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Zweites Kapitel. Die »Wonne« entwickelt sich.

Als Mike Hennings heiß und glücklich ins Wohnzimmer stürmte, wo Kläre an der Maschine saß, wurde der erste kalte Strahl auf sie losgelassen, noch ehe sie mit allen Ausrufen des Entzückens zu Ende war.

»Du bleibst dir doch ewig gleich,« sagte die Schwester nachdrücklich und setzte das Rad wieder in Bewegung. »Fahrig und ohne Ueberlegung. Sowie es sich um ein Vergnügen handelt, geht es mit dir durch. Familientanzstunde? Bei uns im Haus? Wo denn? Von was denn? Hast du Papa vergessen und Karlsbad? Nähe ich Spaßes halber für fremde Leute Kleider? Nein; aber du denkst nur immer an Sachen, die Geld kosten.«

Mike ließ den Kopf hängen. An nichts hatte sie gedacht, sie war ein ganz leichtsinniges Geschöpf, wie konnte sie nur das alles vergessen! Und sie stöhnte tief auf über ihre Gedankenlosigkeit.

»Es ist gar nicht hübsch, wenn man gleich stöhnt, sowie man ein Vergnügen nicht haben kann,« bemerkte Kläre, »und die Falbeln hast du wohl auch über dem Tanzstundenjubel vergessen?«

»Nein, nein!« rief Mike, froh, wenigstens mit etwas in Ordnung zu sein. »Da sind sie.« Dann ging sie hinaus, das Abendbrot zu besorgen, und »begrub ihre Hoffnungen«.

Aber Mike hatte Glück. Doktor Olfers nahm Rücksprache mit Frau von Rohr, und da durch die Teilnahme der Fremden die ganze Geschichte ins Großartige gehoben wurde (so sagte Lili), wußte er es einzurichten, daß nur bei ihm selbst und bei Rohrs Tanzstunde gehalten werden sollte. Ja, der gute Onkel Doktor kümmerte sich sogar um die Kleiderfrage: es durfte nur Kattun oder Jakonett getragen werden. Da sagten die guten Eltern Hennings nicht nein, und selbst Kläre murrte nur noch ganz leise über die unerhörten Lustbarkeiten. »Du hast eben immer Glück.«

»Ja, ich habe Glück!« rief Mike feurig, umarmte die lächelnde Mutter und stürmte zum Vater, dem sie mit ihrer drolligen dankbaren Begeisterung eine Stunde voll Schmerzen erträglich machte.

Sorgen andrer Art bewegten die Familie Olfers. Hans, der Sportfreund, erklärte zunächst »jegliches Gehüpfe für höheren – nein, niederen Blödsinn«. Erst als der Vater ihm ernsthaft auseinandersetzte, daß gesellschaftliche Gewandtheit auch zur Bildung gehöre, erklärte er sich bereit, »seine edeln Mitmannen vom Tugendbund« (der Ausdruck Männerbund war ihnen doch schließlich ein bißchen genierlich geworden) »zu dem Kleinmädchenvergnügen zu verführen«.

Emmy ließ ihren Hans brummen, sie wußte schon, die größere Hälfte davon war Neckerei, ohne die er nun einmal seiner Männerwürde etwas zu vergeben meinte. Und richtig, er wußte alle seine Freunde tanzstundenwillig zu machen, obwohl die Auswärtigen ihre Ferien darangeben mußten, Ferry, der Dichter, sich noch außerdem wegen seiner Kurzsichtigkeit vor »unsterblichen Blamagen« fürchtete, und das gelehrte Mohrchen behauptete: er müsse sich erst zu beweisen versuchen, daß Tanzen eines denkenden Menschen nicht unwürdig sei.

Auch Max Schönbach war unter den von Hans erwählten und von Direktor Krause bestätigten Tänzern, »weil er sich bei der Helenaaffaire höchst anständig benommen habe«.

Daß der Bruder dabei sein sollte, machte auch Mela sehr glücklich; und nun war nur noch Lili in heller Aufregung, ob die entzückende Gitta nicht etwa für den Montagskranz danken werde.

Nein, Gitta Schmieding dankte nicht, sie lächelte Lili holdselig an und sagte: »Ich kann natürlich längst tanzen, ich habe natürlich längst Gesellschaften besucht – wenn es Ihnen aber so viel Freude macht, will ich noch einmal Baby spielen.«

Lili wäre über jeden andern, der in solchem Zusammenhange von Baby gesprochen hätte, empört gewesen, bei Gitta fand sie alles entzückend elegant und ihr Herz brannte in Nachahmungslust. Das Ideal Anna verblich. Erst am Tage der ersten Uebung, die die Mädchen allein vornehmen sollten, dachte sie an ihr altes Orakel, und sowie sie probeweise in den frischgeplätteten himmelblauen Tanzstaat geschlüpft war, eilte sie ins Gymnasium.

Anna war im Garten, Lili sah sie schon von weitem am Boden knieen; sie vertilgte das Unkraut, das sich zwischen den jungen Salatpflanzen eingenistet hatte, und zu ihrer Linken lag ein französisches Buch, aus dem sie Vokabeln lernte.

»O Anna,« rief die Aufgeregte, »du bist wieder einmal großartig! Da jätest du und treibst dabei Französisch, als ob's nicht an einer Arbeit übergenug wäre, besonders heute!«

Statt aller Antwort hielt Anna ein zierliches, gefiedertes Pflänzchen in die Höhe: »Da guck! so was Niedliches rupft man nun aus und läßt die plumpen Salatköpfe stehen, bloß, weil man die essen kann – so gefräßig ist das gartenbesitzende Erdenkind.«

»Anna, philosophiere nicht,« seufzte Lili. »Du wirst schließlich zu gescheit, und Uebermaß ist allemal ungemütlich.«

Anna zog das Näschen kraus und sah die niedliche Freundin strafend an. »Ich glaube gar, du steckst schon morgens halb neun im Trittstundenstaat? Mir hat die unglaubliche Vorbereitungsschneiderei beinah den Spaß an der Tanzstunde verdorben.«

Lili errötete. »O Anna, sei doch kein Spartaner; ich komme doch deshalb her. Mama sagt, es sei gut so, Gitta Schmieding aber findet meinen Staat ›mäßig‹.«

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»O Anna,« rief Lili, »du bist wieder einmal großartig! Da jätest du und treibst dabei Französisch!«

»Armes Vergißmeinnicht!«

»Ja, und Tante mag ihn auch nicht, Tante ist altmodisch, Tante sagt sogar, ich sei zu geputzt, wer hat denn nun recht? – Gitta verrät nicht, was sie anzieht, aber ich habe die Jungfer etwas Einziges plätten sehen, lauter Duft und Wolken und Spitzen, darunter Jakonett – aber ganz verdeckt.«

»Ich glaube gar, du spionierst, Lili? Pfui, schäme dich!«

»O, – Gitta Schmieding hat auch nach meinem Kleide gesehen und dazu ein Gesicht gemacht, als müsse sie sich eigentlich mokieren, wolle es aber doch lieber unterdrücken, weil ich ihr leid tue, und deshalb komme ich nun zu dir, die du gut bist und es ehrlich meinst, und frage dich ganz ernstlich: Wie sehe ich aus?«

Anna gab sich auf den Knieen einen Ruck und sah Lili prüfend von oben bis unten an; dann wandte sie sich wieder ihrem Unkraut zu und sagte: »Du siehst aus wie eine reizende kleine Modepuppe, und brauchst dir nichts aus mitleidigen Blicken zu machen.«

»Wirklich? Dann bin ich froh, Anna! Und überhaupt: wie ich mich freue! Unaussprechlich. Ist dir schon mal so zu Mute gewesen wie heute?«

»O ja. Vor dem Schulexamen, in dem ich den Löwenritt aufsagte, und vorigen Herbst, als ich zum erstenmal bei Mamas großem Kaffee Tassen und Gebäck herumreichen mußte –«

»Anna, du bist prosaisch!« rief Lili empört und lief zu Melanie; die würde die Sache jedenfalls richtiger auffassen.

Anna sah nachdenklich hinter ihrem Sympathievogel drein.

Ich weiß nicht, wie das kommt, aber mir ist wirklich häßlich zu Mute. Lampenfieber, sagt Papa, und ich habe keins zum Wohltätigkeitstheater gehabt. Eitelkeitsfieber, sagt Onkel Fritz, aber ich bin nicht eitel, ich habe mir nur eine Falbel auf den Tanzrock machen lassen. Und Onkel neckt auch immer.

Anna wußte also nicht, wie ihr war, seufzte und machte sich wieder an die Vokabeln.

Zur gleichen Stunde rasselte in Hennings Wohn-, Kinder- und Eßstube die Nähmaschine, glühte der Stahl, schmetterte der Kanarienvogel sein helles Lied, lärmten die Kinder. Es galt zwei verfloßne, noch beinah wie neu zu Ruhe gesetzte Tanzstundenkleider Klärens für Mikes schlenkriges Persönchen passend und für den heutigen Stand der Mode möglichst unauffällig »zurecht zu hexen«.

Kosten durfte es nichts, aber Klara war wirklich sehr geschickt und gönnte der Schwester jetzt großmütig die Tanzstundenfreude. Emmy half mit fleißigen Fingern, und Mike, rühmlicher Ausdauer voll, strich, so glühend wie ihr Stahl, die fertigen Säume aus.

»Könnt ihr euch denken – still, vorlauter Piepmatz da oben! Menschen wollen auch einmal reden! – daß es Leute gibt, die von Profession heulen?«

»Nein.«

»Du weißt doch, wen ich meine, Emmy? Ich meine – Bst, Fred! du könntest jetzt mal zu Mama gehn mit einem sehr schönen Gruß und ihr sagen, ich, Mike Hennings, sei selig.«

Fred ging mit seinem Auftrag ab, und Mike konnte weiter reden.

»Also, Emmy, ich meine Leute, die sich Pessimisten nennen, und immer den Kopf hängen, die Pfui zum Leben sagen, und das Tröpfeln in den Augen haben; wenn ihnen was recht Lustiges zustößt, so glauben sie gar nicht dran.«

»Es wird ihnen wohl nichts Lustiges zustoßen,« rief Klara mit erhobener Stimme über das Maschinengerassel.

»Ich kann's überhaupt nicht glauben – ich und Emmy, wir sind ganz gewiß einer Meinung, wir halten dergleichen für ein Märchen, denn die Welt ist doch einfach zu schön.«

Klara lachte, Emmy lächelte, und Fred kam wieder mit dem Bescheid: »Mike Hennings habe auch alle Ursache zum Vergnügtsein.«

»Du,« bemerkte Fred, der mehr Anlage zum Praktikus als zum Philosophen verriet, »dann kannst du mir ein bißchen Schokolade geben.«

Wie auf ein Stichwort erhoben sich bei diesem Verlangen Lise und Line mit roten Köpfen von der französischen Aufgabe; trotz der in die Ohren gebohrten Finger verstanden sie ihren Vorteil und pflanzten sich neben Fred vor dem Plättbrett auf.

»Ich glaube gar, das ist eine Belagerung?«

»Auf Plünderung abgesehen,« ergänzte Emmy.

»Ich bin schon im letzten Krieg um alles gekommen!«

Aber die Belagernden wußten es besser. Jubelndes Lachen erscholl, mit Kriegsrufen untermischt, und Fred schrie unter Wonnestrampeln: »Ich weiß, ich weiß, Tante Emmy hat was mitgebracht.«

»I, wie käme Tante Emmy zu solcher Verschwendung.«

»Tante Emmy hat gestern vormittag mit dir gewettet, ob du zehn Minuten still sein kannst, du hast dir ein Tuch um den Mund gebunden, und dann bist du wie ein Muxmäuschen gewesen, und in der Tasche steckt die gewonnene Schokoladetafel, und jetzt kriegt sie heraus!«

»Hurra!« riefen alle drei.

»Aber Kinder,« klagte die Mama, zur Tür hereinschauend, »das ist ja ein fürchterlicher Lärm, nächstens kommt die Feuerwehr, um nach dem Rechten zu sehen, und ihr werdet unter Wasser gesetzt.«

»Einzige Mama!« rief Mike, Stahl und Plättbrett verlassend, »es ist zu schön auf der Welt, laß sie nur schreien, Papa ist ja im Amt.«

 


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