Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Achtes Kapitel.

Die letzten Assisen.

Dem Juli war der August gefolgt; die Tage wurden kürzer, früher schon warf die Abendsonne ihre letzten Strahlen in Isabellen's Kapelle.

Maria Magdalena . . bleiches Heiligenbild! Wie leuchtest Du in der letzten Glut; doch es ist keine Verklärung, welche schöne Züge mit dem Ausdruck des Schmerzes und der Wehmuth umschwebt, es ist eine Fieberglut, in welche die ausgemergelte Gestalt der Büßerin getaucht wird. Unglückliche Phantasie des Malers! Wer diese Büßerin sieht, der kann nicht an die Sünderin glauben!

Doch sie selbst . . wendet sie die Blicke nicht ab von der Buße und Sünde im Heiligthum? Greift sie nicht zur Geißel, um sich gnadenlos zu zerfleischen, zur Sühne für das unendliche Elend der Welt, in welcher die Schönheit am raschesten der Verwüstung 181 verfällt und ein hoher Sinn oft umschlägt in leidenschaftliche Verderbniß?

Und doch . . . ist das Lächeln der Madonna dort gegenüber, dies gnadenreiche, des eigenen Himmels gewisse Lächeln nicht verhängnißvoller, als alle Thränen, welche eine Büßerin weint? Welche ambrosische Seligkeit schwebt um diese Züge, welches göttliche Entzücken! So unbefleckter Liebe Genuß ward keiner Sterblichen zu Theil, aber nachempfinden mag die Sündige das Glück der Sündenlosen und ein Abglanz der reinen Verklärung mag wie ein höheres Spiegelbild über dem Nachschimmer des irdischen Glückes schweben.

Wunderbare Macht der Liebe! Sie ist wie der Lenz, sie lockert das Erdreich, sie entfesselt die Empfänglichkeit der Natur, aber es ist dem Zufall anheimgegeben, welche Keime ihr zugetragen werden; denn auch das wild wuchernde giftige Unkraut gedeiht in dem gelockerten Boden. Hier die von Faltern umschwebte Gartenlilie, dort die von Irrlichtern umgaukelte Sumpfpflanze. Sind einmal alle Feuerkräfte und Lebensgeister der Natur entfaltet; dann erzeugen sie sich wie die Flamme ihren eigenen Sturmwind, und wer kann voraussagen, ob sie auf dem Altar himmelwärts lodern oder den Tempel verbrennen werden?

182 O wäre die Liebe nur ein so blumenhaft sanftes Herüber- und Hinüberneigen, wie das der zarten Blüthenfäden im Kelch der Wunderblume Parnassia: dann wäre das friedliche Glück der Menschheit gesicherter und aussterben würde die Kunde von der zerstörenden Macht der Leidenschaft!

Auch in Isabellens Herzen war ein Schwanken zwischen Himmel und Hölle; durfte sie zur Madonna wie zu einem Vorbild emporsehen, die Sünderin zur Heiligen? Es gab Augenblicke solcher Selbstüberhebung, in denen sie so schweigende Lästerung beging; dann aber stand ein anderes Bild vor ihrer Seele, das sie dämonisch fesselte. Sie hatte in einem Legenden- und Sagenbuche gelesen von Merlin dem Zauberer, der ein Gegenbild von Christus, ein Kind der Jungfrau und des Satans war; sie hatte gelesen, wie Lucifer, der leuchtende Höllengeist, der Jungfrau erschienen war, als sie in paradiesischer Unschuld unter Blumen lag; er erschien ganz Wolke und Flamme; nur zwei große feurige Augen ruhten auf ihr; aber unter diesem Blick erbebte sie in's Innerste unter Schauern der Angst, der Scham und des Entzückens!

Das war's, das waren die feurigen Augen des Priesters; nicht die heilige Jungfrau war sie, sie war die unheilige, die von Flammen Verzehrte, Lucifers sündige Liebe! Die Heiligen mochten ihr in's Herz 183 schauen, der Feuerblick des Priesters traf ihre irdische Schönheit und wandelte ihr ganzes Wesen in glühende Hingebung.

Glücklich wer im schönen Maß des Erlaubten gefälliger Neigung huldigt! Da stimmen sich Geist und Herz zu freundlicher Harmonie, Gedanken und Empfindungen brechen auf wie Knospen eines Rosenstrauches, den eine sanfte Hand in das mütterliche Erdreich verpflanzte und welchen alle Elemente mit mildem Gruß hegen und pflegen! Die Sehnsucht hat holde Gewalt, doch nicht verzehrenden Drang; der Ungestüm der Natur wird gemildert zu einem süßen Zwang des Herzens und alles Gute und Schöne erblüht aus so wohlthuender Regung.

Doch einmal aus der Bahn geleitet, hinundhergeworfen vom Kampf, vom Zweifel, Erlaubtes und Unerlaubtes vermischend, wächst die Leidenschaft mit der Naturgewalt der Feuersbrunst und greift um sich, alles verzehrend. Da werden sie alle wach, die dunklen Kräfte des menschlichen Wesens, und im Weibe schlummert die Megäre neben der Heiligen! Die Natur hat einen eigenen Rausch; wer sich ganz hingiebt an sie, der verfällt einem unlösbaren Zauber und das Herbe und Süße hat die gleiche Wurzel in ihrer dunkeln Tiefe.

184 Die Buße ist die Tochter der Sünde; aber die Sünde kann auch die Tochter der Buße sein. Beide achten nicht das Heiligthum der Scham, beide geben die Schönheit preis, zuerst der strafenden Geißel, dann den schmeichelnden Händen. Und selbst in der grausamen Strafe liegt ein berückender Reiz! Grausamkeit und Wollust sind Schwestern; gemeinsam ist ihnen beiden die Entweihung des Leibes durch eine fremde Macht. Andacht und Wollust sind Schwestern; ihnen gemeinsam ist die vollständige Hingabe an ein fremdes Wesen. Dort dasselbe Erzittern der Natur, hier dasselbe Hinschmelzen des ganzen Wesens! Ineinander spielt alles was sich feindlich scheint! Wehe dem Geist und dem Herzen, das nicht stark genug ist, diese Mächte zu bannen, die sich zauberisch ineinanderwandeln und deren blindes Spiel das Leben zwischen seinen Polen wie eine rastlos rollende Kugel hinundhertreibt.

Doch diese Heiligen mit dem unwandelbaren Lächeln, der unwandelbaren Thräne, wissen nichts von dem Wandel alles Irdischen; sie sahen mit erhabener Gleichgültigkeit und Starrheit, wie ein schönes, stolzes Mädchen, das so oft vor ihnen auf den Knieen lag, seinen Stolz aufgab gegen die Demuth, mit welcher sie die Strafe von der Hand des Priesters empfing, eine Demuth, welche selbst den berechtigten Trotz der Jungfrau auf das Geheimniß ihrer Schönheit 185 besiegte; sie sahen, wie die Demuth allmählich sich wandelte in glühende Leidenschaft, wie die mißhandelte Natur sich rächte durch feurige Erhebung, wie die Schönheit, einmal hervorgelockt aus ihrer Verborgenheit, wo allein die Unschuld sie zu bewachen vermag, ihr ewiges Recht verlangte, die Liebe; sie sahen, wie Isabella von Pogarell sich den Küssen und Umarmungen des Paters hingab, immer glühender, immer leidenschaftlicher und schrankenloser; sie sahen das alles . . . und regten sich in ihrem Rahmen nicht! Starr blickten sie auf die Betenden herab, starr auf die Liebenden! Magdalena gedachte der eigenen Sünden, deren Erinnerung selbst im Leid der Buße so süß war, und die Madonna sah alles im Glorienschein der eigenen Verklärung, in welcher das Irdische seine Schwere und die Sünde selbst ihre lastende Dumpfheit verlor.

Der Garten war nicht so verschwiegen wie die Kapelle; aber Blüthenduft und der linde Hauch des Abends hatten einen schmelzenden Zauber, und wenn Isabella und Maurus allein waren, so folgten sie den Eingebungen der Leidenschaft, nicht ohne vorher vorsichtige Umschau gehalten zu haben, ob Niemand den Frevel eines feurigen Kusses belausche.

Doch einmal fand sich eine Lauscherin. Unbemerkt war Schwester Beatrix in den Garten getreten; sie 186 war diesmal früher, vor dem Beginn der Sitzungen gekommen und die beiden Domtanten, noch mit ihrer Toilette beschäftigt, hatten sie in den Garten gewiesen. Der Pater, ärgerlich und aufgebracht über die Störung, ließ die beiden Mädchen allein, unter dem Vorwand, noch für die Assisen Vorbereitungen treffen zu müssen.

Isabella, noch glühend von der Erregung der Liebe und der Scham der Ueberraschung, trat der Nonne entgegen, zu der es sie von Anfang an mit geheimer Sympathie hinzog, und bat sie, neben ihr in der Laube sich hinzusetzen. Die heiteren Mienen der anmuthigen Beatrix hatten einen schwermüthigen Ausdruck angenommen; sie verharrte eine Zeitlang in einem Schweigen, welches auch von Isabella nicht unterbrochen wurde.

»Ich störe wohl,« sagte die Nonne dann, »doch die würdigen Fräuleins haben mich ersucht, in den Garten zu treten.«

»Durchaus nicht,« erwiderte Isabella, indem eine noch heißere Röthe über ihre Züge flog.

»Wie schön und still ist der Abend,« sagte Beatrix, »er mahnt mich an die sanften Abende in unserem Klostergarten. Wie glücklich, so in friedlichem Einklang mit der Natur zu leben! Uns wird es leicht, die wir von dem Treiben der Welt entfernt sind und 187 den unruhigen Drang der Leidenschaften überwunden haben.«

»O ich sehne mich oft nach solcher Ruhe,« meinte Isabella, »doch jetzt gilt es noch den Kampf für die gute Sache.«

»Ich bewundere Ihre Kühnheit, Ihren Muth,« sagte Beatrix, »Sie sind ein unerschrockenes Mädchen, unerschrocken auch darin, daß Sie, unbekümmert um ängstliche Verbote, frei der Neigung Ihres Herzens zu folgen wagen.«

Isabella fuhr zurück, sie erblaßte, doch dann blitzte es wie Zorn in ihren Augen; sie frug mit fester Betonung: »Was meinen Sie damit?«

»Ich möchte Sie warnen, Isabella, nicht blos mit dem Rechte der frommen Schwester, sondern mit schwesterlichem Rechte. Ich weiß mehr von Ihrem Leben, als Sie ahnen, und was ich davon weiß, hat mir innige Theilnahme eingeflößt. So fremd ich jetzt der Welt bin, so weiß ich doch nachzuempfinden, was ein Mädchenherz bewegt; ich habe es selbst durchempfunden in früherer Zeit.«

Isabella sah die Nonne fragend an; die jugendlichen Züge derselben konnten von keiner Vergangenheit wissen.

»Es giebt keine Jugend,« sagte Beatrix in Erwiderung auf den fragenden Blick; »ein einziges Jahr 188 genügt, um uns reich zu machen an Erfahrungen, und eines ganzen Lebens Weisheit auszuschöpfen.«

Isabella nickte zustimmend, und ein Seufzer entrang sich dabei ihrer Brust.

»Sie liebten,« fuhr Beatrix fort, »ich weiß es, und der Geliebte war Ihrer Liebe werth.«

»Sie wissen, doch wie?« sagte Isabella.

»Das ist mein Geheimniß! Sie liebten Arthur von Seidlitz; er ist ein Ketzer, ein Protestant, ein Anhänger des Königs von Preußen; aber er ist ein edler Mann – und weinen müßten Sie, heiße Thränen weinen, daß eine Kluft sich aufgethan, die Sie von dieser Liebe scheidet. Auch er hat sich mit Schmerzen von Ihnen losgerissen, und ich begreife, daß Ihr Bild ein unvergessenes Heiligthum seines Herzens ist.«

Dabei sah Beatrix mit ungeheuchelter Bewunderung das schöne Mädchen an, das sich eben erregt und gespannt von der Bank erhoben hatte und mit seiner schlanken, hohen Gestalt groß aufgerichtet vor ihr stand.

»Wer hat Sie,« frug Isabella, »zum Vertrauten einer Liebe gemacht, die kaum mehr war als eine unausgesprochene Neigung? Wie konnten Sie in Ihrer klösterlichen Zurückgezogenheit davon erfahren?«

189 »Wir erfahren mehr von weltlichen Dingen als die Welt meint, und zu uns dringt oft, was dieser verborgen ist,« sagte die Nonne mit gesenkten Blicken, indem sie den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten ließ. »Ich verstehe, daß diese Liebe nicht dauern konnte. Sie hatten mit gläubigem Sinn die Sache unserer Königin und der bedrängten Kirche erfaßt; er war begeistert für den nordischen Ketzerfürsten. Und solchen Zwiespalt duldet die Liebe nicht, die ein Leben ausfüllen soll. Doch solche Liebe verdient einen Grabstein, um den sich treu gepflegte Rosen ranken, sie verdient ein Trauerjahr. Und Sie, Isabella, haben keine Rosen auf ihr Grab gepflanzt, und das Trauerjahr entweiht.«

»Wer giebt Ihnen ein Recht, so mit mir zu sprechen?« sagte Isabella auffahrend.

»Mein Antheil, mein inniger Antheil! Wenn ich Sie so vor mir sehe im Glanz der Jugend und Schönheit, möchte ich einen Schutzengel herbeibeschwören, der seine Fittiche über Sie breitet und Sie so durch das Leben führt. O wie köstlich ein solches Menschenbild, durch alle edelsten Kräfte der Natur gebildet . . . wie müßte die Gnade und der Segen des Himmels auf ihm wie erquickender Thau auf der Blume ruhen! Wie hat nicht den innersten Trieb, die schützenden Arme auszustrecken, um es zu behüten? Denn wenn 190 es zertrümmert wird durch wüste Gewalt . . . dann wird die Klage um die Vergänglichkeit des Schönsten fast zu einer Anklage gegen die vom Himmel verhängten Geschicke . . . zu einer Sünde, welche Buße verdient.«

»Ich kann Ihrer Theilnahme entbehren,« sagte Isabella stolz.

»So wage ich meinen Rath Ihnen aufzudrängen . . . Trauen Sie dem Priester nicht!«

»Sie wagen . . .« fuhr Isabella auf.

»Trauen Sie Keinem, der dem Orden Jesu angehört! Da ist nichts von dem frommen Sinn, der schlicht das Wahre fühlt oder erkennt; da ist nur der ungeheuere Hochmuth der überlegenen Geister! Die Welt, die Kirche soll ihnen dienstbar sein, ihrer Leidenschaft, ihrem Stolz, ihrem Eigennutz; es ist ihr Triumph, was gewöhnliche Geister bindet, zu verspotten; der bestechende Zauber ihres Wesens, ihres glänzenden Geistes, ihres herausfordernden Muthes hat eine sieghaft fesselnde Macht; doch der äußere Glanz birgt nur die innere Verwesung. Sünde machen sie zur Tugend, Tugend zur Sünde, ihre Frömmigkeit ist Gotteslästerung. Folgen Sie nicht den Verlockungen dieser Priester, nur der Stimme Ihres Herzens; lauschen Sie mit Andacht darauf, was das unverfälschte Gewissen sagt.«

191 Isabella hörte schweigend auf diese Worte, die Hand auf's Herz gelegt.

»Unser Glauben sagt Ihnen, was Sünde ist! Lassen Sie sich dies nicht hinwegdeuteln, nicht von dem Scharfsinn einer Leidenschaft, die nur an sich selbst denkt! Einmal getrieben auf die verhängnißvolle Bahn, können Sie nicht mehr zurück; vergiftet ist für ewig der reine Sinn, unauslöschlich das Brandmal der Schmach, mag es der Welt sichtbar sein oder nur dem eigenen Auge.«

»Halten Sie ein,« rief Isabella in stürmischer Erregung.

»Der Fluch ewigen Ungenügens folgt dem verbotenen Glück, die heillose Verwirrung der Seele der kunstvollen Verwirrung des Geistes, die Heiliges und Unheiliges vermischt. Und wer sagt Ihnen, daß der Pater Sie liebt? Können diese Männer lieben? Weil sie's nicht dürfen, reizt sie's, das Gebot zu verachten, das sie sich umdeuten zu frevelndem Selbstgenuß. Es ist eine unselige, wilde Liebe, sie kennt die Dauer nicht! Und Liebe ohne Dauer ist für den Mann ein Spiel, für das Weib Vernichtung! Oft lauert noch mehr dahinter als der flüchtige Rausch eines sündhaft geraubten Glückes! Schön ist's, den Schleier zu nehmen aus heiliger Ergebung, doch wenn er uns aufgedrängt wird, so wehrt sich dagegen das 192 reine Gefühl! Er wird uns aufgedrängt durch die Sünde, welche Verborgenheit verlangt und Buße . . . und ist eine reiche Erbin das Opfer, so fällt ihr Hab und Gut dem Kloster zu. Das ist Jesuitenweisheit, das ist Jesuitenliebe!«

Ein Märtyrer des Klosterkerkers, den die eiserne mater dolorosa mit zahllosen Dolchen durchbohrt, kann kaum ein größeres, von allen Seiten eindringendes Weh empfinden, als Isabella bei den Worten der Nonne. Dolchstich auf Dolchstich . . . sie erblaßte wie eine zum Tode Getroffene. Es gab Augenblicke, wo sie sich selbst Aehnliches gesagt hatte, doch schon, daß solche Gedanken ihr in dem lebendigen Worte einer Fremden entgegentreten konnten, daß solche Möglichkeiten in den Lüften lauerten, erfüllte sie mit einem Schauder, der ihre Pulse stocken machte. Doch zeigte sie der Nonne gegenüber nur trotzigen Sinn, indem sie ausrief: »Euch ziemt es nicht, die frommen Väter zu verdächtigen, die ihr Leben für das Heil der Kirche opfern. Wer giebt Euch überhaupt das Recht, mein Leben auszuforschen und in dasselbe einzugreifen? Ich stehe frei und unabhängig da und darf dem Zuge meines Herzens folgen.«

»Auch wenn er in's Verderben führt?« frug Beatrix, »auch wenn er zur Sünde führt gegen göttliches Gebot? Das giebt keine Befriedigung, sondern 193 rastlosen Kampf der Seele, über die Blüthenjahre der Jugend hinaus in die düstere Zeit des freudlosen Alters! So spricht Niemand mit Ihnen wie ich, Isabella! Niemand ahnt es, was ich ahne! Ich hege eine Liebe zu Ihnen wie zu einer Freundin; es ist ein Zug meines Herzens, der mich zu Ihnen drängt! Weisen Sie den Pater zurück, es gilt das Heil Ihrer Seele!«

Isabella wandte sich ab und Beatrix glaubte, ein dumpfes »zu spät« zu vernehmen, das von ihren Lippen kam. Und wenn sie es nicht aussprach . . . es lag so deutlich in ihren Mienen und Geberden, daß man es daraus ergänzen konnte. Beatrix senkte traurig das Haupt; da kamen die Domtanten in den Garten und luden die Mädchen hinauf zu den Assisen.

An diesem Abend füllte sich nicht blos der Salon, sondern auch alle Nebenzimmer mit verschworenen Frauen und Priestern. In immer weitere Kreise war die Theilnahme gedrungen; die Ueberzeugung, daß hier ein entscheidender Schlag vorbereitet werde, führte alle Gleichgesinnten zusammen. Jeder wollte nach Kräften dazu beitragen und harrte der Losung. Die verschiedensten Nachrichten drängten sich; jeder glaubte die wichtigste Mittheilung bereit zu haben; Rosaura Ziermann hob sich auf den Zehen ihrer zierlichen Füßchen 194 und schwenkte in der rechten Hand hoch über sich einen Brief, wie eine Fahne des Aufruhrs; von der Wichtigkeit dieser Mittheilungen gab die triumphirende Miene des Fräuleins und das Leuchten ihrer Augen einen annähernden Begriff. Im Besitz der wichtigsten Mittheilung aber schien der Kreuzherr zu sein; denn alles drängte sich zu ihm und er gab mit zusammengezogenen Brauen Andeutungen, welche allgemeines Aufsehen erregten.

Die Nonne Beatrix trat am heutigen Abend in den Hintergrund; sie war nur anwesend, um die Beschlüsse der Versammlung in unverdächtiger Weise, durch Vermittelung eines dritten, an den Syndikus Gutzmar gelangen zu lassen. Ihre Blicke ruhten bisweilen mit so vielsagendem Ausdruck auf dem Pater Maurus, daß derselbe es für geeignet hielt, seine Stellung zu wechseln und aus dieser Schußlinie herauszutreten. Sollte indeß in diesen Blicken nur ein stummer Vorwurf liegen? Der Pater war eitel genug zu glauben, daß die reizende Nonne ihm nicht blos ankündigen wolle, sie wisse um sein verbotenes Liebesabenteuer im Garten, sondern auch, sie beneide die schöne Isabella um den Vorzug dieser sündigen Liebe, und wenn ihm diese Blicke lästig wurden und er ihnen zu entfliehen suchte, so geschah dies nur, um das Aufsehen zu vermeiden, welches die angelegentliche 195 Beschäftigung der anmuthigen Schwester mit seinem armen Selbst hervorrufen mußte.

Die Theemaschine der würdigen Ursula befand sich heute in einer fieberhaften Thätigkeit. Dennoch war es unmöglich, den ganzen Kreis zu versorgen; es gab indeß genug Opferlustige, welche freiwillig verzichteten.

Eine gemeinsame Berathung wollte zunächst nicht in Gang kommen; der Nachbar sprach mit dem Nachbar, aber in großer Erregtheit und mit lebhaftestem Geberdenspiel; das schwärmerische Fräulein von Rothschütz declamirte mit halblauter Stimme ihrer Nachbarin, dem Fräulein Ziermann, ein Gedicht vor, welches an den neulichen Besuch der Fledermaus anknüpfte und die Gefühle schilderte, die ein jedes unverdorbene Gemüth bei dem Anblick dieses greulichen Geschöpfes empfinden mußte. Die Verse selbst hatten einen huschenden Fledermausflug und die vortragende Dichterin spannte ihre Arme wie Flughäute aus, so daß sie damit ihrer wenig dichterischen Schwester in die Frisur gerieth. Diese unterbrach einen noch nicht zu Ende skandirten Vers mit einer Kritik, welche nicht nur diesem Verse, nicht nur diesem Gedicht, sondern der Dichterin selbst galt und ihr lebensgroßes Portrait durch die Unterschrift: »Ungeschickte Person« verherrlichte. Da fuhr die Dichterin im Aerger 196 empor, denn nichts erregt gerechtere Erbitterung, als in poetischen Ergüssen, welche die Anwartschaft auf Unsterblichkeit haben, von dem Unverstand der Alltagsmenschen gestört zu werden. Es drohte ein Scharmützel zwischen den beiden Schwestern; die jüngere stand hochaufgerichtet in drohender Stellung. Dennoch fuhr sie vor einer vielsagenden Handbewegung der Schwester zurück und hatte dabei das Unglück, Fräulein Ziermann an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; sie trat ihr nämlich auf die Füße, welche wie immer das Licht der Oeffentlichkeit nicht scheuten. Ein Nothschrei, welcher den ganzen Theetisch in Alarm setzte, war die unvermeidliche Folge, man erkundigte sich theilnahmvoll nach der Veranlassung, und so schmerzlich diese auch war, so hatte Fräulein Ziermann doch die Genugthuung, daß sich die allgemeine Aufmerksamkeit dem kostbaren Besitz zuwendete, den ihr die Natur mit auf den Lebensweg gegeben hatte.

Während dieser Vorgänge am Theetisch stand Isabella einsam am Fenster und sah in den mondhellen Abend hinaus.

Man wartete offenbar vor dem Beginne der Berathung noch auf einen wichtigen Besucher. Diejenigen, welche glaubten, der Syndikus Gutzmar werde wieder erscheinen, sollten sich übrigens getäuscht sehen. Der erwartet wurde, erschien im Ordenskleid 197 und mit dem Kreuz der Kreuzherren von St. Matthias; es war eine hohe stattliche Erscheinung, welche den anderen Ordensbruder offenbar in Schatten stellte; sein Gang hatte etwas Festes und Entschiedenes und wenn er stehen blieb, so geschah es wie ein Halt auf Commando und man erwartete mit den zusammenschlagenden Absätzen auch die Sporen klirren zu hören. Der Fremde wischte sich den Schweiß vom Gesicht und lüftete sein Ordensgewand, unter dem es weltlich blitzte und blinkerte.

»Rittmeister von Kettenburg,« sagte der andere Stiftsherr vorstellend.

Die Versammlung begrüßte erwartungsvoll den österreichischen Offizier; denn jetzt war wohl kein Zweifel mehr, daß eine entscheidende Stunde geschlagen hatte.

»Eine Tasse Thee, Herr Rittmeister?« flüsterte Ursula.

»Danke, danke,« entgegnete der falsche Stiftsherr mit kräftigem Baß, »bin erhitzt genug, brauche kein chinesisches Schweißmittel.«

Dabei fuhren seine Hände mit einer eigenthümlich drehenden Bewegung, welche erfolglos in der Luft verlief, über seine beiden Mundwinkel; er ließ sie dann wie mit dem Gefühl unangenehmer Enttäuschung niedersinken. Was sie vergeblich gesucht hatten, waren 198 die Spitzen eines gewaltigen Schnauzbartes, welcher seiner Sendung hatte zum Opfer fallen müssen.

»Wir sind gespannt auf Ihre Mittheilungen,« sagte Pater Maurus, »sind Sie ungefährdet hierher gekommen?«

»Verdammt heiß, so ein Klosterkittel,« sagte Kettenburg, indem er seine Kutte wieder lüftete und dann erst auf die Frage des Paters antwortete.

»Ich bin mehrere Meilen südlich von Breslau über die Oder gesetzt und habe dann abseits von dem Strom, durch die Wälder meinen Weg hierher genommen. Eine Hitze zum Umkommen! Hoffentlich werden wir das Nest bald haben! Darf ich um ein Glas Wasser bitten?«

Isabella selbst eilte hinaus und kredenzte dann dem Krieger, der inzwischen die weibliche Gesellschaft mit unzufriedenen Blicken gemustert hatte, den erquickenden Trank. Er gönnte dem schönen Mädchen ein freundliches Lächeln: »Danke, Mamsell! Sie sind eine so reizende Nixe! Sie haben von Ihrem Element etwas für mich abgeschöpft, ich möchte Sie wohl darin herumplätschern sehen.«

Nach dieser verwilderten Bemerkung, welche, wie Fräulein Rothschütz die ältere bemerkte, etwas Pandurenhaftes hatte und vor welcher sich mehrere der 199 Fräuleins bekreuzten, begann der Rittmeister mit kernigem Vortrag den Zweck seiner Sendung darzulegen.

»Ich komme direct vom Feldmarschall-Lieutenant von Neipperg; er ist jetzt fest entschlossen, sich Breslaus zu bemächtigen und hat schon einen Tag dafür in Aussicht genommen – den zehnten August!«

Allgemeiner Jubel begrüßte diese Mittheilung; die Schnupftücher wehten wie Fahnen.

»Schockschwerenoth,« fuhr der Rittmeister, der zu den soldatischen Kraftgeistern gehörte, fort, indem seine Fingerspitzen wieder vergeblich seinen Schnauzbart suchten, »es ist Zeit, daß dies Nest in unsere Hände kommt! Es scheint da ein tolles Treiben zu sein, der Pöbel hat das Regiment in Händen; wir wollen ein luftreinigendes Wetter in diesen Dunstkreis schicken. Ist denn alles bereit?«

»Der Geist unserer Alumnen und Handwerker ist der beste;« sagte Pater Maurus, »wir werden alle, die in der Vorstadt wohnen, in die Stadt zu bringen wissen und am entscheidenden Tage sollen sie die Bürgerwachen an den Thoren überrumpeln.«

»Die Absicht des Syndikus,« begann Ursula, »wurde vereitelt; es wäre damit alles Blutvergießen erspart worden. Er wollte Ihrem Heere, Herr Rittmeister, unter den gleichen Bedingungen wie den Preußen, nach dem Recht der Neutralität, den 200 Durchmarsch durch Breslau gestatten; Sie hätten dann nach Belieben bleiben können, doch er hatte die Mehrheit der Stimmen gegen sich.«

»Und er wird gerühmt als einflußreicher Mann,« rief Isabella; »wer nicht einmal durch Geist und Muth die Stimmen dieser kleinen Bürger zu gewinnen vermag, der ist nur der Schatten eines Mannes.«

»Bomben und Granaten,« wetterte der Rittmeister, »auf ihn sind wir gerade angewiesen. Eine Ueberraschung der Thorwachen mit gewaffneter Hand, damit die Thore von innen geöffnet werden können, ist zwar ganz nach meinem Sinn . . ich bin überall fürs Dreinschlagen, das ist die beste Politik! Doch der General meinte, dergleichen wäre gewagt; wer weiß wie's endet! Die Bürgermiliz kann zusammengetrommelt werden, die Uebermacht gewinnen . . . und der Plan ist vereitelt!«

»Das befürcht ich nicht,« meinte der ächte Kreuzherr, »unsere Alumnen und Handwerker sind tüchtige Wasserpolen und halten fest, was sie unter ihren Händen haben. Die Bürgerwehr aber ist wenig kriegerisch; sie schießen höchstens von den Wällen herunter, aber ein Feind, mit dem sie handgemein werden müssen, hat nicht viel von ihnen zu fürchten.«

»Mein General macht einen anderen Vorschlag,« sagte Kettenburg, »er wünscht, daß am zehnten August 201 eine gutgesinnte Bürgercompagnie am Sand, eine andere am Nicolaithore die Wache halten und die Thore zur bestimmten Stunde von selbst öffnen möge; er meint, der Herr Syndikus, der so lange seines Amtes walte, werde doch die Schafe von den Böcken zu unterscheiden wissen und so verteufelt böswillig dies Breslau sei, so werde es doch noch einige Stadtviertel geben, in denen man noch auf Treu und Glauben und Anhänglichkeit an die Königin rechnen kann. Es sei Gutzmars Sache, solche Mannschaften auszuscheiden und ihnen den Auftrag zur Oeffnung der Thore zu geben.«

»Er wagt es nicht,« meinte Isabella kurz.

»Er spielt zwar kein doppeltes Spiel,« sagte Pater Maurus, »aber er will auch nicht seinen Kopf auf's Spiel setzen.«

»Was ist dabei zu wagen?« rief Kettenburg, »wenn eine Bürgercompagnie die Stadt verräth, das heißt, dem Heere der ächten Königin überliefert, was trifft da den Syndikus für eine Schuld? Kann er den Leuten ins Herz sehen? Der Feldmarschall-Lieutenant rechnet auf die Thätigkeit Gutzmars, er hat mir einen Brief an ihn mitgegeben.«

»Einen Brief?« riefen mehrere weibliche Stimmen zugleich.

202 »Leider! ein versiegeltes Geheimniß!« sagte Fräulein Ziermann mit wehmüthigem Tonfall.

»Keineswegs,« meinte der Rittmeister, »der General hat ihn mir selbst in die Feder dictirt, ich kenne seinen Inhalt.«

»Wir sind sehr neugierig,« sagte die Canonissin.

»Reden Sie, erzählen Sie,« riefen mehrere Stimmen durcheinander; Isabella und Beatrix hörten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu.

»Der Feldmarschall-Lieutenant,« fuhr Kettenburg fort, mit einigen vergeblichen Luftgriffen nach der verschwundenen soldatischen Zierde, »hat einen geistreichen Plan entworfen. Potzelement, das verstehen sie in unserem Hauptquartier! Wir ziehen uns die Berge entlang über Frankenstein in die Nähe des Zobtens; da machen wir einen Scheinangriff auf die Preußen und während diese vollauf mit uns beschäftigt sind, wird eines unserer Corps vor Breslau erscheinen, eine andere Abtheilung jenseits der Oder marschiren und vor das Sandthor rücken. Wir fordern Einlaß zugleich am Sand- und Nicolaithor . . . zweitausend Mann werden wohl genügen?«

»Gewiß, gewiß!« riefen die Frauen einstimmig.

»Ach, einmal wieder diese prächtigen Truppen zu sehen, diese stolzen Uniformen . . . es wird uns 203 heimatlich stimmen, ich werde heiße Thränen weinen!« sagte die jüngere Rothschütz.

»Wenn wir nur erst in der Stadt wären, Bomben und Granaten,« fluchte der Rittmeister, »wenn nur Gutzmar seiner Schuldigkeit thut. Hier ist der Brief!« Dabei zog er ein ziemlich umfängliches Schreiben unter seiner Kutte hervor. »Lieber Schulfreund von St. Matthiä,« sagte er dann zu dem Kreuzherrn, »Du hast uns zwar einen großen Dienst erwiesen, daß Du das Ordenskleid und das schöne Serpentinkreuz in unser Lager geschmuggelt hast, aber ich werde froh sein, wenn ich's wieder ablegen kann; denn ich fühle mich darin unbehaglich, unwohl und möchte mir immer die Fetzen vom Leibe reißen. Hab' ich den Brief in sichere Hände gegeben, dann ist mein Auftrag vollzogen und ich werde sobald wie möglich aus dem geistlichen Kleide wieder herausschlüpfen. Leider wächst mir mein Bart nicht so rasch, doch ich habe gelobt, wenn sein Stoppelfeld wieder in vollen Halmen steht, soll kein Preuße mehr in Schlesien sein.«

»Ich bitte um den Brief,« rief Beatrix vortretend, »es ist mein Amt, ihn dem Syndikus zu überbringen.«

»So ist's« bestätigten Ursula und Pater Maurus zugleich.

204 »Der Syndikus selbst hat sie uns empfohlen,« fügte die Canonissin hinzu.

»Doch eine fromme Schwester . .« meinte Kettenburg bedenklich.

»Ich habe Muth und ich wüßte nicht, wer mir diesen Brief entreißen sollte, den ich gut verbergen werde,« sagte Beatrix mit leuchtenden Blicken.

Der Rittmeister sah ihr jetzt erst in's Auge . . . das war ja ein köstliches Geschöpf! Ein so rosiges Gesichtchen . . . ein wenig weltliche Augen . . . »scheint noch nicht lange beim Handwerk zu sein,« murmelte der Rittmeister vor sich hin, »und wie anmuthig zeichnet sich durch die braune Kutte der schlanke Wuchs.«

»Ich verbürge mich dafür,« fuhr Beatrix fort, »ich bringe den Brief an seine rechte Adresse und bin überzeugt, daß er seine Wirkung nicht verfehlen wird.«

»Reizendes Kind, wollt' ich sagen, fromme Schwester,« erwiderte der riesige Rittmeister, »ich vertrau' Ihnen viel an mit diesem Brief. Sie können mich selbst zu Grunde richten und das wäre mir höchst unangenehm in dieser Weise, so gern man sich bisweilen von schönen Mädchen . . .«

205 Er vollendete den Satz nicht; er war so an den Ton des Bivouaks und der Wachtstube gewöhnt, daß er, ohne es wollen, in denselben verfiel; doch bemerkte er bald an dem eigenthümlichen Ausdruck der um den Theekessel herumsitzenden Jungfrauen, daß es hier sehr übel angebracht sei, den Don Juan zu spielen und daß die Mienen des steinernen Comthurs besser zu dem feierlichen Ton der Versammlung paßten; doch als er nun aus Verlegenheit nach dem gewohnten Rettungsanker griff und auch dieser versagte, da er sich nicht durch trotziges Emporkräuseln des Schnurrbarts ein soldatisches Ansehen geben konnte, so stampfte er ärgerlich mit dem Fuße auf, daß der ganze Salon erdröhnte und einige ältere Jungfrauen erschreckt zurückfuhren und hielt es dann für das Beste, mit einer ritterlichen Verbeugung der liebenswürdigen Nonne Beatrix den Brief zu übergeben.

Noch lange blieb die Gesellschaft zusammen in Gesprächen über die Möglichkeiten der nächsten Zukunft; im Ganzen herrschte eine hoffnungsfreudige Stimmung; die Unterredung wurde lärmender, als für einen Kreis von Verschwörern wünschenswerth schien. Der Rittmeister, seines ernsten Auftrages entledigt, fühlte sich behaglicher und begann mit der schönen Isabella ein Gespräch anzuknüpfen, in welchem es an Schlachten und Siegen, Todten und 206 Verwundeten nicht fehlte; doch das stolze Fräulein von Pogarell hatte sich in eine Marmorsäule verwandelt, kein Wort kam über ihre Lippen. Nach vergeblichen Versuchen, die Sturmleitern an diese unnahbare Festung anzulegen, entschloß er sich mißmuthig zum Rückzug und da auch Beatrix aus dem Kreise geschieden war, so fand er nichts Anziehendes mehr und beschloß noch in der Nacht seinen Rückweg wieder anzutreten.

Wir folgen der frommen Schwester, welche im Schatten, den der hohe Dom im Mondlicht warf, ihre Schritte nach der Oder zulenkte. Dort stand am Ufer eine Reihe von Gartenhäusern, deren Scheiben im Scheine des Mondes leuchteten und die sich, unter den hohen Bäumen und den blühenden Sträuchern versteckt, weit hinauszogen in die freie Landschaft. Vor einem größeren Landhäuschen, welches den weiten Spiegel der Oder nach der Stadt hin beherrschte, blieb Beatrix stehen, sah sich noch einmal vorsichtig um und pochte dann mit einem sphinxköpfigen Klopfer an die Thüre. Oben am Fenster zeigte sich ein anmuthiger Mädchenkopf, und ehe noch der Pförtner aus dem Garten erschien, war das schlanke Kind schon die Treppe heruntergeeilt und öffnete die nur verriegelte Hausthür. Wir erkennen an den schwärmerischen Augen des Mädchens die aus dem verhängnisvollen Grafenschloß errettete Marie. Beatrix folgte ihr in 207 ein geschmackvolles Boudoir, welches zwei Kerzen freundlich beleuchteten, und als die Nonne vor den Trumeau trat und mit einem Ausdruck vollen Behagens die unbequeme Kapuze zurückschob, da zeigte der Spiegel ihr das lächelnde Gesicht der anmuthigen Agnes von Walmoden. 208

 


 


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