Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Elftes Kapitel.

Die Verschwörung in tausend Nöthen.

Vor dem Heiligenbilde der Jungfrau kniete Isabella in ihrer Kapelle in tiefer Zerknirschung; die Nachrichten des heutigen Tages hatten sie mit einer Verzweiflung erfüllt, welche mit ihrer Begeisterung für die Sache Oesterreichs und der Königin ganz im Einklang war. Umsonst alles Bitten und Hoffen, Rathen und Schaffen; das Brennusschwert der Gewalt war in die Waagschale gefallen, in der die Geschicke Breslaus schwebten, und das Glück, das den Preußen immer hold war, hatte sich für ihre Sache erklärt, für welche Isabella nur Haß und Verachtung empfand. Doch auch die Worte der Nonne hatten ein lang nachhallendes Echo in ihrer Brust gefunden: so war es Sünde und Schmach, was ihrer glühenden Leidenschaft als das höchste Glück des Lebens erschien? Wie oft hatte sie es sich schon selbst gesagt; aber die 248 geistreichen Trugschlüsse des Priesters hatten sie stets von neuem darüber getäuscht; er verlangte für die Auserwählten ein Recht, der Leidenschaft zu folgen, was er der Menge versagte, die größere Sünde um der größeren Buße willen; jetzt aber kam es über sie wie eine schwere Last von Schuld und Frevel zugleich mit der erdrückenden Kunde von dem Einzug der Preußen in die stolze Stadt der Königin von Ungarn!

Es giebt Augenblicke, in denen man schmerzlich empfindet, wie alles zusammenbricht, was uns das Leben werth machte; man sieht um sich nichts, als eine grenzenlose Oede; der Verzicht auf alles Glück schnürt die Seele zusammen.

Isabella war vernichtet, hoffnungslos! Da trat der Priester zu ihr; auch er stand unter der bewältigenden Macht des Eindrucks, welchen die Kunde vom Scheitern ihrer Pläne auf ihn gemacht hatte; doch seine Natur war anders geartet; gegen geistige Entmuthigung suchte er ein Gegengewicht in sinnlicher Erregung; was er auf der einen Seite im Spiel des Lebens verlor, wollte er auf der andern gewinnen; das entfesselte Feuer der Leidenschaft sollte die Erinnerung an alle gescheiterten Hoffnungen verzehren.

»Isabella,« rief er der Knieenden zu, »verloren ist Alles, was uns beschäftigte und begeisterte! Die Preußen sind den Oesterreichern zuvorgekommen und 249 haben sich Breslau's mit einem kühnen Handstreich bemächtigt; wir müssen uns in das Unvermeidliche fügen.«

»Unvermeidlich? Wer hat gezögert, wer hat uns verrathen?« rief Isabella.

»Was hilft es uns, darüber zu brüten?« erwiderte Pater Maurus; »die Preußen sind einmal jetzt hinter den starken Mauern von Breslau und werden das mächtige Bollwerk auf das Aeußerste vertheidigen. Wir müssen alle unsere Pläne für die Zukunft vertagen, und wer weiß, ob sie noch eine Zukunft haben. Doch das berührt nicht uns und unser Glück!«

»Es war das höchste Glück, das ich träumen konnte, diese Stadt unserer herrlichen Königin zu erhalten,« rief Isabella wie erstaunt über die Worte des Priesters.

»Bete jetzt nicht mehr zu Deinen Heiligen um die Errettung dieser Stadt, sie wollen es nicht; stehe auf!«

»Laßt mich,« sagte Isabella, »meine Seele ist demüthig und zerknirscht und liegt auf den Knieen, weshalb sollte ich aufstehen? Hier ist mein Platz!«

»Komm, mein glühendes Mädchen!« rief der Pater, »laß die Welthändel ihren Gang gehen; wir haben das Unsrige gethan, ihn zu hemmen, es war vergeblich! Huldigen wir einem Glücke, das keine 250 Macht von außen uns zertrümmern kann. Empor, fromme Büßerin . . .«

»Wer will einen Zwang ausüben über mich? Ich dulde keinen Zwang . . .«

»Und willst Du büßen, so mache die Buße vollständig! Laß mich zur Geißel greifen!«

»Nimmermehr,« sagte Isabella, indem ein unheimlicher Schauer sie überlief, »das ist vorüber.«

»Vorüber?« rief Maurus mit höchster Verwunderung, »was soll das heißen, Isabella?«

Sie verstummte; der Priester wollte die Knieende empor und in seine Arme ziehen, doch sie wehrte ihn ab.

»Ich verstehe Dich nicht,« sagte Pater Maurus, »denn was soll dies Sträuben einer verspäteten Tugend? Bist Du kleinlich geworden im Denken und Fühlen, verleugnest Du die Andacht, die in höchster Beseligung liegt?«

»Ich verleugne sie,« erwiderte Isabella, indem sie sich erhob und dem Priester stolz gegenübertrat, »die Heiligen sind nicht mit uns . . . sonst hätten sie die Schaaren des Lügenfürsten zertrümmert, ehe sie den Einzug in diese Stadt hielten; sonst hätten sie mit segnender Hand die Heerschaaren der Königin hereingeleitet und ihnen den Weg geebnet. Sie haben sich 251 von uns gewendet . . . wir sind verworfen in ihren Augen!«

»Thörichtes Mädchen,« sagte der Pater, »Du vermischest die Geschicke der Welt mit unserem selbstgeschaffenen Schicksal. Mag es draußen wettern und stürmen; wir zaubern uns hier den heitersten Sonnenschein! Mag der Ehrgeiz der Gewaltigen draußen um Macht und Herrschaft würfeln, mag über unsere Kirche selbst eine Zeit der Demüthigung hereinbrechen, welche sie glorreich wieder überwinden wird . . . das berührt nicht die Entzückungen, welche die Schönheit und Liebe gewährt! Du kennst sie, die Sage von Merlin . . Merlin und Viviana, durch die blühende Weißdornhecke von der Welt geschieden . . . das ist der Zauber der Liebe! Und Du hast sie gepflückt, die berauschenden Blüthen, und ich selber bin in dieses Zaubers Bann!«

»Merlin!« rief Isabella zurückschaudernd, »Merlin, das ist's! Das ist das Höllenmärchen, das in Hirn und Herz mir unheimlich brodelt! Sieh mich nicht an mit den Feuerblicken, Wahnsinniger! Wecke nicht die verzehrende Glut, welche mich in Deine Arme treibt, ich halte Dir das Kreuz entgegen.«

»Das Kreuz!« sagte Maurus mit spöttischem Lächeln, »und soll mich das Kreuz schrecken, das große Zeichen meines Lebens, das Sinnbild meines 252 Glaubens? Ich neige mich vor ihm; es hat die Welt erobert!«

»Genug des Frevels und der Sünde!« rief Isabella, »wie mich's auf einmal durchschauert, das bange Gefühl grenzenloser Verworfenheit und innerster Vernichtung, für die es keine Buße giebt! Wie alle glühenden Augenblicke sündhaften Glückes mich jetzt mit verzehrender Pein erfüllen!«

»Jetzt, und warum erst jetzt?« rief der Pater spöttisch, »es gab eine Zeit, wo solche Abwehr noch rühmlich und siegreich gewesen wäre! Was ist sie jetzt? Jetzt gilt es keine Unschuld mehr zu vertheidigen, keine Tugend mehr zu schützen; jetzt ist es eine Lästerung der Liebe, der Leidenschaft und ihrer höchsten Rechte! Solche Augenblicke des Glückes sind für das ganze Leben erworben! Sieh jene Büßerin an, allgegenwärtig in ihrer Buße ist das entzückende Bild der Sünde! Lästre nicht, was Dir nur einen Augenblick das Höchste im Leben war! Es bleibt unvergeßlich, magst Du es auch in den Staub ziehen! Und Du ziehst Dich selbst herab mit ihm, denn wofür Du alles hingabst . . das wird ein Theil von Dir . . und Selbstmord ist solche Lästerung! Das ist nicht Buße! Buße ist des Entzückens Eingeständniß; es ist die Thräne des Himmels, geweint um das irdische Glück!«

253 »Ich werde büßen,« sagte Isabella dumpf brütend, »büßen . . . aber einsam, allein, irgendwo in Vergessenheit vergraben! Ich hatte schöne Träume von der Welt; o Gott . . . wie bin ich jetzt seiner unwerth . . . Als Heldin mit der Fahne meines Glaubens wollte ich ihm gegenübertreten; er sollte erkennen, daß in mir ein gleicher Schwung der Begeisterung lebt, daß ich sterben kann für eine heilige Sache, um welche ich ihn und seine Liebe zurückweisen mußte . . alles dahin! Der heutige Tag hat alle diese Träume vernichtet, und mir nichts übrig gelassen, als die innere Verwüstung meiner Seele.«

»Isabella,« rief der Pater mit dem Tone glühender Leidenschaft.

»Zurück!« sagte das Mädchen, nach der Thür der Kapelle weichend, »ich will büßen, einsam, allein, nur mir selbst gehören . . . und das will ich schon jetzt, hier, gleich!«

Achselzuckend verließ der Priester das Betgemach!

Isabella aber warf sich schluchzend auf die Steinplatten vor dem Altar.

Einige Zeit darauf schlichen allerlei Gestalten, sich vorsichtig umsehend, in das Haus der Domtanten; nicht blos den älteren Fräuleins pochte das Herz bei dem heutigen Besuch; auch der Kreuzherr fühlte sich nicht wohl dabei. Es war der Tag der Assisen und 254 obgleich ihre Zeit vorüber war . . . man wollte sich doch sehen, sprechen, klagen hören, man wollte fragen, ob noch ein Hoffnungsschimmer aufleuchte irgendwo am Horizont; man wollte erfahren, wodurch das schreckliche Ereigniß so rasch hereingebrochen, ob Gutzmar nicht geantwortet, warum Neipperg gezögert!

Leise wie die Schatten einer Zauberlaterne glitten die Gäste die Treppe hinauf; in dem Salon herrschte Halbdunkel; die Theemaschine brodelte nicht behaglich wie sonst; Ursula hatte vergessen, an die Bewirthung zu denken; sie saß schweigend auf dem Sopha und grüßte die Eintretenden mit mürrischem Kopfnicken. Groß war ihre Zahl nicht! Die Frauen waren muthiger als die Männer, weil sie neugieriger waren. Rosaura Ziermann hatte ihre reizenden Füßchen unerschrocken in Bewegung gesetzt und auch die beiden Fräulein Rothschütz, die saure und die süße, waren erschienen.

»So werd' ich meinen Bruder nicht wiedersehen,« sagte Fräulein Ziermann, »diese verwünschten Preußen; aber glücklich wird der Ambrosius Böhm sein; er wäre massacrirt worden!«

Das jüngere Fräulein Rothschütz hielt den Augenblick für günstig, ein neues Gedicht mit flüsternder Stimme vorzutragen; das Erdreich war gelockert, um den Samen der Poesie in sich aufzunehmen; die 255 Gemüther waren weich gestimmt und empfänglich für die milde Berührung mit den Schwanenfittichen der Dichtung, und wie glücklich war der Gedanke, den neulichen Besuch der Fledermaus sinnbildlich auf den Einmarsch der Preußen zu beziehen; wer konnte ungerührt bleiben, wenn er die bedeutsamen Schlußverse des Gedichtes vernahm:

Das war die Fledermaus mit ihrem nächt'gen Flug;
Sie kündete den Sieg von Hinterlist und Trug!
Herunter mit dem Aar vom preußischen Panier!
Malt drauf die Fledermaus, das langgeöhrte Thier!

Ein dumpfes Gemurmel des Beifalls ließ sich in dem Salon hören, die glänzendste Anerkennung, welche bisher die kühnsten Ergüsse der Dichterin gefunden hatten. Nur ihre Schwester sprach von dem gruseligen Geschmack, der sich einen solchen Stoff aussuchen könne, und fügte böswillig hinzu, daß auch diese Verse mit zu dem Unheil gehörten, welches die Preußen durch ihren Einmarsch in Breslau angerichtet hätten.

Pater Maurus war inzwischen eingetreten. »Man merkt es hier,« sagte er mit dem Hohn, den seine jüngste Begegnung mit Isabella in ihm erregt hatte, »daß wir zu den Besiegten gehören. Vae victis! Wohin ist alles Leben geschwunden, das noch vor Kurzem diesen Kreis beseelte!«

256 »Ich habe leider keinen Brief von meinem Bruder,« meinte Fräulein Ziermann.

»Doch es ist hier Verrath im Spiel,« sagte der Pater.

»Verrath?« riefen mehrere Stimmen lauter, als die gedämpfte Haltung der Versammlung eigentlich zuließ.

»Es bedarf doch kaum kühnerer Schlüsse,« fuhr der Pater fort, »um aus dem, was vorgegangen ist, einen solchen geheimen Zusammenhang herauszulesen. Wie kam es denn, daß der Syndikus Gutzmar nach Strehlen befohlen und dort verhaftet wurde? Da muß doch der Brief des Feldmarschalls in die Hände der Feinde gefallen sein!«

»Gewiß!« meinte Sidonie bedauernd, »die arme Beatrix . . was muß ihr widerfahren sein?«

»Das kommt von der Schönheit,« meinte die ältere Rothschütz; »ich habe immer davor gewarnt, eine so schöne Vermittlerin zu wählen. Sie zieht alle Blicke auf sich und überdies hat sie ein paar Augen, wahre billet-doux, an die ganze Welt adressirt . . eine fromme Schwester, die solche gefährliche Feuerwerkskörper im Gesichte trägt!«

»Es ist wohl möglich, daß sie ein Abenteuer erlebt hat,« sagte die jüngere Rothschütz, »irgend ein preußischer Offizier hat sie verhaftet, gewiß in angenehme 257 Haft gebracht; denn die Liebesgötterchen treiben oft ihr Spiel, wo sie nicht sollen, und ihre Pfeile zerreißen selbst den Schleier der frommen Nonnen.«

»Wie aber,« fuhr Ursula auf, »wenn sie eine Verrätherin wäre, vielleicht schon erkauft als Abenteuerin von einem fremden Eindringling, dem sie ihr Herz geschenkt?«

»Ein solcher Verdacht ist mir auch schon gekommen,« sagte Pater Maurus, »der Gang der Ereignisse hat ihn mir unwillkürlich aufgedrängt. Wo bleibt diese Nonne heute? Hat sie irgend einen Bescheid, irgend eine Antwort von Gutzmar gebracht? Es wäre zwar unglaublich, wenn eine fromme Schwester sich dazu hergäbe, der Ketzerei ihre Dienste zu weihen; aber wer weiß . . . irgend eine sündige Bethörung, die sie ewigen Pflichten untreu macht! Auch in kirchlichen Kreisen begiebt sich oft das Unerhörte; wir können nichts thun, als uns davor bekreuzigen! Und bei dem spurlosen Verschwinden der Nonne Beatrix wird der Verdacht unabweisbar: sie ist eine Verrätherin!«

»Das ist sie nicht,« rief eine Stimme mit dem Ton fester Ueberzeugung; es war die Stimme Isabellen's, die eben eingetreten war, ihre Züge verweint, in schmerzlicher Erregung, die so selten war bei dem stolzen, geistesstarken Mädchen; doch der heutige Tag 258 erklärte ja vollkommen die ungewöhnliche Ergriffenheit und Verstörung.

»Du sagst dies mit solcher Entschiedenheit,« sagte Ursula streng, »hast Du Beweise dafür?«

»Ich habe Beweise! Sie hat mir warmen innigen Antheil geschenkt; sie hat ein edles Herz gezeigt; das weiß ich, daß sie niemals einem Abenteuer nachgehen wird, irgend einer Verlockung folgen, und was könnte sie sonst bestimmen, abzufallen von ihren heiligen Pflichten?«

»Der Schein trügt!« sagte der Pater, »es giebt geharnischte Tugenden, welche der Sünde verfallen. Und jene Beatrix hatte nicht den stolzen Blick, vor dem das Wagniß der Leidenschaft zurückschreckt!« Der Hohn in den Worten des Paters, obgleich nur für sie verständlich, jagte dem Mädchen das Blut in's Gesicht; sie fühlte sich preisgegeben, fühlte ihre ganze Schmach und Entwürdigung. Das Halbdunkel verbarg ihre gesteigerte Aufregung; sie zwang sich zu gleichmüthiger Ruhe, als sie die Worte sprach:

»Ich bin überzeugt, sie wird wieder erscheinen, sie wird uns selbst Auskunft geben!«

»Ich muß bekennen,« sagte der Kreuzherr, »daß ich daran zweifle! Ich stimme dem Pater bei, es ist nicht ganz geheuer mit dieser Schwester Beatrix.«

259 Während die Zweifel der alten Fräulein sich nur nachdrücklicher äußerten, rief Isabella auf einmal, den Blick auf die Thüre gerichtet, mit triumphirendem Ausdruck:

»Ich hatte Recht; denn . . . da ist sie selbst!«

In der That, sie war es, die junge hübsche Schwester mit den lächelnden Mienen, und sie grüßte freundlich die Anwesenden.

»Gott sei Dank,« sagte Ursula, »daß Ihr kommt! Nun werden wir endlich hören . . .«

»Daß Breslau in preußischer Gewalt ist?« frug Beatrix mit einer Schelmerei, welche auf die Stimmung dieses Kreises nur eine erbitternde Wirkung ausüben konnte.

»Ihr könnt scherzen am heutigen Tage?« sagte Pater Maurus mit gewichtigem Ernst, »zuerst werdet Ihr uns Rede stehen.«

»Ja, das werdet Ihr,« riefen die Frauen im heiseren Chor durcheinander.

»Gemach, gemach!« sagte Beatrix, »ich bin weit gewandert und müde von der Wanderschaft. Darf ich mich setzen?«

Der Kreuzherr bot ihr höflich seinen Lehnstuhl; die Nonne stützte das Haupt auf ihren Arm und begann mit ihren Füßchen ein neckisches Spiel, welches sie dem beweglichen Gegenüber abgelernt hatte; denn 260 sie schaukelten sich elfenhaft herausfordernd, wie die Füßchen des Fräulein Ziermann, und setzten sich erst zur Ruhe, als auch diese Tirailleurs sich auf ihren Soutien zurückgezogen hatten.

»Wir bitten um Auskunft,« sagte Ursula.

»Gönnt ihr doch etwas Ruhe,« rief Isabella dazwischen, indem sie der Nonne zu herzlichem Willkommen die Hand reichte.

»Ja, es ist geschehen,« sagte Beatrix, »ohne Kampf, ohne Opfer, ohne Märtyrer! Unsere Kanzeln werden ihn lobpreisen müssen, den König; der Weihrauch unserer Kirchen duftet auch für ihn, er ist jetzt Herr über Stadt und Dom und Alle müssen ihm huldigen!«

»Das werden wir nicht,« sagte der Kreuzherr trotzig.

»O, er ist ein Gewaltiger ohne Gnade; er legt auf diese Stadt seine Eisenfaust; mit Roß und Reisigen hält er seinen Einzug und niederschmettert er, was ihm widerstrebt!«

»Und wie kam es denn,« frug Pater Maurus, »daß Gutzmar nicht dem General geantwortet auf seinen Brief, daß nicht die Oesterreicher vor den Preußen in die Stadt einrückten?«

261 »Gutzmar,« sagte die Nonne sich erhebend, »hat auf diesen Brief nicht geantwortet, weil er ihn nie erhalten hat.«

»Nicht erhalten?« riefen mehrere Stimmen zugleich.

»Wie ging dies zu?« frug Ursula mit der gestrengen Miene eines Inquisitionsrichters.

Alle Augen richteten sich auf die Angeklagte, welche mit unerschrockener Freundlichkeit fortfuhr:

»Ganz einfach! Ich habe den Brief an eine andere Adresse gesandt!«

»Verrätherin!« riefen Maurus und der Kreuzherr, während Isabella begütigend dazwischenwarf:

»Wohl an eine Adresse, bei welcher seine Wirkung noch entscheidender war?«

»Gewiß! Ich schickte den Brief geradeswegs . . . an den König von Preußen!«

Bei diesen Worten malte sich Bestürzung auf allen Gesichtern; dann klang es wie ein allgemeiner Schrei des Unwillens; Isabella wandte sich ab und verbarg ihr Gesicht mit den Händen; eine schmerzliche Enttäuschung folgte an diesem Unglückstage auf die andere.

»Ich bin keine Nonne,« sagte Agnes-Beatrix, indem sie die Kapuze zurückschob, ihr dunkles, nicht gepudertes Haar aus seiner Clausur entließ, daß es 262 mit weltlicher Ueppigkeit um ihr liebliches Antlitz herabwallte.

»Betrügerin!« kreischte Ursula, während die andern ihrer Erregtheit kaum Worte zu geben wußten. Der Pater und der Kreuzherr waren einen Augenblick von der anmuthigen Schönheit des Mädchens so überrascht, daß ihre Entrüstung diesem freundlichen Eindruck gegenüber zurücktrat. Dann aber brauste sie desto heftiger auf; beide warfen der falschen Nonne zürnende Blicke und Schmähungen zu.

»Ich bin eine Preußin von Kopf zu Fuß,« fuhr Agnes fort, »und Alles wag' ich für den König. Es widerstrebte mir zwar, mich hier einzuschleichen unter trügerischem Vorgeben, doch ich sah die Gefahr, mit welcher das preußische Heer bedroht war, wenn diese mächtige Stadt hinter seinem Rücken in die Hände der Feinde fiele. Da war es gerechte Nothwehr und heilige Pflicht, die mich überwinden ließen, was sich in mir sträubte gegen solche Hinterlist. Doch nicht wie ein feiges Räthsel wollte ich wieder verschwinden; darum trete ich heute mit offenem Visir in Eure Mitte; ich konnte die freie Stirn nicht zeigen, so lange dies meinem Plane Verderben gebracht hätte. Jetzt ist mein Ziel erreicht, jetzt kann ich den Muth bewähren, den ich so lange unter sicherer Verkappung verleugnen mußte. Ich stelle mich Eurem Gericht! 263 Habt Ihr Gift und Dolche für mich, Kerker und Ketten . . ich habe Euren Zorn verdient und gerecht erscheint mir Eure Rache.«

Die kühne Sprache des Mädchens bändigte zwar nicht den Ingrimm, der sich aller Gemüther bemächtigt hatte; dennoch fand Niemand sogleich das geeignete Wort.

»Und wenn diese Rache für den Augenblick zögert,« fuhr Agnes fort, »vielleicht aus Scheu vor der siegreichen Gewalt dieses Tages, so will ich mich auch nicht für alle Zukunft ihr entziehen. Weitreichend ist die Macht Eures Ordens, Pater Maurus, und nähme ich Flügel der Morgenröthe und flöge zum äußersten Meer – auch dort würden mich die Jünger Loyola's zu finden wissen. Wer einmal eingetragen ist in ihren heiligen Registern, der schleppt die Kette ihres Fluches zeitlebens nach und es kommt der Tag, an dem er über dieselbe strauchelt und fällt. Mein Gesicht freilich hilft Euch wenig, Ihr Herren! Es ist ein Mädchengesicht, wie's viele giebt, die mit muntern Augen in die Welt sehen, und wenn die Jahre kommen und gehen, da wird's anders, ganz anders! Da verdüstert sich der Blick, da werden die Wangen bleich und die Anmuth weicht der Würde, wie ja die würdigen Damen beweisen, die hier anwesend sind! Wer würde ihre ehemalige nichtssagende Jugend 264 wiedererkennen in diesen charaktervollen Zügen? Doch weil das Gesicht ein unsicherer Wegweiser ist für die Rache, die meinen Spuren folgt, so gebe ich meinen Namen preis. Diese Sühne bin ich mir schuldig, damit mir Niemand vorwerfen darf, ich hätte insgeheim das muthlose Handwerk des Spions getrieben. Agnes von Walmoden ist mein Name, und damit lege ich mein Schicksal für alle Zukunft in Eure Hand!«

Isabella hatte sich, während Agnes sprach, allmählich wieder zu ihr umgewendet und sah sie mit großen Blicken an. So namenlos ihr der Frevel erschien, dessen sich Agnes schuldig gemacht, ein Frevel, für den es in dieser und jener Welt keine Vergebung gab, so mächtig fesselte sie der Stolz und der Muth des Mädchens; es war ein verwandter Geist in ihm und jedes seiner Worte machte ihre eigenen Pulse höher schlagen. Sie begriff es, wie gleicher Sinn der Männer, die sich feindlich, doch voll hoher Achtung gegenüberstehen, zum ritterlichen Kampfe herausfordert! Es war eine Gegnerin, mit der sie hätte kämpfen mögen, Waffe gegen Waffe, und der sie herzliche Thränen nachgeweint hätte, wenn sie als Besiegte im Kampfe ihr erlegen wäre.

Anders war die Gesinnung der alten Fräulein. Ursula wäre nicht abgeneigt gewesen, der boshaften Preußenfreundin die Augen auszukratzen.

265 »Fort mit dem heiligen Gewande, das sie entehrt,« rief sie, auf ihr Opfer losstürzend; Fräulein Rothschütz die ältere unterstützte sie bei diesem Angriff, während die jüngere mit einer gewissen Schwärmerei ausrief: »Wie reizend sie ist! Eine Tochter Lucifers! Eine verführerische Schlange!«

Fräulein Ziermann aber trat mit geballter Faust auf die Verbrecherin zu, welche nicht blos Breslau an die Feinde verrathen hatte, sondern welche auch mit ihren unvergleichlichen Füßchen einen Wettkampf wagte.

Doch Isabella trat dazwischen. »Keine Gewaltthat! Ueberlassen wir das Gericht ihrem Gewissen und den Heiligen, welche uns rächen werden an ihr für so schnöden Verrath!«

»Das ist falscher Edelmuth,« rief jetzt Pater Maurus, »sie hat uns herausgefordert, sie traut uns nicht die Kühnheit zu, daß wir sie züchtigen werden für ihren Frevel, während rings die preußischen Bajonnete blitzen; sollen wir einem solchen Zweifel, der uns beleidigt, Recht geben?«

»Nimmermehr,« rief jetzt auch der Kreuzherr, und die beiden Männer sahen mit einer Art von grausamer Wollust auf ihr reizendes Opfer; sie verwünschten eine Zeit, in welcher ein Märtyrerthum, das so 266 verlockende Reize zugleich preisgab und zerstörte, nicht mehr möglich war.

»Laßt sie, Ursula« sagte Pater Maurus, »gerade ihr Nonnenkleid giebt uns ein Recht der Züchtigung, giebt sie in unsere Hände; für uns bleibe sie Schwester Beatrix, und daß sie ganz es werde, soll die Scheere noch über ihre weltlichen Locken kommen!«

Das war ein Gedanke, der wie ein zündender Blitz in die Gemüther der Fräulein einschlug, das war eine faßliche und ausführbare Rache. Ursula fuhr in allen Nähkästchen herum, Fräulein Ziermann zog aus einem klappernden Schlüsselbund ein Ungeheuer von einer Scheere hervor, welche in der Hand der Philister die Kraftlocken eines Simson hätte beseitigen können, und auch die beiden Rothschütz waffneten sich mit dem Rüstzeug der Rache.

»Geduld und den Schlachtplan erst vollständig entworfen,« sagte Pater Maurus, indem er sich mit Behagen an der jetzt sichtbar werdenden Bestürzung des Opfers weidete, welches auf so ungewöhnliche Gewaltthat nicht gefaßt war, »weil am heutigen Abend allerlei Bedrohliches in der Luft liegt, habe ich mehrere unserer Schüler draußen herumpatrouilliren lassen, die auf ein Zeichen von mir herbeikommen; wir lassen durch sie diese Nonne zu den Augustinerinnen führen, da das Sandthor schon gesperrt ist, 267 morgen aber in den Klosterkerker der Elisabethinerinnen werfen! Sie hat des Ordens Gesetz gebrochen, der Orden wird sie bestrafen! Sie gab sich für eine Nonne aus, wir halten sie dafür, wer beweist uns das Gegentheil! Und dann, mein liebes Fräulein von Walmoden, wir haben noch der Verstecke genug, in welche die Arme Eurer Machthaber nicht reichen! Und jetzt fort mit der weltlichen Zier!«

Vernehmlich klirrten die Scheeren in den Händen der wüthenden Frauen; sie glichen erbitterten Parzen, welche am liebsten den Lebensfaden abgeschnitten hätten. Noch einmal trat Isabella dazwischen, die Arme zur Abwehr ausbreitend:

»So höhnische Mißhandlung ist unserer Sache unwerth, ich dulde es nicht!«

»Erstaunlich mitleidsvoll, ein Engel des Erbarmens!« rief Pater Maurus, indem er sie unsanft beiseite schob.

»Haltet ein!« rief jetzt Agnes selbst, welche die Aussicht auf den Klosterkerker mit leisen Schauern erfüllte. »Tante Ursula, Tante Sidonie! Ich muß Euch ein Geständniß machen. Es ist eine Verwandte, die zu Euch spricht, die Ihr mißhandeln wollt. Ich gehöre zur Familie, meine Damen! Ich bin die Braut – Arthurs von Seidlitz!«

Mit einem Aufschrei sank Isabella auf das Sopha.

268 Die beiden Domfräulein waren von der Mittheilung überrascht, von dieser Verlobungsanzeige unter erschwerenden Umständen und brauchten einige Zeit, um sich mit der Thatsache abzufinden; denn dergleichen beschäftigt doch immer das Nachdenken der Frauen und Mädchen und giebt zu scharfsinnigen Erwägungen und wohlmeinenden Prüfungen Anlaß. Doch der Augenblick drängte und entwaffnen ließ sich durch solche Kunde nicht der Zorn der alten Fräulein; im Gegentheil, er loderte nur in neuen Flammen auf. Ursula besonders war durch die sich drängenden Ereignisse zu einer Rothglühhitze gesteigert und drang, die klirrende Scheere schwingend, wie eine Furie auf Agnes ein:

»Also die Braut des sauberen Vetters, gewiß die Verführerin, die ihn in das feindliche Lager gelockt, solch eine liederliche Marketenderin des Preußenheeres, die ihm aus ihrem angeschnallten Fäßlein den berauschenden Trank kredenzt hat! Und das rühmt sich noch der Vetterschaft? Teufelswerk ist solche Vetterschaft! Wir verwerfen sie und wollen sie verbergen, wie man Schmach und Schande verbirgt!«

Jetzt gab es keine Rettung für Agnes mehr; ihre Schützerin Isabella hatte keinen Antheil mehr für Alles, was um sie vorging; Pater Maurus umschlang die sich Sträubende mit festem Arm – da dröhnten 269 wuchtige Kolbenstöße an der Thüre des Hauses und erschreckt fuhren die Angreiferinnen zurück und ließen ihre Scheere sinken; der Kreuzherr wagte sich in das benachbarte Zimmer, dessen Fenster den Blick auf die Straße gewährten, und erblickte dort preußische Uniformen und Bayonnete; er brachte diese erschütternde Kunde in den Salon, wo sich plötzlich die Scene änderte. Angst und Bestürzung malte sich auf den Gesichtern der Fräulein, als nach erneuten Kolbenstößen sich die Thür des Hauses öffnete; der Ausdruck der Wuth und der Siegesgewißheit war daraus verschwunden.

»Wir bewundern Ihren Heldenmuth, Fräulein von Walmoden,« rief Pater Maurus höhnisch. »Sie hatten sich von Hause aus eine kräftige Hilfe gesichert und das Werk Ihrer Verrätherei zu Ende geführt.«

»Ich schwöre es Ihnen zu,« entgegnete Agnes, »ich wußte von nichts. Ein Zufall führt die Soldaten gerade jetzt herbei; ich habe sie nicht hierherberufen und ahnte eben so wenig, daß sie kommen würden.«

Die Pforten des Salons öffneten sich in diesem Augenblicke, und herein trat mit gezogenem Degen ein Offizier, dessen ganze Erscheinung nicht verfehlen konnte, Respekt einzuflößen und Aufsehen zu 270 erregen; denn seine hohe Gestalt mußte sich fast bücken, als sie durch die Thüre schritt, und dabei war ihr Umfang nicht minder stattlich.

»Im Namen Seiner Excellenz des Feldmarschalls,« rief Hans Leopold von Schweinichen, »ich hebe das ganze Nest aus. Alles verhaftet, rührt sich nicht aus dem Hause. Zwei Mann mit geladenen Gewehren vor die Hausthür, einer an das Gartenpförtchen, das hinten herausführt . . . wir haben vorher das Terrain rekognoscirt.«

»Das ist Gewaltthat,« sagte Pater Maurus.

»Einbruch in den Frieden des Hauses,« sagte der Kreuzherr.

Hans Leopold konnte nicht sogleich entgegnen, denn er war damit beschäftigt, sich den Schweiß abzutrocknen, den sein kriegerisches Vorgehen und entschiedenes Auftreten hervorgerufen hatte, und suchte in einigen kräftigen Athemzügen Erleichterung.

»Auf dem Rathhause ist Amnestie verkündigt worden,« warf Pater Maurus ein.

»Doch nur für die Stadt,« entgegnete Schweinichen, »nicht für den Dom und die Vorstädte! Sollte jeder Hochverrath straflos sein? O nein, es müssen Beispiele statuirt werden. Hier war der Mittelpunkt einer höchst strafwürdigen Verschwörung, und da wird mit 271 militärischer Pünktlichkeit eingeschritten werden: heute Haft, morgen Untersuchung und übermorgen Gericht!«

»Um's Himmelswillen,« rief Fräulein von Rothschütz die jüngere, »was droht uns denn?«

»Unter Umständen . . . der Galgen!«

Ein lauter Aufschrei war die Antwort auf diese Mittheilung.

»Die Kugel ist nur für Soldaten! Für Frauen, Mönche und dergleichen zweifelhafte Geschöpfe ist der Strick das Passendste! Das ist zunächst meine Ansicht, doch ich treffe meistens das Richtige. Werde mir die Ehre geben, bei dero Cadavern vorbeizupassiren, wenn sie wie die Drosseln am Dohnensteig in den Lüften baumeln!«

Dem allgemeinen Entsetzen folgte ein allgemeines Schluchzen, rathlose Verzweiflung! Hans Leopold strich sich seinen Schnurrbart, nahm eine Brieftasche heraus und begann nach den Namen der Anwesenden zu fragen und sich dieselben zu notiren.

»Drei Fräulein Pogarell, zwei alte und eine junge . . . bedaure, es sind Verwandte eines guten Freundes, des Herrn von Seidlitz . . . habe die Ehre, mich Ihnen vorzustellen, Hans Leopold von Schweinichen, Lieutenant bei den Kleistgrenadieren. Ihnen gehört das Haus? Ja, ja, ich besinne mich . . . bedaure . . . besondere Anwartschaft auf den Galgen. 272 Das schöne Fräulein wohnt hier wohl blos bei den Tanten, sie ist gewiß schuldlos.«

»Die Schuldigste von allen,« sagte Isabella, sich emporrichtend; es war das einzige Lebenszeichen, das sie gab; dann versank sie wieder in stumpfe Gleichgiltigkeit.

Schweinichen fuhr fort, die Namen der Fräuleins sich zu notiren, auch die seiner lieben Cousinen Rothschütz.

»Wer sind Sie? Keine Nonne und doch im Nonnenkleide?«

»Ich gehöre nicht zu den Verschworenen, ich bin Agnes von Walmoden!«

»Fräulein von Walmoden?« rief Schweinichen, indem sich ein Ausdruck seligen Entzückens, wie nach einem gesegneten Trunk über seine Züge verbreitete, und mit bärenhafter Galanterie küßte er der Dame die Hand!

»Präsentirt's Gewehr, Schlingels,« rief er mit dröhnender Commandostimme, »das ist das Fräulein, welches dem Könige die Stadt Breslau erobern half!«

Und mit festem Griff präsentirten die Soldaten die Gewehre, während Schweinichen in strammer Haltung mit dem Degen salutirte.

Inzwischen hatte sich Sidonie mit verweinten Augen Agnes genähert, und flüsterte ihr zu: »Retten Sie uns, mein Fräulein! Bedenken Sie, wir sind 273 nahe Verwandte Ihres Bräutigams, und wir meinen's herzlich gut mit ihm! Er war ja hier wie zu Hause, mein Tulifäntchen liebt ihn wie mich und wedelte immer mit dem Schwänzchen, wenn er in's Zimmer trat, und auch mein Affe hat große Anhänglichkeit an ihn! Und es ist ein großer schöner Affe, fast ein Mensch! Retten Sie uns, Fräulein –«

»Ei,« sagte Agnes lächelnd, »die nahe Verwandtschaft hat mich soeben nicht vor Ihren Scheeren geschützt. Doch ich bin nicht rachedurstig! Ich werde für Sie thun, was in meinen Kräften steht.«

Sie nahm Schweinichen beiseite in die Fensternische. »Auf wessen Befehl sind Sie in das Haus gedrungen?«

»Es ist ausdrücklicher Befehl Seiner Majestät!« erwiederte er leise, »weiß nichts Näheres, doch wird es wohl bei einem gesunden Schreck sein Bewenden haben . . soll ihnen aber gehörig in die Glieder fahren.«

Er schrieb sich noch die Namen des Paters und des Kreuzherrn auf und sagte dann mit dem barschesten Ton des Befehlshabers:

»Niemand verläßt das Haus! Die Wachen haben geladene Gewehre; sie sind verpflichtet, Jeden niederzuschießen, der einen Fluchtversuch wagt. Wird alles nach Kriegsrecht behandelt, von Pardon kann nicht die Rede sein, ebensowenig von Galanterie! Bedaure, 274 meine Damen! Wir hängen alle Weiber auf, welche unsere Soldaten zur Desertion verleiten; ist's nicht schlimmer, eine große Stadt dem Feind in die Hand zu spielen? Bereiten Sie sich zum Tode vor! Die Sache dauert nicht lange . . es stirbt sich viel rascher und angenehmer, als im gewöhnlichen Lauf der Dinge. Etwas früher oder später . . . darauf kommt's wenig an, wenn die Uhr des Lebens bereits im letzten Viertel steht . . wie bei uns Allen, meine Damen! Fräulein von Walmoden, wir geleiten Sie nach Hause!«

Und Agnes galant den Arm bietend, verließ der Offizier, welchen das ältere Fräulein Rothschütz trotz aller nahen Verwandtschaft und trotz aller Bestürzung doch sogleich als einen rohen Landsknecht flüsternd brandmarkte, den Salon; die Soldaten folgten ihm. Daß es sich nicht um eine leere Drohung handle, bewiesen alsbald die blitzenden Bajonnete der beiden Musketen vor der Hausthüre, während auch hinten am Gartenpförtchen sich eine preußische Uniform auf- und niederbewegte.

Jetzt überließen sich die Frauen ganz den Ausbrüchen der Wuth und Verzweiflung. Ursula eilte in die Kapelle und kniete vor ihrer Heiligen nieder, während Sidonie in ihren Gemächern zu schluchzen begann, daß Tulifäntchen ein wüstes Gebell erhob, 275 Joko Töne von sich gab, als wenn er in den Urwäldern von Borneo sich von einer Palme zur andern schwänge, von heranstürmenden Feinden bedrängt, und auch die Kätzchen sich der Serenade anschlossen mit jenen Tönen, mit denen sie sonst in mondhellen Nächten vor den Dachfenstern das Echo der hohen Häuserwinkel erwecken.

Die übrigen Gäste waren in dem Salon geblieben und saßen jetzt stumm auf den Lehnstühlen und Sophas. Vor ihren Augen schwebten die entsetzlichsten Bilder, und oft bedeckten sie das Gesicht mit ihren Händen, um nur das Unglaubliche, das sie mit kaltem Schauer durchfröstelte, auszulöschen vor dem Auge der Seele. Doch es ist bekannt, daß in Augenblicken höchster Erregung, ja selbst wo es sich um Tod und Leben handelt, nebenher oft das Gleichgiltigste den Geist beschäftigt. Es ist das eine Selbsthilfe der Seele; nur so vermag sie es, die unerhörte Spannung zu ertragen. Demnach begab es sich, daß das jüngere Fräulein Rothschütz, während sie das unausdenkbare Grauen einer Hinrichtung am Galgen überwältigte, vergeblich bemüht war, auf dies letztere Wort einen passenden Reim zu finden, und daß Fräulein Ziermann, entsetzt über das Schweben und Schwanken zwischen Himmel und Erde, doch einen kleinen Trost in der Ueberzeugung fand, man werde in dieser sonst ungünstigen 276 Lage nicht umhin können zu bemerken, daß ihre Füßchen doch von einer auffallenden Zierlichkeit seien, und so doppelt ihr Loos beweinen.

Der Einzige, der nicht gesonnen schien sich zu ergeben, war Pater Maurus; er ging aus einem Zimmer in's andere und sah aus den vorderen Fenstern nach den vorspringenden Winkeln der Domkirche; er sah, daß die Seinigen dort noch auf dem Platze waren. Dann begab er sich in den Garten; der Soldat, der am Pförtchen stand, legte die Muskete schußgerecht an, doch der Pater winkte wie ein Offizier, der auf einen militärischen Gruß verzichtet, und mechanisch ließ der Soldat das Gewehr sinken und nahm es wieder in den Arm.

Maurus blieb in einiger Entfernung stehen:

»Wir wollen nicht entfliehen, guter Freund, nicht Euren Kugeln zum Opfer fallen, nur etwas mit Euch plaudern. Was seid Ihr für ein Landsmann?«

»Ein Böhme, Herr,« erwiderte der Soldat.

»Und Eures Glaubens?«

»Ein guter Katholik.«

»Ei, und wie kommt Ihr in die Armee des Königs von Preußen?«

»Nicht nach Wunsch und Willen,« sagte der hochgewachsene Krieger, indem er, zutraulicher werdend, dem Pater näher trat. »Ich wurde in Sachsen 277 aufgezogen, aber in allen Lehren unserer Kirche, als plötzlich die Werber des Königs von Preußen mich raubten und nach Potsdam schleppten in die Leibcompagnie.«

»Das ist schändlicher Zwang, Menschenraub!« rief der Pater entrüstet.

»Hundertmal habe ich mein Schicksal verflucht,« sagte der Soldat, »denn mir zuwider war die strenge Zucht, die dort gehandhabt wurde; von den Kanzeln herunter sprach man von nichts, als von unserer Pflicht der Treue und des Gehorsams; lauter fromme Parolebefehle! Vor meiner Seele aber standen die stillen Wege in den Feldern Böhmens, wo überall unter hohen Linden fromme Heiligenbilder uns zuwinkten, wo man niederknien und danken konnte in rauschenden Wäldern, auf hohen Bergen. Ihr seid ein Priester, Herr?«

»Ein Pater des Jesuitenordens,« erwiderte Maurus.

»O, von Jugend auf hat man mich diesen Orden achten und lieben gelehrt, und oft auf den staubigen Exercirplätzen Potsdams, wenn uns die rohe Hand der Unteroffiziere die Glieder auseinanderrenkte, sehnte ich mich nach der stillen Zelle eines Jesuitenzöglings!«

»Doch wer hält Euch?« sagte der Pater nähertretend mit leiser Stimme, »gegen ungerechten Zwang gilt die Nothwehr zu jeder Zeit. Menschenräuber 278 sind's, die sich Eurer bemächtigt haben, Menschenräuber, die Euch jetzt noch in ihren Fesseln halten.«

»Das sagte uns der Pater in Strehlen auch,« erwiderte der Soldat; »doch wie sollten wir aus dem Lager entfliehen, wie den Wachtposten und Patrouillen entgehen? Und dabei die strenge Strafe und Gefährdung des Lebens!«

»Wer gewinnen will,« sagte der Pater, »der muß ein kühnes Wagniß nicht scheuen. Dort vielleicht stellten sich demselben bedrohliche Schwierigkeiten entgegen, hier ist es weit leichter!«

»Ihr meint?« frug der Soldat aufhorchend.

»Ich will Euch zur Flucht helfen,« flüsterte der Pater, »wenn Ihr uns freilaßt! Dienst gegen Dienst! Bedenkt, wir alle, die wir hier versammelt sind, wirken im Dienst Eurer Kirche; es ist freche Gewaltthat, welche die Ketzer gegen uns ausüben. Ihr gewinnt doppelt, Ihr erobert Euch die Freiheit und sorgt zugleich für das Heil Eurer Seele.«

Der Soldat schwieg, nahm das Gewehr bei Fuß und versank in tiefes Nachdenken; er faltete dabei die Hände wie zum Gebet.

»Euer Name?« frug der Pater.

»Peter Pokorny,« erwiderte der Wachtposten, dumpf vor sich hinmurmelnd, als betete er einen Rosenkranz.

279 »Ihr zögert? Ein so günstiger Augenblick kommt Euch nimmer wieder! Ergreift ihn rasch, wenn Ihr die Last abschütteln wollt, die Euer ganzes Leben erdrückt! Bei diesem Kreuz gelob' ich's Euch, wir werden Euch schützen und für Euch sorgen; wir haben in unseren Collegien genug Stellen für tüchtige Männer und drüben in österreichischen Landen werdet Ihr mit Freuden aufgenommen.«

»Und ich könnte wieder beten,« rief der Soldat nun in stiller Verzückung, »beten zu meinen Heiligen, in freier Luft, im Lindenschatten, ganz still für mich, wenn's drüben in den hohen Wipfeln rauscht!«

»Beten nach Herzenslust,« bestätigte ihm der Pater.

»Niemand würde mich zwingen, zu thun, was meinem Herzen widerstrebt, was mich innerlich empört, wie einzuschreiten gegen fromme Männer, die ich zu ehren in früher Jugend gelehrt wurde.«

»Niemand, mein Freund!«

»O es wäre herrlich! Doch es ist ein Traum! Wie soll ich fliehen in dieser Uniform, während die Stadt und die Vorstädte mit unseren Truppen angefüllt sind? Das hieße ja dem sichern Tode entgegengehen! Gern ließe ich Euch frei, doch meine Pflicht verwehrt es mir, so lange ich diese Jacke trage, die ich nicht abwerfen kann. Ich höre Tritte . . zurück,« 280 und der Soldat gab seiner Muskete eine drohende Richtung.

Doch es war nicht die Ablösung, nicht die Runde der Nacht; es waren nur die Unverbrennlichen des Anastasius, ermäßigt zu einem schleichenden Tritt, der aber immer noch mit dem Straßenpflaster in sehr vernehmbare Berührung kam. Anastasius, welcher von außen die bedenklichen Vorgänge mit angesehen hatte, die das Haus der Domtanten unsicher machten, umkreiste dasselbe von allen Seiten und erschien jetzt in dem Gäßchen hinter dem Gartenzaun, wo er alsbald den Pater im Gespräch mit dem Soldaten entdeckte und mit den Mienen eines arglosen Spaziergängers auf- und niederging.

»Euer Bedenken,« fuhr inzwischen der Pater fort, »ist gerecht genug; doch ich will Euch über Eure Besorgnisse beruhigen; ich habe einen Plan, der Eure Flucht vor Entdeckungen sichert.«

Wiederum begann der Soldat aufmerksamer zu lauschen.

»Seht Ihr dort, nur einige Schritte von hier, den spitzen Thurm der Kreuzkirche? Bis zu ihm gelangen wir unbemerkt durch das öde Gäßchen. Der dort auf- und abgeht, ist einer von den Unsrigen. Es bedarf nur Eurer Erlaubniß und eines Winkes von mir, und jener Zögling unseres Ordens eilt zum 281 Glöckner, der uns wohlbekannt ist, und verschafft uns den Schlüssel zu der unterirdischen Kirche von St. Bartholomäus, denn es ist eine Doppelkirche und seit der Schwedenzeit steht die untere öde und verlassen. Dort sind wir für die Nacht gänzlich sicher, Niemand sucht uns in jenen verborgenen Räumen!«

»Doch meine Uniform,« sagte der Soldat, der die wenigen Schritte, die ihn von der rettenden Kirche trennten, mit den Augen maß.

»Dafür wird Rath geschafft werden,« sagte der Pater, »jetzt freilich ist's zu spät, Euch einen passenden Rock zu besorgen, besonders bei Eurem hohen Wuchs! Doch morgen in der Frühe wird der Zögling in die Stadt gehen und einen genügenden Anzug mitbringen. Ihr begrabt die Uniform des Königs in irgend einem Winkel der Krypte, folgt mir in die Burg, wo wir Euch dann mit den nöthigen Papieren ausrüsten werden, damit Ihr Euren Weg zu den Oesterreichern antreten könnt.«

Peter Pokorny hatte den Blick auf die Kirchthurmspitze der Kreuzkirche unverwandt gerichtet. Gerade versilberte sie ein durch die Wolken brechender Mondstrahl; es erschien ihm dies wie ein himmlisches Zeichen, ein Wink der Verheißung! Gleichwohl überlief's den Riesen eisig kalt, ehe er den entscheidenden Entschluß faßte.

282 »Sei es drum,« sagte er dann mit festem Ton, indem er mit der Muskete auf den Boden stampfte, um sich Muth zu machen.

Augenblicklich winkte der Pater den getreuen Schildknappen Anastasius herbei, der sich mit einer gewissen Schüchternheit näherte, seinen Mund mit den Robbenzähnen zu einer stummen, verwunderten Frage öffnend und dann in die Gartenthür huschte, indem er vor dem riesigen Wächter sich bückte und zu einer unscheinbaren Masse zusammenkroch. Der Pater befahl ihm, vom Glöckner den Schlüssel zur Krypte der Kreuzkirche zu holen, und dann umherzuspioniren, ob in dem Gäßchen alles sicher sei. Auch gab er ihm im Voraus die Ordre, morgen in aller Frühe sich zu seinem Freund, dem hochaufgeschossenen Jesuitenschüler, zu begeben, der bei der letzten Schulkomödie den Nominativus gespielt hatte und überhaupt wegen seiner ungewöhnlichen Körperlänge immer zur Darstellung des regierenden Casus ausgewählt wurde; von ihm solle er einen Anzug für den Soldaten zur Umkleidung in die Krypte bringen. Dann ging der Pater in's Haus; doch vergeblich waren seine Bemühungen, die Domfräulein zur Flucht zu bewegen; so gräßlich das Schicksal war, das ihnen drohte, es wäre ihnen unmöglich gewesen, wo anders zu leben und zu athmen, als in ihrem vergitterten Häuschen. Ursula vertraute 283 auf den Schutz ihrer Heiligen und Sidonie wollte sie nicht verlassen. Noch entschiedener wurde der Pater von Isabella zurückgewiesen, welche ein Märtyrerthum durch die rohe Gewalt der Ketzer zu ersehnen schien. Die beiden Fräulein Rothschütz, Fräulein Ziermann und der Kreuzherr aber folgten dem Pater. Gelang jetzt die Flucht, so mußten alle morgen in der Frühe Breslau verlassen; die Damen sollten sich zu Verwandten in der Provinz, der Kreuzherr in ein österreichisches Ordensstift begeben; auch Maurus wollte, sobald er die Angelegenheiten des Deserteurs geordnet, der preußischen Stadt Breslau den Rücken kehren.

Leise und mit klopfenden Herzen schlichen sich die Flüchtlinge durch den Garten. Der Soldat stand mit gekreuzten Armen, in tiefe Gedanken versunken, er hatte die Muskete an das Gitter gestellt. Draußen aber winkte Anastasius mit erhobenem Schlüssel und deutete durch ein lebhaftes Geberdenspiel an, daß alles sicher und in Ordnung sei.

Mit krampfhafter Hast wurde der kurze Weg zur Kirche zurückgelegt und die Herzen schlugen erst wieder ruhiger, als die Gruft der Bartholomäuskirche die Flüchtlinge aufgenommen hatte. Diese Räume, welche die ketzerischen Schweden einst entweiht hatten, indem sie ihre Pferde hier unterbrachten, waren wüst 284 und öde, nichts als kahle rohe Steinmauern, nirgends ein Ruheplatz. Stehend oder auf dem Boden sitzend und liegend, mit höchstem Unbehagen brachten die Mönche und Fräulein und der preußische Soldat, eine seltsam zusammengewürfelte Gesellschaft, die Nacht zu und harrten mit ängstlicher Spannung der Dämmerung des Morgens entgegen. Erschrocken fuhren alle zusammen, wenn die Schritte der preußischen Patrouillen, welche um die Nepomuksäule herummarschirten, auf dem Pflaster vor der Kirche dröhnten. 285

 


 


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