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Fünfundzwanzigstes Kapitel. Das Stiftungsfest.

Die junge Wirtin empfing die Freundinnen feierlich an der Haustüre, geleitete sie nach dem Wohnzimmer und erst nachdem alle versammelt waren, gingen sie nach Annas Zimmer; »im Gänsemarsch,« sagte Kurt, »in der Reihenfolge der Würde,« sagte die Festordnerin.

Ein Beifallsruf begrüßte die wohlbekannten vier Wände.

»Reizend!«

»Feenhaft!«

»Wundernett!«

»So hübsch auszuputzen!«

»Anna, du bist ein Genie!«

Es war wohl geraten. Rings um den Kaffeetisch lag eine Epheuguirlande, in der Sträußchen von Märzen- und Leberblümchen steckten, über dem Fenster kreuzten sich Tannenzweige, um alle Möbel schlangen sich Immergrünranken und Bruder Kurt spielte im Nebenzimmer einen feierlichen Einzugsmarsch. Als die Willkommmusik abbrach, trat Anna mit schelmisch feierlicher Miene vor die Gäste und begann:

»Vielliebe Kränzchenschwestern,
Die ihr euch fandet ein
Aus euern heim'schen Nestern
Zum traulichen Verein;
Flieder und Himmelschlüssel,
Du ferne Männertreu'
(Ich weiß es, in Gedanken
Sind jene auch dabei),
Ihr Alpenveilchen, Rosen,
Gebunden durchs Montagsband,
Ihr Ernsten und ihr Losen,
Bequem, so wie gewandt.
Du tausendschönes Wichtchen,
Du blau Vergißmeinnichtchen –
Euch will vor allen Dingen
Ich jetzt den Willkomm bringen!
Mein Vers ist meistens breit geartet.
Von Zeilen gibt's 'nen ganzen Sturz,
Drum, weil ihr so was nicht erwartet,
Faßt sich die Anna diesmal kurz.
Gebacken hab' ich Kränzchenkuchen,
Verlockend duftet der Kaffee,
Den laßt vor allem uns versuchen,
Danach die Sache weiter geh'.
Ich schweige – doch nur vorderhand –
Mein ›Willekum‹ steht an der Wand.«

Sie zog einen Vorhang beiseite, hinter dem hing ein von Kurt künstlich gemaltes Blatt, purpurn leuchtete es von goldenem Grund:

»Willkommen zum Stiftungsfeste,
Geliebte Montagsgäste!«

Anna konnte zufrieden sein. Die Mühe, die sie sich mit Ausputz des Stübchens, Knüttelversen, Willkommspruch und Kuchenbacken gegeben hatte, wurde von allen anerkannt und bewundert.

Grete konnte sich gar nicht sattsehen an dem feinen »Spinat«, wie sie necksüchtigerweise die grünen Ranken nannte.

Endlich tranken sie den festlich starken Kaffee, dann kamen die Auswärtigen zu Worte; Rose und Else lagen als Päckchen auf dem Seitentisch.

Das Schweizerpaket enthielt ein liebes kleines Briefchen und für jede Schwester ein Edelweißsträußchen.

»Hierzulande sagen die Leute: Edelweiß bringe dem Träger Glück,« stand im Brief, »möge es auch Euch recht viel Glück bringen.«

Erregte dies schon große Freude, so wurde Rose geradezu für »einzig« erklärt: sie schickte für jede einen goldnen Ring, der sich in der Mitte zu einem schön geschwungenen M zusammenschlang.

»Montag!« jubelte Grete.

»Fabelhaft!« fiel Emmy ein, und Anna sagte gravitätisch: »Unser Krösus kann sich das leisten – nun aber geht's los!«

Und nun ging es los.

Jede hatte etwas auf dem Herzen. Nach kurzem Zögern entschloß sich Lili, zu beginnen. Sie eilte hinaus und kam zurück mit einem großen Gartenhut und einem Körbchen, in dem frische Blumen lagen.

Für jede Schwester fand sich ihre Kränzchenblume durch ein buntes Band zum Sträußchen gebunden, dies überreichte Lili und sprach dazu passende Verse, mit sehr hübscher Betonung.

Natürlich hatte auch diese Verse Anna gemacht, ausgenommen die für ihre eigene Blume:

»Schneeglöckchen läutet den Frühling ein.
Das ist eine alte Geschichte,
Kaum sprießt das erste Grün hervor,
Ist's da und läutet Gedichte.
So macht es unsre Anna auch,
Die allerkleinste Freude
Schmückt sie sich schnell mit Versen aus
Als gute Dichterbeute.«

Anna wurde ein wenig rot, nahm knicksend ihren Schneeglöckchenstrauß und bedankte sich für das allgemeine Bravo.

Dann kam Hilde an die Reihe:

»Wundersüßes Alpenveilchen,
Kamst zu uns herab ins Tal,
Bist ein Gruß aus fremder Höhe
Und die Schönste allzumal.«

Mike mußte sich necken lassen:

»Was soll für Mike Hennings sein?
Zuerst fiel die Wasseralge mir ein,
Dann kam mir's zu Sinn, daß sie vielleicht
Dem wispernden, lispelnden Riedgras gleicht;
Doch 's Kränzchen sagt zu ihrem Ruhme:
Mike ist unsre Schlüsselblume.
Komm, Mike, drum im schnellsten Lauf,
Schließ, Himmelsschlüssel, den Himmel uns auf.«

»Na,« meinte Mike, »unsre Speisekammer schon eher, den Schlüssel hätte ich in der Aufregung heute beinah mitgebracht, glücklicherweise war aber Kläre nicht so rappelig wie ich, und kam mir nachgelaufen, um ihn abzufordern.«

Grete Sonderstädt bekam auch ihren Strauß, gemischt aus gemeinen und veredelten Exemplaren:

»Gänseblümchen heißt's auf den Gassen,
Tausendschön nennt mich der Kranz,
Man muß sich nur nichts gefallen lassen.
Dann besteht man immer mit Glanz.«

Emmy beschloß die Reihe:

»Blaue Fliederblüten
Hängen am Frühlingszweig,
Schwanken und wanken im Winde,
An köstlichem Dufte reich,
Aber es währt gar kurze Zeit,
Dann trägt er nur noch ein grünes Kleid,
Die duftigen Blüten verwehte der Wind –
Emmy bleibt immer ein Frühlingskind.«

Nun wurde das Blumenmädchen umringt und belobt, was es sich herzlich gern gefallen ließ. Sie erzählte, daß auch Else und Rose je ihre Blume auf einer bunten Karte bekommen hätten. Rose den Rosenzweig mit dem Vers:

»Liebe Rose, dieses Abbild
Soll als Vorbild spornen:
Diese Rose ist gar lieblich
Und hat keine Dornen.«

Elses Männertreu-Sträußchen trug den Vers:

»Beständigkeit, o schöne Zier,
Wärst eigen du dem Blümlein hier,
Das freute uns ungeheuer,
Doch ob nach kurzer Stunden Frist
Von dir nichts mehr zu finden ist:
Die Else bleibt uns treuer.«

»So, und: nun rrrr! ein ander Bild, sagt der Guckkastenmann!« Lili warf Hut und Korb zur Tür hinaus, gerade Kurt vor die Füße, der gehorcht hatte, und schon packte Grete allerliebste kleine Notizbücher aus. Sie waren in graues Leinen gebunden, trugen auf dem Rücken den Namen der Empfängerin gedruckt und innen mit schöner Schrift geschrieben (Herrn Flipsens Werk): »Kränzchengedenktage.«

»Reizend!« rief Lili, bereits zum dreihundertfünfundsechzigstenmale an diesem Nachmittag, und Mike war mit ihrem »famoser Einfall« auch schon gewiß ein halbes hundertmal zu hören gewesen.

»Still,« sagte Emmy, »jetzt kommen wir an die Reihe!« sie schlüpfte, gefolgt von ihrem Miks hinaus, wo Kurt, der halb eingeweiht war, mit einer Stange und einer Rolle wartete, die sehr geheimnisvoll aussahen.

Beide Mädchen verputzten sich ein wenig, Mike setzte einen Riesenhut auf, band einen großen, bunten Doppelshawl um, Emmy stülpte sich eine uralte Haube auf den Scheitel und knüpfte kreuzweis ein breites feuerrotes Band über die Brust – sie sahen sehr drollig aus; dann hing Mike noch eine kleine Drehorgel um und marschierte leiernd ins Zimmer.

»Komm herab, o Madonna Theresa,« spielte die Orgel gefühlvoll.

Hinterdrein ging Emmy mit der Stange und entrollte unter den gedehnten Klängen das große an ihr befestigte Bild.

»Ah« –

Auf diesem Bilde hatte Emmy, in übermütiger Karikatur allerdings, aber doch merkwürdig ähnlich, die Freundinnen abgezeichnet. In der Mitte, alle um den Kränzchentisch sitzend, ringsum jedem einem lächerlichen oder wichtigen Augenblick ihres Lebens dargestellt.

Mike, wie sie eben als Fröschlein ins Wasser hüpfte, Anna, die Feder hinterm Ohr, vergraben in einem Berg von Büchern, auf denen zu lesen stand: »Kränzchenakten«, Lili im Schaukelstuhl mit der Inschrift: » Schönster Augenblick«, Grete zwischen dem schlapphutigen Konservatoristen und dem reibenden Comptoirherrn, Emmy selbst, an dem Bänkelsängerbild malend, das sehr niedlich im kleinen wiederholt war, so daß man's deutlich erkennen konnte, Hilde aus der Buchberger Wiese Blumen pflückend, während eine Ziege die verlassene Skizze beschnuppert, Else und Rose Arm in Arm mit Lorbeerkränzen nach einer Tür schreitend, über der stand: »Hier ißt man die Bildung mit Suppenlöffeln.« Zu diesen Bildern hatten die Vortragenden Verse gemacht trotz Anna, und sangen sie nun mit guter Laune, nach der Melodie: »Freut euch des Lebens« den Lauschenden vor.

Schließlich ging Mike mit dem Teller herum, anstatt aber zu sammeln, gab sie jeder eine Münze: einen kleinen Silberzwanziger, der angehenkelt worden war und auf der einen glattgeschliffenen Seite das Stiftungsfestdatum und Emmys und Mikes Namenszug zeigte.

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Emmy entrollte unter den gedehnten Klängen der Orgel das große an der Stange befestigte Bild.

Die junge Gesellschaft wurde immer lustiger, Lili sagte jetzt nur noch »berauschend«, weil all' ihre Lieblingswörter nicht mehr ausreichten, ihren Empfindungen Ausdruck zu geben, und Mama Krause, die auf ein Viertelstündchen zum Besuch kam und eine Bowle brachte, vom ersten Waldmeister gewürzt, hatte ganz recht, wenn sie lachend sagte: »Eigentlich ist die Stimmung schon so gehoben, daß dem Maiwein nichts mehr zu tun übrig bleibt.«

Im allgemeinen Durcheinander merkte niemand, daß Anna und Lili verschwanden. Plötzlich wurde die Tür nach dem Nebenzimmer geöffnet. Soweit man es übersehen konnte, war durch zwei spanische Wände eine kleine Bühne abgetrennt; Kurt als verstecktes Orchester spielte eine Einleitung und dann begannen Lili und Anna »ihr Theaterstück«: Körners Grünen Domino. Sie spielten sehr niedlich: die große Anna sah beinahe wie ein richtiger Jüngling aus in den Männerkleidern, in die sie sich zuletzt verkleiden mußte, Kurt machte sich als Souffleur nützlich, manchmal auch etwas bemerkbar, in welchem Falle dann Anna ein lautes: »Pst!« hinter die spanische Wand schickte, aber es klappte auch alles und Lili glühte vor Entzücken, als wiederholt geklatscht wurde: »wie im Theater«!

O, wenn sie doch zum Wohltätigkeitstheater auch mitspielen dürfte! Da würden doch noch viel mehr Menschen sehen, wie hübsch sie es machte, dachte Lili. So schön es war, ihre Wünsche konnte sie auch heute nicht schlafen schicken.

Leider nahm auch dieser Tag ein Ende, aber kein Ende mit Schrecken, sondern im Gegenteil; Hilde hatte es durch weise Sparsamkeit möglich gemacht, noch mit dem »Allerschönsten« zu guter Letzt zu kommen. Als das Gute-Nachtsagen begann – es war in der zehnten Stunde – holte sie ihren Pompadour hervor, der auffallend dick war. Aus ihm kam ein viereckiges Paket geschlüpft, das sich in sieben kleine Schiefertafeln auflöste. Diese Tafeln waren auf einer Seite schwarz geblieben, bereit, wichtige und unwichtige Notizen aufzunehmen, auf der andern Seite zeigte eine jede die Kränzchenblume der Empfängerin – als wunderfeines Sträußchen auf grauen Grund gemalt.

»Verblüffend schön,« sagte Anna, Lili fand es: »pyramidal,« Miken blieb einfach das Wort im Halse stecken. Eigentlich zu Worte kam sie überhaupt erst zu Hause, als sie Papa und Mama die eingeheimsten Herrlichkeiten zeigte, und mit glühenden Wangen und leidenschaftlicher Beredsamkeit den Nachmittag mit all seinen Ueberraschungen schilderte.

»Ihr verwöhnten Mädchen!« sagte der Vater und lächelte seine Tochter an.

»Nicht wahr!« rief Mike ehrlich, »eine vollkommene Prinzessinnenbescherung. Weißt du, Papa, ich habe überhaupt nicht gedacht, daß es so großartige Tage auf der Welt geben könne. Es war beinahe zu schön, wenn nur Melanie nicht gefehlt hätte, die hat doch eigentlich voriges Jahr den Einfall gehabt, das Montagskränzchen zu gründen, weißt du, – dann wäre aber auch rein gar nichts zu wünschen übrig geblieben.«

 


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