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Siebentes Kapitel. Ein Krach

Herr Schönbach besaß in jungen Jahren eine große Weberei in Chemnitz; da der Arzt aber für die zarte Frau und die damals noch sehr kleinen Kinder dauernden Aufenthalt in frischer Luft anriet, so verkaufte Vater Schönbach den Seinen zuliebe die Fabrik und zog nach Amsel, wo alles Gewünschte beisammen war und er nun ganz seiner Familie leben konnte.

Natürlich nahm er mit Freuden die Freundinnen seines Haustöchterchens mit zum Konzert, und so war eigentlich alles recht geschickt eingerichtet, wenn nur Mela nicht über ihrem Augenblicksvergnügen ihren Zweck völlig vergessen hätte. Sie widmete sich einzig der kleinen Russin und kümmerte sich nicht im geringsten um die alten Freundinnen.

Emmy und Mike, Anna und Lili wanderten zusammen, tauschten Neckereien und Bewunderung aus über schöne Lampions, Leuchtkugeln, auf dem Wasser schwimmende Lämpchen und die Höhenfeuer.

Sie versuchten anfangs auch die andern zu dem gemeinsamen Gespräch heranzuziehen, da sie aber niemals ein Echo fanden, beschränkten sie sich schließlich auf sich selbst, und nur die Freundlichkeit der voranschreitenden Eltern Schönbach ersparte ihnen das peinliche Gefühl, daß ihre Gegenwart eigentlich überflüssig sei.

So hatte Melanie an diesem günstigen Abend, anstatt ein gutes Einvernehmen zwischen den Mädchen anzubahnen, es dahin gebracht, daß alle vier einstimmig erklärten, die Russin habe einen schlechten Einfluß auf Melanie, die eigentlich eine so süße Mama gar nicht verdiene.

Als daher am folgenden Montag Melanie erklärte, Vera Brodjewitsch solle als Kränzchenschwester aufgenommen werden, wurde Hennings Hopfenlaube zum Schauplatz sehr lebhafter Erörterungen.

Als nicht sofort alle begeistert auf den Vorschlag eingingen, fühlte sich Melanie bereits heftig gekränkt; ein dunkles Rot stieg ihr ins Gesicht, und sie sagte hastig: »Ich sehe schon, ihr seid unfreundlich wie immer und wollt mir die Freude verderben.«

»Na,« begann Anna trocken mit ihrem burschikosen Lieblingsausruf, »weißt du was, rabiate Nelkin, Kollegin und Schönbächin, wir wollen mal statutenmäßig abstimmen.«

»Abstimmen?« Melanie fuhr von ihrem Stuhl auf, so daß sie ihre Tasse vom Tische stieß; glücklicherweise war sie ausgetrunken und fiel in den weichen Sand, ohne eine Spur ihres unrühmlichen Sturzes davonzutragen.

»Abstimmen? Nein, das verbitte ich mir, da könnte etwa gar eine sagen, sie wolle nicht, das lasse ich mir nicht gefallen. Vera ist meine Freundin.«

Anna lachte ein wenig, noch erschien ihr alles scherzhaft. Melanies Ernst konnte das doch nicht sein.

»Wenn eine nein sagen will,« sagte sie freundlich, »dann hat sie auch das Recht dazu, das haben wir ja in den Statuten ausgemacht; nur wenn wir alle mit Freuden einwilligen, kann ein neues Mitglied zugezogen werden, und du selbst bist am eifrigsten für diesen Paragraphen gewesen.«

»Nun ja,« begann Mela etwas kleinlaut, um sich jedoch gleich wieder ins Feuer zu reden, »weil ich an so jemand dachte wie Grete Sonderstädt, aber hier ist es doch anders; Vera ist ein süßes Geschöpf, uns allen weit überlegen, und ihr müßt mir den Gefallen tun und gleich ja sagen, ihr kränkt mich sonst zu sehr.«

Die Mädchen schwiegen; sie mochten Melanie die Bitte nicht abschlagen und doch widerstrebte alles in ihnen der Neuen, die sie gestern zum erstenmal gesprochen hatten und die ihnen wie aus einer fremden Welt erschienen war.

Endlich brach Emmy das Schweigen: »Weißt du was, Melanie, ich denke, wir entscheiden uns heute noch gar nicht. Wir wollen deine neue Freundin erst besser kennen lernen, als es gestern abend möglich war, vielleicht können wir dann ein Herz zu ihr fassen. Ist dir's recht, gehen wir einmal zusammen über Land, wir nehmen die kleinen Geschwister mit, das macht sich recht ungezwungen, und wahrscheinlich geht uns dann das Ja, das du jetzt vergeblich verlangst, ganz leicht von Herzen.«

Die andern stimmten lebhaft bei, Anna allerdings mit dem Hintergedanken: Zeit gewonnen, die Welt gewonnen; die übrigen mit dem besten Willen.

Melanie aber riß unbarmherzig an Mikes Hopfenranken und stieß endlich halb weinend heraus: »Das geht nicht! Ihr müßt gleich ja sagen, noch heute, ich habe schon mit Vera gesprochen und sie für nächsten Montag zu dir geladen, Anna, ihr dürft mich nicht Lügen strafen.«

»Aber Melanie! – Das durftest du nicht tun! Das ist sehr voreilig! – Dazu hattest du kein Recht!«

»So? Dazu hatte ich kein Recht? – Ich habe den Gedanken gehabt, ein Kränzchen zu gründen, es ist mein Kränzchen. Ihr habt aber vom ersten Augenblick an allemal das getan und bestimmt, was ich nicht wollte. Die schreckliche Grete Sonderstädt, die nichts ist als ein Ladenmädchen, habt ihr gegen meinen Willen behalten, und die süße Vera, von der ihr alle nur lernen könnt, mit euren plumpen Manieren und eurer Weltunkenntnis, die wollt ihr nicht. Ich lasse es mir aber nicht gefallen, gewiß nicht! Wenn ihr so unausstehlich seid, so mag ich nichts mehr mit euch zu tun haben!«

Einen Augenblick waren die Mädchen stumm, wie betäubt. Dann sagte Mike, die bis jetzt ihr Schneppermäulchen unter großer Anstrengung im Zaum gehalten hatte, weil sie ihre Wirtinpflichten zu verletzen fürchtete: »Du benimmst dich wie ein Kind, das nicht weiß, was es will. Die Statuten sind dazu da, um gehalten zu werden; du hast sie mitgemacht, mit unterschrieben, und wir sind's, die ein Recht haben, sich zu beschweren, denn du willst uns eine Genossin aufdrängen, ohne auch nur zu fragen, ob sie uns recht ist. Wir sind verträglich, nehmen dir's nicht übel, wollen's deiner Vera nicht nachtragen, Emmy bringt einen guten Rat und du zankst, statt ihr dankbar zu sein. Es hilft dir aber nichts, wir müssen sie erst kennen lernen; sie ist nicht mal von hier, und man weiß gar nicht, wer die Leute sind.«

»Schrumm!« unterbrach Anna die Eifrige, »und dabei bleibt es! Wir sind alle vier derselben Meinung, Melanie, das mußt du doch einsehen, und nun sei vernünftig und laß uns gemütlich sein.«

»Nein, ich will nicht auf eure Weise vernünftig und gemütlich sein, gewiß nicht; ihr sollt euren Willen nicht jedesmal bekommen, ihr unausstehlichen Philisterseelen, ihr Moralsusen, ihr Statutennörgler. Das ganze Kränzchen kann mir gestohlen werden, wo so greuliche Mädchen drin sind, wie Mike Hennings, die feine Menschen verachtet, weil sie sie nicht kennt –«

»Unsinn!« rief Mike, »so war's gar nicht!«

Aber Mela sprang auf, nahm ihr Arbeitskörbchen und lief ins Haus.

Mike sah ihr empört nach; dann erwachte plötzlich ihr Pflichtgefühl als Wirtin, und sie stand auf, um der Davonlaufenden nachzugehen.

Doch Anna hielt sie zurück; ihr frisches, rundes Gesicht zeigte in diesem Augenblick Denkerfalten und hochgezogene Augenbrauen: ein Urbild der Gelehrsamkeit.

»Tu mir den Gefallen, Mike, und bleibe da,« sagte sie streng. »Mela war ungezogen; alles darf sich ein Kränzchen wirklich nicht gefallen lassen. Ich denke, sie besinnt sich und kommt wieder.«

Mike wäre lieber nachgegangen; so schnell ihr Mündchen schalt, so gutmütig war sie, und sie dachte sich, das Wiederkommen werde Melanie gewiß schwer werden. Aber dem einstimmigen Wunsche der Freundinnen fügte sie sich und blieb.

Melanie stand unterdessen im Hausflur hinter der Hoftüre und erwartete die Freundinnen mit dem Bescheid, sie solle nur ja wiederkommen, ihr Wille werde geschehen, Vera sei ihnen willkommen. Es schien ihr ganz unmöglich, daß einem so lebhaft von ihr ausgesprochenen Wunsch widerstanden werden könne.

Aber keines der Mädchen kam. Sie sah durch die Türspalte Mike aufstehen, zögern und sich wieder setzen.

Diese unausstehliche Mike! Die war überhaupt an allem schuld, denn die hatte den Gedanken gehabt, diese greulichen Statuten aufzustellen. Wenn man sie so genau halten wollte, dann wären sie besser gar nicht gemacht worden.

Und als Wirtin hätte sie auch können höflicher sein!

Jetzt stand sie auf!

Nein – sie kam nicht – es war empörend! Nun wollte Mela auch nicht eine Minute länger dastehen und warten.

Sie holte sich leise den Hut oben aus dem Vorsaal und eilte nach Hause.

»Melanie!« rief die Mutter erschrocken, »bist du krank?«

Mit leidenschaftlicher Gebärde, weinend und klagend, erzählte Melanie, was geschehen war.

Die Mutter hörte traurig zu.

»Ihr hättet euch bei der Illumination um die Mädchen kümmern sollen; ich war damals schon recht betrübt, daß du deine Pflichten um dieser einen willen gegen alle andern vernachlässigtest. Nun aber hättest du deinen Kränzchenschwestern Zeit lassen müssen, anstatt dich mit ihnen zu entzweien; sie kennen doch Vera wirklich nicht.«

»O, es ist nur Faulheit von ihnen, nur Faulheit; sie denken, sie müßten etwa einmal ein französisches Wort mit ihr reden, das ist ihnen unbequem.«

Die Mutter schüttelte lächelnd den Kopf: »Sie verstehen alle mehr Französisch als du, mein Kind.«

»O, verteidige sie nicht, Mama! Lobe sie nicht! Sie waren ganz abscheulich – boshaft waren sie. Mike Hennings sagte, man wisse nicht einmal, wer sie wäre – Vera ist ganz anders, viel feiner, viel liebenswürdiger – ich gehe nie wieder zu den andern, ich schreibe ihnen gleich, daß ich für immer und ewig aus dem Kränzchen austrete.«

Die Mutter sah ihr Töchterchen traurig an.

»Ueberlege dir wohl, was du tust, ein hastiger Schritt ist nicht so leicht ungeschehen gemacht, wenn man ihn nachträglich bereut. Es sind die alten Freundinnen, die dich gern haben, obgleich sie deine Fehler kennen und oft empfinden mußten. Vera hast du noch nicht erprobt, du weißt in der Tat nicht, wer sie ist, und ist auch alles echt und liebenswürdig an ihr, so kann sie doch Amsel in kurzer Zeit verlassen; dann stehst du allein und wirst jene, die du jetzt meiden willst, schmerzlich vermissen.«

»Nein, nie!« rief Melanie schluchzend. »Vera ist echt wie Gold und Vera liebt mich, und sie wird lange hier bleiben, sehr lange, und inzwischen kommt Rose Flinsch zurück, oder jemand andres; nach den schrecklichen Mädchen werde ich mich niemals sehnen – ich schreibe!«

Sie schrieb und schickte ihren Brief sogleich fort.

»An Anna Krause bei Hennings« – nichts weiter stand sonst auf der Adresse.

Dann ging sie zu Vera. Ihre Augen waren noch rot vom zornigen Weinen, und ihr Herz klopfte noch heftig, dennoch dachte sie daran, beim nächsten Blumenstand drei schöne gelbe Rosen für die gekränkte Freundin zu kaufen und beim Konditor eine Tüte Bonbons.

» C'est ravissant,« rief Vera, die erst nach langem Klopfen öffnete.

Sie war eben bei der Toilette für den Abend. Kleider, Bänder, Spitzen, Stoffstücke lagen auf dem Boden durcheinander, eine kleine Puderschachtel schob sie schnell unter den großen Hut, sie hatte Mela nicht erwartet, des Kränzchens wegen.

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Vera lehnte sich anmutig in den Schaukelstuhl, während Mela auf dem Rohrsessel Platz fand.

Nun küßte sie die »Mignonne«, naschte von den Bonbons, steckte die Rosen ins Haar und lehnte sich endlich wieder anmutig faul in den Schaukelstuhl, während Mela auf dem Rohrsessel ohne Lehne Platz fand und entzückt war, daß sie Veras Spitzenkragen ausbessern durfte.

» Eh bien, racontez-moi.«

Mela atmete kurz und heftig, das Herz klopfte ihr bis zum Halse hinauf, – wenn sie es übelnahm?

Endlich sagte sie: »Die Mädchen waren zu häßlich, unhöflich, eigensinnig, ohne gefällige Form; ich habe es schon lange gefühlt, heute aber ganz besonders; wir passen nicht zusammen, deinen Wert verstehen sie gar nicht, können sie nicht verstehen, ich bin aus dem Kränzchen getreten und will nur noch einzig für dich leben.«

Vera hatte gespannt zugehört. Der Schaukelstuhl bewegte sich nicht mehr, sie neigte sich ein wenig nach vorn und schien die Worte von Melanies Lippen lesen zu wollen. Ein Zug von Enttäuschung zeigte sich einen Augenblick lang auf ihrem Gesicht, dann lächelte sie wieder, der Schaukelstuhl begann von neuem zu wippen, und sie forschte dem Geschehenen nach.

»Häßliche Mädchen,« sagte sie beistimmend, » c'est seulement parceque nous sommses les belles.«

 


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