Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Sechsundzwanzigstes Kapitel. Versöhnung.

Melanie hatte während dieses Nachmittags sehr gegen ihre Absicht recht viel an das Stiftungsfest gedacht. Noch schlimmer war der folgende Tag, als Max erzählte, was er aus Kurt Krauses und Hans Olfers lachender Zwiesprache herausgehört hatte.

»Es ist abscheulich, so gut amüsieren sie sich, während ich hier sitze – ich, die ich es gegründet habe und die sie dann hinauszuwerfen wagten!«

»Mela,« sagte die Mutter leise und vorwurfsvoll, »man darf sich auch nicht selbst belügen, am Ende glaubt man dann die handgreiflichste Unwahrheit; immer wieder erzählt, kommt sie einem schließlich so bekannt vor, als sei sie eigentlich wahr. Du bist fortgelaufen, Mela, du ganz allein bist schuld an deiner Vereinsamung und tätest dir selbst einen großen Gefallen, wenn du dich nun endlich mit den alten Freundinnen wieder aussöhntest. Weißt du doch am besten, wie richtig damals der Instinkt der Mädchen gewesen ist.«

Die eigensinnige Tochter wollte das aber am wenigsten hören, sie schob den an ihr emporschmeichelnden Hund unfreundlich fort und stieß heftig die Worte hervor: »Sie wollen mich ja gar nicht haben.«

Mama war heute unerbittlich. »Kannst du ihnen das so arg verdenken?« fragte sie ernsthaft.

Melanie lief zornig aus dem Zimmer, aber rot wurde sie doch und die Empfindung, daß die Mutter recht habe, ließ sich nicht wegschieben, wie der verschüchterte Hund, der unters Sofa gekrochen war.

Als sie dann am Abend vor der Wohltätigkeitsaufführung die Kränzlerinnen in den Kursaal schlüpfen sah, um die Hauptprobe zu genießen, unterdrückte sie ihren Aerger und dachte ganz heimlich: es müsse doch sehr hübsch sein, all dem Ordnen, Einrichten und Probieren zuzusehen. Es war auch sehr hübsch, und sie waren alle da. Lili war mit Anna gekommen, Emmy, Mike und Kläre hatte Fräulein Rhoden eingeführt, die zu Anfang und Schluß der Vorstellung einige lebende Bilder einrichten mußte.

Mike genoß schweigend mit feierlicher Aufmerksamkeit, sie hatte natürlich kein Geld, sich ein Billet zu kaufen, lebte also heute für voll.

Daß am andern Morgen Franzel, mit einem Gruß von Papa Olfers, ihr ein richtiges Billet für die erste Reihe neben Emmy und Fräulein Mathilde brachte, das war nun allerdings »rein überirdisch« und Mike hätte beinahe zum erstenmal in ihrem Leben die Schnitzel anbrennen lassen.

Sie besuchte zum erstenmal ein solches Fest, Kläre hatte früher selbst schon einmal mitgespielt, hatte ihr infolge dieses überlegenen Bewußtseins gutmütig die Haare gemacht, ihr in das blaßgrüne Weihnachtskleid geholfen, an ihr herum gezupft und geputzt, und ernstliche Ratschläge erteilt, die Falten nicht zu versitzen, weil nach der Aufführung noch ein gemeinsames Teetrinken bei Musik und Geplauder folgen sollte, »wobei man von allen Seiten gesehen wird, also ordentlich sein muß, Fräulein Hurlebusch«.

»Ja! ja! ja!« rief Mike, »ich danke schön für gütige Hilfe und Ermahnung.« Dann eilte sie hinunter, umarmte Papa und Mama, versprach morgen allen alles zu erzählen und holte Emmy ab.

Unter Fräulein Mathildes Führung betraten sie den hellen Saal. Diesmal fühlte sich Mike etwas bänglich, schlug die Augen nieder und senkte nur linkisch den Kopf ein wenig tiefer, wenn sie merkte, daß Emmy sich vor Respektspersonen verneigte oder Bekannte grüßte.

Als aber der Mittelgang durchschritten und der Platz gefunden war, und sie zwischen Emmy und Fräulein Mathilde in Sicherheit saß, erschien plötzlich der abhanden gekommene Mut wieder, sie schaute auf, blickte umher, sah ringsum die altbekannten Amseler Gesichter und war wieder die alte Mike. Sie lachte sich unwillkürlich selbst aus und flüsterte Emmy ins Ohr: »Ich glaube, ich habe mich gegrault, aber das ist vorbei und nun wollen wir uns amüsieren.«

Lili wurde entdeckt, sie nickte eifrig, glänzenden Auges, auch Melanie sahen sie, die sich viel Mühe gab, das Gesicht stets anderswohin zu richten.

Ueberhaupt gab es viel zu beobachten. Mitten hinein in eine eifrige Flüsterunterhaltung ertönte die Klingel und die Einleitungsmusik begann.

Still saßen die Freundinnen. Emmy versenkte sich andächtig in die Ouverture, Mike hörte behaglich zu und ließ die Augen umherwandern.

Plötzlich wurde sie dunkelrot; zufällig war ihr Auge Melanies Blick begegnet; wie verdrießlich und gelangweilt saß sie zwischen den Eltern. »Daran bist du schuld!« würde Rose sagen. – »Ob sie nachher dableiben werden? Ob die gesuchte und gefürchtete Gelegenheit sich heute bieten würde?« Mikes Herz klopfte, sie hörte nichts mehr von der Musik und erst als der Vorhang zur Seite rauschte und Hildes schönes Bild »Die Barmherzigkeit« vor ihnen stand, kam sie wieder in Feststimmung.

Hildes Bilder wurden sehr bewundert, Anna blieb nicht stecken, sprach deutlich und sah frisch und gut aus; das Kränzchen war stolz auf die Seinen und nahm das hübsche andre als angenehme Zugabe hin.

Als der Vorhang sich zum letztenmal schloß, geschah ein allgemeines Stühlerücken, Grüßen, Schwatzen und Lachen. Doktor Olfers und die Brüder kamen heran, guten Abend zu sagen, Professor Krauses wurden bewillkommt, Kurt erlaubte sich im Andenken an seine Beihilfe beim Stiftungsfest den Kränzlerinnen einen besonders wichtigen Gruß zu bieten, Lili kam vergnügt herangetänzelt. Während im Saal die Teetische gedeckt wurden, sammelten sich die Freundinnen mit den Ihrigen in einer der schönen Seitenhallen; Hilde und Anna erwartend, plauderten sie lebhaft, Mike als lustigste mitten drin.

Da sah sie plötzlich wieder Melanie allein an einer Säule stehen und mit sehnsüchtigen Augen die heitere Gruppe betrachten.

»Ist ihr ganz recht,« sprach Kurt Krause, der Mikes Augen gefolgt war, »weshalb hat sie von Ihnen geklatscht.«

Mike fuhr herum: »Von mir?«

»Nun ja – wegen des Ständchens damals – nun hat sie den Salat, keines wird mit ihr reden.«

»War's denn so schlimm?« stotterte Mike, die zu begreifen anfing.

»Schlimm? – Dumm war's!« platzte Kurt heraus, »aber Anna hat recht, Ihre Freundinnen dürfen das nicht leiden, Fräulein Hennings, und sogar Max Schönbach hat damals gesagt, seine Schwester sei eine Gans!«

Im nächsten Augenblick – kein Ueberlegen oder Bedenken mehr – stand Mike neben Melanie.

»Du,« sagte sie schnell und herzlich – »Rose sagt, – ich meine – wir tragen uns nichts mehr nach, nicht wahr? und du kämst gern wieder zu uns, sagt Rose; ich freute mich auch, wenn du wieder gut wärst, weil uneinig sein doch nicht nett ist – nicht wahr – wollen wir uns wieder vertragen?«

Melanie wurde dunkelrot, sie nahm Mikes ausgestreckte Hand und drückte sie, und stotterte endlich »Ja, – ich dächte auch – ich möchte gern wieder kommen, – aber die andern – wollen die auch?«

»Natürlich!« rief Mike schnell, »ach gewiß,« stotterte sie hinterdrein, weil ihr plötzlich allerlei einfiel, und dann setzte sie entschlossen hinzu, als sie die Veränderung in Melas Gesicht sah: »Sie wußten nur nicht, ob es dein Ernst wäre. Jetzt geh' ich gleich und hole sie her.«

»Willst du? Wie gut du bist,« rief Melanie freudig.

Sie drückten sich die Hand, Mike lief zu den Freundinnen zurück und Melanie folgte dem Wink des Bruders, der sie zum Teetisch holte, den die Eltern inzwischen gewählt hatten.

Als Mike die Freundinnen wieder erreichte, waren auch Hilde und Anna gekommen. »Anna, Emmy, Lili!« rief sie eifrig, »kommt einmal her, – ich habe mich mit Mela versöhnt, sie kommt gern wieder ins Kränzchen, und trägt niemand mehr etwas nach, – und ist nicht mehr böse.«

Anna lachte hell auf: »Mike, du bist ein kostbares Frauenzimmer; ob wir ihr noch böse sind, darauf kommt es doch eigentlich an.«

»Ach bewahre – wir sind doch nicht übelnehmerisch! wir sind ja gar nicht böse, wir hatten doch eigentlich gar nichts mit ihr – sie war nur dämlich.«

»Ich dächte!« sprach Anna, »erstens das Weglaufen, das konnten wir recht gut übelnehmen.«

»Das ist schon so lange her,« sagte Mike, »und es tut ihr ja leid.«

»Hat sie das gesagt?«

»Rose hat es doch gesagt. Ihr dürft's doch Mela nicht so schwer machen, ihr kennt sie doch! wenn man recht hat, wird's einem auch viel leichter nachzugeben, als wenn man so hineingeflogen ist – und es wäre so nett, wenn wir wieder einig würden, und sie freute sich so, als ich zu ihr kam.«

»Du bist zu ihr gegangen?« rief Emmy lebhaft, »sieh, Mike, wenn ich's nur gesehen hätte, das würde ich nie gelitten haben.«

Mike lachte. »Das ist nicht dein Ernst, Mi, dazu bist du viel zu gut; es macht mir gar keinen Spaß, nachträglich zu sein.«

»Aber Mike,« rief Lili unwillkürlich, »sie hat ja so über dich geklatscht, deswegen sind wir ihr doch gerade böse gewesen.«

»Gerade darum mußte ich doch anfangen! Ich weiß schon, sonst hätte ich euch vorher vielleicht gefragt, so aber – ich denke, sie hat's gewiß nicht ordentlich gewußt, und war noch ärgerlich auf mich, der Russin wegen, wißt ihr, da sieht man alles aschgrau, und das Ständchen war doch ein bißchen dumm – sei nicht böse, Emmymietz – und wenn wir uns nun versöhnen, dann wird Mela wieder gut sein und gewiß nicht mehr über mich klatschen, und gut sein ist doch viel hübscher als zanken, nicht?«

Mike hatte nicht sehr gewandt gesprochen, hatte ungewöhnlich viel »und« verbraucht infolge ihrer Gemütsbewegung, hatte auch eigentlich nur den einen letzten Grund ins Feld zu führen, aber sie siegte doch.

Einen Augenblick zögerte Anna noch mit der Antwort, dann fiel sie Miken plötzlich um den Hals, küßte sie trotz Kursaal und versammelten Größen von Amsel und ging dann schnell mit ihr zu Melanie, die rot und aufgeregt neben ihrer Mutter am Teetisch saß, den Ausgang der Besprechung erwartend.

»Mela, wollen wir wieder einig sein?« fragte Anna, »Mike sagt, ihr zwei wäret es schon.«

»Ja,« sagte Mela verlegen, »wenn Mike mir wieder gut sein will; ich seh's ein, sie ist gar nicht schlimm, viel besser als ich, ich hab' sie gar nicht recht gekannt und es tut mir alles leid.« – Sie stotterte ein wenig, aber jetzt, wo es keine mehr von ihr verlangte, kam die Ehrenerklärung Mikes ihr ganz von selbst über die Lippen und nun umarmten sie sich alle völlig ausgesöhnt, und Frau Schönbach strich Miken freundlich über die Hand.

In dem Augenblick kam Doktor Olfers lächelnd näher. »Ich glaube gar, das Montagskränzchen feiert eine Versöhnung, das ist sehr lobenswert. Wie wäre es da, verehrte Frau Schönbach, wenn wir diesem wichtigen Ereignis zu Ehren unsre Tische zusammenschöben.«

Mama Schönbach war einverstanden, der Kellner mußte herbei, und bald saß der ganze Kranz mit seinen Angehörigen an einer langen Tafel.

Anna sah noch immer etwas überrascht (überrumpelt, sagte sie später) in dem großen Kreis umher, von Mela zu Mike, von Mike zu Mela und seufzte: »O meine Akten, wie werden die wachsen – ich hätte nie gedacht, daß ein Kränzchen so viel erleben könne.«

Und Max, ehe er sich zu Kurt und Hans setzte, flüsterte seiner Schwester zu: »Na, bist du endlich helle geworden?«

Melanie aber war heute so froh, daß nicht einmal diese schnöde Bemerkung sie ärgern konnte. Sie nickte ihm lachend zu und setzte sich zwischen Lili und Mike. So war es schön; sie stand nicht mehr allein und verdrießlich da, ohne eine Altersgenossin, und war ehrlich genug, einzusehen, daß sie Mikes Gutmütigkeit allein diesen plötzlichen Wechsel ins Angenehme dankte.

.

 


 << zurück weiter >>