Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Vierundzwanzigstes Kapitel. Vorbereitungen.

So schwand dem Kränzchen der Rest seines ersten Lebensjahres; ehe man sich dessen versah, meldeten sich die ersten, schüchternen Frühlingsboten. Und diese Frühlingsboten fanden neben dem »Hildeschwarm« noch zwei wichtige Dinge, die die Blumenherzen erfüllten: das herannahende Stiftungsfest und ein Wohltätigkeitstheater, zu dem Anna Krause aufgefordert worden war.

Sie sollte nur eine kleine Köchinnenrolle in der Tracht einer Bäuerin spielen, aber das ganze Kränzchen behandelte dies als eine wichtige, gemeinsame Angelegenheit.

Anna selbst war ebenfalls eifrig dabei. Tatendrang fühlte sie ja immer. Das war doch mal etwas Neues, etwas, was ihr beinahe wie ein Beruf vorkam. »Es ist zwar nicht das Rechte, aber man ist notwendig: es klappt nicht, wenn man fehlt; man kommt sich wichtig vor, man fühlt sich nicht unglücklich, man –«

»O Anna!« seufzte Lili, »unglücklich! du, die du zu Hause sitzt, bei einem Mutterchen, das alle häßliche Arbeit selbst tun will und die ganze Wirtschaft mit dem kleinen Finger lenkt.«

»Eben deshalb!« rief Anna, »es bleibt für mich gar nichts übrig in unsrer wohlgeordneten Einsiedelei. Die Führung der Kränzchenakten füllt meine Zeit auch nicht völlig aus und ich kann doch nicht den ganzen Tag Französisch oder Englisch treiben, Streifen sticken, Blumen kleben, Weltgeschichte lesen oder Papas Bleistifte spitzen.«

»Würde mir genügen,« sagte Lili, und Emmy rief: »Hör auf, hör auf, mir ist schon ganz schwindlig von deinen Taten!«

»Das ist eben alles nichts Rechtes, nichts, wobei mir warm wird; ich kann mich weder für einen Bleistift, noch für einen Leinenstreifen begeistern.«

»Nein,« fiel Hilde freundlich ein, »das ist aber auch nicht der eigentliche Beruf der Haustochter. Streifen sticken und für Papa Bleistifte spitzen sind nur zwei unwesentliche Seiten eines sehr reichen Ganzen; sie wollen freilich auch nicht vernachlässigt werden, aber eigentlich ist die Hauptsache, des Hauses gute Fee zu sein, überall helfend einzuspringen, wo die vielfachen Ansprüche im Tageslauf eine Lücke finden.«

»O Hilde, süße Hilde, das ist ja eine ganz ordentliche Predigt,« rief Anna lebhaft. »Und wahr ist es auch, aber gar nicht so nett, immer nur etwas zu tun, was aussieht wie nichts, anstatt einen richtigen manierlichen Beruf zu haben, für den man lernt wie ein Junge, für den man sich begeistern kann –«

»O,« rief Lili, »Hilde hat recht, laß es nur gut sein, Anna, sonst würdest du gar keine Zeit mehr übrig haben für mich, du machst dich jetzt schon immer entsetzlich rar, nun weißt du's!«

Anna lachte und in dem allgemeinen: »Nun weißt du's!« hörte keine andre als die Hauptperson Hildes Worte: »Haustochter sein ist auch ein Beruf, für den man sich begeistern, in dem man sich aufopfern kann.«

Anna antwortete nicht, drückte nur verstohlen unter dem Tisch Hildes Hand und sprang dann auf, die zweite Tasse Kaffee einzuschenken. Als alle mit der Kaffeetasse beschäftigt waren, holte sie einen Brief aus dem Nähkorbe und begann vorzulesen.

Er war von Grete Sonderstädt.

»Vielgeliebtes Kränzchen!

»Das muß ich Euch doch gleich melden: ich bin sehr stolz und Ihr sollt an dem Erfolge Eures Zweigleins Grete teilnehmen.

»Onkel hat mich nämlich stark gelobt, aber nicht etwa nur mit Worten, nein – ich darf schon im Oktober zurückkehren, weil ich nun genug wisse, um Papas Bücher zu führen – wißt Ihr, die, in denen die Speditionsgüter verzeichnet werden und Einnahmen und Ausgaben, und so was – und dann kann ich Papa seinen jungen Mann ersetzen. Denkt nur! Ich werde wieder in Amsel und Papa sehr nützlich, o sehr nützlich sein!

»Ja, und Onkel gibt mir auch Ferien zum Stiftungsfest. Als er davon hörte, hat er es gleich so eingerichtet und mir das Reisegeld geschenkt, wie ein richtiger Goldonkel. Ich habe noch eine Menge auf dem Herzen, vom jungen Mann mit der Bürste, der sich jedesmal nach Emmys Befinden erkundigt und von Herrn Flips, der Mike, ›die junge Dame mit dem tiefen Verständnis‹, ins Herz geschlossen hat, aber ich verspare mir alles aufs Erzählen und grüße Euch indessen von Herzen als Euer

Gänseblümchen
Grete Sonderstädt.«

»Verblüffend,« sagte Mike, »einfach großartig!« – Ehe aber all die verschiedentlichen Gefühle sich ausströmen konnten, hatte Anna noch eine Karte in die Hand genommen und las:

»Geliebter Kranz!

Ich komme zum Stiftungsfest; ich lasse die Ferien verlegen und finde mich ein, sollte auch die Welt darüber zu Grunde gehen. Halb Berlin grüßt Fräulein Rohden und ich grüße Euch alle, alle, alle Fünfe.

Eure Rose
Rosa Flinsch«

»Das schreibt sie so, damit wir nicht vergessen, sie als Rose zu feiern,« bemerkte boshaft die kleine Lili.

»Unsre Königin ist sie aber doch nicht,« warf Mike ein, mit einem Blick auf Hilde.

»Jedenfalls wird es ein großartiger Tag,« schnitt Emmy das Geplänkel ab. »Nun heißt es Vorbereitungen treffen, damit das erste Stiftungsfest würdig begangen werde.«

Dieser Erklärung folgte eine bezeichnende Stille und geheimnisvolles Lächeln. –

Obgleich Lili und Anna nur für ihre Theatervorstellung zu leben schienen, reifte ihnen doch gerade bei diesen Proben der Stiftungsfestplan.

Hilde hatte ihre Heimlichkeiten für sich allein.

Emmy nahm Mike zur Seite, auch sie wisperten zusammen, machten sich gegenseitig Vorschläge und verwarfen sie wieder, bis endlich doch etwas gefunden wurde, was »großartig« zu werden versprach, ohne Mikes bekannten Kassenverhältnissen Uebermenschliches zuzumuten.

Auf Miken aber lastete von Tag zu Tag schwerer die Sorge um Melanies Aussöhnung. Wenn Rose zum Stiftungsfest kam, würde sie ihr gewiß herbe Vorwürfe machen. Mike hatte die erhoffte »Gelegenheit« nicht gefunden. Einmal war sie Melanie auf der Straße begegnet, hatte unwillkürlich den Schritt verlangsamt, um stehen zu bleiben, und Melanie schien es ebenso im Sinne zu haben, aber dann waren sie doch aneinander vorüber gegangen, ehe sie es recht gewollt hatten und keine gewann es über sich, umzukehren; der Augenblick war verpaßt und ein zweites Mal trafen sie sich nicht.

Deshalb atmete Mike auf, als in der letzten Woche vor dem Stiftungsfest ein halb jubelnder, halb wehmütiger Brief Roses kam, der meldete, sie könne nicht zum großen Tag erscheinen, was recht traurig sei, weil sie in einem Wohltätigkeitskonzert singen müsse, was wiederum herrlich sei, denn dazu schlüge ihre Lehrerin nur solche vor, die »famos« wären.

»Also Rose ist am Fünfzehnten ›famos‹, aber nicht hier,« sagte Anna und erklärte mit ihrem verschmitztesten Gesicht, dies sei ein Witz und wer nicht lache, müsse einen Fünfer in die Kränzchenkasse tun, ein Ansinnen, das Mike alsogleich zum hellen Auflachen veranlaßte.

Je näher der große Tag kam, desto aufgeregter wurden die Gemüter, desto häufiger wurden die Heimlichkeiten, das Tuscheln und Versteckenspielen.

Am Abend des Sonntags traf Grete ein. Anna Krause, bei der die Feier stattfinden sollte, hatte von früh bis Abend heiße Wangen und glänzende Augen von allen Vorbereitungen und vom Kuchenbacken; endlich, endlich brach auch der Morgen dieses Montags an.

 


 << zurück weiter >>