Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Neuntes Kapitel.

Zu Gitschin.

Ohne ein Wort zu erwiedern, stürzte ich wieder in die Nacht hinaus; Mond und Sterne waren dicht von Wolken verhüllt, und ohne meine genaue Kenntniß aller Wege hätte ich mich nicht auf den Gebirgspfaden zurechtgefunden. Kaum fragte ich mich, weshalb ich den Flüchtigen folgen wollte! Mein Lebensglück war doch einmal zerstört; aber ich mußte erfahren, von ihr selbst erfahren, wie es gekommen, von welcher Seite her das Verderben über uns hereingebrochen sei.

In Gedanken versunken und kaum des Weges achtend, stieg ich auf der anderen Seite des Kammes in das Aupathal herab; ich watete durch die kleinen Zuflüsse, welche der Hang der Schneekoppe der jungen Aupa zusendet; ich nahm mir nicht die Mühe, von Stein zu Stein zu springen. Mitternacht war's, als 170 ich die ersten Hütten im Thale erreicht hatte; da fiel es mir erst auf das Herz, daß meine Eile vergeblich sei. Alles schlummerte, Niemand, der mir Auskunft geben konnte. Waren die Flüchtigen die Nacht durch gewandert, hatten sie gerastet in dieser oder jener Hütte – ich konnte es jetzt nicht erfragen; ich beschloß, bis zum Morgen weiter zu pilgern, um ihnen vielleicht einen Vorsprung abzugewinnen. So zog ich von Dorf zu Dorf durch die Nacht, deren Stille nur die geschwätzige Flut des Baches unterbrach. Wehmüthig klang mir das Plaudern der Wellen, wie die Klage um ein begrabenes Glück. Ich konnte den ersten Strahl des Morgens nicht erwarten; ich war rasch gegangen, ich sah's an meiner Begleiterin, der Aupa, die stattlich herangewachsen war und dem Funkeln des ersten Lichtes bereits einen breiten Spiegel bot.

Ich kehrte in einem Wirthshaus ein und erkundigte mich nach den Flüchtigen; Niemand wollte ein Paar, wie ich es beschrieb, gesehen haben. Weiter setzte ich meinen Stab; ich frug in jeder Herberge; endlich fand ich eine Spur. In der Dämmerung der Frühe hatte ein Knecht das Paar auf einem der leichten Bergwägelchen auf der Straße dahinrollen sehen und zwar dort, wo der Weg das Aupathal verläßt und sich nach Gitschin hinwendet.

171 Ich verfolgte die Straße; mir gelang es, die Spur durch Nachfragen festzuhalten bis dicht vor Gitschin. Dort verlor ich sie. Rathlos zog ich in die hohe Stadt ein – weilte sie, die ich suchte, im Schatten des hochragenden Doms?

Von Morgens bis Abends, Tag für Tag durchstreifte ich die Straßen, in allen Wirthshäusern zog ich Erkundigungen ein; hier und dort irrte mich ein röthliches Kleid, ich stürzte mich auf dasselbe zu und sah in ein fremdes Gesicht; stundenlang stand ich vor den Pforten des Doms und musterte die Eintretenden; konnte sie nicht ein altes Gefühl an die gewohnte Stätte treiben?

Was in mir vorging, läßt sich schwer beschreiben, ich hatte ein Gefühl der Oede, der Ausgestorbenheit, als schwebte meine Seele über dem Leben wie über einem Abgrund. Alle anderen Wünsche waren untergegangen in dem einen Wunsch sie wiederzusehen, als könnte aus solchem Wiedersehen sich mein erloschenes Leben zu neuem Licht entzünden – und doch sagte mir ja die flüchtigste Ueberlegung, daß dies nicht mehr möglich war!

Alle meine Schritte waren vergeblich – und ich beschloß eines Tages, am nächsten Morgen abzureisen und in meine Baude zurückzukehren. Meiner Verzweiflung hingegeben, schritt ich spät Abends durch die 172 öden Straßen, als plötzlich aus der Thür eines stattlichen, aber düstern Gebäudes ein Mann trat, dessen Züge durch einen plötzlich aus den Wolken brechenden Strahl des Mondes erhellt, mich bekannt gemahnten. Traumversunken wie ich war, hatte ich zunächst nur das dunkle Gefühl, einen Bekannten zu finden, den ich vielleicht fragen konnte. Und so sehr sein Erscheinen an den Gang meiner Gedanken und Empfindungen rührte, so war mir dieser Zusammenhang wunderbarer Weise im ersten Augenblick verhüllt, bis er auf einmal blitzartig meine Seele traf. Es war der Fremde, der Minka entführt hatte, ich war ja am Ziel und fast dämpfte die Freude hierüber meinen gerechten Zorn. Dennoch hielt ich gewaltsam den Vorübereilenden fest.

»Kennt Ihr mich nicht?« fragte ich in höchster Erregung!

»Wohl kenn' ich Euch,« sagte der Andere mit großer Ruhe, »Ihr seid der Kräutersammler aus der Baude!«

»Räuber, Entführer, wo ist mein Weib?« rief ich mit lauter Stimme, deren Echo die düstern Wände des Jesuitencollegiums wiederhallten.

»Laßt Eure Hand von mir,« sagte der Andere, »ich warne Euch! Ihr seid hier nicht unter Freunden und jede Drohung kann Euch verderblich werden. 173 Der Boden wankt hier unter Euren Füßen und wenn Ihr irgendwo leise auftreten müßt, so ist es hier!«

Er sprach dies mit großer Ruhe, ja nicht einmal unfreundlich, indem er meine Hand von sich abschüttelte, mit so geringer Gewaltsamkeit, als meine Ereiferung irgend erlaubte.

»Wo ist mein Weib?« wiederholte ich noch heftiger.

»Euer Weib? Das ist ja eben Euer Wahn, Euere Verblendung! Ihr habt kein Weib!«

»Wo ist Minka, die Ihr hinter meinem Rücken aufgesucht, bethört, entführt habt? Gebt mir sie wieder, ich verlange sie von Euch zurück!«

»Ihr haltet mich ohne Frage für einen wilden Lüstling, der eigener Neigung nachgeht und eitler Sinnenlust fröhnt! Ihr irrt! Was ich gethan, ich that es im Dienste eines Ordens.«

»Eines Ordens?« frug ich überrascht, da ich keine Spur geistlichen Wesens und geistlicher Kleidung an dem Manne entdeckt hatte, der mehr den Eindruck eines vornehmen Cavaliers auf mich machte.

»Ich will nicht länger vor Euch stehen als ein Frauenräuber. So wißt, ich bin ein Affiliirter der Brüder Jesu und handele in ihrem Auftrage.«

Ich hörte schweigend diese Enthüllung; ich empfand den Einfluß einer Macht, welche bestimmt schien, 174 mein Leben wie eine unheilvolle Constellation zu beherrschen.

»Minka,« fuhr der Jesuit fort, »ist im Schooße unserer Kirche aufgewachsen und wir vergessen nie diejenigen, welche einmal uns angehört haben, wohin auch immer ihre Lebenswege gehen mögen. Wir hatten stets ein Auge auf das Mädchen, das bisher harmlos seinem Berufe nachging. Da kamt Ihr und habt sie unserm Glauben entfremdet, habt sie verführt und entehrt; denn Ihr habt einen Bund mit ihr geschlossen, den die Kirche nicht anerkennt; es war unsere Pflicht, sie in den Schooß der Mutter zurückzuführen, auf daß sie Buße thue wegen ihrer Verirrung! Mir ist es gelungen, sie von ihrer Schuld zu überzeugen und freiwillig ist sie mir gefolgt!«

»Laßt mich zu ihr, laßt mich zu ihr! Ich will sie heilen von dem Gifthauch, der sie berührt hat! Ihr weigert Euch!« rief ich außer mir, als der Jesuit eine abweisende Bewegung machte, »welche Hindernisse sich auch entgegenstellen mögen, ich bin entschlossen, sie zu besiegen. Fort aus meinem Wege, ihr bösen Geister!« Und ich schleuderte, meiner selbst nicht mächtig, den Entführer meines Weibes beiseite, daß er fast an die steinernen Ecken des Portals gefallen wäre. Er raffte sich rasch auf und sprach mit milder und leiser Stimme:

175 »Thörichter! Vermeidet jeden Zorn! Ich brauche nur diesen Griff zu berühren, nur an dies Thor zu pochen, und Ihr seid dem Gericht verfallen, das über Euerem Haupte schwebt. Ich habe Euch geschont, ich allein, ich mied es, Euch zu sehen, zu sprechen; ich hatte Vollmacht, was Euch betrifft, zu thun, was mir gut schien; ich konnte Euch festhalten, Euch anklagen, denn Ihr habt zur Apostasie verführt und seid selbst ein Apostat. Euer Vater ist der Kirche untreu geworden, und schwere Strafen sind verhängt für solchen Frevel! Ich nahm nur zurück, was Ihr uns entwendet habt und ließ Euch ruhig des Weges ziehen. Warum ich's gethan? Ich bin der Milde mehr zugewendet, als der Strenge, und die geistreichen Männer unseres Ordens haben für jeden einzelnen Fall unserem Gewissen freies Spiel gelassen. Auch fühle ich jetzt nicht Rachelust für Euer schnödes Benehmen gegen mich; ich warne Euch nur, daß Ihr mich nicht zwingt, aus Nothwehr Euch zu verderben.«

Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich; die Gelassenheit und Milde, die ich selbst im Sturm der Leidenschaft verleugnet hatte, bannte plötzlich, als sie mir so großmüthig gegenübertrat, meinen Zorn. Wohl war der Mann, den ich mißhandelt hatte, der Räuber meines Glückes; doch er gehorchte nur dem Gebote seines Ordens, seinen 176 Ueberzeugungen und hatte Güte und Milde gezeigt, wo ihm die freie Wahl gelassen war. Fast that es mir leid, daß ich mich an ihm vergriffen hatte, doch mitten in meinen billigen Erwägungen, welche der Sinnesart des Anderen gerecht zu werden strebten, übermannte mich wieder das Gefühl meines zerrütteten Lebens.

»Wenn Ihr menschlich fühlt,« rief ich, »so sagt mir, wo Minka verweilt, daß ich sie zum mindesten sehen und sprechen kann.«

»Es wäre das gegen meinen Eid und meine Pflicht,« erwiderte der Jesuit, »doch daß Ihr nicht in Sorge um sie seid, sage ich Euch nur, sie ist der Obhut der Priorin eines Frauenklosters in diesem Lande übergeben, wo ihr keine Gefahr droht und gute Pflege zu Theil wird. Fragt nicht weiter, gebt es auf, sie zu suchen; es ist vergebens!«

»Und wißt Ihr denn,« rief ich, »daß außer dem Glück, welches sie mir gewährt hat, sie mir noch ein neues Glück verhieß, als Ihr sie aus meinen Armen rißt? Ihr raubt nicht nur dem Gatten die Gattin, Ihr raubt dem Vater das Kind und dem Kinde den Vater.«

»Beruhigt Euch,« sagte der Jesuit mit großer Ruhe, »ein Kind, das nicht in rechter Ehe geboren wurde, gehört der Mutter – so will es die Natur und das Gesetz. Nur der Segen der Kirche kann 177 ihm einen Vater geben. Genug der müßigen Worte – lebt wohl und verlaßt Gitschin, ehe es zu spät wird.«

Mit sanftem und freundlichem Gruß schritt er an mir vorüber; ich ließ ihn ziehen, hoffnungslos, verzweifelt! Nie hätte er mir die Stätte angegeben, wo Minka weilte; vergeblich wäre jeder Versuch gewesen, ihn zu zwingen, und hätte mir nur selbst Gefahr gebracht. Wie aber sollte ich in das Geheimniß der zahlreichen böhmischen Frauenklöster dringen? Da fehlte mir ja jeder Fingerzeig und wäre mir selbst das Kloster bezeichnet worden – wie schwer wäre es auch dann noch gewesen, Zutritt in seine Räume zu erlangen!

Allerlei Gedanken, Pläne, Entwürfe drängten sich in mir auf dem Rückwege; nicht die plaudernde Aupa im Thal, nicht der frische Hauch der Berge vermochten den Geist abzulenken von seinem innern Brüten. Doch jeder Faden, den ich verfolgte, führte mich in ein neues Labyrinth; aus einem Irrgang taumelte ich in den andern; nirgends ein Weg zum ersehnten Ziele – so blieb mir nur jenes stumpfe und dumpfe Gefühl, welches nach vergeblichen Anstrengungen zurückbleibt und uns die Last des Lebens doppelt schwer empfinden läßt.

178 In der Baude angekommen, sprach ich sogleich mit Wanda; sie war auch ein böhmisch Kind, in Klosterschulen erzogen und hatte allerlei Bekanntschaft mit den frommen Frauen und anderen, die im Verkehr mit den Klöstern stehen; denn der tägliche Bedarf des Lebens führt doch Manchen in die abgeschlossenen Zufluchtsörter, und unzeitige Geschwätzigkeit, die kein Gelübde bindet, löst das Siegel von manchem Geheimniß. Als die Tage kürzer, trüber und herbstlicher wurden, beschloß Wanda, sich vom Baudenwirth Urlaub zu erbitten, ihre Heimat aufzusuchen und dabei Nachforschungen nach Minka anzustellen. Denn ihre eigene Wiege stand im Schatten eines Klosters der Ursulinerinnen. Mit fieberhafter Spannung harrte ich ihrer Rückkehr; oft in meinen Träumen lag ich in Minkas Armen und solch ein Traum warf einen Lichtschein der Hoffnung in manchen trüben Lebenstag. Konnte der Zufall nicht Wanda begünstigen? Ich glaubte an den Zufall – und doch war mein Gemüth so oft dem Göttlichen zugewendet; aber in den Schicksalsfügungen der Einzelnen sah ich nur eine bunte Mischung von Schuld und Zufall, und es wollte mir lästerlich dünken, dort das Eingreifen einer höheren Macht zu suchen, wo mit so ungerechter Vertheilung für Gute und Böse die Lebensloose geschüttelt waren. Die ewige Aurora, die ich suchte, leuchtete nicht einem 179 vergänglichen Lebenstag: und darin fand ich die innere Wiedergeburt, daß ich das eigene Geschick nur wie einen zerstäubenden Tropfen betrachtete im Wasserfall des unendlichen Lebens.

Wanda kehrte zurück; auch ihre Nachforschungen waren vergeblich gewesen. Ich gewöhnte mich daran, mein Schicksal als ein unabänderliches zu betrachten, und nur die Erinnerungen an meine Bergwanderungen mit Minka, an den köstlichen Genuß des Lieblichen und Erhabenen in der Natur an ihrer Seite, an das Glück der Liebe, das sie mir gewährt hatte, gaben meinem einsamen Leben einigen Trost. Mein Freund, der Feldprediger in Krummhübel, erlag inzwischen seinem langwierigen Leiden; die Gemeinde wählte mich an seine Stelle, und der neue Beruf, der Verkehr mit so vielen braven Leuten, der Einblick in Freud und Leid ihres Lebens, ein Wirken zum Heil und Frommen so Vieler gewährte mir einige Beruhigung; ich sah, wie überall, wenn auch minder gewaltsam, ein unholdes Schicksal in das Leben der Menschen eingriff und konnte mich trösten mit dem Gemeinsamen, da nur Wenigen das Unglück erspart wird, sowie Keinem der Tod.

Ein Jahr war vergangen; wieder leuchteten die Johannisfeuer und der Mond meiner Brautnacht stand hell über den Wipfeln der Bergwälder. Da 180 erhielt ich einen unverhofften Besuch. Wanda erschien; sie war nicht mehr Harfenistin oben auf der Baude; sie hatte einen Hausirer Leuschner geheirathet, der mit allerlei Kram und Schmucksachen, aber auch mit dem Linnen der Weberdörfer des Gebirges durch die Lande zog. Auch zu den Klöstern hatte er Zutritt und so erfuhr er Manches, was sonst nicht über die Mauern hinaus ins Land dringt. Wanda hatte ihn beauftragt,. hier und dort zu horchen, ob nicht seit Jahresfrist in diesem oder jenem Kloster ein Mädchen lebe, welches nur in der Obhut der Frauen, aber nicht den strengen Klosterregeln unterworfen sei. Er hatte schon oft vergebens gefragt! Da in einem Clarissinnenkloster an der Elbe erhielt er von der Pförtnerin die fast schon unverhoffte Auskunft, ein krankes Mädchen befinde sich seit solcher Frist unter dem Schutze des Klosters, und der Genesung und der frischen Luft wegen habe man ihr ein Asyl im Garten des Klosters bereitet, in einem Gartenhause, aus welchem sie den freien Blick auf die schöne Landschaft genießen und leicht hinaus ins Freie unter die hohen Bäume treten könne. Da sie nicht der strengen Observanz der grauen Schwestern zu folgen brauchte, so war es dem Hausirer leicht, bei ihr Zutritt zu erhalten, umsomehr als er der Pförtnerin bei dem Verkauf des Linnens einen kleinen Vortheil zugewendet hatte, und kleine 181 Vortheil ist auch den Frommen genehm. Er sprach das Mädchen und ihm erschien es zweifellos, daß dies die gesuchte Minka sei; doch sie sei krank und nicht ganz ihres Geistes mächtig, wie es ihm geschienen. Sie habe indeß mit ihm gehandelt und ihn gebeten wiederzukommen.

Groß war meine Erregung, als ich dies erfuhr. Minka gefunden, sie lebt noch, sie lebt vielleicht noch für dich, wenn ihr Leiden gehoben! Ich ahnte ja den Grund dieses Leidens und damit war die Hoffnung in mir lebendig, daß es vergänglicher Art sein werde. Mein Plan stand fest; ich besprach ihn mit Frau Leuschner und sie hatte sich schon im voraus die Zustimmung ihres Mannes dazu gesichert, daß ich als ein Gehilfe des Hausirers in der Tracht der umherwandernden Händler in den Klostergarten Einlaß finden und so meine Minka wiedersehen sollte. Alles wurde auf das genaueste verabredet; ich wandelte meine Kleidung um nach der üblichen Tracht der Männer aus den Fabrikdörfern und nicht lange darauf wanderte ich, das Bündel mit frischem weißschimmernden Linnen auf dem Rücken, an der Seite Leuschners durch das Thal der jungen Elbe.

Wie schlug mir das Herz, als ich die Thürme des Klosters erblickte, welches auf einem nach der Elbe hin steilabfallenden Hügel lag! Das war ja wohl 182 die Gartenmauer, die sich den Rand des Felsens entlang zog, überragt von den Wipfeln hoher Eichen und Rüstern, und dieser in sie eingebaute Pavillon mit dem Fenster, das hinaus auf den Fluß ging, gewiß die Stätte, wo meine Minka weilte! Wie malte ich mir ihre Gestalt aus hinter den im Sonnengold blitzenden Scheiben; mit einem gemischtem Gefühl von Freude und Bangen schlug mein Herz dem Wiedersehen entgegen. Und als wir über die Elbbrücke hinübergingen, da befiel mich eine gesteigerte Bangigkeit, und ich wußte nicht, ob ich mehr fürchtete oder hoffte, es würde uns der Zutritt versagt werden. So kleinmüthig ist das Herz oft, wo es die Erfüllung seiner Wünsche gilt – oder sind es übermächtige Ahnungen, welche die Ebbe und Flut unserer Gefühle bestimmen?

Die Besorgniß, nicht zugelassen zu werden, erwies sich bald als grundlos; wir verhandelten mit der Schwester Pförtnerin am Klosterthor und eine junge Novize öffnete uns die Seitenpforte, die in den Garten führte. Wie pochte mir das Herz, als wir über die kiesbestreuten Gänge wandelten! Da öffnete sich die Thür des Pavillons und eine schlanke Gestalt im dunklen Gewande trat uns entgegen. Es war Minka! Ihre Züge waren bleich; ihre Augen halb geschlossen, der blendende Sonnenschein lastete auf den Lidern . . . 183 sie erkannte mich nicht! Mein Begleiter blieb zurück; ich trat näher, ich warf meinen Kram ihr zu Füßen. »Minka!« rief ich, meine Arme ausbreitend. War doch in diesem Augenblick alles vergessen,. was sie mir gethan; ich sah nur das Opfer, nicht die Schuldige! Ich war beseligt von dem Glück ihrer Nähe!

Und mit einem lauten Aufschrei stürzte sie in meine Arme. »Da bist Du wieder, ich habe Dich wieder! Alles ist vergessen! O, wie sah ich Dich immer fort, bei Tag und Nacht, träumend und wachend; auf dem Schmerzenslager standest Du an meiner Seite. Du hieltest meine Hand, ich sah Dir in's Auge und fand Trost darin! Bist Du es wirklich? Ist es wieder ein Traumbild, das mit den Schatten der Nacht hinweggleitet? Nein! nein! Es ist keine Täuschung meiner Sinne!«

Ich hielt sie fest umschlungen; ihr Herz, ihre Pulse schlugen in höchster Erregung; fast erfaßte mich Angst bei diesem Uebermaß des Gefühls. Ich führte sie in den Pavillon, ein flüchtiger Blick zeigte mir ein Crucifix vor einem Marienbild und eine schlichte Lagerstatt.

Sie sah mich an mit großen Augen; doch mir war's, als wenn der Augenstern sich krampfhaft erweiterte und es zuckte um ihre Lippen: »Da hör' ich sie wieder, die Nachtigall im Bergwald! Da rauschen sie wieder, die Wipfel und wie weißes Linnen breitet 184 das Mondlicht sich aus auf der weichen Matte! Doch er darf's nicht sehen, wie wir glücklich sind, er hüllt sich in eine Wolke! Hier ist's düster und traurig, aber die Wipfel rauschen wie damals! Mein Einziger, mein Geliebter!«

Der Sturm, der durch ihre Seele brauste, ließ mich nicht zu Worte kommen; alle Erinnerungen unseres Glückes wurden in ihr wach und lösten sich ab in Bildern von ungeordneter Folge; es war als ob die lange gebannten Geister der Einsamkeit und des Schweigens plötzlich eine Sprache gefunden hätten; doch das schwirrte durcheinander wie aufgescheuchte Vögel und der Taumel war beängstigend. Endlich, als sie wie aus Ermüdung schwieg, rief ich aus: »Und warum hast Du mich verlassen? Warum konntest Du mich verlassen? Galt Dir das falsche Wort der Priester mehr als die wahre Empfindung Deiner Seele? Hattest Du nicht Kraft genug, hinterlistiger Ueberredung zu widerstehen? O Minka, Du hast uns beide unglücklich gemacht!«

Die Wirkung dieser Worte war eine gänzlich andere, als ich erwartet hatte, sie wich zurück vor mir wie durch einen Bannspruch verzaubert, strich sich die wallenden Haare aus dem Gesicht, fuhr sich mehrmals mit der Hand über die Augen, als wolle sie einen unglaublichen Traum fortbeschwören; alles an ihr war 185 Kampf; ihre Wimpern, ihre Lippen zuckten; und wie ein Schütteln fuhr's durch ihre Glieder:

»Heilige Jungfrau, was hab' ich gethan?«

»Ich wiederhole es,« rief ich aus, »Du hast über uns beide Unglück gebracht!«

»Das ist es nicht, das ist es nicht!« rief sie mit zitternder Stimme, das Crucifix umfassend, »vergieb mir, Madonna! Immer neue Schuld lad' ich auf mich, ich taumle von Sünde zu Sünde! Es haftet kein Heil bei mir, keine Gnade! Ich bin und bleibe eine Verworfene!«

Und die Hand wie zur Abwehr gegen mich ausstreckend, warf sie sich zu Füßen des Heiligenbildes nieder. Da sah ich klar, daß nicht die Flucht vor mir, daß die Freude des Wiedersehens ihr als ein Frevel erschien, und kaum Herr meiner Entrüstung, brach ich in die scheltenden Worte aus:

»So schwach – und immer von neuem der alten Schwäche verfallen! So verleugnest Du die Sprache Deines Herzens und jedes menschliche Gefühl? Thörichte! Jene Einflüsterungen Deiner Priester und Nonnen sind Lug und Trug; wir waren glücklich, wir können es wieder sein, wenn Du alles von Dir abschüttelst, womit ein falscher Glauben Dein Gemüth belastet hat.«

186 »Er lästert, er lästert – vergieb ihm, Madonna!« rief sie, mich unterbrechend und die Hand wie hilfeflehend zu der Heiligen emporstreckend.

»Sieh sie doch an, diese Heilige,« sprach ich mit einem Hohn, der sonst meinem Empfinden fremd ist, denn jedes Gefühl der Andacht schien mir stets der Ehrfurcht werth, »sieh doch dies Jammerbild, das eines Malers ungeschickte Hände auf die widerstrebende Leinwand festgebannt, dies seelenlose Auge, diese Züge wie hingespritzt von dem hastenden Pinsel, diesen dicken Goldschein, der um ihre flache Stirne quillt: das ist klägliches Menschenwerk – was kann sie Dir sein?«

Händeringend lag sie mir zu Füßen, ihre Augen, auf denen wieder bleischwer die Lider lasteten, zur Erde gerichtet; sie beschwor mich, einzuhalten mit dem frevelnden Wort, welches die heilige Stätte entweihe.

»Die Heiligen haben nicht Theil an Dir,« rief ich, sie gewaltsam emporziehend, »Du bist eine Schwenckfelderin, eine Ketzerin, Du bist mein ehelich Weib! Ich habe ein Recht auf Dich, das mir die Klerisei, das mir der Papst selbst nicht streitig machen kann!«

»Nimmer, nimmer!« rief sie wie angstvoll sich sträubend dazwischen. »Kein Sacrament hat unseren Bund geweiht, sündig war unsere Liebe!«

187 »Und Du bist nicht blos mein Weib,« fuhr ich fort, »Du bist die Mutter meines Kindes! Minka, wo ist unser Kind?«

»Es ist in Sünden geboren; keine Heiligen neigten sich über seine Wiege, aber es lächelt, wie die Engel lächeln, ohne Ahnung des Fluches, der auf ihm ruht! Wie wonnig, wie süß, das holde Mädchen!«

»Ein Mädchen – meine Tochter. Sie lebt! Wo? daß ich sie sehe, daß ich den Vaterkuß auf ihre Lippen drücke –«

»Du wirst sie nimmer sehen; im Schutz, in der Pflege der grauen Schwestern wird sie aufwachsen! Frommes Leben wird die angeborene Schuld von ihr nehmen! Auch ich sehe sie selten, selten – und werde sie später nicht wiedersehen, denn auch der Blick der sündigen Mutter ist Entweihung!«

»Wahnwitzige,« rief ich, »und Du betest zur Madonna?«

»Folge mir,« fügte ich sanfter hinzu, denn mich erfüllte tiefes Mitleid mit der Unseligen, welcher so schlimmer Wahn Sinn und Gemüth zerrüttet hatte, »es wird noch alles gut werden! Wer kann Dich zwingen, hier zu bleiben? Noch giebt es Recht im Böhmerland, und wenn sie unsere Ehe verdammen, Niemand darf der Mutter ihr Kind weigern! Ich 188 werde Deine Freiheit und die Zurückgabe Deiner Tochter erstreiten!«

»Folge mir – wie süß es klingt,« rief sie, die Hände faltend und wieder groß zu mir aufsehend, »o, könnt' ich Dir folgen! Weit, weit fort von hier! O gäb' es ein seliges Land, eine Insel fern im Meer, wohin die Gerichte des Himmels nicht reichen! Wir wollten wieder glücklich sein. Das ist's ja, was mir den Sinn zerrüttet! Ich kann mich nicht befreien von diesen süß entzückenden Bildern, ich sehe uns immer wieder vereint, und doch fährt das Flammenschwert des Himmels nieder, um uns zu scheiden!«

Ihre Augen nahmen ein irres Leuchten an; sie warf sich in meine Arme, küßte mich – und wandte sich dann wieder wie mit Schauder und Abscheu von mir ab.

»Laß mich, laß mich,« fuhr sie fort in ihren erhitzten Schwärmereien, »seit Du gekommen, ertrag' ich ihn nicht mehr, den zerrüttenden Kampf in mir! Hier die Heilige, die mich ruft, die lichten Engel, die mich so rührend ansehen, mir die Händchen reichen, mich zurückführen wollen in das rosige Gewölk der Verklärung, hinweg über den Abgrund der Sünde, der Schande – und dort, dort, Du, mein Glück, mein Alles auf Erden, zu dem es mich zieht mit den fiebernden Pulsen, dem Alles in mir gehört und 189 gehorcht, was sich empört gegen den Willen der Heiligen! Ich trag' es nicht!«

Sie warf sich wieder zu den Füßen des Madonnenbildes nieder. Inzwischen trat Leuschner von außen an den Pavillon und rieth ab von längerem Verweilen, welches Verdacht erregen könne; ich sah ein, daß diese erste Begegnung Minka in bedenklicher Weise erregt habe, daß sie erst an den Gedanken sich wieder gewöhnen müsse, mit mir zusammen zu sein; ich beschloß, in dem benachbarten Städtchen am anderen Ufer der Elbe zu weilen und von dort aus meinen Besuch zu wiederholen. Als ich ihr dies ankündigte, erwiderte sie nur ein dumpfes »Nimmer, nimmer!« und als ich sie zum Abschied umarmen wollte, machte sie eine abwehrende Bewegung und verhüllte ihr Gesicht. Kaum aber hatte ich die Schwelle erreicht, als sie auf mich zuflog, mir an's Herz sank, mich glühend küßte und umarmte mit den Worten: »Zum letztenmal! Es muß sein – die Sünde, der Fluch – zum letztenmale!«

Mit dem beklemmenden Gefühl banger Ahnung schied ich aus dem Klostergarten, – konnte ein so zerstörtes Gemüth wieder geheilt und mir wiedergewonnen werden? Wie eine Zwingburg erschien mir das hohe Kloster mit seinen Mauern und Thürmen. 190 Von der Elbbrücke wandte ich den Blick rückwärts – grollende Gedanken regten sich in mir. Als wir auf der anderen Seite des schmalen Flusses angekommen, hatten wir die Gartenmauern des Klosters uns gegenüber. Da stand sie am Fenster des Pavillons und starrte auf mich hinüber, ich erkannte fast ihre Züge; sie grüßte nicht, sie winkte nicht mit der Hand, sie stand wie ein Marmorbild.

Und doch – war es Täuschung meiner Sinne? Mir kam es vor als wüchse sie immer weiter hinauf, hinein in den Rahmen des offenen Fensters! Schwindel faßte mich, denn jäh unter der Mauer ging der Absturz des Felsens, an dem die Fluten der Elbe vorüberzogen. Ich machte eine warnende, abwehrende Bewegung und hielt mich dann krampfhaft an meinem Begleiter fest! Da stand sie hochaufgerichtet, ich sah von Kopf zu Fuß ihre schlanke Gestalt, das wallende Haar, sie erschien mir in ihrer ganzen Anmuth, wie einst unter dem Regenbogen auf den Bergen. Einen Blick warf sie nach oben, dann breitete sie die Arme gegen mich aus; starr hingen meine Blicke an der geisterhaften Erscheinung, an dem Unmöglichen, was sich da furchtbar vorbereitete. Da schwirrte es mir vor den Augen wie ein vorüberfliegender Farbenstreif – und die Fluten der Elbe rauschten dumpfwirbelnd empor.

191 Ich war kein Schwimmer, auch mein Begleiter nicht! O ich verwünschte mich in diesem Augenblicke . . ich wollte ihr nachstürzen in die Fluten! Laut tönte unser Hilferuf, doch ringsum war es still, entsetzlich still . . kein lebendes Wesen . . und doch tönte das dumpfe Geräusch aus dem benachbarten Städtchen zu uns herüber! Jeder Augenblick eine Ewigkeit . . endlich glitt ein Kahn die Flut herab . . es war zu spät . . erst wenige Tage später fand man flußabwärts die Leiche meiner Minka.

Noch lebte ihr Kind, unser Kind – aber nicht für mich! Vergeblich waren alle meine Versuche bei weltlichen und geistlichen Behörden, meine Tochter zurückzufordern. Man bestritt mir jedes Recht auf sie; von Klosterfrauen ward sie erzogen; nicht einmal die Kunde ihres Aufenthaltes ward mir zu Theil; wie oft schickte ich meine Freundin Wanda aus auf Kundschaft, doch sie kam zurück, ohne mir Trost zu bringen; nur das hatte sie erfahren, daß jene grauen Schwestern des Clarissinnenklosters sie anderer Obhut anvertraut hatten. Ich selbst pilgerte oft nach Gitschin, und es war das nicht gefahrlos für mich, da ich als Schwenckfelder Prediger im Banne der Kirche war, und doch wußte ich, daß die Jesuiten dort die Fäden, aus denen das Geschick meiner Tochter gewoben wurde, in Händen hatten. Fast zwei Jahrzehnte 192 vergingen unter vergeblichen Nachforschungen. Als ich das letzte Mal über die Berge zog, entging ich kaum den Häschern der Jesuiten; auch in Krummhübel hielt ich mich nicht für sicher und kam hierher nach Breslau, wo ich in ihre Hände fiel.

Das ist das Trauerspiel meines Lebens. Immer in der stillen Einsamkeit des Thales, wo ich meiner Gemeinde und meinen Gedanken lebte und mich in die Werke aller frommen Geister versenkte, welche zur Ehre der Menschheit gedacht und geschaffen, schwebte vor mir das Bild meiner Minka und jene entzückende Zeit des kurzen Liebesglückes. Und wenn ich noch einen Wunsch hege für mein verarmtes Leben, so ist es der, meine Tochter zu finden, die wie ein süßlockendes Räthsel in holder Mädchengestalt durch meine Träume schwebt.

Emanuel hatte seine Erzählung beendigt; Arthur hörte mit innigstem Antheil zu und gelobte sich noch einmal, alles zu versuchen, um das Geschick des braven Mannes günstiger zu wenden. Es war inzwischen Abend geworden; Pater Nikolaus, welchen Arthur gebeten hatte, ihm eine lange Frist zu gönnen zur Unterredung mit dem Schwenckfelder, kehrte mit einer Laterne zurück, um den Junker hinauszuführen. Als das blendende Licht der Laterne auf den Prediger fiel, da trat der Pater, der zum ersten Male seinen 193 Gefangenen näher ins Auge faßte, mit plötzlicher Ueberraschung einen Schritt zurück; es flog ein Schatten über seine edlen Züge und die Laterne in seiner Hand zitterte unsicher hin und her. Nach einem Augenblick des Bedenkens sagte er: »Ich werde wiederkommen, mich nach Euren Wünschen zu erkundigen,« und führte dann Arthur, nachdem er sorgsam die Thür hinter sich verschlossen, die Thurmtreppe hinauf und durch die Höfe der Burg hinaus in's Freie. 194

 


 


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