Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Fünftes Kapitel.

Geständnisse.

Es mochten seit dieser Wasserfahrt etwa acht Tage vergangen sein, als Arthur folgenden Brief an Hans Leopold von Schweinichen absandte:

Lieber Freund!

Wir träumen oft, daß wir Flügel bekommen! Seit ich in Rheinsberg bin, lebe ich wie in diesem Traum. Wie sollte ich Dir dies Zauberland mit wenigen Zeilen schildern? Rheinsberg mit seinem Schloß, Park, See und Wald ist nicht nur eine Oase in der märkischen Wüste; es ist eine geistige Oase in der Oede der deutschen Reichslande. Hier ist Leben und Streben, Feuer und Kraft, Witz und Schwärmerei – vor allem aber Freiheit, Freiheit des Denkens und Empfindens! Da ist ein genialer Prinz, den Musen hold, an dem Muster alter Helden sich 237 heranbildend zu gleicher Heldengröße, wie der Ferntreffer Apollo Blitz schleudernd, Blitze des Gedankens, denen die Blitze der That folgen werden; da ist ein Musenhof, wie kein zweiter, begabte Naturen, strebsame Köpfe; da ist ein Kreis liebenswürdiger Frauen, welche, von gleichem Streben beseelt, mit anmuthiger Beweglichkeit den Wettkampf nach ernsten Zielen theilen. In Breslau lag es so dumpf und schwer auf mir – ich fühlte mich wie in eine Kerkerluft versetzt; überall alte starre Satzungen, keine belebende Kraft, um sie in Fluß zu bringen, Formen und Formeln – man stieß rechts und links an bei jeder freieren Bewegung! Wie ganz anders ist es hier! Ich habe mit dem Lector des Prinzen, Jordan, einem Feuerkopfe, Freundschaft geschlossen; er weiht mich in die Gedankenwelt ein, deren Pforten sich den großen Geistern Frankreichs öffnen. Ich habe Voltaire's Schriften gelesen, ich habe Spinoza studirt, ich verschlinge die Werke der Denker und Dichter! Die Classiker des Alterthums, die mir von der Ritterakademie her noch in guter Erinnerung sind, erscheinen mir plötzlich in einem neuen Licht! Stellen, die sich nur durch ihren Wortklang und Versfall meinem Gedächtniß eingeprägt hatten, ergreifen mich auf einmal durch die innere Wahrheit des Gedankens, die mir früher verhüllt war und jetzt plötzlich, gleich den Schriftzügen 238 sympathetischer Tinte, durch das chemische Reagens dieser neuen Studien ans Licht tritt! Ja, unser Wissen ist, wie unser Leben, eine Entwicklung und Erfüllung des Gegebenen. Selbst der kleinste Sinnspruch erhält von Jahr zu Jahr eine tiefere Bedeutung, indem wir ihn mit dem Inhalt unserer Lebensanschauung erfüllen. Freilich, mit der Erkenntniß wächst der Zweifel, die innere Unruhe, das rastlose Streben – doch wer wollte dafür wieder jene arkadische Selbstgenügsamkeit eintauschen, welche innerhalb der festen Schranken sich im Kreise dreht, wie das blinde Pferd in der Mühle?

Und die Frauen! So geistreich, so galant, so liebenswürdig! Ich muß Dir berichten, lieber Hans Leopold, ich habe hier eine bezaubernde Schönheit kennen gelernt, deren Bild bei Tag und Nacht nicht von mir weicht! Ich sah sie zunächst im verführerischen Maskenkleide als Nymphe der Wasserfälle – doch sie erschien mir nicht minder schön im schlichten Strohhut nur mit Feldblumen geschmückt. Sie ist ganz Seele – ihr tiefes Auge beherrscht Alles. Was ihre Hand berührt, das muß blühn. Ich habe sie jetzt mehrmals im Garten gesprochen, auch allein! Sie hat Geist und Bildung und hängt mit Begeisterung an dem jungen Kronprinzen. Was mich betrifft, so gaukelt uns zwar unsere Eitelkeit oft seltsame 239 Truggebilde vor; doch glaube ich es sagen zu dürfen, daß sie mich vor Allen bevorzugt. Sie ist dabei so absichtslos, so harmlos hingegeben, plaudert so kindlich – keine Spur von jenem Ballspiel mit Blicken und Worten, welches die koketten Hofdamen hier meisterlich verstehn. Wir verabreden keine Rendezvous – wir treffen uns oft, weil uns der Zufall hold ist!

Noch immer steht Isabellas Gestalt zwischen uns Beiden. Der Wunsch der Eltern, das Wohl der Familien – darf ich dagegen die Augen verschließen? Und ist Isabella nicht schön, nicht begehrenswerth? Freilich, sie hat mich mit Kälte verabschiedet und ich passe nicht in ihren Kreis. Doch wer weiß, welches Spiel des Zufalls oder feindlicher Absicht eine vorübergehende Verstimmung hervorgerufen? Es ist die Stimme der Pflicht, die mich in jenes dumpfe Haus der Domtanten zurückruft, jetzt, seit ich Agnes kennen gelernt, nur die Stimme der Pflicht, während hundert Andere um die Hand der schönen Isabella, wie um das höchste Glück der Erde werben würden. Was hindert mich, als diese Pflicht, das liebreizende Mädchen hier, wenn ich neben ihm in der Geisblattlaube sitze, an's Herz zu drücken? Tausend gegen Eins, Hans Leopold, sie würde mich nicht zurückstoßen, trotzdem daß ich ein Oesterreicher bin und sie als Parteigängerin des Prinzen das Haus Oesterreich haßt!

240 Sie warnt mich oft vor meiner Tante, der Frau von Katsch, welche in der That den ganzen Hof mit Argusaugen bewacht; sie warnt mich, ohne ihre Warnung näher zu begründen. Es geht hier Manches vor, wozu mir der Schlüssel fehlt. Die geheimen Sitzungen, zu denen der Kronprinz nur einen auserlesenen Kreis seiner nächsten Freunde hineinzieht, bleiben mir räthselhaft. Die Tante wollte mich anfangs in ihr Vertrauen ziehen; sie deutete mir an, daß in diesen Sitzungen tadelnswerthe und verwerfliche Zwecke verfolgt würden, und daß man nur deshalb sie in ein so tiefes Geheimniß hülle; sie räumte die Möglichkeit ein, daß der junge Prinz nicht nur auf den Sturz der Seckendorf und Grumbkow hinarbeite, sondern selbst vor der Zeit sich der Krone bemächtigen wolle. Doch seit sie bemerkte, wie der Kronprinz selbst und seine Freunde mir ein tiefes Interesse der Freundschaft und Verehrung einflößen, zog sie sich immer mehr von mir zurück, ohne mich indeß je aus den Augen zu verlieren.

So war es ihr nicht entgangen, daß ich zur Nymphe des Wasserfalls eine geheime Neigung hege: sie belauschte unsere zufälligen Zusammenkünfte im Garten und trat eines Tages mit spöttischem Lächeln recht wie aus den Coulissen hinter dem Gebüsch hervor, als wir uns gerade in anmuthigem Wechselgespräch 241 jenes Versteckspiel hinter dem Felsen der Cascade ausmalten. Eine Oberhofmeisterin, welche ein Rendezvous stört, ist jeder anderen Schlange ähnlicher, als der Schlange im Paradiese, welche das allererste Rendezvous der Erde so angenehm zu machen wußte. Wir waren auf ein strenges Strafgericht gefaßt; doch Frau von Katsch runzelte nicht einmal die Stirne, worin sie sonst eine junonische Meisterschaft besitzt; sie war so gleichgiltig und harmlos, als wäre unser Zusammensein selbstverständlich wie das eines jungen Brautpaares, und von Erde und Himmel gebilligt. Doch die ehrwürdige Dame giebt nicht so leicht einen Trumpf aus der Hand, wenn sie ihn in ihren Karten hat: sie weiß ihren Stich damit zu machen. Sie ließ mich am nächsten Tage rufen, und ihre Mienen holten an Feierlichkeit nach, was sie vorher versäumt. Sie sagte mir, es habe großes Aufsehen erregt, daß ich bei jenem Rundgang des Hofes gefehlt; sie sei im Besitze meines Geheimnisses; sie habe die auffälligen Rendezvous belauscht, welche ich mit der jungen Agnes veranstalte und es sei eigentlich ihre Pflicht als Oberhofmeisterin, der Kronprinzessin diese Verletzung der dehors, welche sich die Schwester der ersten Hofdame zu Schulden kommen lasse, anzuzeigen und ihre augenblickliche Entfernung zu beantragen. Sie wisse, daß sie damit für lange Zeit den Ruf 242 der jungen Dame vernichte; sie wolle indeß schweigen; doch verlange sie dafür von mir eine Gegengefälligkeit.

Ich war unter diesen Umständen natürlich sehr geneigt, ihr entgegen zu kommen, so seltsam und unbegreiflich der Dienst war, den sie von mir verlangte. Ich hatte zufällig bei meiner Herreise in einer Waldschenke dicht vor Rheinsberg ein eigenthümliches Exemplar der menschlichen Gattung kennen gelernt, einen Zwitter von Gelehrten und Narren, der sich Doctor Salomon nannte. Seine körperliche Erscheinung war von der Natur sehr vernachlässigt worden und erinnerte an die Gnomen der mittelalterlichen Sage. Ein unförmlicher Kopf saß auf einem kleinen Leibe. Dabei war es der Natur gelungen, an diesem dicken Kopf in einer allen Verhältnissen Hohn sprechenden Weise eine spitze Nase und ein spitzes Kinn anzubringen. Doch der Geist dieses Gnomen war lebendig, scharf, witzig und schöpfte seine Citate aus einem unversieglichen Born der Gelehrsamkeit. Dann unterbrach er seine wissenschaftlichen Erörterungen plötzlich wieder mit einem geistigen Narrensprung, wie ein buntscheckiger Hanswurst in der Reiterbude. Mit diesem seltsamen Menschen stand meine Tante in einem mir unerklärlichen Zusammenhang. Ich hatte ihm versprochen, ihn einmal in seiner Waldschenke zu 243 besuchen; Frau von Katsch gab mir, als ich dies Versprechen erfüllte, einen Brief an den wunderlichen Doctor mit. Bei all seiner Schwatzhaftigkeit, die kaum irgend ein Ding zwischen Himmel und Erde unberührt ließ, verrieth er doch nicht mit der leisesten Andeutung, warum er sich hier so lange in der Nähe des Rheinsberger Schlosses aufhalte.

Der Gegendienst, den Frau von Katsch für ihr schonungsvolles Schweigen verlangte, betraf nun diesen gelehrten Sonderling. Sie verlangte, daß ich ihn morgen spät am Abend aus seiner Schenke abholen, durch eine kleine Gartenpforte, zu welcher sie den Schlüssel hatte, in das Cavalierhaus führen und dort während der Nacht und am nächsten Tage in dem Alkoven, der sich an mein zweites Zimmer anschließt, verborgen halten solle. Eine mir höchst unbequeme Zumuthung; denn ich bin nicht gern ein blindes Werkzeug für die Pläne Anderer! Doch konnte ich, trotz alles Nachdenkens, nicht absehen, welch ein ernster oder bedenklicher Zweck diesem Versteckspiel zu Grunde liegen solle – es handelte sich offenbar um einen Schabernack, welchen das Purzelmännchen irgend einem Hofherrn oder einer Hofdame zu spielen bestimmt war. Da in der anderen Wagschale der gute Ruf der schönen Agnes und mein eigenes Glück lag, das an den Zauber ihrer Nähe geknüpft ist, so konnte 244 ich wohl nicht zögern, mich zu dem sonderbaren Gegendienst bereit zu erklären.

Ich bin nun in der That selbst neugierig, welche Entwickelung dies kleine Abenteuer nehmen wird und welche Nuß dieser kleine Nußknacker hier bei Hofe aufknacken soll. Ich selbst zerbeiße mir vorläufig noch die Zähne an der Schale dieses Geheimnisses.

Du siehst, Hans Ludwig, ich werde, was Erlebnisse und Abenteuer betrifft, Dir bald ein gefährlicher Nebenbuhler werden! Doch besser, wenn das Herz feurig schlägt, das Blut in lebhafter Wallung, der Kopf voll von Gedanken und Plänen, von anmuthigen Besorgnissen und neugierigen Fragen ist, als schläfrig von Morgen zum Abend Tag für Tag hinzuvegetiren, daß man nicht nur den Stundenzeiger, sondern auch den Secundenzeiger glaubt dahinschleichen zu sehen und die Zeit mühselig abträgt, wie das Kind in der Grube mit der kleinen Schaufel den riesigen Sandhaufen. Wenn Du etwas von der hübschen Marie erfährst, welche bei dem unterbrochenen Verlobungsfest so spurlos verschwunden, so theile es mir mit; denn meine Gedanken beschäftigen sich öfter mit diesem unglücklichen Wesen. Auch bitte ich Dich um Nachrichten von Reideburg und seiner kleinen Braut oder »weiland« Braut.

245 Dir aber wünsch' ich allen Sonnenschein, den Du brauchst, um wie Diogenes Dich behaglich zu sonnen, und außer der Tonne, in der Du liegst, noch eine andere, die Du austrinken kannst!

Behalte lieb

Deinen getreuen Freund

Arthur. 246

 


 


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