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Elftes Kapitel. Ein Ständchen.

»Eigentlich sollte man ihr wirklich auf vernünftige Art die allgemeine Hochachtung beweisen,« dachte Hans, als die Geschwister sich mit Pferdchen und Limonade entfernt hatten, »wenn ich nur gleich wüßte wie!«

Da Hans indessen nicht auf den Kopf gefallen, sondern ein »heller Junge« war und sich außerdem bereits bis zur Unterprima auf der Vollkommenheitsleiter des Gymnasiums emporgeschwungen hatte, so fiel ihm bald etwas ein. Mit beinahe frivoler Eile wurde das schöne, mathematische Kopfzerbrechen behandelt.

Recht oder falsch,
Was kümmert uns das Facit, –

dachte er heute, nur fertig! Die Bücher flogen ins Pult, die Mütze wurde vom Nagel gerissen und Karls erstauntes »Nanu?« kaltblütig überhört. Gewaltsam zog es ihn zu den Freunden.

Hans Olfers gehörte einem Verein seiner Studiengenossen an, der sich allwöchentlich womöglich siebenmal versammelte. Da das Kneipengehen verboten war und Hans, das Oberhaupt dieses Bundes, es für »schäbig« erklärt hatte, »auf Hintertreppen in verbotene Lokale zu kriechen wie feige Memmen« und einem »feilen Kneipier gute Worte und Trinkgelder zu geben«, das Offenhineingehen aber in diese Paradiese aller Studenten und solcher, die es werden wollten, unangenehme Folgen haben konnte, so versammelte man sich auf der »Bude« eines braven Schulgenossen, dessen Vermieterin gern bereit war, den »fidelen Jungen« ein paar Kannen Braunbier zu holen.

Der »Männerbund« nannten sie sich. Sie begründeten den Namen dadurch, daß in diesen geweihten Stunden nicht von der Schule geredet wurde, sondern Dinge zur Sprache kamen, wie »Männer« sie verhandeln, als da sind: Politik, Kunst, Wissenschaft, Sport – und junge Damen. Zwar erklärte Hans Olfers dies letzte Thema für ödes Blech, aber da war auch noch Ferry Wiese, der Gedichte machte. Meist allerdings in einem durch die alten Griechen geheiligten Versmaß, weil alles andre eigentlich zu leicht war für Männer; manchmal dichtete er jedoch auch »lyrisch« und ließ »die Nachtigall schluchzen«; zum lyrischen Dichter aber gehörte die »Frauenverehrung«.

Sehr erstaunt waren die Freunde, als Hans, dessen höchstes Streben ein Drahtpferd war, plötzlich erklärte, Mike Hennings sei ein famoser Kerl, der Männerbund müsse ihr irgendwie seine Hochachtung beweisen, denn sie habe seinem Bruder das Leben gerettet.

Hier schwächte sich das Erstaunen ab. Die Tat fand den Beifall der fünf Männer und der Gedanke auch. Hans saß mit pfiffigem Gesicht da, ließ die Freunde beraten und hatte seinen Plan fertig.

»Wenn sie in die Tanzstunde geht, werden wir sie niemals sitzen lassen,« erklärte Ferry, »und wenn du ihren Geburtstag erfahren kannst, will ich ein Gratulationscarmen in der sapphischen Strophe verfassen; das ist sehr sinnig, weil Sappho auch ein Frauenzimmer war.«

»Wenn sie das dumme Versmaß aber nicht kennt, entgeht ihr die ganze Feinheit,« gegenredete der dicke Kurt, der nicht viel von Aesthetik, Wissenschaft und Künstelei hielt, »wir wollen ihr lieber eine Torte schicken.«

»Du, die ist eklig teuer,« widerriet der kleine Edu, der das größte Taschengeld, dabei aber stets das leerste Portemonnaie hatte, »gewährt auch keine bleibende Erinnerung und scheint mir der Tat wenig angemessen.«

»Also ein Bouquet, das kann sie pressen,« bemerkte Otto Mohr, der Wirt, »natürlich ein selbstgepflücktes, um den leergebrannten Edu nicht zu belasten.«

»Blech!« rief endlich Hans dazwischen, »ein Ständchen bringen wir ihr, und zwar ein Morgenständchen, damit sie sich nicht etwa zu freudig aufregt und dann nicht schlafen kann, denn sie hat Fieber, und Papa behandelt sie höchst würdevoll, wie den Kaiser von China.«

Die Idee wurde vierstimmig für schneidig erklärt.

Sie kostete nichts, Ferry hoffte, ein paar Verse dabei anzubringen, und alle freuten sich, daß man nicht weiter nachzudenken brauchte.

»Guitarre?« fragte Mohrchen etwas boshaft.

»Natürlich singen,« erklärte der dicke Kurt und schlug einen abgrundtiefen Ton an. Ferry flötete sofort lerchenfein dagegen – es klang vielversprechend.

Große Mühe verursachte die Wahl des Liedes.

»Potztausend, sind wir aber dumm,« erklärte Hans, als nach einer halben Stunde noch nichts gefunden war. »Wir singen die Wacht am Rhein, die ist immer sinnig, und Wiese dichtet den Text dazu um.«

»War einst ein Mägdlein voller Mut,
Es stürmt gar löwenkühn sein Blut,
Der Knabe sank ins Wasser hell,
Doch hinterdrein springt sie gar schnell,
O Mägdelein sei ruhiglich.
Der Männerbund, ja Bund, bewundert dich.«

»Ich hoffe, du feilst noch,« sagte Hans mit hochgezogenen Augenbrauen, als Ferry nach einer Viertelstunde diese Verse vorlas.

»Natürlich, hört nur weiter:

Sie zieht den Knaben an das Land,
Den mit gewandter Hand sie fand.
Der Nixe gleicht sie nun von fern,
Doch Nixentücke ist ihr fern,
Nein, keinem wird sie etwas tun,
Deshalb, deshalb bewundern wir sie nun!«

»Na, schön ist das auch gerade nicht,« kritisierte Hans weiter.

»Wart nur, es ist sehr feinsinnig und kommt schon noch besser heraus,« rief Ferry eifrig und rückte schnell ein paar unglückliche Silben zurecht, »die Idee mit der Nixe ist ganz von mir allein –«

»Jawohl, nixe nur ruhig weiter, es schadet auch nicht viel, wenn's Unsinn ist, man versteht ja doch nichts beim Singen, außerdem werden weder Kurt noch Otto den Text auswendig lernen, wenn nur die Melodie ordentlich herauskommt; zum Schluß singen wir dann fortissimo: ›Hoch soll sie leben,‹ und wenn der alte Bäderlejberg zu wackeln anfängt, soll mir's recht sein.«

Ferry schwieg und dichtete glühend weiter.

Am folgenden Tag erkundigte sich Hans besonders gründlich nach dem Befinden des »Rettungsengels«, und da die Nachrichten unbedenklich lauteten, beschloß der Männerbund, ohne Aufschub sein Vorhaben auszuführen.

Unmittelbar nachdem die schön gestimmten Glocken Amsels die sechste Morgenstunde verkündet hatten, traten die fünf Jünglinge in den eben geöffneten Henningsschen Hof und schlichen feierlicher Gefühle voll vor Mikes Fenster.

Ein kurzer Wink, die vier stellten sich mit dem Rücken nach dem Hause, Hans als Dirigent so, daß er das Fenster im Auge behielt. Ferrys Dichtung, unwürdig gerollt, diente als Taktstock.

Eins, zwei, drei, vier:

»War einst ein Mägdlein voller Mut,«

entquoll es mit begeisterter Kraft den fünf Kehlen.

»Mein Gott!« Mike schrak aus dem Schlafe auf, und Klara, die sich eben die Zöpfe flocht, lief ans Fenster, fuhr aber schnell wieder zurück, als Hans Olfers' spähende Blicke sie trafen.

Halb lachend, halb ärgerlich sank sie auf den nächsten Stuhl, während Mike mit ängstlichen Augen nach ihr hinsah und angestrengt hinaushorchte.

»Die Jungen sind toll. Hans Olfers ist der Anführer, und sie bringen dir, glaub ich, ein Ständchen,« rief Klara, als sie sich etwas erholt hatte, und nun lachte sie, bis ihr die Tränen die Wangen hinabliefen.

Sie schlich sich seitwärts zum Fenster zurück und öffnete einen Spalt.

»Lieb Vaterland, kannst ruhig sein,« dröhnte Kurts Baß herauf, denn er konnte »Ferrys Pfote« nicht lesen. Dann aber schwang sich der Tenor siegreich empor:

»Der Männerbund, ja Bund, bewundert dich.«

Mike vernahm das und getröstet legte sie ihren schweren Kopf wieder auf das Kissen.

Es war gewiß nett von dem Männerbund, daß er sie und das Vaterland bewunderte, aber sie war noch viel zu müde, um sich der hohen Ehre so bewußt zu werden, wie die Fünf unten es erwarteten.

Nur Klara genoß aus dem Vollen. Sie saß geduckt am offenen Fenster, und lauschte gespannt, um ja kein Wörtchen des wundervollen Wieseschen Nixentextes zu verlieren, der sich immer wieder siegreich durch den patriotischen Kehrreim schlang, den die andern sangen.

Weniger entzückt waren die übrigen Bewohner des Hauses und die Nachbarschaft. Verschiedene freundliche Gegenüber rissen die Jalousien in die Höhe, schimpften eine Minute lang und zogen sich dann wegen des noch unvollendeten Anzugs zurück. Die Henningsschen Eltern schliefen glücklicherweise nach vorn hinaus, der Hauswirt aber rief sogar: »Dumme Jungen!« eine Beleidigung, die man in Anbetracht der edlen Tat, die nicht gestört werden sollte, überhören durfte.

Die Fünf sangen ihre fünf Verse unverdrossen weiter, kamen auch mit dem feierlichen, mauerbrechenden Hoch zu Ende, ehe der gereizte, »allen Verständnisses bare Böotier«, Hauswirt genannt, zum Ausbruch und Losschlagen fertig geworden war.

Als er, gerüstet zu einem tüchtigen Donnerwetter und seinem gewöhnlichen Morgenspaziergang, in den Hof trat, sah er die Sänger über die Straße eilen, und da er nicht Lust hatte, die Leistungsfähigkeit seiner fünfzigjährigen Beine mit der der Jungen zu messen, verschloß er seinen Zorn in sich bis auf günstigere Gelegenheit.

Diese Gelegenheit fand sich noch im Lauf derselben Stunde.

Professor Krause, der Ordinarius der Unterprima, lief ihm in den Weg, und wenn Professor Krause auch ein Mann war, der Jugendluft und frische Laune wohl zu schätzen wußte, so war doch die verärgerte Erzählung von »Morgenskandal« und »Frauenzimmerwirtschaft« ganz dazu angetan, seiner guten Stimmung einen Stoß zu versetzen. Um so mehr, als man Hans Olfers, seinen besonderen Liebling, erkannt hatte. Lieblinge haben sich immer besonders anständig aufzuführen.

»Dumme Jungen!« sagte auch er kräftig vor sich hin. Konnten es nicht Oberprimaner sein, oder Sekundaner? Nein, gerade seine jungen Burschen mußten sich in den Mund der Leute begeben.

Wie eine Wetterwolke bestieg er um acht Uhr das Katheder, und ehe er seinen Horaz öffnete, donnerte er den Ueberraschten entgegen: »Wer heißt euch den Schlaf morden? Wer heißt euch Skandal machen? Wie kann man sich als Unterprimaner so etwas herausnehmen, da hat man zu triefen von klassischer Weisheit, Bildung und Gesittung. – Nun? – Was hat es gegeben, meine Herren? Heraus damit! Sind Sie denn närrisch geworden? Straßenskandal, Frauenzimmergeschichten!«

Hans Olfers schnellte empor mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen: »Herr Professor, entschuldigen Sie, das hat Ihnen einer vorgelogen; keins von beiden hat es gegeben; im Gegenteil, gerade weil wir etwas von Gesittung in uns fühlten, die in Erkennung des Edeln und in Dankbarkeit besteht, deshalb sangen wir. Die Marie Hennings hat meinen Bruder aus dem Wasser gezogen, er war schon halb ertrunken und bewußtlos, und sie hätte selber dabei umkommen können, das ist ehrenwert, da wollten wir ihr zeigen, daß sie sich mit ihrer Tat die Hochachtung aller – aller – «

Hans stockte, verwirrte sich und wäre beinahe nicht wieder in den Zug gekommen, weil ihm vor des Professors Ohr das Wort »Männer« nicht so glatt über die Zunge wollte, aber er faßte sich und fuhr fort: – »aller Edeldenkenden erworben hat; und weil sie abends – sie hat das Fieber bekommen, Herr Professor – zu freudig hätte erregt werden können, – haben wir des Morgens früh gesungen, sehr anständige Sachen: die ›Wacht am Rhein‹ und ›Hoch soll sie leben‹, und die Nachtruhe hat's keinem gestört, denn um sechs Uhr kann doch jeder aus den Federn sein. Wer Ihnen da von Skandalmachen und Frauenzimmergeschichten erzählt hat, der muß ein ganz abscheulicher Krakeeler sein; sonst fragt man erst, ehe man klatscht, und wenn eine einem das Leben rettet, so verdient sie die Medaille, ja es sollte eine Petition eingereicht werden, und deshalb meinte ich –«

Hans stockte wieder und sah unruhigen, suchenden Blickes vor sich nieder; diesmal aber fiel ihm Professor Krause rechtzeitig ins Wort.

»Na, Olfers,« sagte er, »wenn wir mal einen Volksredner brauchen, so werde ich Sie empfehlen, und sollten Sie es wieder nötig finden, jemand die Hochachtung aller Edeldenkenden zu beweisen, so lassen Sie's vorher in der Nachbarschaft ansagen, damit keinem vor Schrecken die Milch der frommen Denkungsart in gärend Drachengift verwandelt wird. Punktum. – Wo waren wir stehen geblieben, Wiese?«

 


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