Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Drittes Kapitel.

Eine Flötenphantasie.

Voll stand der Mond über dem Buchenhain und warf seinen langhinzitternden Schimmer in den See. Die Schwäne glitten über den Wasserspiegel und zogen funkelnde Silbergleise nach! Leise auf den Zehen kam der Mai geschlichen und küßte die Erde in der herrlichen Nacht. Leise schauerten die Blüthen, und die Knospen sprangen auf und blickten dem Mond in's milde Auge, um sich ans Licht zu gewöhnen und das brennende Sonnenauge ertragen zu lernen, wenn es aus dem glühenden Osten durch die Morgendämmerung seine ersten Strahlen schießt.

Aus den geöffneten Fenstern des einen Thurmzimmers drang ein seelenvolles Flötenspiel hinaus in den duftigen Maiabend. Lauter schmetterten die Nachtigallen auf der nahen Linde; denn die Primadonnen 210 des Frühlings freuten sich der künstlerisch vollendeten Begleitung zu ihrem Gesang.

Es waren die Träume eines Denkers, eines Dichters, eines künftigen Königs, die sich auf diesen Klängen wiegten!

Ruhe, Frieden, sprach das schmelzende Adagio, Harmonie und Versöhnung! Wo ist sie zu Hause, als im Reiche der Kunst? Gedanken im anmuthig begrenzten Maß des Verses, Gefühle im Wechsel der Töne, Gestalten voll Willenskraft auf den Brettern der Bühne – das ist die Kunst, des unruhigen Lebens klarer Spiegel, die Heimat großer Genien! Der geglättete, von keinem Windhauch bewegte See spiegelt den Himmel und die ewigen Sterne und jedes friedliche Bild des Ufers. Das ist die Schönheit!

In ihrem Reiche schweigt der Zweifel – denn sie ist selige Gewißheit!

Doch auch der Zweifel hat sein Recht! Was ist die Welt, das Leben? Ewige Frage an alle denkenden Geister, die alle Offenbarungen überlebt! Jeder muß von vorne sie durchdenken, denn die Welt wird nur Jedem und für Jeden neugeboren! Fluchwürdige Tyrannei, welche dem Denken und Fühlen ihren Stempel aufdrücken will und die Menschen zwingt, selig zu werden in vorgeschriebener Weise! Jedem 211 das Seine – das sei Preußens Wahlspruch! Giebt's ein höher Eigenthum, als den Gedanken und den Glauben? Gerechtigkeit wache nicht nur über die Grenzen von mein und dein, sie wache auch über den freien, höchsten Besitz des Geistes!

Ihr aber, freie Gedanken, schwebt, nur dem eigenen Fluge gehorsam, aus Nebel und Dämmerung nichtiger Menschenweisheit, zur Wahrheit empor, die sich nur dem Suchenden enthüllt!

O meine Jugend, klagte das Adagio in umflorten Mollklängen, welcher Kampf, welches Ringen mit dem Drucke der Gewalt, der königlichen, der väterlichen Gewalt, die Kopf und Herz zusammenpreßt! Und noch jetzt – welch unheimliches Mißtrauen zwischen dem Vater und dem Sohn! Sehnsucht nach Freiheit – wie hab' ich dich empfunden, nicht blos im Kerker von Küstrin, nein, in diesem großen Kerker der Welt, in der meine Jugend in Banden seufzte!

Und immer wehmüthiger wurden die Klänge – ein schwarzverhangenes Gerüst – ein Henkerbeil – der Freund meiner Jugend, der sein Haupt auf den Block legt, der sich opfert für mich, für den Königssohn, für die kühnen Pläne einer glänzenden Zukunft!

Weiße entblätterte Rosen auf sein Grab! Schrille, schmerzliche Dissonanzen, kündet den immer wachen 212 Schmerz, der nach Versöhnung sucht! Dann aber rothe Rosen, üppige Centifolien aus dem Rosenhain der Liebe! Auch er blühte meiner Jugend – war ich glücklich? Rascherer Wogenschlag der Töne, des Lebens – feurig flogen die Pulse – Allegro des Entzückens! War ich glücklich? Fragt den Augenblick – er nickt ein freudiges Ja! Doch ihm folgen trübe Tage mit gesenktem Haupte!

Schöne Formera, enthülltes Götterbild, das zuerst meine Seele entflammte – was war die Melodie, die von deinen Lippen strömte, gegen die Melodie deines Leibes? Doch diese Schönheit weckt ein verzehrend Feuer, das zuletzt sich selbst verzehrt! Weichschmelzende Klänge üppiger Sehnsucht, süßen Genusses – warum klagt die ewige Unbefriedigung?

Holde Orczelska – lächelnde Grazie – liebliche Kühlung fächelst du den erhitzten Tagen meiner Jugend zu! Wie anmuthig dein Scherz, wie tröstend deine holde Gegenwart dem Verzweifelten, der das Leben fortwerfen wollte, wie eine Last!

Formera, schweigende Venus-Anadyomene, Hohepriesterin des selbstgenugsamen Genusses, der stumm ist, wie das Entzücken, wie der Schlummer, wie der Tod, Orczelska, du süße Beredtsamkeit hingebender Anmuth, du freundliche Hüterin eines Feuers, das lustige Funken sprüht!

213 Wohin seid ihr entschwunden, wohin, ihr freundlich, ihr verderblich lockenden Bilder? War meine Jugend ein wüster Traum, wo das Entzücken neben der Verzweiflung stand? Neben dem schwarzbehangenen Schaffot, auf welches das Blut des Freundes spritzt, der schwellende Divan, auf welchem die zauberisch enthüllte Schönheit ruht! Hirn und Herz lodernd, versengt vom wüsten Brande des unerbittlichen Geschicks, der leicht erbittlichen Liebesgöttin!

Und jetzt – ein edles Weib an meiner Seite, doch kalt und ungeliebt! O all ihr prasselnden Feuerwerke der Leidenschaft, soll nun Nichts von euch bleiben, als der dürre Raketenstock, der mir in die Arme fliegt? Den Stunden des Entzückens bleibe die Erinnerung treu, ich will sie nicht entweihen durch die Hingabe an eine erzwungene, von Kaiser und Reich befohlene Ehe.

Und ihr schelmischen Nymphen am Ufer des Rhyn, die ihr mir lockend winkt – ihr buhlt um des künftigen Königs Gunst, ihr sonnt euch im Strahl der aufgehenden Sonne! Ich glaube nicht an die Liebesverheißung in Euren Blicken.

So alt geworden in jugendlichen Jahren? Enttäuschung, Entsagung! Doch die Zukunft? Das Moll verwandelt sich in Dur, das Adagio in Presto! Die 214 sanfte Flöte kann dem Schwung der Gedanken nicht folgen – es ist in ihnen etwas wie schmetternder Posaunen- und Siegesklang! Das Scepter, die Krone, das Schwert! Hinaus zu kühnen Thaten! Der Lorber winkt – Sieg, Ruhm, Unsterblichkeit! Ueber Leichen, über Trümmer! Und dann die letzte Klage: Ist nicht der Lorber selbst vergänglich, wächst nicht der Ruhm nur aus dem Elend der Menschen hervor?

Unruhige Gedanken, taucht unter in den Frieden dieser Mondnacht! Welch schimmerndes Licht umfließt die Wipfel, versilbert den See, taucht die Remusinsel in magischen Schein, wie eine Insel der Seligen, ein in den Fluten schwimmendes Utopien. Die Sterne aber ziehn empor, Sonnen und Erden! Du künftiger König, was ist dein Königreich für den bewaffneten Blick, der von der Venus oder dem Monde auf die Drehscheibe der Erde herabsieht? Ein Pünktchen, zu klein für das Riesenrohr, welches die Sehkraft vertausendfacht! Das ist die Herrlichkeit der Erde!

Und die Klänge der Flöte verstummten – nur die Nachtigallen auf der Linde sangen und wirbelten fort!

»Der Kronprinz bläst entzückend die Flöte,« sagte Arthur zu Jordan, als sie im Kahn über den See fuhren.

215 »Er träumt in Tönen,« entgegnete dieser, »ich weiß diese Träume zu deuten.« Und der feurig blickende Jordan, an den sich Arthur angeschlossen, ließ ihn, während der Kahn sanft durch die Wellen glitt und im Mondenschimmer silberne Furchen zog, tief in das Leben und das Herz Friedrichs blicken und senkte in die Brust des Jünglings den ersten Keim wachsender Verehrung. 216

 


 


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