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Viertes Kapitel. Ein Zankapfel.

Es galt nun schon für eine alte Geschichte, daß die Kränzchenschwestern keine Schulmädchen mehr waren. Sie grüßten den ehemals so sichtbarlich angeschwärmten Direktor Frederichs mit stiller Würde und redeten des Montags von Wirtschaftssorgen wie alte, erfahrene Hausfrauen.

Anna und Emmy hatten zusammen eine französische Konversationsstunde begonnen, Lili trieb mit Anna Englisch, Melanie, die sie auch dazu aufforderten, antwortete: »Sie brauche den Bücherkram nicht mehr.«

Mike wäre nun im Gegenteil gern dabei gewesen, Papa fand die Stunden jedoch zu teuer, sintemalen sie ja niemals eine kleine Gelehrte werden würde; statt dessen mußte sie an die Schneiderstunde glauben. Schwester Klara erinnerte stets von neuem daran, und als man sich drei Tage lang mit dem Aufarbeiten von Lises verwachsenem Sommerkleid gequält hatte und doch nichts Rechtes zu stande bekam, erklärte Mama, es sei wirklich das einzig Vernünftige, wenn Mike ein wenig Schneidern lerne.

»Und ich würde viel lieber kochen, ich kann das Stillsitzen gar nicht leiden, das Kniffeln und Riffeln; lieber will ich im Garten graben. Ich wollte ein Erdbeerbeet anlegen, weißt du, und eine Bohnenhecke, nun wird aus allem nichts,« klagte sie Emmy.

»Armes Miks, das Stillsitzen ist dir gewiß nicht gesund!«

»O!« Mike lachte nun doch – ihr etwas nicht gesund sein? Ihr, der nie etwas weh tat?

Emmy aber trug Papa die Sache vor, sprach ihm gleichfalls ihre Ansicht über das Ungesunde des Stillsitzens aus und bat schließlich, da er nicht gewillt war, als Hausarzt die Schneiderstunde zu verbieten, an derselben teilnehmen zu dürfen.

Doktor Olfers lachte herzlich. »Weil sie ungesund ist oder weil deine verständige Gegenwart die wilde Mike vor Schaden bewahren würde?«

»O Papa!« rief Emmy errötend, »spotte doch nicht; aber Mike wird mehr Lust haben, wenn ich dabei bin, meine ich, und mir schadet es natürlich nichts, ich sitze gern, Mike aber hat Quecksilber in allen Gliedern und muß immer umherlaufen.«

»Eben weil du gern stillsitzest, wollen wir dich nicht noch dazu ermuntern,« schloß der unerbittliche Papa, und es blieb beim Kochenlernen. Emmy stand an Fräulein Thildens Seite vorm Herd, zum Aerger der Köchin, die »es viel lieber selber gemacht hätte, als daß die Gnädigen den ganzen Tag in ihrer Küche 'rumspektakelten«.

Mike aber saß viermal wöchentlich in der Schneiderstunde, »kniffelte und riffelte«, war bald aufmerksam und fleißig, bald mit den Gedanken in Wald und Feld, infolgedessen hie und da einmal stolz über das Geglückte, meistens aber doch ein bißchen ungeduldig.

Den Montag konnte sie kaum erwarten, brachte er doch nicht nur Freiheit von dem »Schneidern«, sondern auch das fröhliche Beisammensein mit den Freundinnen.

Schon im dritten Kränzchen gab's einen Gruß aus Lausanne. Als der Umschlag feierlich in aller Gegenwart geöffnet wurde (er trug die Aufschrift: »An das wohllöbliche Montagskränzchen, zu Händen der Seniorin, Fräulein Anna Krause, im Rektoratshaus«), fand sich ein Bild des Genfer Sees, auf der Rückseite aber standen nur die wenigen Worte: »Innigen Gruß dem geliebten Kränzchen in der Heimat von der unbeschreiblich geplagten, entweder ganz dumm oder sehr gelehrt werdenden, euch aber ewig getreuen Else Rhin.«

Daß der Brief so wenig enthielt, darüber waren alle im ersten Augenblick etwas verblüfft.

»Solch ein Schlaukopf!« rief Anna, »nun, das Bild ist reizend, sie hat ihre Faulheit wenigstens sehr fein herausgebissen. Jetzt bin ich wirklich neugierig, ob die andern Mitglieder auch so sparsam mit Tinte und Papier umgehen werden. Und wißt ihr was! wir vergelten jetzt Gleiches mit Gleichem, ich habe einen Bogen mit einer allerliebsten Ansicht unsres Kurhauses, auf den schreiben wir einen zärtlichen Gruß, Versicherungen unsrer ewigen Treue, etwas Wichtigtuerei über dringende Arbeiten und darunter unsre fünf holden Namen. Rache ist süß! wenn sie dann gern etwas von unserm Ergehen wissen will, wird sie schon klein beigeben und einen großen Brief schreiben.«

Der Vorschlag fand Beifall und wurde sofort ausgeführt.

Ins folgende Kränzchen kam Melanie sehr stolz mit einem Briefe von Rose.

»Sie beschämt unsre faule Else!« hieß es, als aber Melanie zu lesen begann: »Geliebte Mela!« unterbrach sie Anna: »Was? Das ist ja an dich, nicht an uns alle?« Und Lili fiel ein: »Das finde ich empörend!«

Melanie schob die Unterlippe vor und sah sehr gekränkt aus. »Ich glaubte, ihr würdet gern hören, was sie von Berlin schreibt.« sagte sie.

»Natürlich,« fiel Anna schnell ein, »es ist sehr freundlich von dir, Mela, aber von Rose ist es nicht hübsch, sie hätte den ersten Brief an uns alle richten sollen, wenn er auch nur klein gewesen wäre; sie hat keinen Corpsgeist.«

Melanie beruhigte sich, weil man sie für »freundlich« erklärt hatte und las Roses Brief vor, der ihr sehr schön erschien.

»Geliebte Mela! Vor allen Dingen sollst Du von mir hören, obwohl ich kaum Zeit habe, kaum zur Besinnung komme! Berlin ist himmlisch! Deshalb grüße das Kränzchen einstweilen von mir. Natürlich schreibe ich ihm auch. Ich bin ja korrespondierendes Mitglied und weiß die Ehre eines solchen Titels zu schätzen. (Man fand ihn letzthin in einem Kaffee ganz entzückend und originell, unsern Gedanken, hier in Berlin! Und sie glaubten gar nicht, daß jemand in Amsel sich das ausgedacht haben könnte.)«

»So albern!« klang hier plötzlich eine entrüstete Stimme in die Vorlesung hinein.

»Aber Mike?« ließ sich eine zärtliche Mahnung hören.

Melanie begnügte sich mit einem entrüsteten Blick und las weiter:

»Also grüße meine geistvollen Montagsschwestern und berichte ihnen einstweilen von mir.

»Jetzt muß ich Dir schnell von der ersten Kaffeegesellschaft erzählen, die ich hier mitmachte, so etwas kann man sich nun freilich in Amsel kaum denken, denn es gibt nur ein Berlin. Das junge Mädchen, das unsre Wirtin war, hatte reizendes eigenes Porzellangeschirr mit entzückenden gemalten Blumen aus der königlichen Porzellanmanufaktur (doch die kennst Du nun wieder nicht, Du armer Schneck, Du mußt wirklich bald einmal hierher kommen). Die Manufaktur hat nämlich das schönste Schaufenster der Welt – so was von Porzellan – manchmal denkt man, es ist gar keins; das heißt, weißt Du, Gersons himmlische Toilettenfenster will ich doch lieber ausnehmen, die sind noch hinreißender!

»Also, auf den gemalten Tellern (wenn das Kränzchen solche Teller hätte, und jede Schwester ihre eigene Blume darauf gemalt!) lag für jeden Gast ein Blumenzweig zum Anstecken. Rosen und Veilchen, länglich an Draht gebunden, am Stiel silbern umwickelt! Wir sahen damit alle reizend festlich aus.«

»Solch eine Drahtrose finde ich unausstehlich,« bemerkte Mike, deren Widerspruchsgeist durch Roses Brief lebhaft erregt wurde.

Lili dagegen benutzte die Pause, um unter schwärmerischem Augenaufschlag zu sagen: »Ich denke es mir feenhaft!«

Melanie rief eifrig: »Ich auch!« Die prosaische Anna aber meinte: »Ja, feenhaft, aber teuer,« und Mike schnepperte beharrlich weiter: »Ich bin überzeugt, daß im Feenland die Rosen nicht angedrahtet sind.«

»Du mußt an allem mäkeln,« rief Melanie ärgerlich, wollte ihren Brief einstecken, ließ sich aber von dem allgemeinen »Oh und ah!« leicht und gern erbitten, weiter zu lesen.

Sie wurde fortan auch nicht mehr unterbrochen, obgleich die Schilderung der Genüsse, die in jenem »Kaffee« geboten worden waren: Eis, Torten, Ananasbowle, und schließlich die Beschreibung des Klavierspielers, der den jungen Mädchen zum Tanz aufgespielt hatte, Mikes und Annas Kritik noch oft herausforderten.

Mike wurde das Verschlucken dieser Kritik etwas schwer, aber ein bittender Blick Emmys stärkte sie in gefährlichen Augenblicken, und sie wurde später für ihre Enthaltsamkeit reichlich belohnt, denn auf dem Heimweg, in einem dunkeln Eckchen umfaßte sie Emmy plötzlich und flüsterte: »Du bist mein einziger Miks!«

Im nächsten Kränzchen erklärte Emmy, sie habe einen Vorschlag zu machen. Sie war sehr eifrig, hatte rote Wangen und glänzende Augen und sprach sehr lebhaft. Es handelte sich um nichts Geringeres, als um eine gemeinsame Schwimmstunde, die das Kränzchen nehmen sollte. Zweimal wöchentlich, am Montag und Donnerstag, würden sie in dem schönen Bassin, durch das der Fluß geleitet wurde, üben dürfen, Herr Olfers hatte bereits vorbereitend mit einer Lehrerin gesprochen, es fragte sich nur, ob die Mädchen Lust hätten, und ob die Eltern beistimmen würden.

Die Lust zeigte sich gleich beim Empfangsjubel, die Erlaubnis erhoffte jede, denn der Preis war mäßig, und Doktor Olfers stand im Hintergrund der Sache: der berühmte Arzt erklärte das »Wasserpatschen« für wünschenswert.

Nach dem ersten stürmischen Hin- und Herreden kam es Emmy zum Bewußtsein, daß Melanie durchaus nichts gesagt oder gefragt habe, geschweige denn mitgejubelt hätte.

»Du bist so still, Mela, fehlt dir etwas, oder gefällt dir unser Plan nicht?«

Melanie wurde dunkelrot; was in ihr vorging, die Bedenken, die in ihr aufgestiegen waren, das konnte sie doch nicht eingestehen: alle freuten sich, keine dachte daran, daß das Wasser naß sei, daß es keine Balken habe und man sehr leicht ertrinken könne – wenn sie derlei erzählte, würde man sie doch nur wieder auslachen. Sie hatte nicht den Mut, zu sagen, daß sie sich fürchte, schüttelte also heftig den Kopf und rief: »Natürlich finde ich den Plan gerade so nett wie ihr, ich freue mich nur nicht, ehe ich bestimmt weiß, ob zu Hause alle damit einverstanden sind, Papa ist immer so ängstlich.«

»Deshalb sorge dich nicht,« ermutigte sie Emmy freundlich, »wenn das ist, schicke ich meinen Papa zu ihm, der wird ihm beweisen, wie wundervoll es ist und wie gefahrlos.«

»Natürlich!« Anna Krause lachte gerade heraus, »es ist das reine Froschhüpfen und unbedingt nötig, daß man es lernt, man kann ja seinen lieben Nächsten sonst nicht mal aus dem Wasser holen, wenn er mit oder ohne Absicht hineinpladdert; dann aber:

Mutig spring' ich hinterdrein,
Denn ich schwimm' und tauche fein!«

»Du, Anna, den zeige mir vorher, den du aus dem Wasser ziehst, weißt du, du hast zwar ein Paar ganz tüchtige Arme, aber, oh, oh! das Mundwerk ist ihnen doch über, und mit dem rettest du keinen!« rief Mike und drehte sich dreimal auf dem Absatz herum, so daß Lilis frischgestrichner Fußboden zwei greuliche Hakenringe bekam.

»Ach, Lili – wie schade! – Es tut mir sehr leid,« sagte sie betrübt, »aber der Gedanke, daß unser Kränzchen unter die Lebensretter gehen könnte, ist zu schön, rein zum Totlachen, er dreht mich von selber um,« und Mike würde sich gleich mitten in ihrem Bedauern noch einmal umgedreht haben, wenn Emmy sie nicht festgehalten und auf den Stuhl gedrückt hätte.

Am folgenden Donnerstag wurden die ersten Vorbereitungen zur Erreichung dieses wunderbaren Zukunftsbildes getan. Selbst Melanie, die infolge Emmys Ermunterungen nicht gewagt hatte, sich vom Schwimmen frei zu machen, wanderte, Heldenmut heuchelnd, mit nach dem Bassin.

Da war es sehr lieblich; hohe Bäume ragten über die Einfassungsmauer, ein weicher Sommerwind kräuselte das Wasser zu kleinen Wellchen, brachte köstlichen Akazienduft aus den Nachbargärten heran und vereinzelte Töne, mit denen Spottvogel und Drossel dem scheidenden Frühling nachpfiffen.

In heiterster Stimmung wurden in den leichten Holzzellen die Schwimmanzüge angelegt; ein Klopfen herüber und hinüber unterhielt die Verbindung.

Dann sprangen sie schnell, eine nach der andern, in das »Krabbelbassin« – so nannten sie die Abteilung, die so wenig Wasserhöhe hatte, daß auch der kleinste Furchthase nicht darin ertrinken konnte, und warteten darauf, daß die Schwimmlehrerin sie an die Leine nehme.

Anna schlug vor, sie sollten einen Gänsemarsch rundum und mitten durch das Bassin unternehmen, ein kleines Kunststück, da die Bretter des Bodens schlüpfrig von angesetztem Moos und weichen Algen waren. Sie überblickte die Schar ihrer Genossinnen und zählte unwillkürlich zweimal.

»Wo ist denn Melanie?« rief sie endlich.

Wo war Melanie?

Alle vier riefen. Endlich steckte die Vermißte den Kopf aus der Zelle, ungeduldig, verweint, ärgerlich.

»Kein Mensch kümmert sich um mich, und ich komme mit dem greulichen Anzug nicht zurecht.«

Mit zwei Sprüngen war Mike an ihrer Seite; Schnepperchen war nicht nur mit dem Munde, sondern auch mit den Füßen die Flinkste. Sie schlüpfte in die Zelle und brachte in wenig Minuten den gescholtenen Anzug in Ordnung. Dann nahm sie die unmerklich Zögernde mit nach den Stufen, die ins Wasser führten.

»Komm nur, komm,« sagte Mike, gutmütig die Hand ausstreckend, »brauchst dich nicht zu fürchten, das Wasser hat hier wirklich Balken.«

Melanie warf den Kopf zornig in den Nacken: »Ich fürchte mich gar nicht,« sagte sie heftig, »du aber bildest dir immer ein, du allein habest alle Courage auf der Welt gepachtet.«

»Prr,« machte Mike, zog die Schultern ein, schüttelte sich, lachte dann und reichte Melanie noch einmal die Hand hinauf, mit deren Hilfe der sich gar nicht fürchtende Hasenfuß glücklich hinunterkam.

Aber quer durchs Wasser brachte sie keines, sie behauptete, das Gefühl der schleimigen Algen an den Fußsohlen sei ihr zu unangenehm und hielt sich am Rand, wo der Boden abgelaufen und eine Stange zum Festhalten angebracht war.

Dann kam die Lehrerin, sie band den Lernenden einen breiten Gürtel über den Hüften fest, zog eine Leine durch den Haken dieses Gürtels und ließ nun, während sie die Schülerin an dieser Leine festhielt und so gegen das Untersinken schützte, die Arm- und Beinbewegungen üben: »Die Arme geradeaus, dann das Wasser zurückdrängen, langsam, in breitem Bogen die Arme wieder an den Leib bringen.«

»Kinderleicht,« sagte Mike.

Anna begann den Reigen, und als sie im Wasser lag, sah sich die Sache schon weniger kinderleicht an.

»Paßt auf, ich habe keine Courage und mache mich furchtbar lächerlich,« sagte Lili und blickte bedenklich auf Anna, ihr leuchtendes Vorbild, die auf dem Wasser wie ein angebundener Frosch hin und her schneckelte, obwohl die Lehrerin immer wieder »langsam!« rief und gemessen »eins!« – »zwei!« – »drei!« zählte.

Wenn Anna so wenig Geschick zeigte, sah es bös aus. Ja, Anna erklärte sogar pustend, als sie aus dem Wasser stieg: »Schön sei es einstweilen noch nicht, das müsse erst kommen.«

Da nach Anna Krause sich nicht sofort eine zur Nachfolge meldete (die unternehmende Mike jagte eben ihrer Wachstuchmütze nach, die auf eine unbegreifliche Weise von ihrem Kopfe ins Wasser geraten war), so schien Emmy der Ruhm ihres Einfalls in Gefahr, sie erklärte, Annas Zappeln habe sehr verlockend ausgesehen und sie wünsche, es gleich zu versuchen, falls Melanie nichts dagegen habe. (Sie hatten vorher beschlossen, die Reihenfolge durch das Alter bestimmen zu lassen.)

Melanie gab großmütig ihr Recht auf (heimlich beschloß sie, im günstigen Augenblick die Mütze zu verlieren, wie die kluge Mike), und Emmy wurde angehängt.

Das sah nun freilich ganz anders aus; Emmys Ruhe, die harmonischen Bewegungen, die geschmeidigen, durch fleißiges Turnen von klein auf geübten Glieder kamen ihr trefflich zu statten; gleichmäßig ohne jedes Zappeln und Schlenkern machte sie ihre Armbewegungen, ja sie konnte nach kurzer Ruhepause gleich noch die Bewegungen der Beine üben.

Die Lehrerin war stolz auf sie, und Lili hatte neuen Mut bekommen; sie erklärte, jetzt ins Wasser zu wollen, es sähe wirklich kinderleicht aus.

Kinderleicht fand sie es drinnen nicht gerade, aber sie hielt sich tapfer und flüsterte nur Miken ins Ohr, eigentlich fürchte sie sich schauerlich vor dem nächsten Mal.

Mike verschmähte die Treppe, auf der die andern hinabgestiegen waren, sie hatte einen Riesenmut und patschte auf das Wasser los, als sei es ein grimmiger Feind, sie lachte, spritzte den Gefährtinnen ins Gesicht, fand die Sache überhaupt »sehr famos«, machte ihre Bewegungen aber so hastig und zappelich, daß sie zu ihrem großen Leidwesen nicht über die Armübungen hinauskam, trotz des wiederholten: »Bitte, bitte!« das sie zu der Lehrerin hinaufschickte.

»Erst eines ordentlich begreifen,« entgegnete diese, und so kam es, daß Emmy Olfers die Heldin des Tages blieb.

Als man sich jetzt suchend und rufend nach Melanie umschaute, trat diese angekleidet aus ihrer Zelle, mit der Erklärung, bis zuletzt warten wolle sie auch nicht, um dann, wenn die andern sich anzögen, hinterdrein zu trödeln und am Ende allein übrig zu bleiben. Mike sei die jüngste und müsse zuletzt kommen, aber Mike dränge sich immer vor.

Mike fühlte sich zwar augenblicklich ausnahmsweise ganz unschuldig, da es aber schon hie und da im Leben vorgekommen sein mochte, daß ihre schnellen Füße und ihre rasche Zunge sich vorgedrängt hatten, so wurde sie dunkelrot und sagte: es täte ihr leid.

Zu ändern war nichts mehr, die Lehrerin konnte unmöglich warten, bis Melanie sich wieder umgezogen hatte, und so endete die erste Schwimmstunde mit einem Mißton.

Das nächste Mal war Melanie die erste zur Stelle, sie hatte gar nicht auf das Abholen Lilis gewartet, sondern war mit ihrer Uebung bereits fertig, als die Kränzlerinnen kamen, keine erfuhr, wie sie sich eigentlich angestellt habe; sie bemerkte, es sei ein Kinderspiel, und lachte spöttisch, als Lili, bevor sie ins Wasser hinabkletterte, die Hände auf die Brust drückte und erklärte, »sie graule sich schändlich«.

Die Lehrerin lächelte allerdings vielsagend, als sie Melanies Spott hörte, und nach der dritten Stunde bereits kam Melanie überhaupt nicht mehr, ihre Mama wünsche es nicht, sie bekäme nach dem Ueben jedesmal Brustschmerzen, das Schwimmen sei eben nichts für feine Naturen.

Obwohl die Freundinnen nun allerdings argwöhnten, daß Melanies großer Mut nur Prahlerei gewesen sei, nahmen sie doch auf die Empfindliche so viel Rücksicht, sie nicht zu necken. Sie bedauerten, daß sie das Stundengeld umsonst gezahlt habe – »das ist doch einerlei,« bemerkte Melanie verächtlich, – und vergnügten sich von da an allein.

Die Ungeschickteste war entschieden Mike; ihre übergroße Lebhaftigkeit machte allen guten Willen und jede Theorie zu Schanden; sie brachte es nicht fertig, ihre Glieder nach Vorschrift zu bewegen, Arme und Beine zappelten, wie es ihnen gerade gefallen mochte.

Lili sogar konnte früher an der losen Leine um das Bassin herumschwimmen als Mike, deren Ehrgeiz unter dem steten Mißlingen immer empfindlicher litt.

Sie träumte und dachte nichts andres als Schwimmbewegungen; in der Schneiderstunde hielt sie Vorträge über Tempi und Kopfsprung, über Aehnlichkeit und Unterschied von Frosch und Mensch, aber ihre Glieder bekam sie erst dann in die Gewalt, als sie einmal in einem unbewachten Augenblick sich eins, zwei, drei! – kopfüber in das große, sehr tiefe Bassin stürzte.

Unwillkürlich regten sich ihre ungehorsamen Untertanen jetzt ganz richtig, denn da Mike durchaus nicht ängstlich wurde, wie die meisten Menschenkinder es geworden wären, die sich nicht als tüchtige Schwimmer fühlen, und außerdem schon weit mehr gelernt hatte, als sie selbst wußte, so streckten sich Arme und Beine ganz zweckmäßig durch das Wasser, und kaum merkte Mike, daß sie nicht nur oben blieb, sondern auch vorwärts kam, so stieß sie einen Jubelruf aus und ruderte behaglich quer durch das Bassin nach der Ecke, wo Lili eben an der losen Leine übte.

Jetzt erst bemerkten die andern, »daß Mike im Wasser lag«, und antworteten dem Jubelruf mit vereintem Wehgeschrei, das sich jedoch bald in Staunen und Bewunderung wandelte, als sie entdeckten, daß Schnepperchen durchaus nicht im Begriff war zu ertrinken, sondern sich so behaglich fühlte »wie ein Fisch im Wasser«.

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Mike stürzte sich kopfüber in das Wasser und ruderte behaglich quer durch das große Bassin.

Als Emmy Mikes Streich beim Abendessen zu Hause erzählte, lachte Doktor Olfers herzlich und erklärte Mike für ein entschlossenes kleines Frauenzimmer, das einmal ordentlich durch die Welt kommen werde, selbst bei Gefahr und Hindernissen, und der kleine Franzel sagte unter allgemeinem Jubel: »Wenn ich groß bin, dann werde ich Tante Mike heiraten!«

 


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