Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Band.

Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Bei Mollwitz.

Düstere Apriltage . . . um Neisse und Glogau donnern die Kanonen . . . große Heersäulen wälzen sich schwarz durch das verspätete Schneeflockengewölk, in welches der erste Frühlingsmond sich hüllt. Die schlummernden Dörfer mit ihren winterlichen Dächern werden aufgescheucht durch das Rasseln der Geschütze auf den Dorfwegen; – der Lenzesbote, der Storch, sonnt sich noch am Nil . . . nur einzelne Vorläufer sind eingekehrt und sichern durch ihren Reisighorst den friedlichen Herd der Dorfbewohner gegen Blitz und Feuersgefahr, doch nicht gegen die zerstörenden Kugeln. Seitdem die wilden Horden des dreißigjährigen Krieges in die schlesischen Gauen brachen, ist das Land des Kriegslärmes entwöhnt . . . das lebende Geschlecht kennt diese Gräuel und Schrecken nicht . . . es schließt die Thüren zu, wenn der Schritt der 2 Regimenter ihm in die Ohren tönt; es möchte sich mit Haus und Herd in den Schneemantel hüllen, unsichtbar allen Augen. Doch es klopft an den Thüren . . . klirrende Säbel, stampfende Rosse . . . und bis in den entlegensten Meierhof dringt die gewaltige Kunde: »der König von Preußen kämpft um Schlesien!« Das fegt schlimmer als der Schneesturm durch das Land! Um die Festungen röthet sich der Himmel . . . das sind die Feuerzeichen des Krieges!

Wer da aus einer Schneewolke hätte herabsehen können auf die schlesische Landkarte, zwischen Neisse und der Oder: der hätte ein Hinundherziehen der preußischen und österreichischen Colonnen gesehen, die oft, ohne es zu wissen, nicht weit von einander vorbeimarschirten. Endlich hatte die Kaiserin Ernst gemacht und ein Heer unter dem Feldmarschall Neipperg dem kühnen Eindringling in ihre Staaten entgegengeschickt. Noch glaubten die Preußen, daß dies Heer jenseits der Berge sei, doch schon im doppelten Gewölk des Himmels und der Erde, eingehüllt von Schnee und den endlosen Pandurenschwärmen, war es über die Berge gestiegen. Da war es in Neisse . . . da war es in Grottkau . . . gegen Ohlau, wo des Königs Geschütze und Magazine waren, gegen Breslau wälzte sich der mächtige, unsichtbare Heereszug. Seine Nähe kündeten die Steppenreiter aus 3 den Kronenländern, weit umherflatternd wie der abgeschüttelte Schnee vom Campagnemantel . . doch wie nah oder fern er sei, wer konnte es wissen? Denn weit schweiften die kecken Reiter links und rechts, herausfordernd, hie und dort auftauchend . . . Irrlichter zu Pferd!

Da galt es, das weitgedehnte Heer der Preußen mit festem Griff zusammenzuraffen. Durch das brennende Steinau ging des Königs Zug, es galt über die Neisse zu gelangen. Doch zu Tausenden standen an der Brücke von Sorgau des Generals Lentulus Dragoner. Weiter ab gelingt es dem Prinzen Leopold von Dessau auf Pontons hinüberzukommen, bei Löwen dem König. Man sucht den Feind.

Es war ein in Schneewirbeln vergrabener Aprilsonntag; der Tag düster wie sonst der Abend, der Abend fast unmerklich heranbrechend. Friedrich saß bei früher Lichter Schein in dem Zimmer der Dorfschenke von Pogarell, vor sich auf dem Holztisch eine Karte und ein Papier mit den Zügen seiner Hand. Neben ihm stand seines Heeres tapferster Degen, der Graf Schwerin, mildfrommen Ausdruck in den kriegerisch gebräunten Zügen, denen das ergrauende Haar etwas Würdevolles gab. Der kriegsgewohnte General stand neben dem jungen König, der zum erstenmale durch das Schlachtenfeuer getauft werden sollte, ruhig und 4 fest, während in Friedrichs Seele wie in seinem Feuerauge eine kaum bezwingbare Unruhe hin und her zuckte.

Da stand die Schlacht auf dem Papier; nach allen Regeln der Taktik war ihr Plan entworfen; in einer Colonne sollte das Heer vorrücken und dann sich entwickeln, sobald sie dem Feinde gegenüber war. Klar vor den Augen des Königs stand die Schlachtlinie mit ihren zwei Treffen und der Reserve, Regiment neben Regiment; kein Hofmarschall kann das Bild einer Hoftafel mit bestimmteren Umrissen vor seiner Seele haben, wie Würdenträger neben Würdenträger, Gast neben Gast nach Rang und Ordnung sitzt. Doch wo stand der Feind?

In der Nähe mußte er sein; der morgende Tag mußte die Entscheidung bringen! Doch in welchen Dörfern lagerten seine Truppen? Wo war seine Schlachtlinie zu erwarten? Die Karte gab keine Antwort; Dörfer neben Dörfern, hier ein Bach mit sumpfiger Niederung, weiterhin die Oder. Noch weniger Antwort gab der Abend draußen, der mit seinem Schneegestöber jede Aussicht hemmte. Adjutanten klirrten in's Zimmer, lauter Meldungen von den eigenen Truppen, nicht von dem Feinde. Endlich brachte ein Husaren-Offizier einen gefangenen Panduren, der in einem Scharmützel verwundet worden 5 war, einen Riesen in einem rothen Hemde, mit weiten türkischen Hosen und kurzem Oberrocke. Seine lange Flinte und seinen ungarischen Säbel hatte man ihm nach dem Kampfe entwunden; doch er antwortete auf alle Fragen des Königs, da er der deutschen Sprache nicht mächtig war, indem er auf die Himmelsgegend deutete, wo das Heer der Oesterreicher stand. Der König entließ unmuthig den bunthemdigen Patron, da ihm diese Räuber, welche den Zug seines Feindes durch ihre hinundherflirrenden Wolken so undurchdringlich machten, höchst verhaßt waren.

»Keine Nachricht von Ohlau,« rief Friedrich, indem er unruhig im Zimmer hin und her ging, »kein Bote kehrt zurück! Wir sind von unsern Magazinen abgeschnitten.«

»Wir müssen uns zu ihnen durchschlagen,« sagte Schwerin, »noch lebt der alte Gott der Brandenburger, und er wird die Seinen nicht im Stich lassen.«

»Ich beneide Euch um Euren festen Glauben,« erwiderte der König, »doch ich fürchte, wenn wir nicht Hand an's Werk legen, wird uns der Glaube nicht schützen. Und wir sind etwas tollkühn, lieber Graf; wer weiß, ob der Gott der Brandenburger noch mit uns zufrieden ist. So lange wir bei Fehrbellin uns wehrten, oder in Potsdam exercirten, da 6 waren wir ihm gewiß genehm und wackere Leute, die nach dem lutherischen Katechismus lebten und starben. Jetzt aber gehen wir dreist vor und beginnen einen argen Spektakel in der Welt. Da könnten wir vielleicht in Ungnade gefallen sein und es wird am besten sein, wenn wir uns nur auf uns selbst verlassen.«

Schwerin zuckte mit den Achseln; was der König da sprach, war nicht nach seinem Sinn. Friedrich bat ihn indeß, zur Ruhe zu gehen, es könne morgen ein heißer Tag werden; er selbst wolle nur durch wichtigste Botschaften gestört werden. Der General schied mit herzlichem Gruß; gleich darauf trat das Rheinsberger Factotum, der Kammerdiener Fredersdorf, ein, der jetzt aus dem Kronprinzlichen in's Königliche avancirt war und seinen Kopf noch wo möglich um einige Zoll höher trug als früher.

»Geht schlafen, Fredersdorf« –

»Sire,« frug befremdet der Kammerdiener, »schon die zweite Nacht!« –

»Ich wache! Laßt mich allein! Nur noch zwei Lichter auf den Tisch, denn diese halten nicht aus!«

Fredersdorf kam mit den Lichtern wieder.

»Sire, die Uniform, die Stiefeln« –

»Ich brauche keine Bequemlichkeit, ich bleibe gestiefelt und gespornt; ich bin schon mitten in der Schlacht, wenn auch mein Heer noch schläft.«

7 Bald war der König allein! Im Hause, im Dorfe war's stille; nur die Runde der Wachen und das Gebell eines Kettenhundes unterbrach das Schweigen. Draußen im Düstern strickte der Himmel fort an dem Schneegewand; doch schien er allmählich schläfrig die Maschen fallen zu lassen!

Am Abend vor der ersten Schlacht! Wie schlägt das Herz des Soldaten! Alles was er bisher gethan, war nur das Bild des kommenden Ernstes; jetzt ist sie da, die eiserne Wirklichkeit! Nicht die machtlose Patrone, die mörderische Kugel stößt der Ladestock in den Lauf . . . hundert Geschosse schmettern durch die Luft, und der Tod, der uns schon mit Trauer erfüllt, wenn er einsam im schwarzen Leichenwagen durch die Straßen fährt, dem wir mit unheimlicher Ahnung aus dem Wege gehen . . . hier wird er uns vertraut wie ein Freund, und zur Rechten und zur Linken schüttelt er die Hände und wir harren selbst auf seinen Händedruck.

Am Abend vor der ersten Schlacht! Wie schlägt das Herz des Feldherrn, des Königs! Werden die vorgezeichneten Pläne sich beleben oder ihre Linien sich verschieben im Wirrwarr des Zufalls? Was wird gelingen, was versagen? Die entfesselten Elemente lassen sich schwer gebieten, das stürzt aus einander, das wirkt mit dem unerbittlichen Gesetze der Schwere!

8 Und welch ein Abgrund der Verantwortung! Vor der ersten Schlacht zählt der Feldherr auch die Menschenleben! Es ist ein kostbarer Stoff, womit er seine Pläne in's Leben ruft! Wie viele Sorge und Mühe, bis so ein Menschenkind von der Wiege großgezogen wird, wie viele Thränen an seinem Grabe! Friedrich aber sah sich vor dem Richterstuhl der Geschichte . . . unerträglich war ihm der Gedanke einer Niederlage . . . Preußens Vergangenheit und Zukunft mit einem Schlage vernichtet . . . er selbst ein kecker Rebell, der mit gewaffneter Hand in die kaiserlichen Lande dringt . . . er brauchte den Erfolg, er brauchte den Sieg . . . o wenn jeder seiner Soldaten es fühlte, es wüßte, was auf dem Spiele stand! Seine Wangen, seine Augen glühten . . . und hielte das Schicksal den Sieg in krampfhaft verschlossener Hand . . . er müßte ihm entrungen werden. Die innerliche Glut drängte ihm nach Kopf und Herzen . . . er riß das Fenster auf . . . ein kalter Hauch wehte vom Himmel aus dem zerrissenen Schneegewölk, das sich zu theilen begann . . . und schwer senkten sich die letzten Flocken des zerstäubenden Schneewetters nieder und schwebten ihm in's Antlitz.

Er wurde ruhiger! Da ging vor seiner Thür die Wache auf und nieder; es war ein ungestörtes Gleichmaß der schweren Schritte; der Soldat dachte nicht 9 an die Schlacht, er dachte nur an die Ablösung und zählte die Viertelstunden, welche die schläfrige Dorfuhr vom Kirchthurm schlug. Der Schritt der Schildwache, der Schlag der Dorfuhr, dies einförmige Maß der Zeit, alles das wirkte beruhigend. Für die Uhr ist ja eine Minute, eine Stunde so gleich der andern . . . warum nicht für das Menschenherz?

Da quollen ein paar Sterne hellglänzend an dem gelichteten Azur hervor. Friedrich sah zu ihnen empor, als suchte er den seinigen.

Er schloß das Fenster und setzte sich, mit gekreuzten Armen, träumend in den Stuhl. Da war es ihm, als erschiene, die Thonpfeife des Tabakscollegiums im Munde und ein freundliches Lächeln auf den Lippen, der alte Herr von Wusterhausen, klopfte ihm auf die Schulter und rief ihm zu: »Vorwärts, mein Friedrich! Du hast Dir einen größeren Exercierplatz gesucht . . . das ist recht! Ich bin bei Dir, doch schone Dein Leibregiment, meine Riesen, sie kosten mich sehr viel! Im Uebrigen Revanche an Haus Habsburg, Schlacht und Sieg!«

Und wie vor des Geistes Aug' sich allerlei bunte Bilder ablösen, so war es ihm jetzt, als setzte sich der Vater an einen geschmackvoll gerüsteten Frühstückstisch und äße mit besonderem Behagen die Melonen und Pfirsiche von Rheinsberg, die ihm Friedrich geschickt 10 und lobte bei jedem Stück der köstlichen Frucht den Sohn.

Vaterslob . . das berührte ihn jetzt wie mit weichen Händen, das war ihm Trost und Erquickung! Er zieht ja den Degen auch für den alten Mann, den man so oft von der Hofburg aus gekränkt, verbittert, verleitet zu grimmem Thun . . und der alte Mann muß es ihm danken, wenn er in einer andern Welt davon erfährt.

Mit einem raschen Entschluß setzte sich der König an den Tisch und schrieb mit stockender Tinte sein Testament in einem Briefe an seinen Bruder, den Prinzen August Wilhelm und dann an seinen geliebten Freund Jordan: »Das Leben der Könige ist gleichem Loos verfallen wie das Leben der andern Sterblichen; ich weiß nicht, was mir begegnen wird. Wenn mein Schicksal sich hier erfüllt, so denke eines Freundes, der Dich immer zärtlich liebt; wenn der Himmel meine Tage verlängert, so will ich Dir übermorgen wieder schreiben und Du wirst von einem Siege hören. Lebewohl, theurer Freund, ich werde Dich bis zum Tode lieben!«

Rührende Worte der Freundschaft! Voll erschloß sich das Gefühl in der Brust des Königs vor dem Augenblick der Entscheidung.

11 Die Dorfuhr schlug Stunde für Stunde, zu langsam für des Königs fieberhafte Ungeduld. Allmählich regte sich das ländliche Leben. Die Hähne krähten; hier und dort spannte ein Landmann die Pferde vor den Pflug. Da tönte die Reveille, und kriegerischer Lärm füllte bald die Dorfgassen, aus den kleinen Fenstern der Lehmwände blickten die bunten Uniformen. Die ländlichen Eimer klirrten in den Händen der Dragoner, welche ihre Pferde tränkten. Ein frostiger, nüchterner Morgen, doch der Himmel war klar. Die ersten Strahlen der Aprilsonne bedrohten den Schnee, der die Strohdächer bedeckte; im Strahle des Mittags mußte er schmelzen.

Da wird dem König der Lieutenant von Seidlitz gemeldet mit wichtiger Botschaft. Arthur erscheint mit einem Bauer der gemüthlichen schlesischen Art, der sich verwundert umsieht unter den fremden Uniformen. Ein österreichischer Dragoner hat ihn in sein benachbartes Heimathsdorf geschickt, daß er ihm dort aus dem Vaterhause Einiges hole, was seiner Ausstattung fehlt. Am frühesten Morgen kehrt er zurück. Arthur, mit einer Patrouille der Schulenburger Dragoner auf Kundschaftung ausgeritten, findet den Mann, frägt ihn, ob er wisse, wo die Oesterreicher stehn, und dieser erwidert: »Ganz gut, in Mollwitz!« Arthur führt den Bauer zum Könige.

12 Mollwitz – zum erstenmale tönt hier der Name, der bald in ganz Europa wiederhallte.

»Das Dorf erstickt vor Soldaten,« sagte der Bauer, »Husaren, Panduren, Infanterie! Anfangs wollte alles mit dem Feldmarschall in's Dorf; bei einem Bauern logiren ganze Compagnien, bei einem Hofgärtner halbe Escadrons. Heu, Stroh, Gerste, Hafer war in einer halben Stunde spurlos verschwunden; jetzt campiren sie zum Theil draußen im Feld; die Zäune sind alle abgerissen und bilden lustige Wachtfeuer in der Runde; ein Theil der Infanterie campirt in Laugwitz, in Bärdorf liegt Cavallerie.«

Friedrich verschlang diese Nachrichten. »Ihr reitet mit mir,« sagte er zum Bauern. »Euch, Seidlitz, besten Dank! Ihr habt in aller Frühe einen köstlichen Fang gemacht. Jetzt einen Blick auf die Karte . . und dann an's Werk.«

Als Arthur in sein Quartier zurückkehrte, sattelten die Schulenburger Escadrons bereits ihre Rosse. Signale nah und fern in den Nachbardörfern; die Adjutanten flogen . . . die Schneefelder belebten sich ringsum. Die Colonnen traten an und setzten sich in Bewegung, um die bezeichneten Stellungen einzunehmen . . alles langsam, schulgerecht, feierlich, wie auf dem Exercirplatze; keine Ueberraschungen, keine Uebereilungen . . . ein reglementsmäßiges Treffen!

13 Noch hatte der kriegerische Genius des Königs nicht seine Sturmschwingen entfaltet, er erwartete den Sieg von der Vorsicht und der Regel.

Arthur stieg zu Pferde und ritt zu seinem General, er war Schulenburgs Adjutant. Ungeduldig wendete des alten Königs Rauchgenosse sein Pferd hin und her, denn zu schwerfällig zögernd rückten die Escadrons in die Marschlinie. Da war's doch behaglicher im Collegium, die Pfeife im Munde und das Bierglas in der Hand, wenn man mit schallendem Gelächter zusah, wie die Hofnarren und Gelehrten sich prügelten. »Wenn's nur ein gutes Ende nimmt,« sagte der General, »ich hatte die Nacht einen bösen Traum, saß mit dem alten König zusammen, da sagt er zu mir: »Schulenburg, der Gundling ist in seinem Bierfaß begraben, jetzt müssen wir mit Euch das Eis aufstoßen.« Da packten mich drei Grenadiere, wie sie's mit Gundling gethan, ließen mich am Seil in den zugefrorenen Graben herunter und die Majestät lachte, daß sie sich den Bauch hielt. Abscheuliche respektwidrige Träume! Das bedeutet nichts Gutes!«

»Wir werden heute das Eis brechen, General!« erwiderte Arthur.

»Ja, wenn wir's nur mit dem Fußvolk zu thun hätten, das wollen wir schon niederreiten. Doch die Cavallerie! Die ist viel zahlreicher als die unsrige; 14 da sind Völker dabei, die sind auf dem Pferde geboren! Und was kostet's für Schweiß, ehe man unsere Rekruten heraufwälzt, daß sie oben hängen bleiben! Sakerment,« fuhr der General fort und seine Züge nahmen einen fast schwermüthigen Ausdruck an, »sitzen die Kerle nicht zu Pferde, als wenn eine Pflugschaar oder eine Egge hinter ihnen klapperte oder ein hochbeladener Heuwagen hinter ihnen wackelte? Lauter Erntebauern, straf' mich Gott.«

Endlich waren die Schwadronen marschfertig, die Dorfuhr schlug zehn. Da ritt der König vorüber, ernst und still, seine Züge hatten einen fast sanften Ausdruck, neben ihm der fromme Schwerin und der jugendlich feurige Dessauer Erbprinz. Er lüftete den Hut, während die Dragoner mit geschwungenen Säbeln ein Hoch brachten.

Bald setzte sich das Heer in Marsch über die weite Schneefläche. Der Schnee knirschte und schmolz unter dem Tritt der Bataillone, den Hufen der Rosse. Auf der Heerstraße bewegten sich die Geschütze und Munitionskarren; es war ein langer Zug; in der Artillerie lag die Stärke der preußischen Armee. Die Gegend ringsum war todt und einförmig in ihrem Schneegewand, nirgends boten hochragende Bäume mit schneebelasteten Zweigen einen malerischen Anblick, nur die Wetterhähne auf den Kirchthürmen der Dörfer 15 blitzten in der Vormittagssonne. Dort der zweite Kirchthurm . . . das war Mollwitz! dort stand der Feind!

»Ich wette, sie merken nichts!« sagte Schulenburg zu Arthur, indem er dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife blies.

»Könnten wir sie überraschen, der Sieg wäre uns sicher,« erwiderte Arthur.

»Das steht nicht in unserem Schlachtplan,« sagte der General, »wir werden uns ganz regelrecht aufstellen und warten, bis unsere Feinde das Gleiche gethan. Erst wenn die Cavallerie auf beiden Flügeln hüben und drüben steht, Pferdekopf gegen Pferdekopf, daß es eine Freude ist: dann darf das Treffen beginnen. Heiliger Eugen und Marlborough, wie haben wir die Franzosen bei Oudenarde in die Enge getrieben! Da haben wir nicht gewartet, bis es ihnen genehm war, uns zu empfangen. Ich denke wieder der heißen Schlachttage bei Oudenarde und Malplaquet . . . das war eine Feuertaufe, junger Freund! Mehr Todte damals als Lebende heute. Gebe uns nur Gott eine so herrliche Victoria!«

Da ertönten von links herüber die Signale. Adjutanten Schwerin's sprengten herbei mit dem Befehl, hier Halt zu machen. Schulenburg warf ärgerlich seine Pfeife fort, daß sie an einem Feldstein in Scherben zerbrach.

16 »Sagt' ich's nicht! Jetzt werden wir hier ein ausgezeichnetes Exercitium machen, manövriren, uns entwickeln – inzwischen haben sie drüben längst Wind! Alter braver Friedrich Wilhelm,« fuhr er fort, mit der Hand am Hut dem todten Fürsten salutirend, »Du hast uns viel Schönes hinterlassen, Dein Heer, Deinen Schatz, aber auch etwas sehr Schlimmes . . . diese verwünschte Berliner Wachtparade!«

»Hermsdorf rechter Flügel,« rief jetzt Schwerin, mit dem Stab vorüberreitend und nach dem Kirchthurm des Dorfes zur Rechten mit dem Degen zeigend.

»Hermsdorf – das ist noch ein weiter Weg!« sagte Schulenburg verdrießlich; »ein viel zu großer Zwischenraum!«

Und während er die Entfernung maß, marschirten zu seiner Linken unter dem Klange der Feldmusik und mit wehenden Fahnen die preußischen Linien auf, zwei Treffen, jedes drei Mann tief, tadellos die Schwenkungen, die Entfaltung; aber neben seinen Streitern fehlte es an Raum; da mußten die Colonnen in dichten Massen im rechten Winkel aufmarschiren, ja Grenadierbataillone rückten zwischen seine Escadrons ein, es war dies des Königs Wille; er ahmte damit ein ähnliches Manöver von Gustav Adolf nach.

17 »Heiliger Eugen und Marlborough,« rief der alte Degen, »das lähmt ja jede Bewegung, wie soll ich mit diesem eisernen Hemmschuh nach Hermsdorf hinüberkommen?«

Inzwischen saß der Feldmarschall Neipperg im Hause des Mollwitzer Schulzen beim einfachen Mahl; der heutige Tag war ein Ruhetag auf Parolebefehl und es war sehr unerlaubt, ihn durch den Lärm des Waffenhandwerks zu stören.

»Diese Breslauer,« sagte der Marschall zum General Brown, indem er mit Gabel und Messer ärgerlich in den Lüften focht, »was Ihr mir da von dieser wackeren Stadt erzählt, bestärkt nur mein Gelüsten, ihr so bald wie möglich einen Besuch zu machen.«

»Sie haben,« erwiderte Brown, »von ihrer doppelschneidigen Neutralität, diesem sinnlosen Kindermärchen, einen empörenden Gebrauch gemacht, die Preußen empfangen und bewirthet, während sie uns von den Thoren zurückweisen wollen; die höchste Behörde der Königin von Ungarn wird aus der Stadt fortdecretirt und sie lassen sich dies von dem fremden Eindringling gefallen.«

»Ich werde sie mores lehren,« sagte Neipperg, indem er durch einen kräftigen Schluck Tockayer sich in seinem Entschluß zu bestärken schien, »ich werde die Autorität der Königin von Ungarn retabliren und 18 sollte ich ihre Wälle und alten Wallgeschütze in Schutt und Trümmer schießen. Das fehlte noch, daß städtischer Pöbel das Gesetz dictirte.«

Ein Adjutant meldete, daß von den Thürmen von Brieg fortwährend Raketen und Feuerzeichen in die Lüfte stiegen!

Neipperg sah befremdet auf: »Man soll hier den Kirchthurm besteigen und sehen, was sich in der Gegend zeigt.«

»Ich habe die Großtürken Ordre pariren lehren,« sagte der Feldmarschall dann, indem er mit Brown anstieß, »ich werde auch mit diesen preußischen Heiden fertig werden.«

Da drängten Offiziere und Husaren ins Zimmer mit dem Rufe: »der Feind! der Feind! Schon sind seine Dragoner mit den Husaren handgemein geworden, die Avantgarde ist nicht mehr allzuweit, von ferne her blitzen die Colonnen der Armee.« Neipperg läßt Messer und Gabel aus der Hand fallen und springt vom Stuhle auf. »Man rufe den General Römer!« Ordre auf Ordre – die Adjutanten sprengen zur Rechten und Linken und raffen aus den Dörfern die Truppen zusammen. Römer erscheint, ein Sachse von Geburt, gewandt und feurig, und rasch auf ein Blatt Papier wird die Aufstellung des Heeres hingezeichnet, der Schlachtplan entworfen. Der 19 Augenblick drängte zur Hast, es war nicht Zeit zum Zögern, wie es sonst wohl Brauch war im Heere der Königin. Nicht lange währte es, so standen auch die Oesterreicher in Schlachtlinie aufmarschirt, Schulenburg gegenüber der General Römer mit seinen Reitern.

Und nun beginnt der Donner der preußischen Geschütze, den Lärm der Trommeln und die Regimentsmusik übertäubend, und ein Hagel von Geschossen sprüht in die Reihen der Oesterreicher.

Wem schlägt das Herz nicht in der ersten Schlacht! Auch Arthur war in höchster Erregung; er dachte an den Tod, doch das war ein dumpfes Denken. Der Tod ist ja überall, wenn er auch heute seine Gewalt verhundertfacht. Unabwendbar ist der Schauder vor der Vernichtung, aber er gewinnt nicht Macht über die Seele. Doch Feuer in alle Adern gießt die Hoffnung des Sieges, getragen von den schmetternden Klängen, von dem Donner, der die Erde erschüttern macht, und wie mit Blitzen hingezeichnet ins Schlachtgewölk liest Arthur die Namen: Friedrich, Rheinsberg, Agnes!

Jetzt hält Schulenburg den Augenblick für gekommen, nach Hermsdorf seinen Flügel auszudehnen; die feindliche Cavallerie steht im Kugelregen, keine Geschütze sind zur Hand, um die Donnergrüße der Preußen zu erwidern; die preußischen Dragoner, Carabiniers 20 und Gensdarmen traben mit halber Schwenkung dem Thurme von Hermsdorf zu.

Noch blitzt es nicht aus dem österreichischen Reitergewölk; still lagert die Wetterwolke mit ihren bunten Rändern von Panduren; Roß und Reiter stürzt im Eisenhagel, der Säbel zuckt in der Hand vor fieberischer Ungeduld. Sollen wir hier stehen, uns zerschmettern lassen wie Waldstämme, in welche der Blitz und Donnerkeil fährt? Und wir könnten doch wie der Sturmwind hinüberbrausen, hinter uns im Bügel die eiserne Rache! Wie schnauben die Rosse, wie schauert's durch die Glieder, wenn hier und dort der Tod einkehrt, eine klaffende Lücke reißt und solch ein herrliches Standbild von Roß und Reiter im blitzenden Harnisch zu Boden sinkt. »Rache, Rache!« braust es dumpf durch die Schwadronen; »stillgestanden!« donnert der General und wieder sinken sie rechts und links aus den Bügeln und zerschmetterte Rosse wimmern den Todesgruß.

O könnte Dein Blick aus der Hofburg hier herüberschweifen, stolze, schöne Königin von Ungarn! Wie würdest Du jedem Deiner herrlichen Reiter eine Thräne weihen, aber auch mit welchem Triumph würde Dein Auge ruhen auf diesen prächtigen Regimentern, die wie ein unhaltbarer Sturmwind des ungezügelten Losbruchs harren! Wie blitzen die Panzer 21 der erzgegossenen Kürassiere, der wuchtigen Reiter, gewöhnt an zermalmenden Angriff; wie leuchten gleich buntem Abendgewölk die Regimenter der Husaren, der eingebornen Kinder der Pußta, der Centauren der Steppe, Roß und Reiter zusammengewachsen, ein Blitz der Vernichtung! Und ihnen zur Seite wirbeln die dumpfen, türkischen Trommeln der Panduren und tönen ihre Schalmeien. Die stolzeste Zucht aus allen Steppenländern der Krone hebt wiehernd die Häupter, schüttelt schnaubend die Mähnen, und fortrollen die preußischen Donner und schmettern die Reihen nieder!

Ungeduldig hebt sich der schlesische Adel im Bügel, er will die Erblande seiner Königin vertheidigen. Hier commandirt der Obrist Freiherr von Seherr-Thoß sein Regiment, dort der Graf Schafgotsch seine Schwadron; hier befehligen die Sternberg, die Zettritz; doch alle harren still und dumpf im Kugelregen aus und können nichts anderes thun, als die Todten zählen.

Endlich! Römer hat die halbe Schwenkung der preußischen Cavallerie, den Ritt nach Hermsdorf bemerkt – er giebt das Zeichen zum Angriff.

Und zum Kanonendonner ertönt ein anderer; viele tausend Rosse stampfen den Boden, daß die Erde bebt; wie ein beweglicher funkelnder Regenbogen 22 entfaltet sich die österreichische Cavallerie und stürzt auf die Schulenburg'schen Escadrons. »Heiliger Eugen und Marlborough,« ruft der sieggewohnte Kämpfer von Oudenarde und Malplaquet, als er den heranbrausenden Wirbel erblickt, um die ungünstige Lage seiner seitwärts gewendeten Schwadronen bekümmert. Das Commandowort: »Front!« tönt durch die Reihen; in der That, die Reiter werfen die Rosse herum, doch sie sehn in die endlose Sturmwolke, die auf sie losbraust, wie der Wüstenwanderer in den rothglühenden Wirbel des Samum. Schon werden die Vordersten handgemein, die Säbelhiebe schwirren durch die Luft, die Carabiner knattern, aber mit dem furchtbaren Gewicht der Schwere und beflügelter Schnelligkeit zugleich dringen die dreißig Schwadronen auf die preußischen zehn, durchbrechen sie, überflügeln sie, reiten sie nieder und jagen sie in wilde Verwirrung.

Schulenburg starrt wie in einen unglaublichen Traum; die Geister von Eugen und Marlborough, seine Schutzgeister verlassen ihn; er sieht nur das Eine, das Gespenst einer Niederlage. Schon jagt ein Theil der geschlagenen Reiter die Front des ersten preußischen Treffens entlang, schon flüchten sich andere in den Zwischenraum zwischen die beiden Treffen; aller Zusammenhalt ist gelöst; am festesten steht noch Schulenburgs eigenes Regiment. »Schimpf und 23 Schmach,« wettert der General, »vorwärts, vorwärts!« Arthur reitet an seiner Seite, die Reihen schließen sich wieder und an der Spitze seines Regiments stürzt sich der General und sein Adjutant in schwunghaftem Ansturm auf die österreichischen Panzerreiter. Da giebt's einen ehrlichen Reiterkampf, Hammer und Ambos wie in der Schmiede Vulkans; wuchtige Hiebe fallen von beiden Seiten; es rasselt wie dichter Schlossenfall auf Helme und Harnische; Reiter sinken unter die bäumenden Rosse. »Hoch Maria Theresia!« tönt der Sterberuf der stattlichen Kürassiere, »Hoch Friedrich!« der befeuernde Schlachtruf der Schulenburg'schen Dragoner. Mann gegen Mann ringt im Einzelkampf und in diesem zusammenbrausenden Wetter von blitzendem Stahl und schnaubenden Rossen, in diesem Chaos der Massen, das für den Draußenstehenden nur eine endlose Verwirrung scheint, verbirgt sich der hundertfache Zweikampf der Iliaden. Der getroffene Dragoner greift noch zu seinem Carabiner und schießt den Feind in die Brust und wie ein Feuerwerk des Todes sprüht es und knattert es unter der funkelnden Bewegung der gekreuzten Säbel hervor. Der Säbel eines Kürassiers, aufgefangen von Arthurs schleuniger Parade, streift noch dem General das Gesicht, doch dieser kümmert sich nicht um die leichte Wunde, Arthur hat in kühnem Kampf den Eisenreiter 24 vom Roß gestürzt. Die Dragoner gewinnen vordringend an Terrain; noch ist nicht Alles verloren!

Da braust und schnaubt es von Neuem heran; die Husarenregimenter dringen den Schulenburgern in die Flanke in geschlossenem Ansturm, während zerstreut die Panduren bei dem Lärm ihrer türkischen Trommeln, von allen Seiten anschwärmend, ihre langen Gewehre abfeuern. Da erlahmt der Angriff der preußischen Reiter vor der Uebermacht; eine Kugel aus einem Pandurengewehr trifft Schulenburg in's Herz; sterbend glaubt er sich in den Schlachtlärm von Oudenarde und Malplaquet versetzt. Das sind sie ja, die Reiter des Prinzen Eugen, die er einst selbst ins Feuer geführt; jetzt brausen sie über ihn hinweg, die wilde Jagd des Todes, und ihm ist's, als neigte sich die Gestalt des kleinen Prinzen, die er so oft herbeibeschworen, über ihn mit den vorwurfsvollen Worten: »Warum gingst Du in's Lager unserer Feinde?« Dann aber kam ein anderer, der alte König mit dem Stock und mit der Thonpfeife im Munde, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Armer Schulenburg!«

»Mollwitz, Sieg!« waren die letzten Worte des sterbenden Generals.

Arthur kämpfte heldenmüthig mit einigen Getreuen um die Leiche seines Generals . . . vergebens! Wieder 25 begann ringsum die haltlose Flucht, alles mit fortreißend . . . wer konnte die Rosse halten oder bändigen, die in entfesseltem Lauf, eins dem andern ein wildes Beispiel, zurückjagten?

Da sah Arthur eine kleine Schaar von Reitern sich wehrend gegen den Strom, aushaltend, beschwörend! Dort auf dem gewaltigen Schimmel, in unvergeßlichem Augenblick, der König, die Züge bleich, das Auge verschleiert, merkwürdige Furchen in's Gesicht gegraben, wie gealtert um Jahre, angstvoll den Blick umherwerfend, als sähe er neben den Leichen von Roß und Reiter Krone und Scepter und sein Königreich auf dem Schlachtfelde liegen.

Schwankend zwischen Wuth und Verzweiflung hielt er den flüchtigen Reitern seinen Degen vor. Alles vergebens! Noch war es nicht der Feldherr, der den Sieg an seine Fahnen gebannt hatte; es war nur der König; doch das Scepter allein wiegt nicht in der Wagschale der Schlachten; die Majestät erlosch hier in der brausenden Flucht, wie eine Fackel im Sturm.

»Alles verloren, Schlesien verloren!« rief Friedrich in dumpfer Verzweiflung.

»Retten Sie dem Preußenlande seinen König,« sagte Schwerin, »verlassen Sie das Schlachtfeld! Noch lebt der alte Gott, und ich vertraue auf ihn!«

26 Zögernd sah Friedrich auf die vorüberjagenden Escadrons; eine Hoffnung nach der andern zerstäubte mit ihnen; er schüttelte stumm Schwerin die Hand und wandte seinen Schimmel, hinter sich den Musketen- und Geschützdonner der entbrannten hoffnungslosen Schlacht, im Herzen nur den einen, unausdenkbaren Gedanken: »Alles verloren!«

Der König und sein Gefolge kamen wie Schatten vom Schlachtfeld . . . sie eilten mit verhängtem Zügel immer weiter in die Dämmerung, in die Nacht! Eine verlorene Krone – wer wird sie aufheben!

Arthur ritt neben Schwerin und bat um den Auftrag, die geschlagenen Reiter hinter der Reserve zu sammeln und dann auf den linken Flügel zu führen, wo Obrist von Posadowsky noch ungebrochen, ja unangegriffen mit seinen Reitern an den Niederungen des Laugwitzer Baches stand. Der Feldmarschall billigte den Plan und ertheilte ihm Ordres für die Commandeurs. Arthur flog den Reserven zu, die unter dem Commando des jungen Dessauer Erbprinzen hinter den beiden Treffen hielten. Hier fand er bereits einzelne Escadrons der Reiter wieder gesammelt, wenn auch schwach an Zahl durch die vielen Versprengten, und eilte von einem Führer zum andern, sich seines Auftrages zu entledigen.

27 Nicht wechselnder ist der Wolken Zug und Beleuchtung um hohe Berggipfel, als das Bild einer Schlacht. Kaum hatte Friedrich den Kampfplatz verlassen, als der stürmische Anprall der österreichischen Reiter, nachdem sie auch die Batterien des ersten Treffens erobert und die Kanoniere niedergehauen hatten, plötzlich gebrochen wurde, gebrochen durch die eiserne Mauer der preußischen Grenadiere und ihren Todesmuth! Mitten unter den zerstäubten Reitern des linken Flügels standen die eingeschobenen Bataillone, unbekümmert um die Verwirrung von Roß und Reiter, um die Lücken, welche die fortgefegten Escadrons zwischen ihnen offen gelassen hatten, und feuerten ihre Salven wie auf dem Exercierplatz in das bunte Reitergewölk der Steppen.

Da commandirt Winterfeldt seine Grenadiere; er achtet seiner Wunde nicht. Sie sparen das Pulver, bis der Reiterschwarm sich der ersten Linie nähert; dann bricht das Pelotonfeuer los und das gefällte Bajonnet empfängt die bäumenden Rosse. Fünfmal stürmen sie heran, die blitzenden Reitergeschwader. Fünfmal bricht sich die brausende Brandung an der unbezwinglichen Klippe und die zerschellte Flut schäumt zurück. Der Tapfersten Einer empfängt der General von Römer die Todeswunde.

28 Da tönt der Trommelschlag der österreichischen Infanterie; sie rücken vor; Feind gegen Feind; ein Kugelregen hüben und drüben, endloses Pulvergewölk zwischen den Heeren, durch welches der Tod sich die Bahn bricht; doch verschwenderischer streut die preußische Muskete den Tod aus, und schon bauen die Oesterreicher sich Schutzwälle aus ihren Tornistern, hinter denen sie hervorfeuern; denn wer kann dem Kugelregen der preußischen Grenadierbataillone widerstehen?

Schwerin ermuthigt, hin- und herreitend, die Regimenter; die Schlacht ist zum Stehen gekommen; wird ein Sieg errungen, so schreibt ihn der bescheidene Held sich nicht selbst zu, sondern nächst Gott einem wackeren Sieger, der auf dem Schlachtfeld nicht zugegen ist; dankbaren Sinnes denkt er des alten Dessauers, der dem preußischen Heere den eisernen Ladestock gegeben. Der eiserne Ladestock gegen den hölzernen, – fünf Schüsse gegen zwei . . . das ist preußische Uebermacht, das ist Austria's Verhängniß!

Und sonst behaglichem Lebensgenuß ergeben, hadert heute der österreichische Feldherr in verwegenem Zweifel mit dem Gott der Schlachten; er frägt wie ein Schwarmgeist, der sich gegen des Himmels Fügung auflehnt, ob sie dem besseren Ladestock oder der gerechteren Sache den Sieg verleiht? Dem besseren 29 Ladestock! . . rasselt's von drüben durch die preußischen Bataillone und Schuß auf Schuß giebt die Antwort.

Noch einmal, da seine Fußtruppen versagen und erlahmen, ruft Neipperg die Reiter in's Feuer, verstärkt durch einzelne Escadrons Berlichinger von seinem rechten Flügel; es gilt den letzten Todesstoß in's Herz der preußischen Bataillone. Noch einmal ein Ansturm mit gesammelter Kraft; noch einmal dröhnt die Ebene von den Rosseshufen und vom vielsprachigen Schlachtruf der Reiter aus allen Kronländern, der Nachkömmlinge der asiatischen Steppensöhne, der Magyaren aus ihren Pußten, der Croaten von den Thalweiden der Mur, der Seressaner aus den türkischen Grenzlanden an der Donau. Wie ein Sturmwind jagt es durch die Mollwitzer Ebene; doch da stehen sie fest im Boden wurzelnd, die zähen Brandenburger, die unerschütterlichen Pommern und die braven Preußen von den Bernsteinküsten, fest, wie einst auf demselben schlesischen Boden die deutschen Völker bei Wahlstatt den asiatischen Reitersturm der Mongolen brachen. Die Ladestöcke rasseln, die Salven schmettern; wie eine zum Tode getroffene Schlange zuckt der Reiterangriff zurück, und die Verwegensten, die mit geschwungenem Schwert sich dicht an die von Bajonneten starrenden Reihen wagten, taumeln durchbohrt mit ihren Rossen in den Staub.

30 Die Preußen feuern jetzt hinter einem Wall von Leichen, wie die Oesterreicher hinter einem Wall von Tornistern.

Die zurückgeworfenen Reiter sammeln sich in der rechten Flanke der Preußen: es gilt den letzten, verzweifelten Versuch, diesen in den Rücken zu fallen. Wieder wogt der Reitersturm aus der entgegengesetzten Gegend der Windrose heran; doch der junge Dessauer Erbprinz hat scharfen Blick und schnelles Commando. Seine Regimenter machen Front gegen den heranrückenden Feind; auch hier begrüßt ihn die verderbliche Salve, und das doppelköpfige Heer der Preußen, starrend von Bajonneten hier und dort, sendet den Tod nach beiden Seiten aus.

Da fliegt die österreichische Reiterei nur noch wie ein wildes Flugfeuer im Rücken der Preußen umher; die Raublust der Panduren hat sich ihrer bemächtigt; sie verbrennen das preußische Gepäck, sie stecken die Kirche von Pampitz in Brand . . . und die rothe Flammenglut des brennenden Kirchthurms leuchtet über das Schlachtfeld und mischt sich am Himmel mit der Glut des hereinbrechenden Abends.

Indes lichten sich die Reihen der österreichischen Bataillone vor dem verderblichen preußischen Schnellfeuer; wie Schafe bei dem Gewitter drängt sich alles hinter- und ineinander, und immer weitere Lücken 31 bilden sich. Hier weichen Bataillone zurück und wollen sich nicht wieder in die offenbare Vernichtung führen lassen. Stundenlang währt bereits das Gewehrgefecht, in welches die überlegene Artillerie der Preußen immer entscheidender eingreift. Schon beginnt das Pulver zu fehlen; und damit das Werk des Todes nicht stocke, übt man Leichenraub und nimmt den Gefallenen die Patronen.

Da kommt über den frommen Grafen, der die Geschicke des preußischen Heeres lenkt, der Feldherrngeist wie ein Geschenk seines Gottes, an den er sich im stummen Gebete wendet; ihn erfaßt der ungestüme Genius jenes schwedischen Karl, bei dem er ein Jahr lang zu Besuch war, erhört im Geist den Trommelschlag, der den Sturmschritt von Narwa begleitete. Der Feldmarschall Schwerin, der die Zerrüttung des österreichischen Heeres erkennt, nimmt zum Gebet den Hut ab; die Offiziere seines Stabes folgen seinem Beispiel; es ist ein Augenblick, aber in ihm liegt die Entscheidung. »Vorwärts,« tönt das Commandowort des Feldherrn, und sein Echo von Regiment zu Regiment; da wirbeln die Trommeln, da schmettert die Regimentsmusik, da wehen im Abendwind die Brandenburger Fahnen und wie sich die weite Linie schnurgerade vorwärts bewegt, blitzend in den letzten Strahlen der Sonne, wie im Parademarsch, während ihre Salven tönen 32 wie Donner in den Gebirgen, da scheint es der widerspruchslose Siegesmarsch der Preußen und der alte Friedrich Wilhelm, im Gewölke thronend, würde seine Freude haben an diesem tadellosen Exercitium auf dem Mollwitzer Feld.

Den Oesterreichern aber sinkt der Muth, es liegt etwas Bewältigendes in diesem preußischen Anmarsch, in diesen festgegliederten Massen, von denen nichts losbröckelt, während ihre eigenen Linien in voller Auflösung begriffen sind.

Auch auf dem linken Flügel der Preußen dringen jetzt die Reiter Posadowsky's vor, denen sich viele der geschlagenen Schwadronen des Schulenburg'schen Regiments angeschlossen haben, da wo der Laugwitzer Bach durch schlammige Niederungen fließt, welche der von der Frühlingssonne geschmolzene Schnee noch morastiger macht. Hier kämpft dicht am Rand des Baches Arthur mit tapferen Genossen um die Regimentsstandarte der Hohenembser Kürassiere; ein Hieb trifft seine Stirn, doch der Wunde nicht achtend dringt er auf den Gegner ein, trifft ihn mit gewaltigem Hieb, daß er vom Pferde stürzt und entreißt ihm die Fahne. Gleichzeitig dringen die Schulenburger siegreich vor; doch Arthurs Schecken stürzt über einen Weidenstummel; die Standarte in der Hand sinkt er hilflos unter das Pferd, das sich nicht mehr 33 erheben kann, so wenig er es vermag, die Last desselben abzuschütteln.

Ferne tönte der Sturmmarsch der preußischen Regimenter und ihre Salven, immer weiter vorwärts . . . es war der Sieg! Dort die Schlacht . . . hier das Schlachtfeld in unheimlicher Dämmerung.

Das Blut rieselte von Arthur's Stirn herab; er konnte es sich nicht fortwischen . . . krampfhaft hielt er die Standarte fest mit dem freien Arm . . . sein Pferd wieherte und wimmerte. Ringsum lagen Leichen und Verwundete. Das Stöhnen in der Nähe unterbrach den Siegeslärm in der Ferne. Dort am hohlen Weidenstamm, der sein Ruthengestrüpp in den dämmerhellen Abendhimmel streckte, lag Freund und Feind wüst übereinander gehäuft. Erlkönigs Schatten schien über den alten grauen Weiden und den blutbefleckten jungen Erlen zu schweben, welche ihre grünen Blüthenkätzchen trotz des Aprilschnees erschlossen hatten. Getödtete Pferde bildeten Brücken über den Bach . . . andere galoppirten reiterlos umher, doch schonten ihre Hufe die Verwundeten.

Es war eine bunte Reihe von Bildern, die das fieberisch erhitzte Gehirn des Verwundeten bevölkerte. Er dachte des errungenen Sieges, denn der Sturmmarsch war längst von der schmetternden Musik abgelöst worden, welche die preußische Victoria 34 verkündete, und von Mollwitz herüber, wo der Oesterreicher Hauptquartier gewesen war, tönte der Siegesruf der preußischen Regimenter; er dachte des Königs, der seinem ersten Sieg aus dem Wege geritten war und vor dessen Seele auf einsamem Dämmerungsritt noch immer die düsteren Bilder hoffnungsloser Niederlage schweben mochten . . . o könnt' er ihm die entzückende Botschaft bringen . . . wie viele Rosse würde er zu Tode reiten, um diesen Freudenstrahl in den edlen Zügen des Fürsten zu sehen, das Morgenroth der Zukunft Preußens, die sich auf dem Mollwitzer Schlachtfeld vor ganz Europa glorreich erhebt!

Dann dachte er seiner Liebe, seiner Agnes . . . wie wird das holde Mädchen jauchzen über diesen Sieg . . . und hat sie nicht auch einen Lorbeer für ihn? Ob er die Stirn des Lebenden oder des Todten schmücken wird . . . wer weiß es; doch es ist Segen der Liebe für Leben und Tod!

Der Kriegslärm verstummte drüben . . . auch in der Nähe; seltener wurde das Stöhnen der Sterbenden; es waren stille Männer geworden. Da regte es sich, seitwärts von Arthur, hinter einem verkrüppelten Weidenstamm; eine Gestalt richtete sich empor und brach wieder zusammen; doch ein Paar Augen, halb gebrochen und dann wieder aufleuchtend mit 35 fieberischem Glanz, funkelten wie die Augen eines Raubthieres zu ihm herüber. Es war ein Hohenembser Kürassier; es war der Standartenträger, den er vom Pferde gestürzt hatte . . . er hatte die Regimentsstandarte erblickt und wollte mit letzter Lebenskraft die verlorene Trophäe wiedererobern. Arthur sah machtlos in das Auge des Todes, wenn dieser nicht vorher Gewalt gewann über den lauernden Feind. Unter der Wucht des Panzers brach der Schwerverwundete zusammen; noch einmal richtete er sich auf, holte mit dem Säbel aus zum Hieb, doch war er zu weit entfernt, um zu treffen, und von der Anstrengung sank er wieder zu Boden. Da hörte Arthur den Pistolenhahn knacken, und gleich darauf pfiff eine Kugel über seinen Kopf hinweg. Dann vernahm er nur noch das Stöhnen eines Sterbenden und alles wurde still. Es war der letzte Versuch des zum Tode getroffenen Oesterreichs, auf dem Mollwitzer Schlachtfeld eine Fahne zu erobern.

Ueber Arthur's Stirn waren die Schatten des Todes geflogen; nicht im Getümmel der Schlacht, hier als ein preisgegebenes Opfer, dem die lauernde Vernichtung Schritt für Schritt näher kam, hatte er ihre Nähe empfunden; doch er wußte kaum, ob es ein Bild seiner Fieberträume war, was ihn da mit funkelnden Augen angesehen hatte.

36 Inzwischen kamen die Sterne klar und kalt am Himmel heraus . . . der Nachtfrost schauerte auf die Erlenkätzchen nieder . . . und über die Uferwellen des von Schneewasser geschwollenen Baches legte der verspätete Winter eine leichte Decke. Arthur fühlte die Kälte bis in's Herz hinein . . . das Roß über ihm regte sich und schüttelte schnaubend die Mähne . . . . wehe, wenn es sich zermalmend hin- und herwarf!

Da tönte der Schritt von Bataillonen; es waren die Kleist-Grenadiere, welche in dem Dorfe Laugwitz nächtigen sollten; sie näherten sich der Wahlstatt am Bach. Arthur hörte es wie im Traum; dann sah er plötzlich über sich geneigt ein ihm wohlbekanntes Antlitz, geschwärzt vom Pulverrauch; zwei freundliche Augen blickten ihn an; ein tüchtiger Kernfluch bewies ihm, daß der über ihn sich neigende Riese nicht zu Erlkönigs Schatten gehöre. »Alter Junge,« rief die gemüthliche Stimme Hans Leopold's, »das ist ja eine vertrackte Lage, in der ich Dich wiedersehe! Donnerwetter, Kerls, angefaßt!« Vorsichtig wurde auf sein Commando Arthur von der Last des Pferdes befreit; als man ihn forttrug, schwanden ihm die Sinne. Hans Leopold von Schweinichen aber ging treulich an seiner Seite und zeigte triumphirend den Hauptleuten und Lieutenants der Kleist-Grenadiere 37 die von seinem Freunde Seidlitz eroberte und krampfhaft festgehaltene Standarte. »Das ist ein Kerl,« sprach er mit Rührung und Begeisterung, »ich kann stolz sein auf meine Freunde und das preußische Heer auf solche Offiziere.« 38

 


 


 << zurück weiter >>