Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Sechstes Kapitel.

Ein Fürst im Schlafrock.

Seine Thonpfeife rauchend, eine Reliquie des Tabakscollegiums, sah der kleine Doctor Salomon mit ausnehmendem Behagen zum Fenster hinaus auf das Getümmel des Rings und auf das gegenüberliegende Rathhaus, dessen krause Ornamentik er in seinen Mußestunden studirte; er betrachtete mit zufriedenem Lächeln die würdigen Rathsherren, welche dort aus- und eingingen, denn er gedachte, am heutigen Tage ihnen einen Streich zu spielen, der sie bitter kränken sollte; er wußte, daß, mit Ausnahme eines Einzigen, des Herrn von Sommersberg, sie alle österreichisch gesinnt waren und daß sie erst vor Kurzem einen Protest gegen die Steuer erlassen hatten, welche König Friedrich von der Stadt Breslau verlangte. Daß aber der Syndikus sich mit den österreichisch Gesinnten zu verständigen suchte, das war zweifellos; 135 dafür hatte er sehr schlagende Beweise, denn er sah mit hundert Augen und hörte mit hundert Ohren; überall hatte er seine Hände im Spiel und war fast allgegenwärtig mit seiner quecksilbernen Beweglichkeit, und wo er nicht selbst mit seinen eigenen Fühlfäden hinreichte, da wußte er aus zweiter, dritter und vierter Hand Nachrichten einzusammeln. Auch seine Feder war in fortwährender Bewegung; die Berichte an das Hauptquartier und an den König nahmen seine Thätigkeit lebhaft in Anspruch.

Es sah sehr gelehrt aus bei dem kleinen Salomon; in den Fächern seines Bücherschrankes standen dicke Folianten, darunter Pufendorf, Hobbes, welcher das Staatsrecht der Naturgewalt predigte, und Hugo Grotius' »De iure belli et pacis«. Der gute Hugo Grotius! Wenn irgend ein Recht, so hat das Völkerrecht eine wächserne Nase, und der kleine Doctor Salomon war damit beschäftigt, dieser Nase eine für die Politik des Gegners passende Gestalt zu geben und praktische Commentare zum Hugo Grotius zu verfassen.

Auf dem großen Tische mitten im Zimmer lagen Aktenstücke, Briefe in einer Unordnung, die für einen Beamten und Diplomaten beschämend gewesen wäre; aber der kleine Doctor war in erster Linie ein Gelehrter, und so unordentlich es auf seinem Tische aussah, eine so große Ordnung herrschte dafür in den 136 Schubfächern seines Kopfes, in denen alles nach Rubriken geordnet und der Inhalt jedes Briefes mit geistiger Copirtinte bis auf den Wortlaut aufgezeichnet war.

In diesem Zimmer ertheilte Doctor Salomon auf einem Lehnstuhl Audienz, während er seine Besucher auf ein Sopha nöthigte, von welchem immer erst einige Folianten in der einfachsten Weise von der Welt beseitigt wurden, indem man ihnen ein Domicil auf der Diele des Zimmers anwies.

Salomon thronte in seinem Lehnstuhl wie ein Pascha von drei Roßschweifen; alles drängte sich zu ihm, hin und wieder selbst ein Rathsherr in aller Verschwiegenheit mit irgend einem Anliegen, welches von den preußischen Machthabern gewährt werden konnte; der Doctor hob seine spitze Nase jetzt mit besonderer Ueberlegenheit in die Lüfte und hatte sich so daran gewöhnt, eine Protectionsmiene anzunehmen, daß selbst der Syndikus Gutzmar hätte von ihm lernen können. Wenn er sich tiefer in seinen Schlafrock hüllte und ungeduldig mit den Quasten auf die Lehne des Stuhles klopfte, dann war wenig Aussicht vorhanden, daß dem Bittenden sein Gesuch bewilligt wurde; wenn aber der Doctor recht behaglich die Beine übereinanderschlug, die Schlafrocksquasten ruhig baumeln ließ, wo sie gerade hingen, ein 137 wohlwollendes Lächeln um seine Mundwinkel zauberte und seiner scharfsinnigen Spürnase die Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde gab, so war Aussicht vorhanden, daß der Bittsteller sein gewünschtes Ziel erreichte.

Der erste Besucher, der den Doctor in seiner philosophischen Beschaulichkeit störte, war der Schuster Döblin; er entwickelte in seiner ganzen Erscheinung jetzt einen Glanz, der gegen seine frühere Verwahrlosung auffallend abstach. Die Unterstützung, welche der König ihm gewährt hatte, war von ihm auch auf die Verschönerung seines äußeren Menschen verwendet worden; er wählte zu seinen Kleidern die Farben, die zu seinem semmelblonden Gesicht am besten paßten, ging in zierlichen Schuhen, wie sie seine eigene Werkstatt nicht zu liefern verstand, und hatte sich sogar einen tänzelnden Gang angewöhnt; er brachte eine ganze Wolke von Parfüms mit in das Zimmer des Doctors. Dies hinderte indeß nicht, daß er nach wie vor ein eifriger Volksredner blieb, aus einem Kaffeehause in das andere lief und unermüdlich für die Sache des Königs von Preußen wirkte.

»Wie stehn die Dinge?« rief ihm Morgenstern entgegen.

»Nicht ganz so gut, wie wir hofften,« erwiderte Döblin, »diese Steuer ist keine glückliche Sache, es 138 läßt sich damit nicht viel ausrichten. Das geht den guten Bürgern wider den Strich. Der Instinct der Menschen wehrt sich gegen das Steuerzahlen.«

»Doch das ist dem König jetzt das Wichtigste,« sagte der Doctor. »Daß Breslau die außergewöhnliche Steuer abgelehnt hat, das mochte er verzeihen, aber daß die Stadt sich weigert, auch ihren Theil an der über ganz Schlesien entfallenden ständischen Steuer zu zahlen, das ist empörend, und das Ablehnungsschreiben des wohlweisen Rathes müßte man von Henkershand verbrennen lassen. Dagegen müssen die Bürger protestiren.«

»Ich habe das Meinige gethan,« sagte Döblin, »einige Zünfte, die Schusterzunft, die Kretschmerzunft, werden mit ihren Fahnen erscheinen, dann aber Bürger aus allen Zünften. In einer Stunde stehen sie hier vor dem Hause.«

»Und ich werde,« sagte Morgenstern, »mit ihnen auf das Königliche Feldkriegscommissariat ziehen, und sie sollen dort ihren Protest gegen das Schreiben des Rathes zu Protokoll geben. Es herrscht eine entsetzliche Windstille in Breslau, man muß einmal wieder die Aeolusschläuche entfesseln. Und dieser Rath soll zittern – quousque tandem Catilina! – Ich kenne sie alle, die räudigen Schafe, und es soll Gericht über sie gehalten werden.«

139 Bei diesen Worten klopfte der Doctor mit seinen Quasten energisch auf die Stuhllehne.

»Der Rath hat leider Wind bekommen,« sagte der Schuster, »ich fürchte, daß er die nächsten Bürger-Compagnien aufbietet, um unsern Zug zu hindern.«

Kaum hatte Döblin diese Befürchtung ausgesprochen, als auch schon Trommelwirbel vom Salzring herübertönten.

»Da haben wir's!« rief der Schuster aus; »es sind die Gelben und Blauen vom Reuscheviertel! Doch ich kenne den Capitän Buchholzer; er ist gut gesinnt; ich eile hinunter, ich werde ihn bestimmen, daß er mit seiner Mannschaft stillsteht, wenn wir vorüberziehen. Es ist ein friedlicher Zug; wir wahren nur die alten Gerechtsame der Breslauer Bürger und Zünfte, gegen des Raths unwürdige Beschlüsse zu protestiren.«

»Und Du hoffst auf Erfolg?« frug Salomon.

»Gewiß!« sagte Döblin; »bei uns ist der reiche Kaufmann Moritz, der hat dem Buchholzer viel Geld vorgeschossen für seinen Kramladen; da dürfen die Gelben und Blauen sich nicht empören und müssen artig sein. Laßt mich nur die Angelegenheit ordnen!«

Und der Schuster empfahl sich, eine Wolke von Wohlgerüchen zurücklassend. Salomon ging etwas 140 unruhig auf und ab, denn er liebte wohl Unruhen, aber keine Scharmützel.

Es klopfte . . . und herein traten zwei alte Rheinsberger Bekannte, Jordan, des Königs Busenfreund, mit den träumerischen Zügen und dem feurigen Blick, und der wohlhäbige Bielefeld, der Sohn des stolzen Hamburg's, ein Patricier bis auf seine Rockknöpfe und sein stattliches Uhrgehänge, an welchem allerlei Duodezgöttinnen in niedlicher Plastik und kostbaren Metallen angebracht waren.

»Ich habe sie gesehen und gesprochen,« rief der Hamburger Kaufmannssohn, »der Tourbillon war hier, alter Freund! Er war hier, nur auf zwei Tage, immer zusammen mit der schönen Agnes. Ich war mit ihnen in Scheitnig! Immer noch der alte Wirbelwind, doch es ist reizend, sich von ihm herumwirbeln zu lassen! Und diese unverwüstlichen rothen Wangen; Doctorchen, wir Hamburger lieben mehr das Obst als die Blüthen, mehr die Aprikosen als die Veilchen . . . das wäre eine Hamburger Musterschönheit; solches schönes Obst wächst an keinem ähnlichen Spalier zwischen der Alster und Elbe. Ich würde sie heirathen, wenn sie nicht schon das Unglück hätte, einen Mann zu besitzen. So bleibt mir nichts übrig, als sie grenzenlos zu lieben.«

141 Salomon blieb sehr kalt bei diesen Enthüllungen, Jordan aber rief den verzückten Freund zur Ordnung:

»Wir sind nicht hierher gekommen, um dem Doctor dumme Liebeshändel mitzutheilen; es handelt sich um eine wichtige Entdeckung . . .«

»Ja, wär' ich nicht in die Morien verliebt,« fuhr der unverbesserliche Hamburger fort, »ich würde an ihre anmuthige Begleiterin mein Herz verloren haben. Dies Fräulein von Walmoden ist ein wahrer Engel.«

»Doch kein vollbackiger Posaunenengel, wie Deine Morien,« warf Jordan dazwischen.

»Auch kein langweiliger Engel,« sagte Bielefeld, »keine von denen, welche immerfort die Augen aufschlagen und lauter Himmel spielen, aber ein reizendes, schalkhaftes, lächelndes Wesen, und dann wieder sinnig, feurig, begeistert, mehr Geist und Seele, als für einen soliden Hamburger paßt. Ich bescheide mich darum mit der einfachen Hausmannskost, welche die Morien meinem Herzen bietet.«

Doctor Salomon wurde ungeduldig und Jordan rief: »Zur Sache, Freund!«

»Ja, eine wichtige Mittheilung,« sagte Bielefeld, »unser kleiner Doctor wird sie schon zu verzinsen wissen. Deshalb kommen wir eigentlich. Die reizende Agnes, die als Gast bei dem Rathsherrn von Sommersberg wohnt, ist einer Intrigue aus die Spur 142 gekommen. So verschwiegen die Herren vom Rath sind, so wenig sind es die Frauen. Frau von Gutzmar, die kugelrunde Gattin des allgewaltigen Syndikus, hat für irgend eine Gardinenpredigt oder in irgend einer Schäferstunde ihrem Gemahl ein kleines Geheimniß abgewonnen und, natürlich unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit, es einer oder der andern Rathsfrau mitgetheilt. So kam es denn, immer unter demselben Siegel, auch an Frau von Sommersberg, welche nicht Lust hatte, das Geheimniß zu respectiren, da sie die Gesinnungen der anderen Rathsfrauen nicht theilt. Agnes wurde von ihr in den versteckten Plan Gutzmar's eingeweiht, und im Schatten der hochragenden Eichen von Scheitnig hat sie mit jener Erregung, welche sie stets erfaßt, wo es die Sache des Königs und des Vaterlandes gilt, auch uns ihn mitgetheilt.«

»Ich bin gespannt,« sagte der Doctor, indem er seine antheilvollste Stellung einnahm.

»Eine fromme Schwester, eine Elisabethinerin,« fuhr Bielefeld fort, »soll in den nächsten Tagen aus dem österreichischen Lager eintreffen; sie soll Nachrichten vom Feldmarschall-Lieutenant von Neipperg bringen und einen beständigen Verkehr mit ihm vermitteln.«

143 »Hm, hm,« brummte der Doctor, »diese Nonnen, das sind die geheimen Brieftauben des Verrathes.«

»Der Name der frommen Schwester ist Beatrix, ihr Zeichen ein emaillirtes Kreuz, die Einfassung von weißem, schwarzem, rothem, blauem und grünem Email, in der Mitte ein Christus in gemaltem Email.«

»Das muß verhindert werden,« sagte der Doctor aufspringend. Er fuhr dann wie ein Firlefanz im Zimmer umher, was er jedesmal that, wenn ihm ein Plan im Kopfe rumorte. »Besten Dank, Herr Bielefeld, die Nonne Beatrix soll nicht bis zum Syndikus gelangen, noch weniger bis in das vergitterte Domhäuschen, wo die österreichischen Raben ihren Käfig haben, wie ich neuerdings glücklich ausspionirte.«

»Und was gedenken Sie zu thun?« frug Jordan.

»Ich schreibe augenblicklich an den Commandanten der Truppen in den Vorstädten,« erwiderte der Doctor, »die strengste Ordre muß erfolgen, keine Nonne die Posten passiren zu lassen. Erscheint eine Elisabethinerin, so soll sie rücksichtslos untersucht werden: eine Beatrix mit dem Kreuz wird zurückgewiesen und das Kreuz bleibt als corpus delicti in unseren Händen.«

»Doch unsere guten Soldaten, Posten und Patrouillen,« sagte Jordan, »leben in einer Nacht, in welcher alle Kühe grau sind, was die Orden der 144 Mönche und Nonnen betrifft. Eine Elisabethinerin herauszuwittern, würde ihnen sehr schwer fallen.«

»Dafür werde ich sorgen,« sagte Doctor Salomon, indem er an den Schrank sprang und eine große Mappe herbeiholte, »ich habe sie mir alle eingefangen und kein Ornitholog kennt an dem Gefieder seine Vögel besser wie ich an der Tracht meine Nonnen. Hier die Benedictinerin, das ist ein seltener Vogel, nistet blos in Frankreich, hier die Clarissin – die Sorte haben wir hier, ebenso die Augustinerin vom Sande, meist mit schwarzem Schleier; hier die barmherzige Schwester, mag passiren, Insect ohne Stachel.« Dabei blätterte der kleine Salomon ein Blatt nach dem andern um, welche locker in seiner »Klostermappe« lagen, und unterließ es nicht, jedes dieser Nonnenbilder mit irgend einer Unterschrift auszustatten, wie sie ihm grade in den Sinn kam.

»Hier, die Elisabethinerin! Das Bild wandert augenblicklich an den General von Münchow und wird von allen äußeren Thorwachen, Posten und Patrouillen studirt. Das fromme Kind muß es sich einmal auf den Wachtstuben gefallen lassen; es ist doch immerhin eine Abwechslung.«

Und mit der unermüdlichen Geschäftigkeit, welche den Doctor Morgenstern auszeichnete, war er während dieser Worte schon in voller Arbeit, den Brief 145 an den General auf's Papier zu werfen. Seine Feder flog nur über die Seiten hin, denn er war ein Schnelldenker und Schnellschreiber ersten Ranges, ganz geeignet für schleunigste Berichterstattung, wie sie oft der Drang der Umstände erforderte.

Da klirrten Sporen im Vorsaal, eine Ordonnanz trat ein: »Brief Seiner Majestät des Königs.«

Rasch durchflog der Doctor, nicht ohne eine ehrfurchtsvolle Miene anzunehmen, die Zeilen Friedrichs, gab darauf der Ordonnanz den Brief mit an den General von Münchow und die vorsichtig um einen Stock gerollte und mit Fließpapier schonungsvoll eingewickelte Nonne in effigie und wandte sich dann an seine beiden Besucher, welche die gleichsam hinundherpurzelnde Geschäftigkeit des preußischen Agenten mit großem Behagen betrachteten.

»Der König hofft,« sagte Morgenstern, »wir möchten es möglich machen, daß von den Bürgern der Stadt der Wunsch nach einer preußischen Besatzung ausgesprochen werde. Ist zunächst noch verfrüht, zu schwierig; es müssen noch mehr österreichische Intriguen zu Tage kommen. Doch ich werde sehen, was sich thun läßt. Schreibt Ihr's nur dem Könige, bester Jordan; er legt ein großes Gewicht auf Eure Meinung, und ich weiß ja doch, daß Ihr in einem Briefwechsel mit dem König steht, ganz anderer Art, 146 als diese erhabenen Geschäftsbriefe, mit denen ich beehrt werde. Aus den Briefen, die Ihr erhaltet, spricht Friedrichs Geist und Herz. Ihr tragt den großen König in Eurer Brieftasche mit herum, ich erhalte nur die Ordres des commandirenden Feldherrn.«

»In der That,« sagte Jordan, »es sind oft nur wenige Zeilen, die mir der König schreibt, aber ich würde sie um keinen Preis der Welt hingeben; sie sind geschrieben mit der Adlersfeder von Preußens Sonnenaar; welche Wärme des Herzens, welche Glut der Begeisterung! Kaum habe ich sie gelesen, so haben sie sich meiner Seele unauslöschlich eingeprägt, und ich komme mir oft vor wie ein Gefäß, das keinen andern Inhalt zu haben braucht, als diesen. Der Freund eines solchen Königs zu sein: das füllt ein ganzes Leben aus. Uebrigens, bester Hofrath Morgenstern, theile ich Ihre Meinung. Die Frucht ist noch nicht reif genug, um sie abzuschütteln, und ich will das dem König berichten.«

Plötzlich ertönte draußen der Marsch eines lustigen Musikcorps.

»Das sind meine Bürger,« rief Morgenstern frohlockend, »entschuldigen Sie, meine Herren!« Und er sprang fort in sein Schlafgemach, nicht ohne noch in Gegenwart seiner Gäste mit dem einen Arm aus dem Aermel seines Schlafrocks zu fahren. Bald kehrte er 147 wieder in einer Art von Staatsrock, einen dicken Stock mit einem gelehrten Knopf in der einen Hand. So begab er sich mit Jordan und Bielefeld die Treppen hinunter.

Auf dem Ringe hatte sich inzwischen eine große Volksmenge versammelt um einen stattlichen Zug von Bürgern, unter denen sich einige mit den Fahnen und der Musik der Zünfte befanden. Als der kleine Doctor in der Hausthür erschien, wurde er mit lautem Jubelruf begrüßt; er verneigte sich mit der Würde eines gekrönten Hauptes, welches seinen Getreuen zunickt, und stellte sich dann mit dem Schuster Döblin an die Spitze des Zuges, welchem die beiden Freunde des Königs von fern folgten.

Wiederum ertönten die Trommeln am Salzring, wo nicht nur die Gelben und Blauen vom Reuscheviertel aufmarschirt standen, sondern auch die Schwarzen und Weißen vom Elisabethkirchhof; aber sie ließen den Zug ruhig vorüberziehen. Hauptmann Buchholzer grüßte sogar den Kaufmann Moritz mit militärischer Freundlichkeit in Erinnerung an seine noch unbezahlte Schuld.

Das preußische Feldkriegscommissariat war bereits von dem Zug der opfermüthigen Bürger in Kenntniß gesetzt; die Offiziere, Unteroffziere und Beamten hatten alle eine Feiertagsmiene angenommen, der Zug 148 füllte Treppen und Hausflur; an seiner Spitze befanden sich außer dem kleinen Doctor und dem parfumduftenden Beischuster die Aeltesten der Zünfte. Morgenstern und Döblin hielten wohlgesetzte Anreden, welche eine laute Zustimmung die Treppe hinunter bis auf die Straße fanden, wo sich dem Zuge der Bürger jene bunte Menge angeschlossen hatte, die bei solchen Gelegenheiten immer aus allen Gegenden der Windrose zusammengeweht wird. Der kleine Doctor, seinen Stock wie einen Tactirstock in die Höhe haltend, mit dem er dieses ganze Orchester der öffentlichen Meinung dirigirte, gab dem Protest der Bürger eine ebenso entschiedene, wie wohllautende Fassung, welche mit militärischer Genauigkeit von den Beamten des Commissariats auf das Papier gebracht wurde. Es dauerte über eine Stunde, bis die Breslauer Bürger alle der Reihe nach ihre Namen unter das denkwürdige Actenstück geschrieben hatten; es waren zwar nicht Tausende, wie Morgenstern gehofft, aber doch immerhin eine stattliche Zahl, und einige jener guten Namen darunter, welche Credit hatten in allen Breslauer Stadtvierteln und selbst von dem Rath mit einer gewissen ehrfurchtsvollen Scheu genannt wurden. Als der letzte Bürger seine Feder ausgespritzt und der Papierdrachen seinen vollständigen Schweif gefunden hatte, als die Bürger sich wieder auf der 149 Straße zum Zuge sammelten: da erschien der kleine Doctor am offenen Fenster, streckte seine spitze Nase in die Lüfte und räusperte sich zu einer Anrede, denn mit der erstaunlichen Verwandlungsfähigkeit, die ihn auszeichnete, hatte er jetzt auf einmal die Rolle des preußischen Beamten übernommen und da die Herren vom Commissariat mit der Kunst des Demosthenes und Cicero auf einem gespannten Fuße lebten, so hielt Salomon in ihrem Namen die Dankrede, in welcher er die Hoffnung aussprach, der König werde gewiß mit großer Freude diese Kundgebung der Breslauer Bürgerschaft begrüßen. Döblin brachte darauf mit seiner durchdringenden Stimme auf der Straße dem Könige von Preußen ein Hoch, in welches die Bürger und die Volksmenge jubelnd einstimmten.

Dann strömte Alles in den Schweidnitzer Keller, wo die schon etwas herunterglimmende Begeisterung durch den Schöps und den Schwung der Volksredner zu neuen Flammen angeblasen wurde. Der Doctor thronte hier in voller Siegesgewißheit in der Mitte seiner Getreuen und flüsterte den vertrautesten Freunden ins Ohr, daß er den heutigen Tag für den größten seines ganzen Lebens halte; denn es sei eine leichte Mühe, die Bürgerschaft gegen den hohen Rath rebellisch zu machen, wenn es gelte, eine fremde Einquartierung und Besatzung abzuwehren; aber wenn es 150 sich um eine Selbstbesteuerung handle, die Bürger zu einer solchen Erklärung zu bewegen, das sei eine große Leistung und wenn irgendwo noch Bürgerkronen wüchsen, so müßte sich am heutigen Tage eine auf seinen Scheitel herniederlassen. Döblin hielt inzwischen feurige Reden über die Intriguen der Oesterreicher, welche große Erbitterung in den Gemüthern der Bürger erregten, und die Begeisterung war so groß, daß Morgenstern als Triumphator auf den Schultern einiger vierschrötiger Bürger auf die Rednertribüne getragen wurde, die wiederum aus einer auf den Tisch gerollten Tonne bestand. Doctor Salomon hielt es heute für angebracht, einmal seine ganze ehrfurchterweckende Gelehrsamkeit auszukramen, alle die großen Lehrer des Völkerrechts zu citiren, die volltönenden Namen eines Hugo Grotius und Pufendorf wie schwere Artillerie aufzufahren, um damit die Verschanzungen der Gegner in Grund und Boden zu schießen. Er war heute ganz der Professor, der im Collegium las; sein Zeigefinger war in fortwährender beweiskräftiger Bewegung; bald hielt er ihn an die Nase, wenn er die Knäuel tiefsinniger Argumente loswickelte; bald deutete er damit nach rechts und links, um die feindlichen Heerlager der Preußen und Oesterreicher zu versinnlichen, bald klopfte und trommelte er damit in den Lüften, wenn er eine glückliche 151 Wendung nachdrücklich betonen wollte. Er wußte, daß er seine Zuhörer bisweilen langweilte; aber er wußte auch, daß diese Langeweile eine sehr ehrerbietige und mit der stummen Bewunderung seiner geistigen Vorzüge verbunden war. Bisweilen verstand er es, die nachlassende Theilnahme durch eine Aeußerung seines Mutterwitzes wieder zu steigern. »Als ich ein Kind war,« sagte er, »sagte man mir, daß man die Vögel am Besten fangen könne, wenn man ihnen Salz auf den Schwanz streue. Und so ging ich denn stets, einige Körner des kostbarsten Productes aus dem Meer und den Bergen in der Hand, auf Raub aus. So wollen die Oesterreicher unsere gute Stadt Breslau fangen; aber sie können lange mit dem Salz in der Hand herumlaufen; ehe sie den Vogel haben, haben sie auch nicht seinen Schwanz.«

Die kunstvollste Sophistik in den Reden des Doctor Salomon und des Schusters Döblin bestand darin, die Bürger allmählich des Gedankens zu entwöhnen, daß Breslau eine österreichische Stadt sei. Durch den Neutralitätsvertrag hatte sich die Bürgerschaft der guten Stadt bereits in die Meinung eingelebt, daß Breslau irgendwo auf der Landkarte liege, mit den österreichischen Landesfarben aber so wenig zu thun habe, wie mit den preußischen, und daß es im Grunde eine freie Stadt sei, um deren Gunst die beiden 152 Machthaber sich bewerben müßten. Das schmeichelte dem Stolz des Bürgers und die Volksführer wurden nicht müde, diesen Köder an ihre Angel zu hängen. Die augenblickliche Lage der Stadt entsprach auch in mancher Hinsicht dem Bilde, welches der Einbildung der Breslauer Bürger vorschwebte.

Morgenstern schloß seine gelehrte Rede ganz in diesem Sinn. Wenn die Oesterreicher suchen sollten, sich der Stadt zu bemächtigen, so wäre dies der geeignete Zeitpunkt, die Preußen hereinzurufen; denn wenn die Neutralität einmal gebrochen werden solle, so müsse man sich dorthin wenden, wo sich die Stadt die meisten Vortheile versprechen könne; und mit den Oesterreichern würde das alte Unwesen, die Jesuitenwirthschaft, das Connexionswesen, der Uebermuth der Patricier, die Unterdrückung der Protestanten wieder ihren Einzug halten.

Vielbewundert stieg der große Redner des Schweidnitzer Kellers von seinem Faß herunter und wurde von den Getreuen der Kretschmerzunft unter dem Jubel der Anwesenden wieder auf seinen Platz getragen. Seit er in Frankfurt an der Oder in seinem mit silbernen Hasen gestickten Staatsrock, den Fuchsschwanz in der Hand, die Narrheit der Gelehrten vertheidigt hatte, war ihm ein so glänzender Triumph 153 nicht zu Theil geworden. Er erquickte sich reichlich am schäumenden »Schöps« und gerieth zuletzt in eine so glückliche Stimmung, daß er sich im Stillen für den Premierminister des Königs Friedrich hielt, und überhaupt meinte, was das Genie betreffe, stehe er ihm am nächsten, und es sei nur ein zufälliges Unglück für ihn, daß er nicht auf einem Throne geboren sei.

In dieser Stimmung verließ er Arm in Arm mit dem Schuster Döblin und begleitet von einem kräftigen Bierbrauer, der eine Art Schutzwache für ihn war bei unvorhergesehenen Angriffen seiner erbitterten Gegner, die unterirdischen Räume, noch ehe die Lümmelglocke zum Aufbruch gemahnt hatte. Draußen lag der helle Mondschein auf dem Ring und dem Straßenpflaster; sie hatten kaum einige Schritte zurückgelegt, als ein seltsames Schauspiel ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ein junger Mann kam athemlos vorbeigerannt, nicht ohne daß sein schwerer wuchtiger Tritt mit seinen Bemühungen zu geflügelter Flucht in einem um Hilfe rufenden Widerspruch stand; hinter ihm drein, zunächst noch in einer geraumen Entfernung, kam ein anderer gerannt, der etwas im Mondschein Funkelndes in der Hand hielt. Doctor Salomon und seine Freunde störten diesen Wettlauf nicht, sondern ergingen sich nur in Muthmaßungen über die Bedeutung desselben und übten ihren 154 Scharfsinn in allerlei Aufstellungen, wer der Verfolger und der Verfolgte sein könne.

So tief sich auch Döblin in die politischen Händel verstrickt, so lange er schon Ahl und Pfriemen bei Seite gelegt hatte: alle fachmännische Theilnahme war in ihm keineswegs so erloschen, daß nicht die Stiefeln des fliehenden und verfolgten Jünglings in ungewöhnlicher Weise seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätten. Die Art, wie das Pflaster bei der Berührung mit ihnen Funken stob, der wuchtig dröhnende Klang, den sie hervorriefen: alles deutete darauf hin, daß die Schuhmacherkunst hier eines jener Kunstwerke geschaffen hätte, deren Wucht, ausnehmende Kraft und Dauerhaftigkeit keinen Vergleich zu scheuen brauchte. Döblin vergaß ganz die Neutralität der Stadt Breslau, indem er darüber nachdachte, mit was für einer Sorte von Nägeln diese Sohlen gepanzert sein müßten, welche das sonst so geduldige Pflaster des Breslauer Ringes so in Feuer setzten, wie das frisch angeschlagene Hufeisen eines schweren Troßpferdes.

Während die großen Politiker sich über diese unpolitische Frage harmlos unterhielten, drang ein Hilferuf in ihre Ohren, der sich wie der Schrei eines Verunglückten anhörte; sie beschleunigten ihre Schritte und sahen alsbald an der Straßenecke eine blitzende 155 Waffe, die sich mit der Regelmäßigkeit eines Pumpenschwengels auf- und niederbewegte. Nähertretend, erkannten sie einen kräftigen Jägersmann, dessen blühende Gesichtsfarbe durch die Aufregung ein dunkles Roth angenommen hatte und der angelegentlich damit beschäftigt war, einem andern, den er mit der linken Faust und mit seinen Knieen an einen Eckstein festheftete, mit der flachen Klinge eines Hirschfängers eine wohlabgewogene Züchtigung zu ertheilen. Offenbar waren es die beiden Wettrenner, welche hier ihr Ziel erreicht hatten, erwünscht von dem einen und verwünscht von dem andern, und der Hilferuf ging von dem unglücklichen Opfer aus, welches seine ungünstigste Seite der Rache seines Peinigers preisgeben mußte.

Schon von ferne ließen die menschenfreundlichen Volksmänner den Ruf Halt! Halt! ertönen, ohne indeß damit den Förster in einer Arbeit zu stören, der er sich so gewissenhaft unterzog, als gälte es, überflüssiges Unterholz durch tüchtige Axthiebe zu beseitigen. Die drei Männer, erbittert über die Unaufmerksamkeit, mit welcher der Förster ihren Zuruf spurlos verhallen ließ, fielen ihm in die Arme und zogen ihn gewaltsam zurück, damit diese unmenschliche Behandlung eines andern lebenden Wesens ein Ende finde. Fluchend setzte sich der Förster gegen den plötzlichen Ueberfall zur Wehr; das mißhandelte Geschöpf aber drehte ein 156 breites, etwas durch den Ausdruck des Zornes entstelltes Gesicht seinen Rettern zu; ein grinsendes Lachen, welches einige vorstehende Robbenzähne zeigte, war der einzige Ausdruck seines Dankes, dann aber verschwand es blitzschnell um die Ecke; man hörte nur noch einen Tritt wie von einem Lastpferd von schwerstem Kaliber und der Schuster Döblin sah mit Antheil die Nebenstraße entlang eine Funkensaat von dem Pflaster stieben, als wenn ein bezwungener feuerspeiender Drache sich darüber hingewälzt hätte.

»Blitz und Wetter,« rief der Forstmann in höchster Entrüstung aus, »wer hindert mich daran, eine der gerechtesten Strafen zu vollziehen, die jemals einem Schurken zu Theil geworden sind? Laßt mich los, sonst entwischt er mir!«

Doch so leicht er auch mit den beiden Volksführern fertig geworden wäre, welche das Faustrecht wohl mit Worten vertheidigen, aber nicht in Thaten auszuführen vermochten: der riesige Brauer übte einen zu gewaltigen Druck aus und die beiden Kleinen umklammerten ihn wie mit Polypenarmen. Er mußte den Gedanken aufgeben, seines Opfers wieder habhaft zu werden und fand sich mit trüber Ergebung in das Unvermeidliche.

»Wie konntet Ihr,« rief Morgenstern, »Euch auf offener Straße einer solchen Gewaltthat erdreisten?«

157 »Laßt mich nur jetzt, Ihr Herren,« sagte der Förster noch immer athemlos, »es ist zu spät, ich kann ihn nicht mehr fangen,« und fuhr dann, seinen Hirschfänger einsteckend, fort: »Ihr habt ein gutes Werk vereitelt.«

»Was ging denn eigentlich hier vor?« frug Döblin.

»Ich bin der Förster Obernick aus Schreiberhau, nach Breslau berufen, ein Zeugniß abzulegen in dem Prozeß der Familie Seidlitz gegen die Pogarell.«

Der kleine Doctor horchte bei diesen Worten mit gespanntem Antheil.

»Am Tage vor dem Termin hat mich dieser junge Mann, der mir noch bis heute unbekannt ist, unter dem Vorgeben, mich in einen Kreis von Freunden zu geleiten, auf allerlei geheimen Wegen in einen entlegenen Hof und in eine dunkle Zelle geführt, in welcher ich als Gefangener Tage und Wochen verleben mußte. Inzwischen war jener Prozeß, wie ich mir denken konnte und auch jetzt erfuhr, wegen meines fehlenden Zeugnisses zu Ungunsten der Seidlitz entschieden worden.«

»Abscheulich,« sagte der kleine Doctor.

»Durch eine Oeffnung in der Thüre war ich mit Speise und Trank versehen worden. Nach Ablauf mehrerer Wochen verhandelte man mit mir; man versprach mir meine Freiheit, wenn ich mein Gefängniß 158 mit verbundenen Augen verlassen und mich überhaupt den Anordnungen fügen wollte, welche man für gut befinden würde zu treffen. Ich sehnte mich nach Freiheit, nach Luft und Licht; ich gab zu allem meine Zustimmung. In der Dunkelheit trat man ein, verband mir die Augen, führte mich durch allerlei Gänge, Treppen hinauf und hinab an einen Wagen, setzte mich dort hinein; ein Begleiter setzte sich zu mir; wir fuhren lange Zeit, wie es schien, hin und her durch enge Gassen, ich merkte es an der Schwierigkeit des Vorbeifahrens. Dann empfahl sich mein Begleiter, indem er mir erlaubte, nach einigen Minuten die Binde abzunehmen, der Wagen hielt auf dem Ringe.«

»Eine saubere Geschichte,« sagte Döblin.

»Ich begab mich sogleich auf das Gericht; man wußte aus meinen Angaben keine Anklage zu formuliren. Was den Prozeß betreffe, heißt es, so sei er nun einmal entschieden. Voll Ingrimms verließ ich das Haus der Gerechtigkeit und ging ein paar Tage in Breslau umher, wie ein brüllender Löwe suchend, wen ich verschlinge; mir war's immer, als müßte ich noch hinter die abscheuliche Intrigue kommen und ihre Urheber entlarven können. Und in der That, als ich heute Abend unwirschen Gemüthes, als wenn in meine Wälder der Raupenfraß gekommen wäre, über den Ring dahinschritt, da sah ich eine Gestalt vor 159 mir, deren Bewegungen mich ganz an den Spitzbuben erinnerten, der mich damals aus dem Schweidnitzer Keller fortgelockt hatte. Der schwere Tritt seiner wuchtigen Stiefeln, der mir schon damals aufgefallen war, verleugnete sich nicht. Auch er wandte sich um, als er merkte, daß ihm Jemand dicht auf dem Fuße folgte; wir erkannten uns beide in dem gleichen Augenblick; denn ich hatte in der Einsamkeit des Kerkers Muße genug gefunden, mir die Züge des widerwärtigen Gesichtes einzuprägen. Augenblicklich ergriff er die Flucht, so rasch er es vermochte, und ich hätte ihn längst eingeholt, wenn nicht mehrere Vorübergehende mich aufgehalten und zur Rede gestellt hätten; doch sie brachten mich nicht ab von der Fährte des angeschossenen Wildes. Hussa, ging es immer hinterdrein, und wie es in dem Jagdspruch heißt:

Er fleucht über die Straßen,
Er muß mir gut die Haut und Haar lassen.

Endlich hatte ich ihn erreicht und »zerwirkte« ihn nach Leibeskräften; ich dachte, erst die Strafe und dann das Examen. Da kamt Ihr dazwischen, ließt ihn entfliehen, und nun bin ich so klug, wie zuvor; ich weiß nicht, wer er ist, wie er heißt, von wem diese teuflische Hinterlist ausging und habe nur meinem Gemüth eine kleine Erleichterung verschafft, obschon ich bei Weitem nicht jene Zahl erreichte, die ich ihm 160 aufzusummiren gedachte. Und das ärgert mich! Ich hatte ihm den doppelten Satz bestimmt, als der sonst landesüblich ist! Warum läßt er sich mit uns Förstern ein? Sagt doch ein altes Sprüchwort: ›Unter den Bäumen regnet es zweimal!‹«

Bei diesen Worten trocknete sich der kräftige Waidmann, dessen Gesicht es infolge der verschiedenen Anstrengungen und Aufregungen bis zu einer Rothglühhitze gebracht hatte, den in dichten Tropfen herunterperlenden Schweiß ab.

»Das ist so die landesübliche Praxis,« sagte der Beischuster, »es ist Willkür überall, wohin man sieht und bei den Gerichten der empörendste Schlendrian.«

Der kleine Doctor hatte ein Brieftäfelchen herausgezogen. »Ich bedauere sehr,« sagte er, »daß wir durch ein Mißverständniß diese so wünschenswerthe Execution verhinderten. Indeß, ich hoffe unser Versehen wieder gut zu machen; ich merke mir hier an: ›Förster Obernick in Schreibershau.‹ Reisen Sie nur jetzt ruhig in Ihre Wälder zurück, wir wollen inzwischen den Anstiftern dieses Frevels auf die Spur kommen und werden Ihnen zur rechten Zeit Mittheilung davon machen. Cui bono? frägt der wohlweise Cicero in seiner Rede pro Sexto Roscio Amerino; ich würde mich sehr wundern, wenn es Ihnen nicht erginge wie dem heiligen Hubertus, und wenn auch 161 der von Ihnen verfolgte Hirsch, bei näherer Untersuchung, nicht ein Crucifix zwischen seinen Hörnern tragen sollte.«

Der Förster empfahl sich mit kräftigem Händedruck den Fremden, die in besserem Einvernehmen von ihm schieden, als der Beginn der Bekanntschaft erwarten ließ. 162

 


 


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