Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Siebentes Kapitel.

Schwester Beatrix.

Es war an einem heißen Juliabend; ein größerer Kreis als das letzte Mal hatte sich in dem Salon der Domtanten versammelt; man sah einige Augustinerinnen vom Sande, im weißen Kleide mit schwarzem Schleier; auch fehlte ein Kreuzherr von St. Matthias nicht, in der schwarzen Reverende ohne Cingulum, auf der Brust das rothe Serpentinkreuz mit dem sechseckigen rothen Stern.

Um die Schwüle, die in dem vollen Salon herrschte, zu mildern, wurden die Fenster nach dem Garten geöffnet; es strömte eine gewürzige Luft herein, mit zahlreichen Wohlgerüchen, wie sie die Blumen am Abend ausströmen; aber auch eine Menge geflügelter Geschöpfe, selbst einige unangenehme Wespen und schwere Hummeln, mit einem Lärm, wie ihn die Brummtöpfe der Kinder hervorrufen: eine derselben 163 verfing sich in dem schwarzen Schleier der einen Canonissin und konnte nur durch das thatkräftige Eingreifen des Kreuzherrn von St. Matthias zur Raison gebracht werden, welcher, in Erinnerung an die früheren kriegerischen Großthaten seines Ordens, noch Tapferkeit und Mordlust genug besaß, um einer naseweisen Hummel den Garaus zu machen.

Die große Schwüle hatte ein allgemeines Unbehagen verbreitet; selbst die gute Sidonie war nervös und beklagte sich über das enge Zusammensitzen; Ursula befand sich in ihrer galligsten Laune und konnte mit Mühe soviel Selbstherrschaft gewinnen, um die pflichtgemäße Freundlichkeit der Wirthin zu zeigen. Das ältere Fräulein von Rothschütz hatte keine derartigen Pflichten zu erfüllen; sie durfte daher ungehindert ihren Neigungen folgen, welche nicht gerade sanfter, schäferlicher Art waren; das Schlachtschwert ihrer Zunge war in mörderischer Thätigkeit, sie verschonte kein Opfer.

»Wo nur Isabella bleibt!« rief sie aus, »ich würde ihr diese Abendspaziergänge unter den Flieder- und Hollunderbüschen verbieten. Diese Blumen haben einen merkwürdigen Duft, der nicht gerade zu frommen Gedanken stimmt! Und unser ehrwürdiger Pater Maurus! In den Jasminlauben sind doch keine Beichtstühle errichtet.«

164 Da erhob sich entrüstet die jüngere Schwester; über sie kam die Weihe der Poesie, sie neigte ihr Haupt wie einen thauschweren Blumenkelch und legte die Hand auf das hochschlagende Herz. »Immer mäkelst und verdächtigst Du, liebe Schwester! Laß doch das herrliche Mädchen, eine Blume unter den Blumen, wandeln! Sie ist ja noch jünger als wir, und auch wir fühlen uns selig, wenn der berauschende Duft aus hundert erschlossenen Kelchen strömt und Ahnungen einer auf Erden nicht auszukostenden Seligkeit über uns kommen! Sie kommt noch immer zurecht zu unseren ernsten Berathungen! O die Engel im Himmel und die Blumen auf Erden, welche überschwengliche Wonne bereiten sie uns! Ich glaube, daß jede Blume ihren Engel hat und ein Sonntagskind sieht gewiß zu guter Stunde das geflügelte Köpfchen aus dem Kelch hervorgucken!«

Es war ein glücklicher Zufall, daß gerade Ursula sich der Theetasse der Schwärmerin bemächtigt hatte, um derselben eine neue Spende des edlen Getränkes zukommen zu lassen, denn die bedrohliche Handbewegung, mit welcher die Sprecherin die geflügelten Engelsköpfchen begrüßte, wurde so um ihre verderbliche Wirkung gebracht.

Die beiden Füßchen des Fräulein Ziermann waren bereits in unruhiger Bewegung; Rosaura hatte wieder 165 eine Mittheilung zu machen. Hierzu kam die Ueberzeugung der Besitzerin, daß der stattliche Kreuzherr von St. Matthias, der in ihrer nächsten Nähe stand, noch immer nicht bemerkt habe, welche reizenden plastischen Wunderdinge, wie sie die Bildhauerin Natur nicht schöner schaffen konnte, auf dem Fußboden einem Kennerauge winkten. Einer so unbegreiflichen Kurzsichtigkeit mußte man zu Hilfe kommen. Das Fräulein ließ das Schnupftuch fallen; der galante Kreuzherr bückte sich, um es aufzuheben, und konnte nun nicht umhin, die zierlichen Elfenfüßchen zu erblicken, die fast mit seiner Nasenspitze in Berührung kamen.

»Ein Brief meines Bruders,« sagte Fräulein Ziermann.

»Vermeiden Sie es, liebes Fräulein,« meinte die ältere Rothschütz, »uns seine Herzensgeheimnisse mitzutheilen. Wir sind gar nicht neugierig auf dieselben.«

»Es ist dies sehr schwierig,« erwiederte Fräulein Ziermann, »mein Bruder liebt die Punkte und sonstigen Trennungszeichen nicht; er hat im Lager nicht Zeit dazu, seine Empfindungen zu sondern; er ist eben ein Mann aus Einem Guß. Die Damen würden wohl daran thun, nur auf die Hauptsache zu hören und dem Beiwerk keine Beachtung zu schenken. Das ist alles so zusammengebacken, ich kann die Rosinen nicht aus dem Kuchen nehmen.«

166 Die Zuhörer und Zuhörerinnen ergaben sich in ihr Schicksal und das Fräulein begann:

»Gefecht bei Rothschloß, Husaren gegen Husaren, war leider! nicht zugegen. Wenn ich Isolde bei meiner Rückkehr im Farbenwaarenladen des Ambrosius Böhme finde . . ich male ihm einen Regenbogen in's Gesicht, daß er sich selbst als sein Schild vor die Thüre hängen kann. Das Gefecht blieb unentschieden, doch es setzte tapfere Hiebe. Sprich vernünftig mit Isolden! Viele Verwundete und Todte . . der Ambrosius ist ja eine Vogelscheuche. Du gehst alle Tage in die Kirche . . . das ist Unsinn. Dein treuer Bruder!«

»Ein Heide,« rief Ursula aus, »und er kämpft im Heer der Glaubenstreuen, im Heer der Königin von Ungarn.«

»Er ist kein Heide!« erwiderte die liebende Schwester, »er hat nur seine eigenen Ansichten über den Kirchenbesuch, sonst aber eine fromme Gesinnung!«

»Das merkt man aus seinem Briefe gerade nicht,« sagte dasjenige Fräulein von Rothschütz, welches nicht für die Blumen und für die Engel schwärmte.

»Wo nur Schwester Beatrix bleibt,« sagte die Oberin des Ursulinerklosters, welche dem Gespräche eine andere Richtung geben wollte.

167 »Sie hat sich für heute angekündigt,« meinte Ursula.

»Sie soll wichtige Nachrichten mitbringen,« äußerte der Kreuzherr.

»Den Nachstellungen der Preußen soll sie glücklich entgangen sein,« sagte die dürre Comtesse, welche in allen Legenden erstaunlich bewandert war und selbst den Eindruck einer zum Hungertode verurtheilten Märtyrerin machte, »o wir leben in den Zeiten des Nero und Diocletian und dieser preußische Nero würde am liebsten uns fromme Christinnen als Pechfackeln anzünden zur Beleuchtung seiner Triumphzüge. Uns mag bei allen Verfolgungen der Gedanke an jene Heiligen trösten, welche Schlimmeres erduldeten, an die heilige Barbara, welcher der eigene Vater den Kopf abschlug, an die heilige Ursula, welche von den Pfeilen der Barbaren durchbohrt wurde, und die heilige Thekla, welche einst den Thieren im Circus vorgeworfen und später den Flammen übergeben wurde, freilich ohne daß ihr irgend ein Leides geschah! Doch wie furchtbar, nackt im Circus den wilden Thieren in's Auge zu sehen und noch furchtbarer, so von den Augen der wilden Männer erblickt zu werden! Welches Seelenleiden! Dergleichen kommt zwar heute nicht vor; doch die heidnischen Preußen sind schlimmer als die wilden 168 Thiere! Und wenn unsere fromme Schwester Beatrix mit ihrer Sendung in ihre Hände gefallen wäre . .«

»Gott sei Dank, daß dies nicht der Fall ist,« sagte Sidonie, welche die bluttriefenden Phantasien der Comtesse durch eine beruhigende Wendung ablenken wollte; denn diese schwelgte doch allzusehr in den nackten Gräueln der Legende.

Da öffnete sich die Thüre des Salons, und zwischen dem Pater Maurus und Isabella trat Schwester Beatrix ein und begrüßte die Versammlung mit frommer Verneigung. Ursula hatte gehofft, in der Elisabethinerin eine ehrwürdige Altersgenossin zu sehen; diese Hoffnung wurde aber getäuscht; denn die Nonne war jung, und wie Pater Maurus und der Kreuzherr alsbald erkannten, schön zu nennen. Noch hatte der Klosterdienst ihren Wangen nicht die Frische und Blüthe geraubt, ihre Augen waren von einer fast weltlichen Lebhaftigkeit, dabei freundlich und wohlwollend; ihre Gestalt reichte an die hohe Gestalt Isabellens, sie erschien schlank und anmuthig und auf ihren vollen Lippen schwebte ein liebliches Lächeln. In der Hand hielt sie ein in bunten Farben schimmerndes Kreuz mit dem Christus in Email, ein Kreuz, welches ganz der Beschreibung entsprach, die der Syndikus Gutzmar von dem Erkennungszeichen der Nonne entworfen hatte.

169 In jedem anderen Kreise würde eine so anmuthige Erscheinung von Hause aus den freundlichsten Antheil erweckt und alle Herzen sich gewonnen haben; doch die frommen Damen der Assisen fanden eine so anziehende Schönheit mit der wahren Frömmigkeit unvereinbar und fühlten sich überdies durch alle jugendlichen Reize persönlich beleidigt. Fräulein Rothschütz, die ältere, flüsterte alsbald ihrer Nachbarin Ursula ins Ohr, sie wundere sich, daß eine Schwester von so herausforderndem Wesen unangefochten durch die preußischen Posten hindurchgekommen sei und meinte, es sei unklug, zu Unterhändlerinnen junge Nonnen zu wählen, welche die Augen der Männer auf sich zögen.

»Ich freue mich,« sagte Schwester Beatrix mit anmuthigem Anstand, »der Ehre theilhaftig geworden zu sein, in eine so ehrwürdige Versammlung eintreten zu dürfen. Die Nachrichten, welche ich bringe, sind in einem Briefe des Paters Cyrillus an den Pater Maurus enthalten; an wen darf ich diese Zeilen abgeben?«

»An mich, fromme Schwester,« erwiderte der Pater, der zwischen der schlanken Nonne und seiner stolzen Freundin genugthuende Vergleiche angestellt hatte, welche zu Gunsten der letzteren ausfielen, so sehr ihn auch anfangs der Reiz der anmuthigen Schwester bestrickt hatte.

170 Beatrix gab dem Pater Maurus den Brief, dieser durchlas ihn mit Aufmerksamkeit und sagte dann:

»Die Nachrichten sind in der That wichtig. Pater Cyrillus, der als Beichtiger ganz im Geheimniß des Feldmarschall-Lieutenants v. Neipperg ist, theilt mir mit, daß der Feldherr den Plan gefaßt habe, sich im geeigneten Augenblick nach Breslau zu wenden.«

Diese Nachricht wirkte wie ein elektrischer Schlag auf die Versammlung; mehrere der älteren Fräuleins erhoben sich von ihren Sitzen und schwenkten ihre Taschentücher; der Kreuzherr faltete die Hände wie zu einem Dankgebet; Isabella's Augen leuchteten; sie wandte die Blicke nach oben und streckte die Arme aus wie nach einer himmlischen Glorie, die sich den verzückten Sterblichen offenbarte.

»Schwester Beatrix,« rief sie, »Du bist uns eine Freudenbotin, sei uns willkommen, herzlich willkommen! Endlich wird die Stunde schlagen, welche der Tyrannei der ketzerischen Landesfeinde in dieser Stadt ein Ende macht! Heil unserer jugendlichen Königin! Wie ein Heiligenschein umschwebt es die Stephanskrone auf ihrem Haupte und Breslau leuchtet darin als funkelndes Juwel.«

»Noch ist dies eine Absicht, ein Wunsch, ein schöner Traum!« sagte Pater Maurus, »es ist unsere 171 Sache, mitzuhelfen, daß er ins Leben gerufen werde! Pater Cyrillus schreibt, das österreichische Heer stehe jetzt bei Grottkau; sobald es die entscheidende Bewegung nach Breslau machen werde, sollen wir Nachricht erhalten; wir aber sollen dafür sorgen, daß die Thore den Oesterreichern geöffnet werden.«

»Der Syndikus Gutzmar ist allein im Stande, dies zu bewirken,« meinte Ursula.

»Ich zweifle, daß er dies allein vermag,« warf Fräulein Ziermann ein.

»Auf die Bürger-Compagnien dürfen wir nicht rechnen,« sagte der Kreuzherr, »die sind alle preußisch gesinnt und würden selbst die Befehle des Rathes nicht respectiren, wenn dieser die Thore öffnen lassen wollte.«

»Wir müssen über ein anderes Mittel nachdenken,« meinte Maurus, »vielleicht, daß die jungen Männer der Convicte mit den Handwerkern der Klöster zusammen im entscheidenden Augenblick einen Handstreich gegen die Thorwachen ausführten.«

»Das ist's, das ist's,« rief Isabella begeistert, »alle müssen sich bewaffnen, die es gut meinen mit ihrer Königin, mit ihrer Kirche! Und ich selbst will nicht zurückstehen! Mit Schwert und Fahne!«

»Sachte, sachte,« mahnte Ursula, »schon wieder diese unweiblichen Phantasien.«

172 »Unweiblich,« erwiderte Isabella, »wie viele Jungfrauen haben sich ewigen Ruhm und den Heiligenschein erworben, wenn sie zum Schwert griffen für eine heilige Sache! Und was ist der Tod durch eiserne Wehr? Hat doch jene Ursula, deren Namen Du trägst, ihn mit Cordelia und ihren elftausend Jungfrauen in gläubiger Hingebung erlitten – und schlimmer als die Pfeile der Hunnen werden die Kugeln der Preußen gewiß nicht sein!«

Schwester Beatrix sah zu dem begeisterten Mädchen empor mit einem Ausdruck unverhohlener Bewunderung. Gerade in den Augenblicken solcher Erregung trat die Schönheit Isabellens in volles Licht; sie erinnerte an einen feurigen Cherub; ein edler Zorn blitzte aus ihren Augen, und Niemand durfte daran zweifeln, daß sie mit dem Schwert und der Fahne in der Hand wie wenige geeignet sei, eine kampflustige Jugend in den Tod zu führen.

»Warten wir ab,« sagte Beatrix, »wie sich die Umstände gestalten. Ich werde den Syndikus Gutzmar von dem Inhalt des Briefes in Kenntniß setzen lassen. Wenn der österreichische General sich gegen Breslau hin in Marsch setzt, so müssen von uns die entscheidenden Schritte geschehen.«

»Doch es gilt schon jetzt alles vorzubereiten,« fügte Isabella hinzu.

173 »Ich werde mit den Zöglingen der Convicte sprechen,« sagte Pater Maurus, »das ist eine todesmuthige Schaar, die alles für den Glauben und die Kirche wagt.«

»Ich werde,« sagte der Kreuzherr, »die Handwerker unseres Klosters und des Augustinerklosters für einen kühnen Handstreich zu stimmen suchen; für die Klöster von Sanct Vincenz und Sanct Dorothea muß Pater Eustachius sorgen. Auch müssen Waffen insgeheim herbeigeschafft werden.«

Während Isabella und Beatrix mit unverkennbarem Antheil diesem Gespräch der Männer folgten, schien es einigen der anwesenden Frauen bei dieser Wendung der Angelegenheiten nicht mehr ganz geheuer zu sein. Das sanfte Fräulein Rothschütz fühlte ein nervöses Unbehagen, denn sie war ausnehmend empfindlich gegen Wetterschläge, Pulverblitze und Kanonendonner und hatte in ihren dichterischen Ergüssen sich niemals an die Verherrlichung kriegerischer Thaten gewagt; sie erschrak über die weitreichenden Folgen dieser friedlichen Zusammenkünfte am Theetisch und verfiel in ein krampfhaftes Zittern, welches sich der unheimlich klappernden Theetasse in ihrer Hand mittheilte. Auch die ebenso mit den Heiligen wie mit den Löwen und sonstigen Bestien der römischen Amphitheater vertraute Comtesse wollte von einem Ueberfall 174 der Thorwachen nichts wissen und fühlte bei dem Gedanken an solche blutige Affairen, die sie als Bürgerkrieg bezeichnete, einen fröstelnden Schauder. Rosaura Ziermann, obschon glückliche Besitzerin eines kühnen Bruders und an Briefe massacrirenden Inhalts gewöhnt, äußerte doch ihr Bedenken, ob solch ein Ueberfall Erfolg haben könne; im Fall des Mißglückens würden alle Klöster in Breslau in Flammen stehen. Dieser Gedanke machte auch Sidonie, deren friedliches Gemüth jede Art von Gewaltthat verabscheute, und die gallige Ursula bestürzt.

Es trat eine unheimliche Pause ein, welche noch viel unheimlicher werden sollte durch einen unerwarteten Besuch, der diesmal seinen Weg durch das Fenster nahm. Es war eine verirrte Fledermaus, eines jener Geschöpfe, für welche auch die Thierfreundin Sidonie nicht das geringste Wohlwollen hegte. Mit allgemeinem Gekreisch fuhr die Versammlung in die Höhe, als das widerwärtige langohrige Thier mit dem greisenhaften, weißbehaarten Gesicht von irgend einer Kirchenmauer her seinen Einzug in die Versammlung hielt und mit seinen breiten Flughäuten gespenstisch an der Decke hinhuschte. Die älteren Schönheiten waren um ihr Toupet besorgt und hielten ängstlich die Hände über dem Kopfe. Statt eines Engels, wie ihn Isabella in stiller Verzückung 175 über ihrem Haupte schweben sah, war hier das verzerrte Fratzenbild eines lebenden Wesens erschienen, welches höchstens von einem Kreise von Götzendienern als anbetungswürdig verehrt worden wäre. Und in der That glaubte man einer so sonderbaren Andachtsstunde beizuwohnen, wenn man die frommen Damen in so eigenthümlicher Scheu die Hände an den Kopf halten sah. Ist Furcht doch nicht blos der Anfang der Weisheit, sondern aller Religion! Ob diese nächtige Fledermaus aber, dies tagscheue Geschöpf der Mauerspalten, vielleicht die böse Absicht hatte, als Sinnbild dieses lichtfeindlichen Kreises über ihm dahinzuschweben: das konnte man um so weniger erfahren, als sie nach kurzer Begrüßung wieder das Freie suchte, ehe noch die Bestrebungen des Kreuzherrn, einen Vernichtungskrieg mit dem Eindringling zu führen, von Erfolg gekrönt waren.

»Ein garstiges Thier,« meinte Rosaura, »diese häßlichen Krallen!«

»Und diese platten Nasen,« sagte das ältere Fräulein von Rothschütz, welches durchaus nicht in Verdacht kommen konnte, hierin eine Aehnlichkeit mit dem gespenstigen Störenfried zu haben.

Nachdem man sich durch diese und ähnliche Bemerkungen über den unwillkommenen Besuch beruhigt hatte, begann man sich etwas näher mit Schwester 176 Beatrix zu beschäftigen, welche ganz allein von allen keinen Schrecken vor der hereinhuschenden Fledermaus gezeigt, sondern das Unheil, welches dieselbe anrichtete, indem sie die fromme Versammlung auf das äußerste verstörte, mit heiterem Lächeln betrachtet hatte.

»Kennen Sie den Feldmarschall-Lieutenant persönlich?« begann Ursula, welche die fremde Nonne einer eingehenden Prüfung unterwarf.

»Gewiß! Er hat mir selbst meine Sendung sehr an's Herz gelegt,« erwiderte Beatrix; »er ist ein tapferer, galanter Herr; schade, daß er so viel Unglück in seinem Leben hat.«

»Unglück?« riefen mehrere Stimmen zugleich.

»Nun, ist es nicht Unglück genug?« sagte die Nonne, »erst spucken ihm die Türken in's Gesicht, dann erhält er von den Preußen eine Ohrfeige bei Mollwitz.«

Ein Murren des Unwillens ging durch die Versammlung; die Harmlosigkeit, mit welcher die Nonne so erschreckliche Thatsachen berichtete, zeigte allerdings ein kindliches Gemüth, doch konnte sie in diesem Kreis nur eine ungünstige Wirkung hervorbringen.

»Die Türken?« frug Ursula.

»Was ist das für eine Fabel?« sagte der Kreuzherr.

»Also ist diese Nachricht nicht bis hierher gedrungen?« erwiderte Beatrix; »wir sind dort besser 177 unterrichtet über alles, was in kaiserlichen Landen vorgeht. General Neipperg kam als Unterhändler zu den Türken; vorher hatte ihm sein Freund, der General Graf Wallis, den Streich gespielt, den Türken Belgrad anzubieten, aber diese Bewilligung tückisch seinem Collegen verschwiegen. Neipperg erwähnte nichts von Belgrad; da spuckte der Pascha von Bosnien ihm in's Gesicht, und erklärte den »ungläubigen Hund« für einen Spion. Dann bewilligte Neipperg, um sein Leben zu retten, Belgrad, das inzwischen in guten Vertheidigungszustand gesetzt und für die Türken uneinnehmbar geworden war. So wurde er auf die Festung Grätz gesetzt. Ich habe mich nicht um weltliche Händel gekümmert, ich kenne nicht den Maßstab, mit dem sie da draußen messen; doch würde ich nach meiner schwachen Einsicht behaupten, daß der General mit diesen Verhandlungen kein Glück gehabt hat. Und auch die Schlacht bei Mollwitz ist doch nicht für einen Glücksfall zu halten!«

Man mußte einräumen, daß Schwester Beatrix sehr gut von Vorgängen unterrichtet war, welche den meisten Anwesenden unbekannt waren; nur Pater Maurus hatte Kenntniß von Neippergs Schicksalen und bestätigte die Mittheilungen der Nonne.

»Doch sind Sie ohne Anfechtungen durch die preußischen Posten gekommen?« frug Ursula weiter.

178 »Nicht ganz« erwiderte Beatrix, »es war Befehl ertheilt worden, alle geistlichen Brüder und Schwestern, welche des Weges kamen, aufzuhalten und vor den nächsten commandirenden Offizier zu führen. So wurde auch ich ein Opfer dieses Befehls; man verfuhr nicht gerade schonend mit mir, denn wir alle sind diesen heidnischen Troßknechten verdächtig und verhaßt. Doch der junge Lieutenant war unseres Glaubens, er ließ die Soldaten abtreten. »Retten Sie mich vor roher Gewalt,« sagte ich ihm, »wir barmherzigen Schwestern fördern gute Werke im Dienste unseres Ordens.« Er sah mich an mit einem eigenthümlichen Blicke, es lag etwas wie Ehrfurcht ja Hingebung darin; mein schlichtes braunes Gewand übte offenbar den Zauber wieder aus, den er in seiner Kindheit dafür empfunden und dem er seit längerer Zeit sich wieder entzogen hatte; er verneigte sich vor mir und ließ mich dann ungehindert meines Weges ziehen.«

»Eine sehr geheimnißvolle Zusammenkunft,« meinte das ältere Fräulein Rothschütz; und ein durchaus nicht wohlwollendes Zischeln und Flüstern ging durch die Versammlung. Beatrix schien es nicht zu bemerken, sie sprach noch einige Zeit mit Isabella, welche für die anmuthige Nonne eine stille Zuneigung empfand, und nahm dann Abschied von dem frommen Kreise; sie 179 versprach, durch die Frau des Rathsschreibers dem Syndikus von allem, was sowohl hier, als auch im österreichischen Lager geplant würde, genaue Kunde zu geben, da Gutzmar den persönlichen Verkehr mit Mönchen und Nonnen vermied, um keinerlei Verdacht zu erregen.

Als sie das Zimmer verlassen hatte, fühlten sich die alten Fräuleins weit behaglicher, wie wenn ein Druck von ihnen genommen wäre; denn kaum war ihnen die häßliche Fledermaus so unbequem geworden, wie die schöne Schwester Beatrix. Besonders Fräulein Ziermann hegte einen ganz geheimen Groll auf sie; sie hatte mit einer Beobachtungsgabe, welche für bestimmte Gegenstände geschärft war, entdeckt, daß die Nonne ihr gefährlich werden konnte, denn diese hatte ein paar Füßchen, so klein, fein und zierlich, so schalkhaft aus der braunen Kutte hervorlauschend, daß Fräulein Ziermann alles Recht hatte, in ihr eine hassenswerthe Nebenbuhlerin zu sehen, welche ihr den einzigen Vorzug, den ihr die Natur verliehen, streitig machen konnte. 180

 


 


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