Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Zweites Kapitel.

Isabella.

Isabella von Pogarell war eine jener eigenthümlichen Schönheiten, welche nicht in den Rahmen des Rococozeitalters paßten. Der Adel ihrer Gestalt schien gegen die Einschnürungen und Aufbauschungen der damaligen Mode zu protestiren, und diese schöngeschnittenen Züge, in denen eine an hellenische Marmorbilder erinnernde Größe ausgeprägt lag, konnten sich nicht mit dem weißgepuderten Toupet verständigen, das zu schnippischen Gesichtchen so vortrefflich paßte und ein keckes Stumpfnäschen in das vortheilhafteste Licht setzte. Ihre hohe und volle Gestalt forderte den Meißel des Bildhauers heraus. Doch in dieser modischen Gewandung erschien sie wie eine maskirte olympische Göttin in diesem Fasching des achtzehnten Jahrhunderts.

So freilich, wie sie jetzt vor ihm stand, hatte Arthur sie nie gesehen! Das war nicht mehr das 18 kleine Mädchen, mit dem er in Panthenau gespielt, nicht die halbreife Jungfrau, mit der er noch vor drei Jahren in Peilau so lustige Spazierritte gemacht. Das war ein ganz anderes vollgültiges Wesen, wie es nicht in seinen Erinnerungen lebte, eine Erscheinung, die ihm fremdartig gegenübertrat. Kaum wagte er, auf das Recht des Vetters gestützt, ihre beiden Wangen zu küssen. Dann bedurfte es längerer Zeit, ehe er den passenden Ton für eine Anrede finden konnte.

Isabella selbst erschien befangen, eine leichte Röthe färbte ihre Wangen, sie flüchtete sich wie schutzflehend hinter den Lehnstuhl der Tante Ursula, denn sie erblickte in Arthur nicht den Gespielen ihrer Kindheit, sondern den Feind ihres Hauses. Mit niedergeschlagenen Blicken stand sie da, beide Hände auf die Lehne gestützt, und wie sie glaubte, sicher im Schutze der kampfmuthigen Tante. Das weiche Herz Sidoniens aber wurde durch diesen Rückzug schmerzlich berührt. »Du fürchtest Dich doch nicht vor dem Vetter?« rief sie aus und fuhr, obgleich Isabella die Augen groß aufschlug und ihr einen stolzen, strafenden Blick zuwarf, unerschüttert fort: »Das ist freilich nicht mehr der kleine Arthur, mit dem Du Vögel gefangen und Schmetterlinge gejagt! Doch sieh' Dir ihn nur noch genauer an; er hat noch dieselben guten Augen und denselben freundlichen Zug um den Mund. Und 19 zum Erschrecken ist er doch wirklich nicht! Alles wächst heran – das ist einmal das Loos der Welt. Wie groß ist mein Joko geworden – und war doch ein so niedliches Aeffchen, als ich ihn geschenkt bekam! Ja, Du selbst, sieh nur Dein Bild an drüben in meinem Stübchen in der Epheulaube! Was warst Du für ein niedliches Plauderlieschen, so sanft, als müßtest Du ein Lämmchen am Rosenbande führen und was bist Du jetzt für eine Person geworden! Man könnte auch vor Dir erschrecken, wenn's einmal reihum gehen sollte!«

Ursula schoß während dieser Rede auf Sidonie giftige Blicke. Durch ein langes Zusammenleben hatten es die Schwestern dahin gebracht, daß keine von beiden die andere sprechen hören konnte, ohne auf das Empfindlichste in ihrem ganzen Nervensystem berührt zu werden. Sie hatten das Gefühl, das sie sonst nur bei dem Rascheln eines Atlaskleides oder dem Kratzen eines Schieferstiftes auf einer widerspenstigen Tafel zu empfinden pflegten; sie geriethen in eine Stimmung, wie der Friedländer Herzog, wenn er einen Hahn krähen hörte.

»Laß doch das Mädchen in Ruh'. Isabella weiß, was sie sich und uns schuldig ist. Es sind nicht mehr die alten Zeiten – es liegt zuviel dazwischen!«

»Und doch erinnert sich Isabella gewiß gern der schönen Tage, die wir zusammen verlebt,« nahm jetzt 20 Arthur das Wort. »Je weiter man im Leben vorschreitet, desto mehr erfreut der Rückblick auf frühere Tage.«

Ursula und Sidonie seufzten gleichzeitig, als wollten sie hinter diese Betrachtung des Junkers ein gemeinschaftliches Fragezeichen machen.

»Wie reizend war der Spätsommer in Panthenau, als das zehnjährige Isabellchen uns besuchen kam! Da ging's in Flur und Wald, der sich schon gelb eingesponnen hatte und in die Haselbüsche, die so voll hingen, daß wir gar nicht genug sehen und pflücken konnten! Wie wurden da die Stauden auseinandergebogen – wie krochen wir tief, tief ins Gebüsch hinein, um auch die verstecktesten Schlupfwinkel auszuplündern. Und wenn Du hoch oben auf der wehenden Ranke einen ›Dreibock‹ entdeckt – wie war ich da uneigennützig genug, dich emporzuheben, damit Du selbst die entdeckte Beute erringen konntest! Und als wir uns einmal im Walde von Ellguth verlaufen hatten – denkst Du noch an unsere gemeinsame Angst? Da ging's hügelauf, hügelab, aus dem Kieferndickicht in's Birkenholz! Du lagst ermüdet im Moose, während ich auf eine Eiche kletterte, Umschau zu halten. Wohl sah ich unsern alten Zobten im Abendschein, der hier mit seinen Vor- und Nebenbergen eine lange Kette zu bilden schien, ich sah die Kirchthürme 21 Panthenau's und des fernen Strehlen, ich merkte mir genau die Richtung, in welcher mein Heimathdorf lag! Doch kaum waren wir wieder unterwegs, da hatte der Lootse seinen Compaß verloren – o wie beneideten wir die Brüder des Däumlings um die ausgestreuten Brotkrumen, die ihnen den Weg zeigten! Es ward immer düsterer; die garstigen Bäume rührten sich nicht vom Platz; gespenstig standen die hohen Fichten, leuchteten die weißen Birkenstämme im ersten, aufdämmernden Mondenlicht! Wir legten uns verzweifelt in's Gras – doch auch da war's unheimlich! Der erste Nachtthau fiel auf die Erde, eine Erquickung für die zarte Federnelke und den bunten Fliegenpilz, die verträglich neben uns wuchsen; doch unheimlich durchfröstelte es uns, die wir von dem langen Wandern erhitzt waren. Ich nahm mein Tüchelchen ab und band es Dir um den Hals. Da raschelte es an unserer Seite im Grase – erschreckt fuhren wir empor, denn mit dem unheimlichen Diadem auf ihrer Stirn lugte uns eine halbaufgerichtete Kreuzotter in's Auge.«

Isabella, die bei dem ersten »Du« fragend aufgeblickt, gleichsam erschrocken über das Recht, das der große Vetter sich nahm oder das ihm gar zustand, dann aber sich schweigend darein gefunden hatte, gab hier das zweite Lebenszeichen. Doch brauchte sich 22 Arthur nicht sehr erbaut davon zu fühlen, denn es galt keiner Erinnerung an seine zärtliche Fürsorge, sondern nur der garstigen Kreuzotter. Die Erinnerung an das kleine Ungethüm durchrieselte das Mädchen noch jetzt mit solchen Schauern, daß sie sich schüttelte und eine abwehrende Bewegung machte.

»Damals war unser Schutzengel der gute Langer, unserer Herrschaft wohlbestallter Förster, und niemals empfanden wir größere Freude, als wenn wir seinen, von fortwährendem Husten unterbrochenen Gesang hinter den Büschen hörten.«

»Der gute Langer!« fiel hier Isabella ein, »er hat viele Sünden dadurch abgebüßt, daß er seine Tochter Gertrud im Ursulinerkloster den Schleier nehmen ließ.«

Ursula nickte zustimmend mit dem Kopfe; Arthur aber meinte lächelnd: »Seine Sünden waren nicht so schwer, er liebte heitere Kumpane im Kretscham, doch auch die Buße mußte ihm leicht fallen, denn sie störte ihn selbst weiter nicht in seinem lustigen Lebenswandel. Das mußt Du am besten wissen, liebe Cousine, denn er siedelte später zu Euch nach Peilau über. Da sah ich ihn bei meinem letzten Besuch vor drei Jahren, doch er war so unverändert, wie seine Diana. Auch das war eine schöne Zeit, wenn wir zusammen auf den beiden Falben über die Straße galoppirten, weit hinein in die Felder entgegen dem im 23 Abendroth glänzenden Bergrücken der Eule, zu deren Füßen sich mit Mauern und Thürmen das stattliche Reichenbach auf seinem Hügel erhob. Kohlenmeiler dampften an den Berghängen bis hoch hinauf zum waldschattigen Gipfel der Sonnenkoppe. Das goldene Getreide aber wogte um uns, und die hohen Aehren schienen den schnaubenden Pferden die Mähnen zu streicheln. Und wenn Du nicht ganz fest im Sattel saßest oder Dein Falben einen scheuen Seitensprung machte, da lehntest Du Dich an mich oder ich zog Dich ganz zu mir herüber und drückte vor lauter Freude dem kleinen hübschen Mädchen einen Kuß auf die Lippen!«

Isabella erröthete; auch über Ursulas Züge flog eine Röthe der Scham oder des Zornes über diese unpassenden Erinnerungen. Inzwischen wurde die dampfende Theemaschine von dem weiblichen Gnom hereingetragen, der sich Arthurs Blicken bereits als der Cerberus der Doppelthüren gezeigt hatte. Isabella konnte ihre Verlegenheit besser verbergen, indem sie die Zurüstungen zur gastlichen Bewirthung übernahm. Doch alle diese kleinen Handtierungen, welche sonst dazu dienen, die weibliche Anmuth in einem günstigen Lichte zu zeigen, machten bei Isabella einen fremdartigen Eindruck. Sie bereitete den Thee, goß ihn ein und reichte die Tassen herum mit der Miene einer 24 Nachtwandlerin; ihre Seele schien himmelweit entfernt von der Beschäftigung ihrer Hände. Selten mischte sie sich in das Gespräch, dann aber stets mit einer um so herberen Bemerkung, je ungezwungener und heiterer der Ton war, welchen Arthur anzuschlagen wagte. Sidonie entfernte sich, um nach dem Befinden ihrer kleinen Menagerie zu sehen – die Unterhaltung wurde immer einsilbiger. Ursula, durch den Thee angeregt, konnte es nicht unterlassen, wieder auf den Proceß anzuspielen, der die Familien der Pogarell und Seidlitz seit zwei Jahren in eine so feindliche Aufregung versetzt. Da tönte die Abendglocke – Isabella und Ursula neigten das Haupt zu frommem Gebet!

Arthur, dem's wie ein schwerer Druck hier auf Kopf und Herzen ruhte, hielt es für gerathen, die feierliche Stimmung nicht länger zu unterbrechen, nahm von seiner schönen stolzen Feindin einen ritterlichen Abschied, empfahl sich bei beiden Tanten, indem er die Thierbändigerin noch einmal in ihrer Höhle aufsuchte und schied mit dem Bewußtsein, daß der heutige Tag nichts zur Versöhnung der beiden entzweiten Familien beigetragen habe – so schön auch Isabella von Pogarell geworden sei und so wenig sich gegen einen Vergleich einwenden lasse, bei dem ihre Hand im Spiele sei! 25

 


 


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