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Siebzehntes Kapitel. Ernsthafte Dinge.

Am Tage vor dem Abtanz früh beizeiten wurde Tante Franz erwartet.

Hans und Karl waren wieder Schuljungen, das Abholen verging ihnen also; Fräulein Meyners, die himmelhohen Respekt vor der sagenhaften Tante hatte, konnte sich nicht von den Küchenvorbereitungen trennen, nur Franz war fähig, Emmy nach dem Bahnhof zu begleiten.

»Nun sind wir sieben,« sagte der kleine Mann, – Mohrchen wurde zumeist als Nummer eins von ihm gezählt – »und geht keins weiter mit, ist das nicht schäbig?«

»Bewahre,« antwortete Emmy ernsthaft, »wir zwei sind nie schäbig, und Papa kommt auch noch.«

Auf der Brücke holte der Vater sie ein, und gleich nach ihm kam auch Mike gelaufen, atemlos, mit dem Doktor einen Gruß wechselnd, wie zwei tun, die sich kurz zuvor schon getroffen haben.

»Ich wollte die Tante auch gerne begrüßen,« sagte sie halb verlegen; erst auf des Doktors: »Recht so, Mike!« wurde ihr Gesicht heller, und Franz konnte nun seine Neuigkeiten anbringen.

»Tante Mike, wenn du gar nicht kommst, fallen meinem Baum seine drei Aepfel doch noch ab, es ist aber nicht schön von dir.«

Da in diesem Augenblick Hans und Karl, die Frühstückspause nützend, auch noch herbeigestürmt kamen, so war der Empfangslärm ganz so groß, wie ihn Tante Franz erwartet hatte; sie litt geduldig ein Vierteldutzend Umarmungen, dann hatte sie genug, wehrte sich und rief nach ihrem Handkoffer.

»Den hat natürlich die Mike; nun, Mädel, wie geht's? Nicht nach Buchberg gekommen, diesen Sommer? Tanzstunde vorgezogen – he?«

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Tante Franz litt geduldig ein Vierteldutzend Umarmungen, dann hatte sie genug.

Mike lächelte, Hans aber entriß ihr in diesem Augenblick den Handkoffer. »Na, das fehlte noch, daß Sie sich so egal plagen – Emmy denkt eben an nichts.«

Erst das allgemeine Gelächter ringsum machte ihm klar, daß dieser Handkoffer doch mehr seine als Emmys Sache sei, und nur, daß er jetzt schleunigst wieder nach der Schule stürmen müsse, entschuldigte ihn einigermaßen.

»Zieh hin, du langer Unhold,« rief ihm, als er sich mit Karl wieder empfohlen hatte, Tante Franz noch nach, »ich sehe schon, du bist trotz der Tanzstunde mehr Schulfuchs als Ritter.«

Inzwischen wurde durch einen kräftigen Dienstmann die Kofferfrage gelöst und Emmy konnte Mike flüsternd fragen: »Wie geht's deinem Papa?«

Mike sah unwillkürlich nach dem voranschreitenden Doktor, als müsse der von Rechts wegen antworten, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich werde nicht klug draus, Mi–, gestern dacht' ich, es ginge hübsch vorwärts. Papa war heiter und ließ sich gern erzählen, über Nacht aber kamen dann wieder die Schmerzen, und es war schrecklich. Weißt du, er quält sich so und will uns nichts merken lassen, man merkt's aber doch und möchte immer weinen. Erst gegen fünf hat er ein bißchen geschlafen. Ich war nur froh, daß Mama erst kam, wie's besser war.«

»Hast du denn gewacht?«

Mike nickte und blickte auf die Vorübergehenden, ohne etwas andres zu sehen, als den Vater auf seinem Krankenbett. »Ja,« antwortete sie, »heute nacht will Mama aufbleiben, Kläre kann nicht, sie hat zu viel Abtanzkleider zu nähen, sie ist Mitternacht immer so todmüde, daß ihr die Augen von selbst zufallen.«

In diesem Augenblick wandte sich Tante Franz nach den Mädchen um. »Nun, wie steht's,« sagte sie, »kommt die Mike mit zu uns?«

Mike schüttelte den Kopf; Doktor Olfers ersparte ihr die Begründung des Kopfschüttelns, er sagte: »Nein, sie brauchen die Mike zu Hause,« und sie benützte den günstigen Augenblick zum Abschiednehmen.

Auf Olfers Gartenschwelle gab es feierliche Begrüßung durch Fräulein Mathilde, die ihre Bange vor der berühmten Tante unter einer höflichen Würde verbarg. Franz bewaffnete sich mit einem zurechtgestellten Willkommstrauß und sagte sehr brav ein Verschen auf, dessen Ursprung auf Karl führte, obwohl der später abwehrend erklärte, Blödsinn treibe er nicht, er habe keine Lust, gehänselt zu werden, wie der Dichter Wiese.

Franzen bekümmerte der Dichterstreit wenig, er hatte seinen Vierzeiler aufgesagt, sein Lob von der Tante geerntet und verschwand nun in den Himbeerbüschen, wo die letzten roten Früchte als Freibeute galten.

Die andern gingen ins Haus, Emmy geleitete die Tante nach dem Fremdenzimmer, und als sie mit ihr allein war, riß sie die Sehnsucht nach Aussprache, die Hoffnung, Hilfe zu finden, zu einer stürmischen Umarmung hin.

»Na, na!« sagte Tante Franz, erstaunt ob des Ungewohnten. »Was ist denn los? Heraus mit den Kümmernissen!«

Emmy errötete und stammelte: »Ich bin so froh, daß du da bist, nun mußt du sehr lange bleiben.«

Tante Franz schüttelte lachend den Kopf. »Behüte, ich hätte Zeit! Künftigen Mittwoch zieht mein neuer Gärtner ein; ich habe auf ein Jahr eine Perle gemietet, die mir unser schönes, heruntergekommenes Gartenland in die Höhe bringen und den Hausmannssohn anlernen soll, da heißt's keinen Tag verlieren. Also wer was von mir will, komme bald.«

»Ich komme schon, Tantchen, wenn auch nicht jetzt, wo Papa mit dem Frühstück wartet.«

Vor Tisch konnte sie ihr Herz nicht ausschütten, während dann die älteren Herrschaften das nachdenkliche Nachmittagsstündchen hielten, lief sie auf einen Husch zu Hennings, und als sie von dort zurückkam, eilte sie geradewegs in des Vaters Zimmer und berichtete ihm mit fliegenden Worten, daß Mike nicht mit zum Abtanz kommen wolle.

»Papa, du mußt ihr sagen, daß sie mit kann, sie beruhigen, damit sie ohne Sorge kommt, ihr klar machen, daß man nur ein einziges Mal im Leben seinen Tanzstundenball erlebt, daß damit die erste Jugendzeit abgeschlossen wird, daß wir alle es wie einen Druck empfinden würden, wenn sie nicht käme! Nicht wahr, eine Pflegerin findet sich leicht als Nachtwacheersatz? O, einziger Papa, rede mit ihr; auch der Tugendbund wird traurig sein, und der kleine Edu hat gesagt, wenn Mike nicht mitkäme, so würde er vor Bekümmernis den ganzen Abend keinen Bissen essen.«

»Das würde dem runden Edu nichts schaden.«

»O, einziger Papa!« rief Emmy, der die Tränen in die Augen kamen, da das Lächeln, mit dem der Vater den Scherz begleiten wollte, sich sofort wieder in den Mundwinkeln verlor. »Liebster, bester Papa, wenn du ihr zuredetest, das allein würde helfen!«

Doktor Olfers strich Emmy über die Stirn. »Ich will sehen, was ich morgen den Zuständen gemäß tun kann. Wie es aber auch kommen möge, mein Töchterchen wird ihren gegenwärtigen Freunden und Verwandten den Festtag nicht verderben, wenn sie auch um die abwesende Freundin bekümmert ist.«

Emmy nickte schweigend mit dem blonden Köpfchen, küßte dem Papa stürmisch die Hand und brachte dann endlich die Worte zu stände: »Ja, Papa – ich will mir Mühe geben – o du liebster Papa!« –

Dann ging sie zu Tante Franz, um ihr alles zu erzählen, was sie um ihrer Mike willen bekümmerte.

 


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