Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Zweites Kapitel.

Bei den Ungeheuern.

Zu Hause angekommen, fand Arthur einige Zeilen von unbekannter Hand, welche ihn einluden, um ein Uhr Nachmittags sich in dem Museum des Doctor Kundmann einzufinden; er werde dort einen alten Bekannten treffen, der sich herzlich freuen werde, ihn wiederzusehen.

Das Naturalien-, Conchilien- und Medaillencabinet des Dr. Johann Christian Kundmann war zu gewissen Stunden des Tages dem Besuche der Breslauer geöffnet; der Besitzer desselben, ein gelehrter Arzt, nahm auch eine hervorragende Stelle in der Breslauer Bürgerschaft ein, und in bewegten Zeiten war sein Museum ein Versammlungsort für offene oder geheime Leiter der Bewegung.

Auch heute herrschte eine besondere Unruhe; Rathsherren und Männer von den Zünften gingen aus und 23 ein und kümmerten sich wenig um die ausgestopften Naturwunder. Ueber die Glaskasten, in denen sich die Moschusbeutel und die Hörner des ägyptischen Esels befanden, neigten sich die Würdenträger der Stadt im eifrigen Gespräch, und der kleine bewegliche Johannes Kundmann lief aus einem Zimmer in das andere, nahm hier einen Rathsherrn beiseite, dort den Schöffenpräses, dort den Reichskämmerer und hier einen Bürgercapitän und flüsterte ihnen eine Nachricht zu, welche sich wie ein Lauffeuer verbreitete, und alle Köpfe, auch die würdigsten Rathsperrücken, in solche Bewegung versetzte, wie der Faden des Zappelmannes, wenn er angezogen wird, die pappenen Glieder. Hier zeigte sich Unruhe und Bestürzung, dort eine Art von begeistertem Aufschwung – und dem Bürgercapitän, der die grüne Compagnie führte, blitzte es sogar aus den Augen und er machte eine so kühne Handbewegung, daß der fliegende Fisch, der neben ihm im Kasten lag, wenn er noch durch seine Kiemen geathmet hätte, gewiß so geistesverwandten Flug und Schwung nach Gebühr gewürdigt hätte.

Arthur schritt an den flüsternden Gruppen vorüber, gespannt auf die in Aussicht gestellte Begegnung; er sah sich überall, doch vergebens nach bekannten Gesichtern um. Erst als er in ein Seitengemach trat, wo auf der einen Seite ein Armadill und ein 24 ostindisches Meerpferd, auf der anderen Seite aber sich Klapperschlangen und Basilisken befanden, blickte er in ein Paar treuherzige Züge, welche mit Verwunderung über diese in den sämmtlichen Wäldern nicht aufzufindenden Ungeheuer sich hinneigten. Er erkannte alsbald den Förster Obernik des Grafen Reichenbach, der ihn bei früheren Besuchen bei seinem Onkel so oft auf der Jagd begleitet hatte.

»Was führt Euch her?« frug er den gebräunten Waldsohn, in freundlicher Erinnerung an manches lustige Jagdabenteuer in den dicken Wäldern an der Oder.

»Hierher die Neugier! Der liebe Gott hat die Erde doch mit merkwürdigen Creaturen bevölkert, und ich habe diese laufenden, schreienden, fliegenden Ungeheuer bisher noch nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen. Nach Breslau aber führt mich Euer Interesse, lieber Junker!«

»Mein Interesse?«

»Ich bin als Zeuge vor Gericht citirt. Endlich hat man mich auf meiner einsamen Stelle hoch oben auf den Bergen aufgefunden oder vielmehr, ich habe mich selbst gemeldet, seitdem die hohe Geistlichkeit den Versuch machte, mich außer Landes zu bringen, und ich bemerkte, daß es mit der Sache nicht ganz geheuer sei.«

25 »Ihr kommt wegen unseres Prozesses mit den Pogarells? Gott sei Dank, daß man Euch gefunden hat. Von jenem Bestechungsversuch erzählte mir ein würdiger Freund, der ihn zufällig belauscht hat. Ich bot Alles auf, Euch aufzusuchen, denn Euer Zeugniß fällt schwer zu unseren Gunsten ins Gewicht.«

»Das will ich meinen,« entgegnete der Förster, indem er seinen langen, rothbraunen Bart mit Behagen streichelte; »ich bin glücklich, daß ich's dem Gesindel heimzahlen kann, welches mich aus meinem lieben Wald getrieben hat. Ich weiß, was Keiner weiß, ich kann's beschwören, was ich mit Augen gesehen, und ich habe mir auch noch meinen Waldläufer mitgebracht, der meistens an meiner Seite war. Davon wissen die Herren am Gericht noch nichts; es ist ein zweiter Zeuge, den ich selber stelle, und durch zweier Zeugen Mund wird die Wahrheit kund.«

»Und was werdet Ihr aussagen?«

»Ich werde ihnen sagen, den Herren, wie man mit meinem gnädigen Herrn umgesprungen ist! Das Testament zu Gunsten der Pogarells ist erschlichen und ergaunert. O, Ihr kennt ja die schönen, prachtvollen Wälder, die sich von seinem Schloß – Gott sei's geklagt, es war mehr eine buntangestrichene Scheune – bis an die Oder erstreckten! Herrlicher Urwald, große Teiche mit wildem Geflügel, 26 prachtvolle Eichen auf den Dämmen, und dann wieder nackte Strecken, wo nur das Haidekraut einen bunten Teppich bildete, umsäumt von schimmernden Birken und düsteren Fichtenhölzern, über die das Auge hier und dort von kleiner Anhöhe hinschweifte in die verdämmernde Ferne. Nichts als Wipfel und grüner Wald, wohin man blickte! Tagelang konnte man hier wandern, man erreichte weder die Grenzen des schönen Besitzthums, noch das freie Feld. Und als es mit dem Grafen abwärts ging und ein Schlagfluß ihn gelähmt hatte, da ließ er sich oft noch auf seinem Rollwagen hinausfahren in seine Forsten, von Niemandem begleitet, als von mir, dem Waldläufer und der bösen Frau.«

»Von welcher bösen Frau sprecht Ihr?« unterbrach Arthur den Förster, der behaglich in seinen Erinnerungen sich im freien, frischen Wald erging.

»Ihr habt sie auch einmal gesehen, gnädiger Herr! Sie kam auf das Gut als die Frau des Gärtners, weither aus den Karpathen; sie war nicht gerade schön zu nennen, aber sie hatte etwas Bestechliches in ihrem Wesen. Und dann, sie war ein stattliches Stück Fleisch und trat damit nicht in den Schatten. Die hat es dem alten Grafen angethan; durch ihre einschmeichelnde Art, und weil sie Verstand und Schick in ihren Rathschlägen hatte, wußte sie bald Alle von 27 ihm fortzudrängen und sich unentbehrlich zu machen. Nur von ihr ließ er sich führen, wenn er durch Zimmer, Hof oder Garten humpelte; sie mußte an seiner Seite gehen, wenn er sich in den Forst hinausfahren ließ; sie war allgegenwärtig in seiner Nähe; Niemand durfte den Grafen sprechen ohne ihre Erlaubniß und in ihrer Abwesenheit. Sie ertheilte ihm ihren Rath in allen wirthschaftlichen Dingen, ja selbst im Forstwesen, Gott verdamme sie, obwohl diese Gärtnersfrau nicht eine Esche von einer Erle unterscheiden konnte! Und einmal, als Ebbe in der gräflichen Kasse war, weil sie zu viel Geld in der Schürze fortgetragen hatte – das war so die Turn- und Taxis'sche Reichspost für die Geldeinnahmen, erst in ihre Schürze, dann in ihren Kasten – einmal, ich vergesse es ihr nimmer, beredete sie den Grafen, die schönsten Eichen niederschlagen zu lassen, die einen der herrlichsten Waldwege beschatteten. Straf' mich Gott. als wenn's Unkraut gewesen wäre, und während die prachtvollen Stämme auf der Oder geflößt wurden, wanderte der Erlös wieder in ihre Schürze.«

»Ich habe von dieser Musterwirthschaft sprechen hören,« unterbrach Arthur den beredten Förster, »der arme Onkel!«

»Gewiß hat er uns Allen leid gethan und wir warfen auch sobald nicht die Büchse ins Korn. Auch 28 ich beschwerte mich oft genug über die unberufene Einmischung der Gärtnersfrau und warnte den Grafen; auch dieser oder jener Gutsnachbar – es gab nur wenige wegen der großen Forsten – ließ einige Winke über das unwürdige Verhältniß fallen; doch wenn sich der Graf auch einmal aufraffen wollte, sein Wille war gelähmt. Es war wie Zauberei! Anfangs hatte er sie geliebt; jetzt gab es Augenblicke, wo er sie hassen mochte; aber was vermochte sein Haß gegen seine Furcht? Wenn er sich einmal herrisch erhob, so duckte er sich den Augenblick darauf wieder wie mein Nero aus Furcht vor der Peitsche. Und glauben Sie mir's, Herr Baron, sie mißhandelte ihn!«

»Unmöglich!« rief Arthur aus.

»Sie mißhandelte ihn, ich hab' es einmal selbst unbemerkt mitangesehen, sie entzog ihm Speis' und Trank, und er wagte sich bei Niemand zu beklagen. Dann aber fand sie noch ein besseres Mittel, ihn in ihre Gewalt zu bekommen; sie gewöhnte ihn an den Genuß der stärksten Getränke, so daß er meistens in halbem Rausch war. Und dieser Rausch machte ihn nicht störrisch, sondern biegsam und nachgiebig, und er warf dann verliebte, selige Blicke auf seine Peinigerin. Die Jesuiten in Breslau hatten durch die Fräulein von Pogarell erfahren, daß es sich hier um eine große Erbschaft handle, welche, wenn der Graf 29 ohne Testament sterbe, dem ketzerischen Freiherrn von Seidlitz zufallen müsse; sie hatten von dem Einfluß der Gärtnersfrau sprechen gehört und setzten sich mit derselben in Verbindung. Bald erschien der eine, bald der andere in dem benachbarten Städtchen. Natürlich kam es der Frau darauf an, daß der Graf ein Testament mache, in welchem ihr selbst ein beträchtliches Legat zufalle. Wenn sie es durchsetzen würde, daß der Graf die katholische Linie der Pogarell zu Erben einsetze, so sollte ihr noch außer dem Legat ein beträchtlicher Theil der Erbschaft zugewendet werden.«

»Doch warum benutzte sie ihren Einfluß nicht,« warf Arthur ein, »um die ganze Erbschaft sich selbst zu gewinnen?«

»Sie war klug genug,« entgegnete der Förster, »sich mit einem Theil derselben zu begnügen, um jeden Verdacht zu entwaffnen; denn das wußte sie wohl, daß Niemand glauben würde, der Graf werde bei gesunden Sinnen und ohne gewaltsame Einmischung einer hergelaufenen Dienstfrau sein schönes Besitzthum übermachen. Eines Tages erschien sie mit den Herren vom Gericht in dem Zimmer des Grafen: der Zufall wollte es, daß ich in der nebenan befindlichen Rüstkammer mit dem Putzen der Jagdflinten beschäftigt war, der Waldläufer ging mir dabei zur 30 Hand. In dem alten, baufälligen Herrschaftsgebäude waren die Zwischenwände zwischen einzelnen Räumen von Holz, und namentlich die Rüstkammer war nur eine Art von Verschlag neben dem Wohnzimmer. Nicht nur konnte ich jedes Wort hören, welches hier gesprochen wurde, sondern einzelne Spalten und Astlöcher verstatteten einen ganz freien Durchblick. Das Testament war fertig aufgesetzt; doch der Graf weigerte die Unterschrift, trotz aller drohenden und stechenden Blicke der Pflegerin; er wolle durch keine willkürlichen Bestimmungen diejenigen enterben, die sich von jeher mit vollem Recht als seine Nachfolger in diesem Besitzthum betrachtet hatten. Und so widerlegte er alle Einwendungen mit einer Entschiedenheit, die ich ihm nicht mehr zugetraut hätte. Die Gärtnersfrau ersuchte die Herren von der Justiz, ein halbes Stündchen im nahen Eichenwald spazieren zu gehen; ich blieb unverwandt auf meinem Posten; denn mir ahnte Unheil. Die Frau nahm wieder den süßbethörenden Ton an. Nie sah ich ein widerwärtigeres Bild. Der gelähmte alte Graf, dem eine späte und so übel angebrachte Lebenslust aus den Augen funkelte, und diese unheimliche Frau mit dem schlauen, verbuhlten Lächeln und einer roh herausfordernden Liebenswürdigkeit, die nur einen krankhaft überreizten Sinn bestechen konnte. Bald griff sie zu einer siegreichen 31 Waffe, der Flasche mit schwerstem Ungarwein. Von dem Testament war nicht mehr die Rede; sie plauderte und sang, und er stimmte in das Plaudern und Singen ein. Immer lustiger wurde das Treiben; doch die Lieder, die der alte Graf vortrug, verloren allmälig jeden Zusammenhang; es war nur noch ein Stammeln und Lallen. Das war der entscheidende Augenblick. »Der Herr Graf hat sich besonnen,« rief die Frau den eintretenden Männern der Justiz zu; sie drückte ihm die Feder in die Hand, bat ihn um die Unterschrift des vorliegenden Aktenstückes; er unterschrieb halb bewußt, er wußte gar nicht mehr, um was es sich handle.«

»Und die Herren vom Gericht« – warf Arthur ein.

»Drückten ein Auge zu, es waren ja Freunde der Jesuiten. Lehren Sie mich unsere schlesischen Rechtszustände kennen! Zwei rohe Zeugen aus dem Dorf kritzelten ihr Kreuz darunter, froh, den kleinen Nebengewinn bald in der Schenke verzechen zu können. Doch der alte Graf – und auch das kann ich bezeugen – hat nicht einmal, sondern mehrmals in meiner Gegenwart später geäußert, er werde nie ein Testament machen; er wußte nur von seiner Weigerung und nichts mehr davon, daß man seine Unterschrift ihm abgelistet hatte.«

32 »Dann seid Ihr freilich ein sehr wichtiger Zeuge,« sagte Arthur.

»Die Gärtnersfrau fürchtete mich, obgleich sie nichts davon wußte, daß ich den schändlichen Betrug belauscht hatte; aber der Graf sprach bisweilen mit mir; sie wußte mich aus dem Wege zu räumen; ich erhielt meine Entlassung.«

Nach diesen Mittheilungen schien es Arthur zweifellos, daß der Prozeß zu Gunsten seiner Familie entschieden werden müsse. Und doch erfreute ihn diese Aussicht kaum. War es dann nicht Ritterpflicht, die unterlegene Partei zu trösten und dem jungen Fräulein vom Dom die Hand zu reichen? Mußten das nicht sein Vater und alle die Seinigen von ihm wünschen, damit ein Fest der Aussöhnung begangen, der Zwiespalt in der Familie, der so viel von sich sprechen machte, geendet werde? Siegten dagegen die Pogarells, so durfte er sich trotzig von ihnen wenden. Verhaßt aber war ihm jeder äußere Zwang, wo er nur freier Neigung folgen wollte.

Er dankte dem Förster für seinen Bericht und lud ihn zu einem Abendtrunk in den Schweidnitzer Keller ein. Als er ihm die Hand zum Abschied reichte, richtete sich hinter den Kästen, welche die Basilisken und Klapperschlangen enthielten, eine merkwürdige Gestalt empor, die Arthur bei seinem Gespräch gar 33 nicht bemerkt hatte. Mit dem Nashornkopf darüber hatte das Gesicht eine unverkennbare Aehnlichkeit; der eine Robbenzahn, der aus dem stets halboffenen Munde hervorstand, machte das Naturwunder vollkommen. Starr blickte der Besitzer dieser nicht katalogisch geordneten Merkwürdigkeiten auf die Schlangensteine und Straußeneier, die auf einem Tische nebeneinander in zwei Onyxgefäßen gesammelt waren, und vertiefte sich so in ihre Betrachtung, daß er für die ganze übrige Welt verloren schien. Es war der Jesuitenschüler Anastasius. Arthur hatte über der Erzählung des Försters fast vergessen, sich nach dem unbekannten Freunde umzusehen, der ihn in das Kundmann'sche Haus eingeladen hatte. Wieder machte er suchend die Runde durch die Säle und Zimmer; diesmal aber war er glücklicher. In der Abtheilung, welche den Stachelschweinen und anderen Borsten- und Stachelträgern gewidmet war, kugelte ihm plötzlich eine kleine Gestalt entgegen, in welcher er zu seinem nicht geringen Erstaunen den langgesuchten Doctor aus der Waldschenke erkannte. »Sie haben meine Zeilen erhalten! Es freut mich, daß Sie meiner Einladung gefolgt sind, hierher in meine zweite Heimat; denn das werden Sie doch nicht leugnen wollen, daß auch ich in ein Naturalien-Cabinet gehöre und daß ich, wenn ein Kundmann der Zukunft mich für 34 einen seiner Glasschränke einbalsamiren wollte, als Mumie eine ganz lehrreiche Rolle spielen würde. Noch habe ich zwar meinen corpus an keine Anatomie verkauft, da meine Seele zunächst noch nicht Lust hat, auszuziehen, doch kommt Zeit, kommt Rath! Vale, amice!«

»Ich bin fast mehr erstaunt,« erwiderte Arthur, »Euch hier in Breslau zu sehen, als ich es war, dort in der einsamen Waldschenke einen so gelehrten Mann zu finden.«

»Aechte Gelehrte sind überall zu Hause,« entgegnete der Doctor mit spöttischem Lächeln, »was kümmert sich die Wissenschaft um die Erdscholle, an welcher der Körper haftet? Voltaire ist in Berlin beliebter, als in Paris und würde ebenso witzig sein unter dem Wendekreise des Steinbocks, wie unter dem des Krebses, unter dem er glücklicherweise nicht geboren ist. Das Vaterland ist nur für den Pöbel und für die Soldaten; ächte Gelehrsamkeit hat kein Vaterland. Vielleicht war der Dr. Gundling ein guter Preuße: war er doch nicht nur Präsident der Berliner Akademie, sondern auch Mitglied des Tabakskollegiums, wo er sich so in eine gelehrte Polemik verstrickte, daß sein Gegner ihm mit der glühenden Kohlenpfanne seinen sterblichsten Theil in Gegenwart der Majestät und sämmtlicher Hofschranzen bearbeitete! 35 Das nenn' ich doch wissenschaftlichen Eifer. Und schließlich wurde er auf Geheiß des seligen Königs in einem großen Weinfaß begraben. Der hatte bei solchen Auszeichnungen gewiß das Recht, ein guter Preuße zu sein! Leider! war er aber kein großer Gelehrter.«

»Ich bin überzeugt,« sagte Arthur, »daß ich hier mit einem größeren spreche; ich freue mich um so mehr darüber, als ich mich längst nach Euch, Herr Doctor, umgesehen, da Ihr mir einen großen Dienst leisten sollt.«

»Ich bin stets bereit, Euch zu dienen, Herr Junker, soweit es dieser gebrechliche Leib erlaubt. Ich leide seit einiger Zeit an Beklemmungen, ganz wie das liebe deutsche Reich.«

»Als ich Euch damals in meiner Wohnung in Rheinsberg aufnahm, da wußte ich nichts von Euren geheimen Absichten; dieselben waren nicht löblicher Art.«

»Unser irdisches Thun erlebt sehr verschiedenartige Beurtheilungen. Ich diente dem General von Grumbkow und Sr. Majestät dem seligen Könige. Mir scheint es durchaus löblich, der Obrigkeit zu dienen, wie dies denn auch in der heiligen Schrift vorgeschrieben ist und wie denn auch die gefeierten Dichter Roms, ein Horaz und Virgil, ihrem Kaiser Augustus 36 und seinem Grumbkow Agrippa stets gehorsamst Ordre parirt haben.«

»Doch es giebt Dienste, die nothwendig, aber nicht sehr ehrenvoll sind. Dazu gehört die Spionirerei.«

»Favete linguis. Ist ein Krieg möglich ohne Spione? Ist ein Spion nicht ein tapferer Mann, der sein Leben für das Vaterland in die Schanze schlägt? Gehört nicht größerer Muth dazu, allein sich mitten in den Feind zu wagen, als mitten unter seinen guten Freunden eine Muskete abzubrennen? Braucht ein Spion nicht mehr Verstand, List, Gewandtheit, Unerschrockenheit, als irgend ein Schwadronscommandeur, der nur den Säbel zu schwenken und ein Commandowort loszudonnern braucht! Spione sind dem Feind oft unangenehmer, als ganze Regimenter; darum verfährt man auch so grausam mit ihnen. Und diese Männer sollen keine Helden sein, wenn sie auch nicht sechs Fuß Höhe haben und mit dem König aus einer Dose schnupfen?«

»Ich gönne Jedem die Freude an seinem Handwerk,« erwiderte Arthur, »nur war es für mich sehr wenig erfreulich, daß ich selbst für einen Spion gehalten wurde, weil ich Sie bei mir beherbergt hatte, und daß der Prinz Friedrich mich in Ungnade entließ.«

»Errare humanum est. Auch ein Ritter des Bayardordens ist nicht über den Irrthum erhaben.«

37 »Darum suchte ich Sie auf, Sie konnten mich von diesem Verdacht reinigen! Ich fand Sie nicht! Noch heute aber würde Ihr Zeugniß mir von hohem Werth sein, und der König würde auf dasselbe hören müssen, ob es auch aus dem feindlichen Lager käme und wie sehr Sie auch selbst seinem Zorn verfallen sein mögen.«

Der kleine Doctor rückte ein Käppchen, das er auf dem halb kahlen Scheitel trug und sagte mit schlauem Lächeln, indem er seitwärts in die Höhe blinzelte: »Der Prinz von Rheinsberg ist nicht ungnädig gegen mich gewesen; es thut mir leid, daß Sie allein die Kosten unserer Rheinsberger Unternehmung tragen mußten.«

»Nicht ungnädig gegen Sie? Doch wie kam es, daß sein Zorn sich gerade gegen mich richtete?«

»Sie kennen, liebster Baron, die Geschichte von den Hammeln des Polyphem. Ich machte es, wie die Gefährten des Odysseus, ich steckte unter dem Hammel, den er befühlte. Sie aber saßen oben drauf und wurden verspeist.«

»Und für diese Gnade des Prinzen wollen Sie sich rächen, indem Sie hier gegen Friedrich intriguiren?«

»Wer sagt Ihnen das, junger Freund?« rief der Doctor aus, indem er sich mit stolzem Selbstgefühl in die Höhe reckte, soweit ihm dies das kleine 38 Hinderniß erlaubte, welches die Natur ihm mit auf seinen Lebensweg gegeben hatte, »die Anzeichen sind oft trüglich, und so wenig sich die Pläne großer Männer auf den ersten Blick durchschauen lassen, so wenig ist dies auch oft bei den Plänen kleiner Männer der Fall. Man wächst überhaupt, mein Freund, so wenig man uns dies anmerkt. Wenn Sie sich aber überzeugen wollen, was hier in Breslau meines Amtes ist, so bemühen Sie sich nur nachher in den Schweidnitzer Rathskeller.«

»Doch ich lasse Sie nicht fort,« rief Arthur ungeduldig, »bis Sie mir versprochen haben, jenen nächtlichen Besuch in Rheinsberg so aufzuklären, daß ich von einem unwürdigen Verdacht befreit werde.«

»Der König ist jetzt unterwegs,« entgegnete der Doctor, »warten wir ab, bis er in Breslau ist.«

»In Breslau?« rief Arthur verwundert.

»Es ist dies eine Frage der Zeit, fassen wir uns in Geduld. Doch kommen wird er nach Breslau, so gewiß die Oder nicht rückwärts fließt. Und so wenig Gewicht auch der König auf das Zeugniß eines österreichischen Spions legen wird, wie Ihr mit Recht hervorhebt, so werde ich doch nicht verfehlen, Eure Unschuld, lieber Junker, nach Kräften ins beste Licht zu stellen. Tempora mutantur et nos mutamur in illis – sagt der leichtsinnige Ovid, der nach der 39 kaiserlichen Dirne etwas zu verwegen geschielt hat. Er mußte dafür in Tomi büßen und fror am schwarzen Meer. O, mit der Ungnade der Mächtigen ist nicht zu scherzen. Halte mich bis auf Weiteres zu Gnaden empfohlen.«

Fort huschte der merkwürdige Doctor mit einem spöttisch tiefen Gruß, indem er dabei mit seinem Höcker ein ausgestopftes kleines Stachelschwein, das zu dicht am Rande stand, herunterschob. Arthur erbarmte sich des unglücklichen Opfers und setzte es wieder an Ort und Stelle.

Es war inzwischen düster geworden; die Räume des Naturalien-Cabinets leerten sich; doch draußen auf den Straßen wogten unruhige Gruppen hin und her. Auf dem »Ring« besonders drängten sich die Volksmassen. Der frühaufgehende Mond spann die Giebel und Erker des Rathhauses mit ihrer steinernen Filigranarbeit in seine silberne Dämmerung und zeichnete scharf die drei spitzen Seitenthürme, die ihre Schatten auf das mit krausem Schmuck märchenhaft umsponnene Gebäude warfen. Holz-, Kien- und Strohfackeln beleuchteten den Hauptplatz Breslaus, da der Luxus der Laternen erst ein Jahr später der schlesischen Hauptstadt bekannt werden sollte, und das flackernde Licht dieser urwüchsigen Beleuchtung bildete, wo es sich mit dem Scheine des Mondes kreuzte, 40 allerlei bunte Farbenkreise. Kein größerer Gegensatz, als diese Stille des mondhellen Decemberabends und das Treiben einer erregten Menge, die, wie von unbestimmter Aufregung getrieben, mit lebhaften Geberden und oft mit lautem Geschrei über den Platz hin und her flutete. Eine Woge dieser Volksbewegung nahm Arthur in sich auf und trug ihn bis zum Schweidnitzer Keller, an dessen Thür bereits der ehrliche Förster auf ihn wartete, rathlos und bestürzt über das ihm gänzlich ungewohnte Schauspiel, das eine so vielköpfige Menge gewährte. 41

 


 


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