Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

In der Eremitage.

Der Vollmond stand über dem Buchenhain und zeichnete zitternde Schatten in die Laubengänge des Parkes; eine Nachtigall schlug auf der hohen Linde neben der Einsiedelei. Alle Decorationen waren von der Natur für eine Liebesscene arrangirt, wie es die schmachtende Einsiedlerin nur wünschen konnte, welche durch die bunten Glasscheiben hinaus in die blau- und rothschimmernde Mondlandschaft blickte.

Frau von Brandt befand sich in höchster Erregung und Verwirrung. Wird der Kronprinz kommen? Wird er zürnen oder entzückt sein von der vielversprechenden Begegnung? Welche aufreibende Spannung! Das Glück, der rettende Engel des Kronprinzen zu sein, gab den feuchten Augen der jungen Frau einen verklärten Glanz; es war ihr zu Muthe, als müßten ihr Schwingen wachsen, als müßte ein 260 seraphisches Leuchten um ihr modisches Toupé schweben. Sie fühlte sich edel, groß, bedeutend; durch ihre Seele zog's wie Aeolsharfenklang – lauter reine Accorde! War sie nicht dem Irdischen entnommen? Wenn sie so durch die Scheiben in den »blauen« Mond blickte, – da kam's ihr vor, als baute sich eine Strahlenbrücke zwischen ihr und dem großen himmlischen Lichte auf – und auf der Brücke wandelte ihre Seele hin und her, ihre große, schöne Seele – und von allen Sternen blickten Engelsköpfchen hernieder, pausbackig, krauslockig, und zarte Händchen streuten ihr Blumen auf den Pfad, ihr, der Erretterin, dem guten Genius des Kronprinzen von Preußen!

Das waren die Entzückungen, in denen das »bessere Selbst« der schönen Einsiedlerin schwelgte. Doch wenn die Schwingen dieses »Selbst« erlahmten, da machten sich Empfindungen anderer Art geltend, welche an die irdische Herkunft der zartbeflügelten Seele mahnten.

Sie liebte den Kronprinzen, – welches Glück, ihm hier zu begegnen! Die bunten Scheiben verbreiteten eine trauliche Dämmerung in der Zelle – selbst der Mond störte sie nicht mit neugierigem Strahl; denn er schien nur mit gedämpftem Licht, wie ein ölgetränkter Theatermond! Und sie selbst – der verhüllende Kaschmirshawl schützte gegen die Kühle der Juninacht, welche den künftigen Apfelsinen und 261 Pomeranzen in der benachbarten Orangerie Gefahr drohte, aber er schützte nicht gegen die Glut der Leidenschaft! Und wenn er von den Schultern herunterglitt – da stand die luftige Dryade vor dem Prinzen, nur ohne Buchenzweig, und der flötenspielende Waldgott durfte sie an's Herz drücken und flüstern: »Pan ist gnädig, Pan ist selig!«

Die Putten und Engelsköpfchen, welche in ihre schönseligen Traumbilder hinabgeblickt, mußten jetzt den Liebesgöttern Platz machen, welche in holdseliger Nacktheit und mit gespanntem Bogen aus allen Winkeln der Eremitage sie bedrohten. Ihre Phantasie versenkte sich in das Deckengemälde, mit welchem der berühmte de Pesne das Vorzimmer der Kronprinzessin geschmückt! Da erscheint aus lichtem, durchstrahltem Gewölk der Kriegsgott, der kampfgerüstete Mars; aber die Amoretten entwaffnen ihn und spielen schalkhaft mit Speer und Schild! Sehnsüchtig breitet der Gott seinen Arm aus nach der Göttin der Liebe und Schönheit, die ihm so verheißungsvoll zulächelt – und vorsorgliche Götterchen breiten ein Gewand aus.

Horch' – welch Geräusch! Ist es der nahende Mars? Nein, der Nachtwind rauscht in der Linde! Doch jetzt – der Sand in den Gängen knistert! Er ist es! O, ihr Liebesgötter, entwaffnet ihn!

262 Es war in der That Prinz Friedrich, welcher der Neugierde nicht zu widerstehen vermochte, die Schreiberin eines so seltsamen und geheimnißvollen Billets kennen zu lernen. Frau von Brandt hatte die Thüre der Einsiedelei aufgeschlossen – der Prinz öffnete die leise angelehnte Pforte.

»O, Sie sind es, Frau von Brandt,« sagte er im Tone einer Ueberraschung, der man kein sonderliches Entzücken anmerkte.

»Retten Sie sich, mein Prinz, Sie sind verloren!« rief die schöne Frau mit wilder Leidenschaftlichkeit, welche ihre Verlegenheit glücklich maskirte, indem sie gleichzeitig niederkniete und die Kniee des Prinzen umfaßte. Friedrich hob sie mit gleichgiltiger Galanterie auf, ungerührt durch die Reize, welche der schon so früh entgleitende Kaschmirshawl den Blicken enthüllte, und welche durch die heftige Aufregung der knieenden und zum Prinzen emporblickenden Schönen ihren Zauber verdoppeln mußten.

»Sie reden irre, Madame! Ich werde mit Ihnen streng in's Gericht gehen, daß Sie mich unter einem solchen Vorwande hierher zu einem nächtlichen Rendezvous lockten.«

Die Liebesgötter steckten ihre Pfeile in den Köcher und neigten verschämt die Köpfchen. Frau von Brandt verzagte noch immer nicht.

263 »Es ist kein Vorwand, gnädigster Prinz! Ich schwör' es Ihnen, nur die Sorge für Ihr Wohl konnte mich zu einem so ungewöhnlichen Schritte ermuthigen! Die Geheimnisse Ihres Bundes sind verrathen worden; ja mich selbst hat ein unglückseliger Zufall zum Vertrauten derselben gemacht.«

Friedrich lächelte ungläubig.

»Mit mir wird das Geheimniß begraben; doch von anderer Seite droht Ihnen die größte Gefahr. Die geschwätzige Morien weiß Alles; Bielefeld hat es ihr verrathen, um den Preis ihrer Liebe – ich habe an dieser Stelle Alles mitangehört!«

»Bielefeld?« frug der Prinz zweifelnd.

»Er hat die Morien unglücklich gemacht; denn der Besitz eines Geheimnisses ist für sie eine schreckliche Last! Sie vergißt sogar ihr ewiges, zuckersüßes Lächeln; es läßt ihr keine Ruhe, bis sie diese Last abgeschüttelt! Das Geheimniß ist ihr feil für denselben Kaufpreis, für den sie es eingehandelt! Da ist der junge Oesterreicher, den sie bereits zu umgarnen sucht! Ein Kuß von ihm – und Königliche Hoheit sind verloren! Die Kunde geht an Grumbkow, an Seckendorf, an den König! Da ist die zweideutige Frau von Katsch, die immer auf der Lauer liegt! Sie berichtet; denn ich weiß, wir wissen, daß sie Berichte schreibt.«

264 »Sie reden sich noch um den Hals, Madame,« sagte Friedrich, der indeß jetzt aufmerksamer zuzuhören begann.

»Nur die Verehrung für Sie, Königliche Hoheit, macht mich so kühn, nur die unbegrenzte Liebe zu Ihrem Genius.«

Und Frau von Brandt faltete die Hände und sah dem Prinzen in's Auge mit einem so seelenvollen Blicke, daß er nicht nur den größten Mann der Erde, sondern auch sein künftiges Erzbild hätte erweichen müssen. Und in der That war die Dryade reizend genug, um zum Genuß eines flüchtigen Abenteuers zu verlocken. Jedenfalls war sie aus einem Birkenstamm entsprungen, denn Alles an ihr war hell und licht! Das wasserblaue Auge hatte einen eigenthümlichen feuchten Schimmer von nixenhaftem Zauber; das Kunstwerk ihres Leibes war wie aus Alabaster geschaffen – und wenn das zarte Gesicht mit den feingezogenen Brauen, mit den feingeschnittenen Lippen für eine Nonne »der Eremitage« zu passen schien, so wurde dieser Ausdruck wieder durch die üppigen Körperformen Lüge gestraft, in denen ein heißes, sinnliches Leben pulsirte.

Friedrich war nicht gleichgiltig gegen Frauenschönheit und bedurfte der Selbstbeherrschung, um sich 265 gegen diese freigebig zur Schau gestellten Reize zu waffnen.

»Beruhigen Sie sich, Madame,« sagte er nicht ohne Befangenheit; denn sein Blut gerieth in Wallung. Auch ihm fiel das Bild de Pesne's ein, auf welchem die Liebesgötter den Mantel ausbreiten!

»Es giebt nur ein Mittel der Rettung! Sie müssen Bielefeld und der Morien den Mund versiegeln, ihnen jetzt schon Ihre Ungnade zeigen und sie später mit Ihrem Zorn bedrohen, wenn sie das Geheimniß nicht bewahren! Wenn es der König erführe! Wieder wäre das Schaffot aufgerichtet, dem Sie kaum entgingen, nur um den Preis eines kostbaren Lebens!«

»Sie träumen,« unterbrach sie jetzt Friedrich erzürnt, denn jede Art von Uebertreibung war ihm widerwärtig.

»O, Sie wissen es selbst am besten, mein Prinz, daß ich die Wahrheit spreche!«

»Ich weiß, daß mich Grumbkow und Seckendorf durch ihre Spione bewachen lassen, um die Kluft zwischen mir und dem schwerkranken Vater stets von Neuem zu erweitern; ich weiß, daß ein Spion sich unter den Genossen meines Hofes verbirgt – doch ich kenne ihn nicht! Weder Bielefeld, noch Frau von Morien kann mein Argwohn treffen! Was Sie aber 266 sonst sprechen, das sind unzusammenhängende Reden, Träumereien einer Nachtwandlerin, Madame! Und Sie können es nicht leugnen, Sie haben Talent zum Nachtwandeln!«

»Verspotten Sie mich immerhin, mein Prinz! Ich hab' es nicht verdient! Ich opfere mich für Sie mit Freuden!«

»Ich bin kein Gott und verlange keine Opfer! Doch da Sie selbst vorgeben, von einem Geheimbund hier im Schloß und von seinen Zwecken unterrichtet zu sein, so theilen Sie mir einmal mit, was Sie wissen! Ich bin gespannt!«

»So darf ich's wagen zu wiederholen, was ich gehört? Wohlan, Ihr Spiel ist gewagt, mein Prinz – hören Sie meine Bitte! Noch einmal auf meinen Knieen fleh' ich, lassen Sie ab davon!«

Diesmal beeilte sich Friedrich nicht, der schönen Dryade seine unterstützende Hand zu bieten.

»Ihren Rath brauch' ich nicht; ich will nur hören, was Sie erfahren haben!«

»Die Losung des Bundes ist ›Rache für Katte!‹ Jeder Novize ruft es aus mit dreimal geschwungenem Schwerte; durch alle Regimenter ist der Bund verbreitet, und sein Zweck ist, den König vom Thron zu stürzen und den Kronprinzen von Preußen noch bei Lebzeiten des Vaters zum König zu machen!«

267 Frau von Brandt wagte kaum, zu Friedrich emporzublicken und die zerschmetternde Wirkung zu beobachten, welche die Enthüllung dieser geheimsten Pläne auf ihn machen mußte. Wird er Selbstbeherrschung genug besitzen, um auch in diesem Augenblicke eine gleichgiltige Fassung zu erkünsteln?

Sie schlug die Blicke zur Erde nieder. Da hörte sie plötzlich ein schallendes Gelächter – mein Gott, wer war hier eingedrungen? Wer wagte es, den Prinzen auszulachen? Unmöglich – hier konnte Niemand lachen, als der Prinz selbst! Doch in diesem Augenblick? Sie sah empor! In der That, es war Friedrich, der sich einer ungezwungenen Heiterkeit überließ, seine Tabatière herauszog, eine Prise nahm und dann auf dem Deckel der Dose einen vergnügten Marsch trommelte.

Außer sich vor Schreck und Entrüstung über eine so auffallende Wirkung ihrer Mittheilungen sprang sie empor.

»Königliche Hoheit nehmen die Sache leicht,« sagte sie tonlos und mit fragendem Blick.

Friedrichs Mienen verdüsterten sich.

»Keineswegs, Madame! Entweder haben Sie dies erstaunliche Märchen erfunden, um ein kleines Liebesabenteuer daraus zu bauen, oder mein guter Freund Bielefeld hat eine Scheherezade beschämt, 268 um eine andere zu bezähmen. Ich sag' Ihnen aber, Madame, daß Rheinsberg kein Versailles ist und die Stunde für die Chateauroux und ihre ehrgeizigen Nachfolgerinnen hier noch nicht geschlagen hat. Sie sind gewiß schön und liebenswürdig, Madame; doch Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich den Joseph spiele und der verlockendsten Potiphar auch nicht einmal meinen Mantel lasse! Haben Sie selbst aber ernstlich an die Wahrheit dieser abenteuerlichen Geschichten geglaubt, so bedaure ich Sie wegen Ihrer erhitzten Einbildungskraft und muß Sie tadeln, daß Sie es gewagt haben, mich in die Kreise Ihrer Geisterseherei mit hereinzuziehen. Ich wage meinen guten Ruf, Madame, den ich noch nicht auf eine Karte mit Ludwig XV. gesetzt habe.«

Die schöne Dryade blickte wie mit gebrochenem Auge auf den strengen Richter.

»Sie sind gewiß eine reizende Waldfee; doch hier ist kein Klima für Waldfeen und – Waldmenschen und selbst die Göttinnen frieren in dieser kühlen Juninacht, wenn sie nicht aus Stein gehauen sind. Nehmen Sie nur Ihren Shawl wieder um – Sie erkälten sich sonst, Madame!«

Der Hohn dieser Worte, verstärkt durch die freundliche Bemühung des Prinzen, ihr das Kaschmirtuch umzugeben, gab der Dryade den Todesstoß. Mit 269 einem tiefen Seufzer sank sie in Ohnmacht und dem Prinzen in die Arme. Friedrich entledigte sich der unwillkommenen Last, indem er sie auf die Ottomane bettete. Er verließ hierauf die Einsiedelei und schritt durch den Laubengang, an dessen anderem Ende Keyserling auf- und abging, ein russisches Volkslied trillernd.

»Es war doch gut, daß ich Dich als Soutien und Reserve für unvorhergesehne Fälle mitgenommen.«

»Was ist geschehen, mein Prinz?«

»Ich habe mich sehr ungeschickt benommen, doch Du kannst es wieder gut machen.«

»Ein Rendezvous – in der That?«

»So ist's, mein wack'rer Keyserling! Eine Dame wollte mich vor ihren eigenen Hirngespinnsten warnen. Zur Strafe dafür liegt sie jetzt ohnmächtig auf dem Sopha in der Einsiedelei. Hast Du ein Riechfläschchen mit, so kannst Du sie vielleicht zurück in's Leben rufen.«

»Und wer ist diese Dame, mein Prinz?«

»Du kennst sie, ich will Dir die Ueberraschung nicht verderben. Auch mußt Du dies kleine Abenteuer, wenn etwas davon ruchbar werden sollte, auf Deine Schultern nehmen.«

Während Friedrich sich anschickte, noch einen Spaziergang durch Garten und Park zu machen, eilte Keyserling in die Einsiedelei, und auch ohne Hilfe der bunten 270 Scheiben hätte es ihm vor den Augen geflimmert, als er in der noch immer ohnmächtigen Dame Frau von Brandt erkannte.

»Meine Ahnung,« flüsterte er, »sie liebt den Prinzen, doch für so waghalsig hätte ich sie nicht gehalten!«

Er neigte sich über die leblose Schöne und zog ein Fläschchen hervor mit stärkenden Tropfen, die er ihr in's Gesicht spritzte.

»Jedenfalls eine Ohnmacht aus Enttäuschung, denn vor Glückseligkeit ist noch keine Evas-Tochter in Ohnmacht gefallen! Doch wie sie schön ist – man muß an die Formeras und Orczelskas gewöhnt sein, um hier den Cato zu spielen. Der garstige Shawl hemmt den Blutumlauf – fort damit! Nun einen feurigen Kuß – das weckt die Todten!«

In der That zögerte der liebestrunkene Oberst nicht, das schöne Weib wie ein lebloses Marmorbild an sein Herz zu drücken. Seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Die Nymphe schlug die Augen auf und erkannte verwundert ihren getreuen Anbeter, den sie jetzt mit unwillkürlicher Heftigkeit von sich stieß:

»Was ist geschehn? Wo ist er? Ach er stand vor mir, wie ein zürnender Gott – ich bin gedemüthigt, vernichtet!«

271 »Treulose,« rief Keyserling, »das ist der Lohn für meine Aufopferung!«

»Gedemüthigt, dem Gelächter preisgegeben – o meine schönen Träume!« fuhr die Schöne in ihrem Selbstgespräche fort, indem sie die Anwesenheit des Obersten gar nicht zu beachten schien.

Keyserling wartete ruhig das Ende dieser Ergüsse ab, indem er beiseite trat und an die Fenster der Eremitage mit seinen Fingern trommelte.

»Und selbst – wenn ich mich geirrt – war dieser Irrthum nicht aus Begeisterung, aus der Sorge um ihn hervorgegangen? Verdiente ich nicht nachsichtige Schonung, statt dieses bittern Hohns?«

So fuhr sie in Klagen und Vorwürfen gegen den Prinzen fort, bis sie, ärgerlich über die Gleichgiltigkeit Keyserlings, sich plötzlich an diesen wandte:

»Doch was suchen Sie hier, mein Herr?«

»Ich suche Frau von Brandt, wenn sie sich selbst gefunden hat,« entgegnete der Oberst.

»Nein, ich habe nicht geträumt. Sie waren es, welcher die Kühnheit hatte, mich, als ich ohnmächtig dalag –«

»Wieder in's Leben zurückzurufen, gnädige Frau, eine Bemühung, für welche ich Ihres Dankes sicher 272 zu sein glaubte. Uneigennütziger konnte Niemand handeln, nach Allem, was vorausgegangen – doch ich vergebe Ihnen!«

»Sie? Welche Kühnheit! Hab' ich Verpflichtungen gegen Sie? Hab' ich ein Wort gebrochen? Bin ich nicht freie Herrin meiner Neigungen? Auch Sie wollen mich verspotten – o ich bin recht unglücklich!«

Frau von Brandt stützte sich auf den Eichentisch, stummer Verzweiflung hingegeben. Jetzt hielt der Oberst den Augenblick für günstig, zum Sturm zu schreiten.

»Und doch ist die Welt zum Glück geschaffen! Wozu dem Unerreichbaren nachjagen? Ich hab' es Ihnen vorausgesagt, Ihre Neigung zum Prinzen ist hoffnungslos! Sie wollten nicht hören, Ihre glühende Phantasie spottete meiner Warnungen! Warum weisen Sie mein Vertrauen zurück? Sie hätten sich eine kleine Beschämung erspart. Nehmen Sie sich dies Abenteuer weiter nicht zu Herzen – es wird ein Geheimniß bleiben, ich bürge Ihnen dafür!«

Diese Worte klangen trostreich für die arme Getäuschte, welche dem entflohenen Glück noch einen schweren Seufzer nachschickte, dann aber mit erleichtertem Herzen bereit schien, auf weitere Tröstungen zu lauschen.

273 »Es liegt keine Kränkung für Sie in dem Benehmen des Prinzen. Die Zeiten der Orczelska sind vorüber. Er ist, seit er seinen Antimacchiavelli schreibt, allen Abenteuern abgeneigt! Der kleine Amor ist auch ein solcher Macchiavelli, der alle Hinterthüren und Kriegslisten für erlaubt hält und, um zur Alleinherrschaft zu gelangen, keine Mittel scheut. Deshalb geht ihm der Prinz aus dem Wege; denn er will sich nicht seine Kapitel in Unordnung bringen lassen.«

Frau von Brandt hatte bereits ein Lächeln für diese letzte Wendung und trocknete sich die Thränen aus den Augen.

»Ich bin nicht so anmaßend zu glauben, daß meine Verehrung Sie für die Ungnade des Prinzen trösten kann. Doch verdient auch ausdauernde Anhänglichkeit einen Lohn. Sehen Sie hier einen getreuen Anbeter vor sich, der Ihre Hände ergreift und Sie bittet, ihm einen freundlichen Blick, ein gnädiges Lächeln zu schenken!«

Keyserling ergriff die Hände der Geliebten und drückte sie leidenschaftlich ans Herz. Frau von Brandt war so abgespannt; sie ließ ihn gewähren.

»Und noch sind Sie mir den Dank schuldig für die aufopfernden Dienste, mit denen ich Sie vorhin vom Tode erweckte. Ich drückte einen Kuß auf die 274 gefühllosen Lippen – jetzt wo das volle Gefühl des Lebens Sie wieder beseelt, würde ein zweiter Kuß mich würdig belohnen!«

Frau von Brandt zögerte, doch sträubte sie sich nicht, als der Oberst diesen Kuß zu rauben wagte. Immer schmeichlerischer wurden seine Worte und Bewerbungen; denn der Augenblick war ihm günstig. Wir meinen nicht die Frühlingsnacht und den Mondschein; wir meinen den dépit amoureux, in welchem sich die verlassene Ariadne befand, jene eigenthümliche Gemüthsstimmung, in welcher eine unglückliche Liebe das Erdreich aufgelockert hat und einer glücklichen die Stätte bereitet. In dem Schmollwinkel des Herzens keimen oft die verhängnißvollsten Entschlüsse, und in der Regel erntet die Saat einer großen Leidenschaft ein Anderer, als der sie ausgesäet. Der Oberst kannte das weibliche Herz; er wußte, daß, nach dem vergeblichen Aufschwung der Seele, der einem Einzigen galt, eine allgemeine Erregung zurückbleibt, die nicht allzu wählerisch ist. Seine Erfahrungen täuschten ihn nicht. Die Verzweiflung der schönen Frau verwandelte sich in Hingebung. Lauter schmetterte die Nachtigall auf der Linde, und erröthend blickte der Mond durch die farbigen Scheiben des Korkhäuschens, bis er in einem flammenden Blüthenmeer zu versinken schien!

275 Der Prinz ging indeß, in Gedanken verloren, in den Gängen des Gartens auf und ab. Es schmerzte ihn tief, daß immer neue Störungen und Schwankungen das Verhältniß zu seinem Vater trübten. So lächerlich die vermeinten Enthüllungen in der Eremitage waren, so berührten sie doch eine empfindliche Stelle im Gemüthe des Prinzen. Seine rein und groß angelegte Natur kannte das Mißtrauen nicht; deshalb war es ihm unheimlich, wo es ihm auch entgegentrat.

Als er die Gartenmauer des Obstgartens entlang schritt und die hier am Spalier gezogenen blühenden Pfirsich- und Aprikosenbäume musterte, hörte er in nicht allzu weiter Entfernung die kleine Pforte gehn, welche von hier aus auf einen schattigen Feldrain führte. Sie wurde sorgfältig auf- und zugeschlossen – zwei Gestalten bewegten sich durch einen Gang des Gartens, welcher nach dem Cavalierhause führt. Dieser Anbau an das Schloß hatte außer dem Haupteingange eine Seitenpforte nach dem Garten zu. Offenbar lenkten sich die Schritte der Beiden nach dieser Thüre hin. Friedrich glaubte, in der zweifelhaften Beleuchtung des Mondscheins, in der schlanken Gestalt, welche vorausschritt, den schlesischen Junker zu erkennen, während die zweite kleinere Figur, die sich in komischen Sätzen bewegte und das 276 Aussehen eines Gnomen zu haben schien, ihm gänzlich unbekannt war. Er beschloß, gelegentliche Erkundigungen über die nächtlichen Ausflüge des Herrn von Seidlitz einzuziehen, und zog sich in seine Gemächer zurück mit dem unbehaglichen Gefühl, auch auf diesem heitern Musensitze nicht vor den Anfechtungen der Ueberspanntheit und vor allerlei im Dunkel schleichenden Heimlichkeiten geschützt zu sein. 277

 


 


 << zurück weiter >>