Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Sechstes Kapitel.

Der Spion.

Der Junitag war wonniger als je. Ein nächtlicher Regenguß hatte alle schlummernden Blüthen wachgeküßt; ein üppiger Duft stieg aus den Gärten empor, über denen die Sonne behaglich brütete. Alle Blätter und Blüthen hatten sich in Trinkschalen verwandelt, welche der leichte Wind ausschüttete und der durstige Sonnenstrahl leerte. Die ganze Natur schien berauscht – selbst die schweren Maikäfer taumelten trunken von den Bäumen.

Ein gutes und geistreiches Diner hatte die Gemüther der Rheinsberger heiter gestimmt. Es war viel gelacht worden und beim Kaffee hatte selbst Frau von Katsch gelächelt – ohne daß die Milch sauer geworden wäre, wie es sonst wohl bei so außergewöhnlichen Naturerscheinungen der Fall zu sein pflegt. Nur Bielefeld ging melancholisch im Garten 247 auf und ab. Es war keine unheilbare Schwermuth, an welcher er litt; im Gegentheil, ein Kuß konnte sie heilen – ein Kuß von den Lippen der schönen Morien! Er war verdrießlich und verwünschte seinen Unstern, wie er öfter zu thun pflegte. Denn es war in ihm etwas von jenem schweren Blute, welches die Eigenthümer der Hamburger Handelsfirmen in den dicken Alsternebeln, bei Austern und Portwein, bisweilen so quält, daß die sichersten Millionäre vor der Möglichkeit eines Bankerotts erschrecken.

»Warum wird es mir gerade so schwer, hier ein schönes Weib ans Herz zu drücken?« rief er in ärgerlichem Selbstgespräch aus. »Hier, wo so viele bedingungslose Küsse verschenkt werden, wird mir gerade ein Kuß unter einer Bedingung verheißen, die ich nicht zu erfüllen vermag. Fredersdorf schweigt wie das Grab – es ist mir nicht gelungen, auch nur die leiseste Andeutung zu erfahren, welche ein Licht auf jene geheimen Versammlungen bei dem Kronprinzen werfen könnte. Wie soll ich den Widerstand dieser sonst nicht allzuspröden Schönen besiegen?«

Eine Nachtigall auf dem Aste einer nahen Linde schmetterte solche Triumphlieder der Liebe, daß Bielefeld immer ungeduldiger wurde, das ersehnte Ziel zu erreichen. Er ging hastig in dem Laubengang nach der Eremitage auf und ab. Plötzlich stand er still 248 und sah sich siegesfreudig um nach dem weißen Gewande der Frau von Morien, das eben am Ende des Ganges sichtbar wurde. Er zog sich auf die Bank an der Eremitage zurück – offenbar hatte er jetzt einen festen Entschluß gefaßt, der ihn zum Ziele führen mußte.

»Sie sind der Unvermeidliche!« rief ihm die Hofdame zu, »und doch wissen Sie, daß ich nur unter einer Bedingung die Sonne meines Angesichtes über Ihnen aufgehen lasse.«

»Ich weiß es,« entgegnete Bielefeld trotzig.

»Und wären Sie der schönste Halbgott, der je auf dem Hamburger Jungfernstiege gewandelt ist, und hundert Herzen und die dazu gehörigen Millionen Mark Banco erobert hat – entweder das Geheimniß oder meine Ungnade! Es giebt keine andere Wahl!«

»Und wer sagt Ihnen, daß ich das Geheimniß nicht erforscht habe?«

»Nun,« erwiderte Frau von Morien lachend, »das sagt mir mein kleiner Finger; denn Sie wären sonst schon längst gekommen, sich Ihren Lohn zu holen.«

»Ich komme jetzt, ihn zu holen! Setzen wir uns hier auf die Bank vor der Einsiedelei! Ich habe das Geheimniß entdeckt!«

249 »Wie, nicht möglich!« rief die Hofdame, bei welcher jetzt die Neugierde jedes andere Gefühl beherrschte, »erzählen Sie, erzählen Sie!«

Bielefeld warf siegesstolz den Kopf in den Nacken, legte den Hut auf die Kniee, räusperte sich, sah sich zur Rechten und zur Linken um, ob Niemand im Gebüsche lausche, und ergriff dann die Hand seiner Dame, die er an die Lippen drückte:

»Dies auf Abschlag!«

»O, bitte! Ich zahle nichts pränumerando!«

»Ein kleines Handgeld, gnädige Frau! Sie müssen mir Ihre Hand lassen – ich brauche eine Bürgschaft dafür, daß mir der Kuß nicht entgeht.«

»Doch wer bürgt mir dafür, daß Sie endlich den geheimnißvollen Schleier lüften und nicht meine Güte mißbrauchen?«

»Meine Mittheilungen sind so interessant, daß Sie mich schon vorher mit einem leisen Händedruck belohnen können. Ein Kuß ist überhaupt zu wenig – denn es ist nicht ein Geheimniß; es ist ein großer Schwarm von Geheimnissen der aus der Schachtel herausstiegen wird, wenn ich den Deckel lüfte!«

»Es wird nicht mehr gefeilscht, mein Herr Kaufmann! Der Handel ist abgeschlossen.«

»Gut denn – also hören Sie! Ich habe aus mehreren Quellen geschöpft! Hier hat mir das Gold, 250 dort das Recht der Freundschaft den Schlüssel geliehen – das Geheimniß ist furchtbar; wir sind verloren, wenn man uns belauscht!«

»Um Himmelswillen,« rief die Hofdame, deren Gesicht den Ausdruck wahrer Todesangst annahm. Bielefeld neigte sich zu ihr herüber, um ihr in's Ohr flüstern zu können und schlang bei dieser Gelegenheit den Arm um sie, ohne daß sie in ihrer Aufregung diese neue Verwegenheit zu bemerken schien.

»Der Kronprinz – o ich hätte es nie geglaubt!«

»Der Kronprinz – was ist mit ihm?«

»Ist das Haupt einer weitverzweigten Verschwörung, die sich in die verschiedensten Geheimbünde und Freimaurerorden hineinerstreckt, und deren Zweck – ich schaudere es zu denken« unterbrach sich der Kaufmann, indem er wie von Entsetzen ergriffen Frau von Morien fester an sich drückte.

»Ich beschwöre Sie – reden Sie – welch einen Zweck verfolgt der Kronprinz?«

»Keinen anderen, als den König vom Thron zu stürzen und sich selbst darauf zu setzen!«^

»Bei Lebzeiten des Vaters – entsetzlich!« Frau von Morien riß sich von Bielefeld los und faltete die Hände. Der junge Kaufmann bedauerte in diesem Augenblick, daß er eine zu kräftige Wirkung hervorgerufen hatte.

251 »Die Verschwörung,« fuhr er nun eifrig fort, »ist mit großem Geschick organisirt, Niemand kennt die Oberen; Alle geloben mit heiligem Eidschwur Treue und Verschwiegenheit! Die Regimenter sind alle mit im Complott – nur die Potsdamer Grenadiere ausgenommen! In Neu-Ruppin wird der Kronprinz zuerst ausgerufen – dann marschirt Alles nach Berlin! Wir stehen an der Schwelle großer Ereignisse!«

»Gott – und wenn der Kronprinz, wenn wir Alle über diese Schwelle stolpern!« rief die Hofdame angstvoll aus!

»Fürchten Sie Nichts – der Sieg ist den Verschwörern gewiß! Hier in den Gemächern des Prinzen tagen die Häupter der Verschwörung! Darum ist das Geheimniß so tief und unergründlich! Viele Freunde des Kronprinzen, Knobelsdorf, ich und andere sind ausgeschlossen, weil man uns den Muth nicht zutraut, unser Haupt auf den Block zu legen, wenn es sein muß.«

Frau von Morien verbarg mit lautem Aufschrei ihr Gesicht in ihren Händen.

»Auch sind die Ceremonien der Aufnahme sehr ernst und seltsam. Wenn Sie durchaus Alles wissen wollen –«

»Alles, Alles, ich bitte Sie –«

252 »Die Novizen müssen nackt zwischen drei gezückte Schwerter treten und dann das vierte über ihrem Haupte schwingen mit dem dreimaligen Ruf: Rache für Katte, Rache für Katte! Dann setzen sich Alle an einen langen, schwarzverhangenen Tisch, auf dem Todtenschädel und Schwerter liegen. Hier beginnen die Verhandlungen –«

»Doch wann dürfen denn die unglücklichen Novizen wieder ihre Kleider anziehen?« frug Frau von Morien.

»Dies geschieht gleich nach der Aufnahme! Die Verhandlungen geschehen in vorgeschriebenen Formen, kurz und bestimmt – die Befehle gehen von hier an die Oberen des nächsten Grades! Wer das Geheimniß verräth, ist verloren. Hörten Sie Nichts von dem Lieutenant von Rudelschütz, dessen Leiche man bei Ruppin im Walde fand? Es hieß, er sei im Duell gefallen – freilich wohl im Duell, doch ohne daß er sich wehren durfte. Eine Kugel vor den Kopf – das ist das Gericht der heiligen Vehme!«

»Gerechter Himmel, wie schrecklich,« rief Frau von Morien aus! »Und sie marschiren gegen Berlin – doch was geschieht mit dem Könige?«

»Ich muß Ihnen aufrichtig sagen, gnädige Frau, daß ich hierüber noch nicht nachgedacht habe, das heißt, daß man mir hierüber nichts Näheres 253 mitgetheilt hat. Doch, Sie werden nicht leugnen, daß ich die Bedingungen jetzt in überschwänglicher Weise erfüllt habe, die Sie mir neulich gestellt. Ich rufe Himmel und Erde zum Zeugen, daß ich mir jetzt einen Kuß von Ihren Lippen – was sage ich? – unzählbare Küsse verdient habe.«

»Doch – ich bin in einer Stimmung – wie kann man in dieser verzweifelten Lage, in der sich unsere Herrschaften befinden, an leichtsinnige Liebesspiele denken?«

»Meine Gnädige, ich habe den ersten Schreck bereits glücklich überstanden – und was Sie betrifft, Sie dürfen mir jetzt mit keiner Schlangenwindung mehr entgehn! Sie müssen dem Kaiser geben, was des Kaisers ist – Sie sind meine Gefangene!«

Und mit diesen Worten drückte der Hamburger Kaufmannssohn die Hofdame an sein Herz und raubte ihr einen Kuß nach dem andern.

»Das ist gegen die Abrede,« rief Frau von Morien sich sträubend!

»Ich habe lange genug warten müssen, jetzt nehme ich Verzugszinsen!«

»Pfui, wie kaufmännisch!« sagte Frau von Morien sich losreißend; »tragen Sie mich nur nicht aus Versehen in Ihre Bücher ein! Und wie haben Sie meine 254 Toilette verwüstet! Ich muß mich auf Seitenwegen in mein Zimmer schleichen, damit mich Niemand erblickt! Leben Sie wohl! Hoffentlich haben Sie kein zweites Geheimniß mehr zu entdecken; denn das erste war schauerlich genug. Auch setz' ich keine Preise mehr dafür aus; denn ich erkläre mich von heute ab für insolvent!«

Bielefeld folgte langsam dem rasch durch die Gänge schlüpfenden »Tourbillon«, indem er sich vergnügt die Hände rieb. »Ein Weib zu überlisten, das giebt ein besonders behagliches Gefühl! Man rächt damit ein Dutzend Männer, welche sich von ihm haben täuschen lassen.«

Die Scene war inzwischen nicht unbelauscht geblieben. Die Mitwirkenden hatten sich wohl nach rechts und links umgesehen, aber ganz die Eremitage vergessen, deren Thüre freilich verschlossen war. Doch in ihrem Innern saß an einem Tische von Baumrinde »die Nonne«, die Feder in der Hand, um irgend ein geflügeltes Madrigal dem Papier anzuvertrauen. Sobald sie die näherkommenden Schritte und Stimmen vernahm, erhob sie sich von ihrem Sitz und lehnte das Köpfchen an die bunten Glasscheiben der Eremitage. Ein Rendezvous zu belauschen, das mit Kuß und Umarmung endigt, ist für jede Schöne ein gewinnreiches Ereigniß – und auch Frau von Brandt 255 war nicht so aus der Art geschlagen, daß sie dies Glück nicht zu schätzen verstanden hätte. Doch leider konnte sie den Triumph einer so kostbaren Entdeckung nicht rein genießen, indem ihre Gedanken alsbald eine andere Richtung nahmen. Die Enthüllungen Bielefelds machten auf sie einen weit größeren Eindruck, als auf Frau von Morien, denn sie betrafen ja den Abgott ihres Herzens, den Kronprinzen. Nicht über die verwegenen Pläne der Verschwörer gerieth sie außer sich – und wenn der Kronprinz den Mond vom Himmel hätte herunterreißen wollen, sie war überzeugt, daß er ihm wie eine reife Frucht in den Schooß gefallen wäre! Ihr ganzer Zorn traf die Verräther, welche den Schleier des Geheimnisses zu lüften wagten, welche den Prinzen und alle die Seinen der größten Gefahr aussetzten. Von edlem Unwillen beseelt, verwünschte sie hundertmal den plauderhaften Bielefeld, welcher einer Frau von Morien dies Geheimniß anzuvertrauen wagte. Sie war überzeugt, daß ein Geheimniß im Besitz dieser Dame augenblicklich aufhöre, ein Geheimniß zu sein.

Sinnend das Haupt auf die Hand gestützt, legte sie sich auf die Ottomane nieder, welche, im Widerspruch mit dem Charakter einer Einsiedelei, sich in die mit Moos tapezierte Zelle verirrt hatte. Ihre Gedanken schweiften hin und her – es galt um jeden 256 Preis den Prinzen zu warnen, ihn von dem Verrath in Kenntniß zu setzen, der seinen Plänen und ihm selbst die größte Gefahr drohte. Indem die Schöne über die Mittel und Wege nachdachte, diese Mittheilung an den Prinzen zu befördern, malte sich ihre Phantasie auf das Reizendste aus, wie sie selbst als Erretterin dem liebenswürdigen Friedrich gegenübertreten und von ihm den Dank für ihre rettende That erhalten werde. Ja so eigenthümlich geartet ist das menschliche Herz – diese That erschien ihr bald nur als ein Mittel zum Zweck, das Herz des Prinzen zu rühren, und einige unbelauschte Augenblicke mit ihm zuzubringen. Sie zweifelte nicht an der Macht ihrer Reize, an dem unwiderstehlichen Zauber, welchen die gesteigerte eigene Empfindung ausüben werde: alle ihre Pulse flogen der schönsten Stunde ihres Lebens entgegen. Ungeduldig sprang sie von der Ottomane auf, und die Feder, welche noch eben hoffnungslose Empfindungen in wohllautende Verse bannte, und das große Feuerauge des Geliebten besang, welches nie diese dichterischen Ergüsse erblickte, schrieb jetzt auf Rosapapier eine kecke Einladung an den Prinzen in einer Prosa, welche an Wirksamkeit alle ihre Verse weit hinter sich lassen mußte, denn sie theilte ihm, ohne ihren Namen zu nennen, mit verstellter Handschrift mit, daß eine 257 Dame ihn heute um elf Uhr Abends in der Eremitage erwarte, welche ihm die wichtigsten Enthüllungen über einen sein Leben bedrohenden Verrath zu machen habe.

Sie las noch einmal die Zeilen durch, voll Erstaunen über ihre eigene Kühnheit und voll glühender Erwartung des Erfolges. Doch wie dies Schreiben an den Prinzen gelangen lassen? Es galt, die Wachsamkeit Fredersdorfs zu täuschen, und während Friedrich seinen Abendspaziergang machte, das Briefchen auf den Tisch seines Bibliothekzimmers zu legen, wo er es finden mußte; denn er verweilte dort jeden Abend einige Zeit. Der Entschluß war gefaßt. Frau von Brandt, eine Schwärmerin wie Johanna d'Arc, fühlte sich plötzlich in eine Heldin verwandelt, und bebte vor keinem Wagniß zurück, welches den Prinzen zu erretten und vielleicht mit den Banden ihres Liebeszaubers zu umstricken vermochte.

Die Abendsonne funkelte auf den Scheiben des Rheinsberger Schlosses, als die Briefstellerin auf der Gallerie hin und her wandelte, welche die beiden Schloßthürme verband. Es gelang ihr, als Fredersdorf unten im Garten Luft schöpfte, unbemerkt in das Heiligthum zu dringen, wo Prinz Friedrich seine Gedanken wie junge Adler an den Sonnenflug 258 gewöhnte. Sie wagte es kaum, sich in diesen geweihten Räumen umzusehen; sie legte das Briefchen in ein aufgeschlagenes Notenheft, welches neben der Flöte auf dem Tische lag, und huschte blitzschnell zur Galleriethür hinaus, mit hochschlagendem Herzen der abendlichen Begegnung gedenkend. 259

 


 


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