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Sechzehntes Kapitel. Mohrchen als Held.

»Geliebte Else!

»Diesmal schreibe ich an Dich allein, denn Rose und Gänseblümchen kommen zum Abtanz, was mir eine neue, sehr gute Meinung von der Großstadtrose gibt. Dir aber will ich anvertrauen, was sich nach meinem letzten Brief noch weiter zugetragen hat. Es ist manches Schöne dabei, aber der Grundton des Lebens ist ernst, und je älter man wird, desto schwerer liegt's einem auf den Schultern.

»Mit Iduna Schmieding zum Beispiel, die meine liebsten Menschen so sehr loben, habe ich etwas Schreckliches erlebt. Sie hat unsre Verse verraten – in einem grauenvollen Augenblick entdeckte ich's, gerade als sie so süß gegen mich tat, daß sie mir beinahe gefallen hätte. Ich war so entsetzt, daß Hilde nachher neckend zu mir sagte, ich hätte auf einmal dagesessen wie ein kleiner Eiszapfen. Die Wahrheit brannte mir auf der Zunge, aber klatschen ist zu gräßlich – ich schwieg.

»Auch auf dem Bazar ist Aergerliches geschehen, trotz des Goldregens, der in unsre Kasse strömte. Aber mit Mela hab' ich mich dabei wieder völlig ausgesöhnt, sie hat gut gemacht, was sie voriges Jahr an Mike Uebles getan hatte. In einem schrecklichen Augenblick, während ich beinah erstickte an Zorn und Kaffee, und Emmy sich ins Heulen hineinritt, benahm sie sich groß.

»Am andern Tag ging ich zu ihr und forderte sie zur Helferin auf für meinen Kleinkinderschultag. Sie hatte mir ihre Lust dazu einmal angedeutet, damals aber blieb ich taub, denn ich wußte noch nicht, wie sehr sie sich verändert hat.

»Da war ich froh; gleich darauf kam ein neuer Schreck, denn es hieß, Schmiedings wollten der Tanzstunde ein Fest geben, und zwei Tage später kam richtig die Einladung. Auf einem ganz für uns allein gemieteten Dampfer eine Fahrt nach Köln! Früh Talfahrt mit Besuch des Drachenfels, Mittag in Köln, und Nachmittag Stromauffahrt, Musik auf Deck, Tanz und Beleuchtung.

»Feenhaft – nicht? Und trotzdem wollt' ich davonbleiben – durchaus, wie ein richtiger Bock! Den Tanzbärengrund kennst Du schon – außerdem hatten die Großen häßlich über Mike Hennings geklatscht, und Iduna und Gitta Schmieding hatten, die eine unsre Verse unberechtigterweise sich angeeignet, die andre sie verschwätzt. Sollte mir diese Gesellschaft passen? Ich erklärte, ich würde zu Hause bleiben.

»O, dieser Sturm! – Vater, Mutter und Onkel – (wir waren alle geladen) – begehrten gegen mich auf. Onkel Fritz nannte mich sogar eine Gans, was ich ihm verzieh um Hildes willen, denn es fiel mir mit einemmal ein, Hilde, die Zukunftstante, würde dabei sein, und ohne mich Hauptperson konnte meine Familie doch unmöglich zur Tanzstundenfahrt. Also um Hildes willen bezwang ich meinen Groll und erklärte mich zu dem Opfer bereit.

»Nun kam aber das Merkwürdigste. Emmy und Mela hatten meinen ersten Entschluß zu Hause erzählt, der Tugendbund hatte über ihn verhandelt, er war dem Verbrecher zu Ohren gekommen, und als ich am Tage vor der großartigen Kölnfahrt ahnungslos in der Laube sitze, knistert auf einmal der Kies, die Zweige rascheln, und vor mir steht ein feuerroter Schulfuchs.

»Ja, weißt Du, nun tat er mir schrecklich leid, denn ich wußte gleich, der ist's gewesen, und richtig, er sing mit einer wohlgesetzten Rede an, er habe gehört, ich wolle des ›Bären‹ wegen nicht mit nach Köln, aber da wolle lieber er zurückbleiben, denn er habe es gesagt und er sehe es ja ein, er habe keine Manieren, das komme vom Waschhaus – und nun tat er mir immer mehr leid – ich machte weder den abgeschmackten Knicks – Du entsinnst Dich, den Knicks aus dem vorigen Brief – noch rieb ich ihm die unbeeinflußten Zensuren unter die Nase, sondern tröstete an ihm herum, er solle ja mitkommen, ich käme auch, das Ganze sei Unsinn, so was führe dem besten Menschen 'mal durch die Zähne, bloß mit meinem Vater solle er künftig vorsichtiger umgehen, und nachher schickte ich ihn schnell fort, denn Papa war im Garten und schnitt Rosen für Frau Schmieding. Wenn ich ihm sonst auch alle meine Erlebnisse erzähle – dem Papa natürlich – die Tanzbärengeschichte ist nicht nur meine Geschichte, und da sich Mohrchen wie ein Held benommen hat, will ich ihn nicht noch in die Patsche bringen.

»Ach, jetzt habe ich ihn genannt – und wollte doch nicht, aber ausradieren – kratzen, verlangt Ferry Wiese – gibt einen Schandfleck, und nun kann ich ihn doch nur loben, denn auch auf der Kölnfahrt hat er sich sehr fein benommen. Beim ersten Tanz kam er und bat um ihn ›als besondere Gunst, zum Zeichen, daß ich verzeihen könne‹, und es ging so gut, daß ich ordentlich stolz auf mich bin, ich war nur ein ganz kleiner, federleichter Bär.

»Auch außerdem war die Welt an dem Tage federleicht: Luft, Sonne, Rhein – die Berge und Wellen und Wolken, alles licht, hüpfend, duftig. Die Ufer – ich hab' sie doch schon manchmal gesehen – so aber noch nie! – ich hätte ganz still beim Steuerrad sitzen mögen und schauen – hinauf ins Blaue, hinab in die Wellen, hinüber zum Ufer.

»Auch in Köln blieb's ein Festtag. Der Dom ist immer wieder, als sah' man ihn zum erstenmal; wir stiegen hinauf zum Altan, wir schauten an den Säulen empor, wir durchmaßen Schritt für Schritt das Hauptschiff, und er wurde immer größer, immer höher, je mehr wir schauten. Ich hatte gar keine Lust, gleich darauf zu essen, aber merkwürdigerweise schmeckte es doch, und die Heimfahrt war beinah noch schöner als die Hinfahrt. Denn, weißt Du, stromaufwärts geht's langsamer, und je länger es dauerte, desto besser. Mit dem letzten Zuge kamen wir singend wieder in Amsel an – ich glaube, jedes sang etwas andres, aber herrlich war's, und wenn die bewußte Duna nicht immer dabei gewesen wäre, hätte sich Onkel Fritz in diesem Mondschein sicher mit Hilde verlobt.

»Es war wirklich ein merkwürdiger Sommer, und selbst so verständigen Philisterseelen wie Deiner Anna tut's leid, daß er zu Ende ist. Denn Sorgen werde ich wohl immer haben. Auch Lili bedrückt mich mehr, als ich mir merken lasse. Sie ist beinah so in die Schmiedings verrannt wie Melanie voriges Jahr in ihre Russin – und das Ende wird hier nicht lustiger sein, als es dort war. Ich gebe zu, Frau Schmieding ist eine tüchtige Frau, immer bereit zu helfen, immer bereit, für andre einzutreten, aber diese Mädchen! ich wollte, Iduna hätte zum Abtanz den Schnupfen, damit Hilde und Onkel Fritz endlich 'mal ungestört wären.

»Auch Emmys weltberühmte Tante Franz wird zu diesem Abtanz in Amsel erscheinen, worauf der ganze Kranz sehr gespannt ist.

»Jetzt muß ich Dir auch noch schreiben, daß Mikes Papa nicht gesund aus dem Bad gekommen ist. Ein paar Wochen lang schien es, als ob er neue Kräfte habe, dann kam ein heftiger Anfall, und nun ist's schon wieder wie vor der Reise. Mike kam nicht mit zum Bazar und Klara nicht mit nach Köln, eine bleibt immer zu Hause, und Mike war auf der Fahrt eine ganz ernsthafte Mike; sie hat kein einziges Mal geschneppert, bloß lächeln konnte sie, wenn's einmal überschwenglich schön war; aber sie lächelte nur mit heruntergezogenen Mundwinkeln, als ob gleich das Weinen zur Ablösung kommen solle.

»Ach, liebe Else, so geht's. Wer weiß, was im nächsten Briefe stehen wird? Das Dichten gewöhnt man sich bei diesen vielen Erlebnissen so wie so ab.

»Deine vom Pegasus gefallene, vielgetreue
Anna

Mohrchens Heldentat fand auch bei dem gesamten Tugendbund die unbeschränkteste Anerkennung. »Er war eben nach jeder Richtung ein ganzer Kerl!« – Sie fühlten sich samt und sonders, gerade wie Anna, von einer Last befreit und genossen den Rest der Tanzstundenzeit mit erhöhtem Behagen.

Nun aber sollte es ein Ende haben. Die Ferien waren vorüber, sehr feine Näschen witterten schon Herbstluft, und Direktor Krause erklärte, jetzt sei es genug.

»Der Alte schiebt den Riegel zu.
Mein feurig Tanzbein kommt zu Ruh!«

reimte Kurtchen im Bücherschrank, der zur Bundeslade erhoben worden war. Mohrchen hatte bisher noch keine Stube finden können, die für seinen leichten Geldbeutel zu erschwingen gewesen wäre, und mit seinem »alten Unhold« hatte er sich endgültig entzweit. Da nahm sich eines Tages Doktor Olfers den Freund des Sohnes mit in sein Zimmer, und die Folge der dort gepflogenen Unterredung war, daß Mohrchen im Olfersschen Hause blieb.

»Dein Vater ist das Famoseste, was ich mir denken kann,« sagte Mohr vorm Schlafengehen zu Hans, »und ich bin ein Glückspilz. Damit ich nicht von seiner Güte bedrückt werde, soll ich Karls und Franzens Arbeiten begutachten.«

»Ja, mein Alter!« pflichtete Hans bei, »das ist einer! Morgen packst du deine Bücherkiste aus.«

»Ja, und hänge die Pfeifen an die Wand, kreuzweis, wie zwei schneidige Schläger, dadurch ergreife ich Mitbesitz von der schönsten Bude Amsels.«

So wurde die schönste Bude Amsels vom Bücherschrank zur Bundeslade befördert und hörte viel von der scheidenden Tanzstunde reden.

 


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