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Siebzehntes Kapitel. Allerlei Briefschaften.

Der Sommertraum war vorbei; wenn die Freundinnen sich einstweilen auch noch weiter von ihrer Heimat entfernten, auf der Rückreise waren sie doch. In Amsel saßen die beiden verwaisten Kränzchenschwestern in Annas Stübchen und besprachen die Empfangsfeierlichkeiten. Da hallte die Klingel mächtig durch das Rektorhaus, und gleich darauf schob Annas Bruder einen Brief durch die Türspalte: »Was krieg' ich dafür?«

»Hurra!« klang es dagegen, »der ist von unsern Reisenden – nur herein, schnell herein, der wird mit einem selbstgebackenen Krapfen und der Erlaubnis, ins Heiligtum zu treten, eingelöst.«

Kurt ließ sich den Krapfen nicht zweimal anbieten, die beiden Kränzlerinnen waren in Anbetracht ihrer Einsamkeit auch ausnahmsweise huldvoll gegen ihn, aber als er gegessen hatte und nun auch noch etwas vom Inhalt des Briefes abhaben wollte, wurde er sehr höflich, aber sehr deutlich »hinausgebeten«.

Dann erst atmeten beide auf. Anna nahm den Brief zur Hand und wollte schon mit Vorlesen beginnen; da rief sie: »Bewahre, der ist ja von Rose! So etwas! Die hat ja seit dem Ersten nicht wieder geschrieben, sogar zu Mikes Genesung nur eine Karte.«

Lili zuckte die feinen Schultern, schüttelte die blonden Löckchen aus der Stirn und bemerkte weise: »Mich wundert nur, daß Melanie es erlaubt hat, denn weißt du, Anna, so viel steht fest, verhetzt hat sie uns bei Rose, wenn es nach Mela ginge, wäre die schon längst ausgetreten.«

Lilis spitzes Züngelchen war nicht ganz im Unrecht, es hatte sich in Melanies letztem Brief an Rose tatsächlich folgende Nachschrift gefunden:

»Vielleicht trete ich gelegentlich wieder in das Montagskränzchen ein, wenn sie mich darum bitten. Die Mädchen sind doch wohl nicht so schlimm, sie haben sich recht nett benommen, wenn man auch Mikes Zunge nie trauen kann.«

Und dann eine zweite Nachschrift:

»Kennst Du eine Malerin Hildegard Rohden, die in Berlin studiert hat? Sie soll hier Zeichenlehrerin werden. Ob sie wohl berühmt wird? Mein Bruder nennt sie blitznett. Jetzt ist in seiner Klasse alles ›blitz‹; in der Oberprima ist's ›feudal‹ und in Obersekunda ›schneidig‹ – sie haben schon darüber gerauft, welcher Ausdruck der hübscheste sei – natürlich ›blitz‹ – das ist doch keine Frage.«

Von diesen Nachschriften kam keine Botschaft in Annas Stübchen, deshalb konnte man sich schon zu zweit über Roses Brief wundern.

Vor allen Dingen erzählte er von einer langen, langen Reihe von Gesellschaften, Konzerten, Theaterbesuchen – Anna meinte, diese Anzahl reiche für ein ganzes Menschenleben aus und Lili behauptete, sie werde atemlos vom Zuhören; schließlich gestanden beide zu, daß sie die Geschichte einmal ein paar Wochen lang doch ganz gern versuchen würden.

Nach dieser Abschweifung las Anna langsam und staunend weiter:

»Denkt nur, wie wunderlich es in der Welt zugeht. Das Fräulein Rohden, das Professor Eckenbergs Stelle bekommt, habe ich hier öfter gesehen, und ich empfehle sie Euch sehr. Wenn sie nach dem kleinen dummen Nest kommt, weiß man sonst vielleicht gar nicht, wer sie ist und hält sie für einen Stubenmaler oder so etwas. Ich sage Euch, hier war sie Mode, weil sie so süß und blaß ist und weil der berühmte Professor, bei dem sie studiert hat, ihr sehr viel Talent zuspricht. Nächstes Jahr wird ein Bild von ihr auf die Ausstellung kommen, dann ist sie berühmt und um Berühmtheiten reißen sich die gebildeten Menschen in Berlin. Also seid nur recht nett gegen sie, dann kommt vielleicht das Montagskränzchen noch einmal in die Kunstgeschichte wie so viele Freunde von Berühmtheiten. Ich gebe mir auch alle Mühe, eine große Sängerin zu werden, und wenn gleich Papa mich durchaus nicht aufs Theater lassen will, so kann ich doch im Konzert auch sehr berühmt werden. Vielleicht berede ich ihn aber doch noch, wenn er nur erst mal hierher kommt, wo die Menschen nicht so altmodisch sind, wie bei uns zu Hause.«

»Weißt du was,« unterbrach sich Anna, »ich glaube, Rose ist ein klein bißchen albern mit ihrer Berühmtheitensucht und dem Schelten auf Amsel. Ich lobe mir das Altmodische, wenn's nur nicht gerade ein Kleid ist.«

Lili lachte, dann aber neigte sie ihr Köpfchen, seufzte und dachte: es sei doch schön, etwas von der Welt kennen zu lernen, draußen werde man gewiß viel klüger. Anna las indessen behaglich den Brief zu Ende und wußte nachher durch Empfangspläne Lili so zu unterhalten, daß die kleine Unzufriedene für heute das Stöhnen aufgab.

Eines nur empfanden beide schmerzlich: der bestimmt erwartete Brief von den Reisenden blieb aus; schon seit acht Tagen war keiner mehr eingetroffen. »Während wir für die Rückkehrenden eine große Feierlichkeit planen, denken sie in ihrem leichtsinnigen Umherstreifen gar nicht an uns.«

Mit dieser Schlußbemerkung trennten sie sich. Auch der Dienstag verging ohne Kunde, am Mittwoch abend aber stürmte Anna Roßbachs Treppe hinauf, zog Lili in das »Winkelchen« und brachte einen dicken Brief aus der Tasche.

»Leipzig, Dienstag, den 20. September.

»Liebes Montagskränzchen!

»Das war gestern ein merkwürdiger Tag. Ihr saßet selbander in Amsel auf Annas harten Rohrsesseln und dachtet wahrscheinlich gar nicht an Eure korrespondierenden Mitglieder, während drei von ihnen in Leipzig zusammensaßen und Kränzchenssenkerchen hielten, da der treffliche Onkel Sonderstädt so viel Einsehen hatte, Greten einen freien Tag zu geben und die Tante uns ›dem Montag zu Ehren‹ zum Kaffee lud.

»O, ich sage Euch – ich, Mike Hennings – ich habe Herrn Flips gesehen und Herr Flips hat gerieben, sehr schön gerieben, und ich, die ich mein loses Mundwerk nicht im Wasser gelassen habe, auch nicht in Buchberg in den Acker versenkt, ich sagte wirklich zu ihm: ›Ich denke mir das aufreibend!‹ Da lächelte er himmlisch mild und antwortete sanft: ›Jawohl, mein schönes Fräulein (das war ich, Mike Hennings!), mein Beruf ist aufreibend, aber ich liebe ihn; und wenn ich das große Los gewänne, ich bin Herrn Sonderstädt unentbehrlich, ich bliebe bei ihm.‹

»Jawohl (das schreibe ich, Emmy Olfers-Fliederbusch, die ich stets auf Schnepperchen aufpassen muß, denn sie ist wieder ganz gesund, auch der Uebermut ist ausgeheilt), mit Herrn Flips hat es seine Richtigkeit. Fräulein Mike schämte sich angesichts dieser Treue, wurde rot, nickte eifrig Beistimmung und fand kein kleines Antwortwörtchen, was Herr Flips auf den Zauber seiner Person bezog.

»O,« widersprachen Mikes krakelige Buchstaben, »es war nicht so schlimm, und dann kam es noch besser. Denkt Euch, abends durften wir auch noch bei Sonderstädts bleiben, es regnete draußen und Papa Olfers war mit einem sehr gelehrten, unverheirateten Kollegen zusammen, was uns zwei Dummhüte immer mit sehr viel Ehrfurcht und einiger Langerweile erfüllt. Bei Sonderstädts aber fanden wir das studierende Jettchen und deren Freundinnen, mitsamt dem haarbuschigen, ungebürsteten Komponisten. Grete hat nicht übertrieben; ich faßte mich möglichst schnell bei seinem Anblick, ich war vorbereitet. Diese Emmy aber hat den Mut, mich zu schelten, mich sanftes Geschöpf, dessen Teilnahme Herrn Flips erfreute, während sie selbst diesem jungen Herrn immer aufs neue von Bürsten und deren Nützlichkeit erzählte. Von Haarbürsten, von Hutbürsten, von Rockbürsten, von Stiefelbürsten – immer so fort.

»Anfangs nickte er gleichgültig und sprach zwischen hinein von Musik. Emmy blieb bei ihrem Thema. Dann wurde er etwas spitz. Emmy beharrte. Endlich wurde ihm angst, er rückte unruhig mit dem Stuhl hin und her und plötzlich fragte er Greten von der Seite, ob seine Nachbarin eine fixe Idee habe. Grete sah ihn verblüfft an, schüttelte lebhaft den Kopf, wunderte sich aber ganz ungeheuer – ihr rundes Gesicht wurde länglich wie ein Fragezeichen. Erst als sich der Komponist aufraffte, Emmy malitiös zu fragen: Ihr Herr Papa ist wohl Bürstenfabrikant? und diese mit heimtückischer Freundlichkeit erwiderte: O nein, ich schätze nur die Bürste so hoch als Staubvertilger! begriff Grete den Unsinn und lachte hell auf.

»Glücklicherweise blieben die andern ahnungslos und er hielt Emmy fortdauernd für krank. Siehst Du, lieber Kranz, so benimmt sich unsre Sanfte, Feine, unser Muster in der Fremde.

»Das sanfte Muster nimmt Schnepperchen, das auch mit der Feder seinem Namen Ehre macht, das Blatt fort, denn dieser Brief kostet am Ende noch zwanzig Pfennige, was er entschieden nicht wert ist. Er soll Euch doch nur melden, daß wir Sonnabend in Amsel eintreffen und am künftigen Montag bereits wieder der Kranz das Glück hat, vierblätterig zu sein, vielmehr vierblumig.

»Halt! – Mike muß noch etwas bemerken – Emmy behält heimtückischerweise zwei Erlebnisse für sich, um sie zu erzählen – ich sage aber: wir bereiten die Schwestern vor, sonst ist es zu aufregend.

»Erstens: Melanie Schönbach war mit ihrem Bruder in Buchberg eine Nacht Großmamas Gast – sie benahm sich ganz menschlich – wir uns – – großartig! (Selbstlob tut manchmal wohl.) Vom Kränzchen haben wir keinen Ton geredet. Was denkt Ihr denn vom Versöhnen?

»Zweitens: Neujahr wird ein Stern über Amsel aufgehen. An die Stelle des kleinen Eckenberg tritt die reizende Malerin aus Berlin, von der Ihr schon gehört habt. Diese reizende Malerin ist Eurer Freundinnen Freundin – wir legen sie dem geliebten Blumenkranz ans Herz – die wird angeschwärmt!
Mike.

»Einverstanden!
Emmy.

»Adieu, adieu! Mit Gruß und Kuß
Eure
zwei beiden.«

»Das finde ich gelungen,« sagte Anna, den Brief zusammenfaltend. »Jetzt geben sie sich mit Melanie in Buchberg ein Rendezvous, halten mit Grete in Leipzig Kränzchen und legen uns Rose Flinsch, ihre Malerin, ans Herz. Lili – was müssen die alles zu erzählen haben! Es wird pyramidal werden.«

 


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