer Kraft.

Die Begegnung war indeß nicht unbelauscht geblieben; hinter der Coulisse, an welche Marie sich lehnte, stand der Rodrigo des Abends, Ximenens durch den Theaterzettel legitimirter Liebhaber, der als Held des Stückes heute wieder die Luft mit gewaltigen Fechterhieben zerspalten hatte; hier aber hatte 306 er seine Windmühlenflügel zusammengefaltet und lauschte jedem Wort Mariens mit größter Spannung. Nachdem sich Sigismund entfernt hatte, ging er in hastiger Aufregung die Bühne auf und ab, mit seinen eckigen Bewegungen und dem spanischen Costüm dem Junker von der Mancha nicht unähnlich, so daß man den Helm auf seinem Haupte leicht für ein Barbierbecken hätte halten können, wäre er nicht durch seine pappene Beschaffenheit vor jedem Vergleich mit ächtem Metall geschützt gewesen.

In der gegenüberstehenden Coulisse aber hatte Kleopatra das Stelldichein überwacht, nicht ganz ohne Eifersucht, denn so sehr sie als »Komödienmeisterin« dem Geldbeutel, diesem großen Fetisch des Jahrhunderts, ihre uneingeschränkte Huldigung darbrachte, so war sie doch nicht frei von den Anwandlungen weiblicher Schwäche, wo es sich um ihre Eitelkeit oder um ihre Liebe handelte; und es schien ihr, als ob Sigismund seiner Bewunderung der Künstlerin Marie einen etwas zu warmen Ausdruck gegeben hätte; sie vermißte in seinen Zügen nach dem Abschied das Sauersüße, das sich doch nach dem Genuß einer ärztlich verordneten, aber mit Widerwillen genossenen Medicin unfehlbar einstellen müßte.

»Das Mädchen hat heute nicht übel gespielt,« sagte Kleopatra zu Sigismund, der sie hinter dem 307 Neptun und den Tritonen des Neumarktes erwartet hatte.

»Sie ist und bleibt gefährlich, sie hat ein paar Augen, die sich festheften wie die Kletten. Ich bereue es fast, daß ich sie gesprochen habe; ich fürchte, das ganze Mädchen ist eine Klette, die ich nicht wieder loswerden kann!«

Marie aber eilte zu Agnes nach der Vorstellung; sie mußte der Freundin noch ihr volles Herz ausschütten, ihr die Seligkeit dieses Wiedersehens schildern.

Du Reich der Täuschung! Nicht die Bühne ist deine Stätte . . . nein, das Menschenherz! 308

 


 


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