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Siebentes Kapitel. Dichten und Berichten.

»Also jetzt geht es los,« sagte Anna und tauchte die Feder ins Tintenfaß. »Ihr könnt helfen.«

Die Kränzlerinnen saßen an Olfers großem, rundem Tisch, der Kaffee war genossen und eine gründliche Beschreibung der Tanzstunde für die auswärtigen Mitglieder sollte beginnen. Es war höchste Zeit, sie kamen sich eigentlich schon ein bißchen treulos vor.

»Liebe Rose, Else und Grete!

»Ihr armen abwesenden Hascherln, die Ihr jetzt ferne seid von Amsels wonnigen Fluren, wir sind mitten drin in einem wundervollen Lebensabschnitt: er heißt Tanzstunde. Der ganze Kranz übt Anmut und Fee-werden – wenn Ihr uns nur noch erkennt später beim Wiedersehn! – Dazu geladen sind noch drei Nebenmenschen – das heißt, ehrlich gestanden, schießen diese drei öfter alle Vögel ab und wir holden Blumen sind die ›Nebensächlichen‹.

»Eine davon heißt Brigitte Schmieding – von Schmiedings im allgemeinen kann Euch Lili mal einen Schwarmbrief schreiben. Unser ehrliches Vergißmeinnicht nennt diese Brigitte in poetischen Augenblicken eine Fee. – Wir andern denken uns Feen anders.

»Nummer zwei ist die Tochter des neuen Badekommissars – Klementine von Rohr – in menschlichen Augenblicken Tina genannt. Wenn sie ein Hausschürzchen vorhat, ist sie ganz angenehm, aber draußen in der Welt – ›eine Würde, eine Höhe‹. Ich, Anna Krause, halte sie für hochmütig, also was ich einen geistigen Staks nenne.

»Es erhebt sich ein so allgemeines Beifallsgemurmel, daß ich die Tina hiermit für einen einstimmigen Staks erkläre, und zu Nummer drei übergehe. Eugenie Plätten kennt Ihr von der Schule hier, sie ist wieder einmal bei ihrer Tante Bürgermeister und hat das vorige Jahr in einer Brüsseler Erziehungsanstalt verbracht. Sehr nett scheint Brüssel nicht gerade zu machen – sage ich, Anna Krause, und finde keinen Widerspruch.

»Nun gilt es, Euch die männlichen Teilnehmer an unsern Anmutsstudien zu beschreiben. Da ist zunächst Herr Schwebefein, unser trefflicher, redegewandter Tanzmeister. ›Knochen‹ und ›Ecken‹, ›Armwindflügel‹ und ›Stelzbeine‹, fliegen nur so durch die Luft. Ihr werdet dereinst seine Wendungen noch gründlicher kennen lernen, denn wir haben sie zu Citaten erhoben.

»Die äußere Anmut Schwebefeins ist Euch nicht fremd; er ist noch ebenso stark, und trägt seinen großen, dicken Menschen noch immer so leicht, als wäre er eine Flaumfeder.

»Dann kommen acht junge Herren; Perlen der Zukunft.

»Den Verbeugungspreis haben wir einstimmig Leo Kracht zuerkannt, Oberprimaner und Gigerllehrling. Wir dachten, er sei schon ein vollkommenes, und waren sehr stolz auf die Tanzstundensehenswürdigkeit, aber Onkel Fritz, im gewöhnlichen Leben Doktor Bach genannt, hat uns darüber aufgeklärt. Kracht sei nur ein ganz kleiner, schwacher Gigerlversuch, der es vielleicht später einmal, wenn er unter die nötigen Mitdummhüte käme – sagt Onkel Fritz – zur Vollkommenheit bringen könne.

»(Von Onkel Fritz schreiben wir Euch mal einen besondern Brief; wenn er nicht so ehrfurchtgebietend wäre, trotz aller Necklust, würden wir furchtbar für ihn schwärmen.) Den Gigerllehrling aber haben wir besungen:

»Tanzstundenpracht
Ist Leo Kracht;
Es trauert unser Tänzer-Corps,
Weil sein Monocle er verlor.«

»Er hatte nämlich eins – und schnitt damit Gesichter – einzig schön! – aber weg ist's! – Weine, o Blumenkranz!

»Nun wollen wir gleich von dem andern Fremdling reden, obgleich er die Kranzblumen möglichst meidet. Wir geben sogar zu, daß Herr Lerche ein hübscher, junger Mann ist, der tanzen kann; einen kleinen Fehler hat er natürlich auch.

»'ne Lerche gibt's in unserm Kreis,
Er fliegt dahin wie ein Kurier,
Sucht sich die Schönsten aus mit Fleiß,
Und still bewundernd staunen wir.
Nur eines tut an ihm mir leid:
Den Zehen fehlt's an Einigkeit;
Stets tritt die eine nach der andern,
Und so etwas erschwert das Wandern.
Er ist schon zwanzig; wenn's ihm glückt,
Nicht lang er mehr die Schulbank drückt.«

»Nun wird's sein, nun kommt der Tugendbund!« rief Mike und Anna schrieb, jedes Wort laut vor sich hinsprechend:

»Johannes Olfers ist auch dabei, der Anmutverächter, der allemal mit den längsten Schritten kniff, wenn wir Mädchengesellschaft bei Emmy hatten, und man sieht ihm nur ganz selten an, daß er sich für den Ruhm der Familie opfert.

»Ja Emmys langer Hans tanzt so.
Wie ein stelz–«

»Stelzbeiniger Flamingo« wollte Anna dichten; Mike aber legte ihr bittend die Hand auf die Schreibfinger. Sie erriet den bösen Reim und wollte den Flamingo, den sie in einer übermütigen Stimmung dem guten Hans angehängt hatte, nicht in die weite Welt reisen lassen.

»Das nicht,« bat sie leise.

»So besing du ihn doch,« antwortete Anna verstimmt, und Mike dichtete wirklich ohne weiteres munter drauf los, als habe sie nur auf diese Einladung gewartet:

»Hans Olfers ist ein langer Ritter,
Doch mit ihm tanzen ist nicht bitter;
Hoch über diese schlimme Erden
Kann leicht man da erhoben werden;
Tief unten staunt das Publikum
Schwebt oben hoch 'ne Dame 'rum.«

»O Mike, ist's dir wirklich so ergangen?« fragte Emmy, Tränen lachend.

»Freilich. Ich fand den nüchternen Boden eures Speisezimmers gar nicht wieder: es war die reine Wolkenreise.«

Alle lachten; auch Anna war wieder guter Laune und schrieb weiter:

»Wir haben noch einen Kränzchenbruder dabei, der uns ebenfalls mit Stolz erfüllt. Ja, Max Schönbach hat große Aussicht, von uns zum Ritter ohne Furcht und Tadel ernannt zu werden.

»Denn der Max ist ja ein guter,
Tadelloser Kränzchenbruder;
Hebt die Arme allerwegen
Hoch, als spend' er seinen Segen;
Ist auch noch von süßer Art,
Liebt 'nen Schokoladenbart.«

Diese letzten Zeilen hatte sich der gute Max zugezogen, weil er in jeder Tanzstunde eine Bonbonnière aus der Tasche zog, sie aber nicht nur den Tänzerinnen anbot, sondern sich auch selber ein Prischen herausholte.

»Bravo, bravo!« rief denn auch Mela und klatschte in die Hände. »Damit necke ich den Schleckerhans tüchtig!«

Aber dagegen erhoben sich alle Stimmen mit großer Einmütigkeit.

»Nein, Mela, das darfst du nicht tun, diese Poesie ist durchaus nur für Kranzblumen, das müssen wir uns fest versprechen. Irgend wie könnte sie sonst verklatscht und übelgenommen werden. Keinem Menschen ein Wort! Das muß auch für deinen Max gelten.«

Melanie fand es schade, aber sah es ein.

»Also schwören wir Tugend und Verschwiegenheit!« rief Mike, und feierlich schlugen die fünf Kränzlerinnen gleichzeitig die Hände zusammen.

Drauf ging es weiter im Texte des übermütigen Briefs.

»Kennt Ihr Ferry Wiese, liebe Mädchen in der Fremde? Kaum, denn er ist kein eingeborenes Amselkind, sondern kommt aus dem hohen Norden, daher wo sich die Füchse gute Nacht zublaffen und die Russen zu allererst einfallen – wenn wir sie überhaupt 'reinlassen – sagt der urdeutsche Ferdinand. Treudeutsch nennen ihn die Freunde vom Tugendbund, wenn sie ihn necken wollen, was wir aber für einen Ehrentitel halten. Er ist schlank in die Höhe gewachsen, ohne den langen Hans zu erreichen; seine Füße bewegen sich etwas schwankend, doch:

»Fest und stark ist Ferdinand,
Nimmt die Leier er zur Hand
Und macht Verse. 's geht die Sage,
Daß er dichtet alle Tage,
Auch bei Nacht,
Mit Bedacht.
(Aber deutsch! ja nicht latein,)
Da verzeiht man 's Schwankebein.«

»O die arme grüne Wiese!«

»Grün? – Ein Dichter grün?« rief Anna, eifrig bereit, ihren Kunstgenossen zu verteidigen. »Kein Dichter ist grün. Grün bezeichnet immer etwas Unreifes; den Dichtern aber fällt alles gleich so ein, was andre erst lernen müssen – von oben, liebe Kinder – und immer das Allerreifste und Weiseste. Aber sie können es nur in Versen von sich geben, deshalb scheinen sie im Leben etwas unbeholfen, was dann den tragischen Konflikt gibt. Was ihr freilich nicht versteht!«

»Oho!« – »Hört unsre Konflikts-Anna!« – »Heil Dichterin, so stolz bescheiden,« – lachten und riefen alle durcheinander.

Anna tat ernsthaft, nur die Mundwinkel zuckten ein bißchen, als sie befahl: »Still und weiter jetzt!«

»Wir kommen zu Herrn Eduard Birkhahn, dem Sohn wohlhabender Eltern.

»Der kleine Edu tanzt gar fein,
Sein Portemonnaie ist auch nicht klein;
Der Erste ist sein liebster Tag,
Des Monats Ende er nicht mag.
Wir aber haben ihn ganz gern,
Ist er auch nicht der Sterne Stern.

»Auf den dicken Baltzer-Kurt besinnt Ihr Euch gewiß; er warf uns immer am unvermutetsten mit Schneebällen und traf schändlich sicher. Jetzt ist er zahm geworden, ein unentbehrliches Mitglied der Anmutsübungen. Er springt sich gewiß dabei mager und büßt sein schmückendes Beiwort ein, denn seine Tatkraft muß zehren. Man nennt ihn nur das losgelassene Dorlchen.

»Unser forsches Kurtchen Baltzer
Rennt die Stühle um beim Walzer.
Ungeheuer
Ist sein Feuer!
Und es wär' ein grausam Pech,
Kreuzt' ein Spiegel seinen Weg!
Das käm' teuer.«

»Das arme Kurtchen,« klagte Mike, »das hat er nun davon, daß er mich im Walzer so brav durchgerissen hat.«

»Mike, ich bin starr! Du, unser Haupt- und Staatsschnepperchen, kannst uns heut nicht sanft genug kriegen. Ist das schon damenhafter Tanzstundenerfolg, oder was soll ich von dir denken?«

»O,« – Mike sah verlegen drein – »das ist doch was andres. Wenn ich gleich so losschneppere, da überlege ich mir doch nichts, wenn wir uns aber erst so langsam alles vorher austüfteln, dann tut mir's leid.«

»Mike, du wirst sentimental, aber das soll unser kluges Mohrchen nicht um seinen Vers bringen.«

»Jetzt kommt das Kind unter den sogenannten Herren: Otto Mohr, das kluge Mohrchen, immer noch sechzehn und doch in Prima: er ist das Mirakel, dem alles anfliegt, und der dabei so haarsträubend nüchtern ist, daß er eine Blume nur auf Staubfäden und solches Zeug betrachtet, statt zu bemerken, ob sie gut riecht oder gar hübsch aussieht. Wie er Kränzchenblumen beurteilt, ist uns noch nicht klar, das melden wir später. Er stammt aus einer Besenbinderfamilie, hat einen Onkel, der Schuhmacher und eine Tante, die Waschfrau ist; anfangs mußte er sich von Kartoffeln ernähren, hatte aber dennoch den Sinn fürs Höhere und setzte es durch – Hans Olfers sagt: mit zusammengebissenen Zähnen. Zusammengebissen wegen Geldmangel natürlich und Not, Hindernissen und Privatstundengeben, nicht aus bösartiger Verbissenheit! Wir können uns das nicht angenehm denken, aber unsre Hochachtung für ihn ist desto größer – wenn er's auch nicht zu wissen braucht.

»Mohrchen, das kluge zubenannt,
Ist jedem Schulfuchs ruhmbekannt.
Nie litt er an Gedankenschwund,
Gehört zum Männertugendbund.
An Leib nicht groß, jedoch an Geist
– Was jetzt durch Tanzen er beweist –
Erobert er sich noch die Welt,
Stammt er gleich vom Kartoffelfeld.

»So, Ihr lieben Auswärtigen, nun wißt Ihr Bescheid, nun könnt Ihr uns an Mittwochen und Sonnabenden mit Euren Sehnsuchtsgedanken begleiten. Denkt Euch dabei immer uns fünf Blümchen so liebreizend, wie Eure Phantasie es irgend zuläßt. Wir hätten gern auch uns selber besungen, aber Bescheidenheit entwindet uns die Tintenflasche, und der Ernst des Lebens tritt in Gestalt von Häkelspitzen, Tapisserie und Weißstickerei mahnend an uns heran. Fahrt also wohl, Ihr trauten Blümchen, und wundert Euch nicht weiter, wenn in dieser bewegten Zeit die Briefe schlecht gedeihen. Grete kann, wenn sie Michaeli pünktlich heimkehrt, den berühmten Abtanz mitgenießen – er kommt erst nach den Ferien; Papa Krause hat sich in einem weichen Augenblick die Erlaubnis hierzu abschmeicheln lassen.

»Euch beiden andern ist mit dieser Lockung natürlich nicht beizukommen. Ihr seid fürs ›Höhere‹. Aber nach dem Abtanz bekommt Ihr doch wieder einen großen Brief von uns allen, also seid nicht traurig. Und behaltet lieb Eure getreuen und übermütigen

Kranzblümchen.«

Diesen Brief schrieben sie unter Annas Oberleitung ab, jede ein Stück, so daß sich die Verse für die Tänzer unter alle fünf Handschriften verteilten. Den Entwurf steckte Anna ein. »Morgen les' ich ihn Hilde vor, sie muß doch wissen, wie er ausgefallen ist, und dann schließ' ich ihn fest in die Akten ein.«

Die Abschrift wurde in den Umschlag gesteckt, mit einer Zwanzigpfennigmarke wegfrei gemacht, und alle waren sehr befriedigt von ihrem Tagewerk.

Am beglücktesten fühlte sich Lili: die Tanzstunde war zu einzig hübsch. Lange lag sie abends noch im Bett, ohne zu schlafen und sagte sich die Verse vor, die sie denn auch mit einiger Mühe zusammenfand.

Hans Olfers aber erzählte bei Otto Mohr in der Bundeslade (so nannten sie Mohrchens Bude, weil dort der Bund sich zumeist versammelte): »Heute war Kranz bei meiner Schwester, ich sage euch, das hat gelacht und geschnattert, wie noch nie, da ist's gewiß über uns hergegangen.«

 


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