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Drittes Kapitel. Auf der Akademie Schwebefein.

Etwas gedämpfter war die Stimmung, als Mike und Emmy am Nachmittag unter Fräulein Thildchens Schutz in die Vorstunde wanderten. Die »fremden Mädchen«, Klementine von Nohr, ebenso wie die Schwestern Schmieding hatten sie zwar in einem Tee bei Anna Krause kennen gelernt, aber der Name Befreundungsgesellschaft, den ihm die Mütter gegeben hatten, traf nicht ganz zu, Mikes Ausdruck: »Beschnüfflungstee« war weniger schön, aber entschieden treffender. – Nur Iduna Schmieding, die gegen alle Tanzlustigen wirklich ein bißchen »apart« gewesen war, fand sich mit Hilde Rhoden zusammen, die eigentlichen Tanzstundengenossinnen wurden nicht warm, obwohl sie die Bürgermeistersnichte Eugenie Plätten ja schon von der Schule her kannten. Sie sei in Brüssel verdorben, sprach die Kritik. Ueber Fräulein von Rohr wurde ein vorsichtig abwartendes Schweigen bewahrt, nur Mike vertraute Kläre beim Zubettgehen an: »Du, ich glaube, sie ist ein Standesprotz.«

Richtigen Genuß von dem Befreundungstee hatte bloß Gitta Schmieding, sie fühlte sich sehr als vollendete Dame und tat groß mit dem, was sie schon alles erlebt und genossen habe. Daß Iduna auf dem Heimweg sagte: »Brigitte, du warst wieder einmal unglaublich geschmacklos«, kümmerte sie nicht. Iduna verlangte so töricht viel Vollkommenheit von einem jungen Mädchen, daß sich Gitta gar nicht erst Mühe gab, der Schwester zu genügen.

»Du,« sagte Emmy leise zu Mike, als sie den sonnigen Frankenweg entlang wanderten, »ist dir so bang, wie du aussiehst?«

In demselben Augenblick lachte Mike sich aus. »Nicht gerade bang. Ich dachte bloß daran, daß Herr Schwebefein prophezeit hat, wir würden Böckchen und Linealen gleichen. Das Böckchen geht doch ganz gewiß auf mich – ja – und Anna ist so empört, daß sie nun sicher noch ungeschickter sein wird, weil ihr Ehrgeiz nicht von den fremden Mädchen ausgelacht sein will, und ich – ich sehe schon voraus, daß ich den Primanern so lange auf die Füße trete, bis sich keiner mehr an mich heranwagt.«

»Unsinn, Mike,« flüsterte Emmy, »die Herren Jungen sind jedenfalls viel ungeschickter als du.«

»O die! was schadet das? Von denen wird keine Anmut verlangt, wie von uns armen Hascherln. Ich glaube, Jungen haben es unmenschlich gut. Erstens dürfen sie alles lernen, ebensogut das, was es einst gegeben hat, wie das, was es heute noch gibt; dann werden sie Studenten, was unbeschreiblich sein soll; darauf dürfen sie die Welt sehen, und schließlich können sie sich sehr verdient machen ums Vaterland und die menschliche Gesellschaft.«

»Ich glaube, das können wir aber auch, Mike,« unterbrach sie Emmy lebhaft, und fügte dann nachdenklich hinzu: »Natürlich nicht ganz gerade so wie jene, aber doch auch – ich muß mir das einmal gründlich überlegen –«

»Ich glaube nicht, Emmy, aber überlegen kann ich es mir ja auch, und noch glücklicher könnte ich doch nicht sein trotz aller Böckchenfurcht.«

Da rief Fräulein Meiners von der andern Seite der Straße her: »Emmy, Mike! – müßt ihr denn mit den frischen Röcken durch den dicksten Staub laufen?«

Beschämt gingen sie auf den Fußspitzen dorthin, wo Fräulein Thildchen ihren schwarzseidenen Saum ungefährdet über die saubern Platten des Bürgersteigs trug, sahen sich schelmisch von der Seite an und flüsterten sich zu: »Das kommt von der Sorge um Staat und Gesellschaft.«

In des Tanzmeisters Saal saßen schon einige Mütter und Tanten, denen sich Fräulein Thildchen sogleich zugesellte. Die jungen Mädchen führte man in ein Nebenzimmer, wo sie Hut und Tuch ablegen und warten mußten, bis alles versammelt war.

»Denn,« sagte Herr Schwebefein mit erhobener Stimme, »gerade durch ein sicheres, gewandtes, anmutiges und blumenhaft bescheidenes Eintreten in den Gesellschaftsraum erhebt sich die wohlgebildete junge Dame über jene gewöhnlichen Menschen, die nicht wissen, wohin mit ihren Knochen, sobald sie einer ansieht.«

»Entsetzlich,« flüsterte Klementine von Nohr Eugenien zu, »gerade als wären wir Leutnants in der Reitstunde.«

Sowie alle versammelt waren, trat Schwebefein in die Tür, klatschte mit den Händen und rief: »Meine Damen, treten Sie ein, – eine nach der andern! Begrüßen Sie die anwesenden Ehrengäste im Saal mit einer verbindlichen Verbeugung.«

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Gitta Schmieding glitt in den Saal, neigte graziös das Köpfchen und entlockte dem beglückten Schwebefein ein »Bravo, bravo«.

Hilflos sah eine die andre an.

Da hinein? – Einzeln? – Feierlich? – Hu! –

»Gänsemarsch!« sagte Anna laut und deutlich, mit einem Anflug von Galgenhumor. Das war Klementine von Rohr doch gar zu arg. Sie schob Mike und Mela beiseite und stand schon an der Tür, als plötzlich Gitta Schmieding, die noch am Spiegel beschäftigt gewesen war, mit ihren geschmeidigen Bewegungen an ihr vorbeischlüpfte. »Ich will Ihnen den unangenehmen Anfang erleichtern, ich habe darin schon mehr Uebung.«

Sie glitt in den Saal, neigte graziös das Köpfchen gegen den links stehenden Tanzmeister, verbeugte sich mit verbindlicher Anmut gegen die rechts die Wand entlang sitzenden Ehrengäste und entlockte dem beglückten Schwebefein ein: »Bravo, bravo! so bewegen sich die Fräuleins aus dem Feenland.«

Der Anfang war gemacht; mit mehr oder weniger Glück folgten die andern. Emmy etwas zaghaft – »ein Lot Selbstvertrauen dazu tun!« sagte Schwebefein; Klementine allzu würdevoll – »drei Lot Verbindlichkeit vonnöten!« Lili mühte sich, Gitta nachzuahmen und mußte sich sagen lassen: »Natürlich! Natürlich! Sich selber treu sein ist die erste Stufe zur Vollkommenheit.« Die muntere Eugenie war »viel zu rasch, der Mensch hat seine Ellbogen nicht zum Schlenkern«. Mela eroberte ein Kopfnicken und den schönen Trost: »die wird!« Anna mußte sich mit einem Seufzer zufrieden geben, den sie sich ehrlich in: du bist ein Lineal gewesen, übersetzte; Mike aber wurde sogar durch ein entsetztes: »Halt!« zurückgeschickt in die Verzweiflung. »Nicht so jäh, nicht so wild, hier sind keine Feinde und Widersacher, Sie begrüßen Freunde, ehrfurchtheischende Gestalten – noch einmal, mein Fräulein.«

»Nicht wahr,« sagte Mike treuherzig, »da haben Sie das stoßende Böckchen?«

Herr Schwebefein mußte lachen, seine Stirn entrunzelte sich; mit einem gewissen Wohlwollen begutachtete er Mikes zweiten schwachen Versuch und ließ ihn durchschlüpfen.

Und nun begann es.

Reihenbilden, Walzer-, Polka-, Mazurkaschritte, Versuche zu paarweisem Rundgehen und zuletzt ein Menuett.

O dieses Menuett!

»Als ich noch im Flügelkleide
In die Mädchenschule giiiiing –«

klang die Mozartsche Melodie aus der Saalecke, wo ein kleiner Geiger das Orchester vertrat.

Nun sollten die Mädchen einander gegenübertreten und bei feierlich langsamem Zeitmaß sich sehr schön bewegen.

»Sehr schön, meine angehenden Künstlerinnen, – sehr schön! Arme schön, – Beine schön, – rechte Hand vor, – nicht als wollten sie Ihr Gegenüber totstechen – sanft, rund, – huldreich, – halt! halt! Wir sind doch nicht auf dem Fechtboden! Ich sehe schon, – na, beginnen Sie noch mal von vorn!«

Klementine lies unwillig den Arm sinken und sah nach ihrer Mutter, die merkwürdigerweise trotz des kritischen Tanzmeisterkommandos gar nicht empört aussah. Gitta lachte übermütig und machte Lili und Anna vor, wie sie ausgesehen hätten. Anna lachte ehrlich mit, Lili gab's einen Stich ins Herz.

Aber als der »Prüfstein weiblicher Anmut« endlich bezwungen war, sagte Anna: »Unnütze Plage.« Worauf Emmy lachend ausrief: »Unnütz? Anna, Anna! du wirst unheimlich in deinem Nützlichkeitstrieb; nächstens erklärst du das Kränzchen für aufgelöst, weil sich kein Nutzen aus dem Montagnachmittag herausrechnen läßt.«

»O das! Das macht doch Freude, und Freude bereiten, ohne zu schaden, ist der größte Nutzen, den es gibt, sagt Onkel Fritz.«

»Dein Onkel gefällt mir,« sagte Mike, »wir wollen ihn zum Kränzchenonkel ernennen,« und Emmy verteidigte lachend die Tanzerei als Freudespender.

»Nein, Emmy, das macht niemand Spaß, höchstens Gitta, und der auch nur, weil sie geschickter ist als wir; es nährt also ihre Eitelkeit und bringt ihr infolgedessen Schaden.«

Mike ließ sich nicht werfen. »Mir macht es auch Freude,« sagte sie nachdrücklich, »und wenn du mich zehnmal darum verachtest.«

»Verachten, weil es dir Freude macht?« rief Anna. »Nein, Mike, ich finde das sogar heroisch.«

»Daß es mich trotz meiner Tapplichkeit freut? Ja, wißt ihr, darein hab' ich mich nun schon ergeben, ich bin immer am ungeschicktesten. Gebt acht! Es wird gerade wie beim Schwimmen: ich versteh's nicht, ich lern's nicht, ich krieg den Rhythmus nicht in die Glieder, und niemand wird mit mir tanzen wollen. Himmelschlüssel als Mauerblümchen! – Aber schön ist's doch!«

»Wenn es wird wie beim Schwimmen, dann tanzest du uns schließlich alle in Grund und Boden.«

»Jawohl, aber wann? Wenn Tanz und Spiel vorbei sind, und die ältesten Kränzlerinnen sich nicht mehr auf eine Tanzstunde zu besinnen vermögen.«

Die Freundinnen mußten über Mikes drollige Verzweiflungsmiene wie gewöhnlich lachen, da klatschte der Tanzmeister in die Hände. »Meine Damen, die Uebung ist zu Ende, empfehlen Sie sich den anwesenden Herrschaften zu geneigter Kritik.«

Und wiederum einzeln legten sie den klippenreichen Weg der »anmutvollen Verbeugung« zurück.

Auf dem Heimweg gab es dann zu reden, dagegen hätte kein Spatz aufkommen können. Jede wußte eine Dummheit zu berichten, jede meinte etwas ganz Unbegreifliches versehen zu haben, jede fürchtete, so ungeschickt wie sie, sei noch kein Mensch auf der Welt gewesen. Hätten sie eben jetzt als Mäuschen in Herrn Schwebefeins großem Saale zuschauen können, wie ihre Kavaliere gedrillt wurden, sie hätten wieder Mut gefaßt.

Dort tummelten sich wirklich Böckchen und Lineale. Der lange Johannes machte Schritte, um die ihn der ehrgeizigste Flamingo beneiden durfte, – jedes Knie ein rechter Winkel; – der kleine Edu reckte das Kinn in die Höhe, weil er dadurch größer zu werden meinte; der dichtende Ferry wußte besser mit Versfüßen umzugehen, als mit seinen eigenen angewachsenen Gehwerkzeugen; Max Schönbach machten die Beine keine Not, er hob aber die Arme in den Schultern, als solle er eine schwere Last schleppen. Primaner Lerche war seiner Schönheit stolz bewußt, daß ihm aber für den Weg zur Vollkommenheit ein Hindernis angewachsen war, davon hatte er keine Ahnung. Und doch wollte seine rechte große Fußzehe immer wissen, wie es der linken gehe, und diese Neugier hinderte ihren stolzen Besitzer am geraden Fortkommen.

Alle übertraf Kurt Baltzer; er kreiselte flott wie ein losgelassenes Dorlchen durch den Saal. Leider versah er es dabei gar sehr mit dem Tempo und raste so stürmisch dahin, daß der Tanzmeister ihm nachschrie: »He! holla! Sie sind ja ein Durchgänger! Soll ihre Tänzerin die Schwindsucht kriegen? Können Sie nicht bis drei zählen? Eins, – zwei, – drei, – bin – so frei. – Hin und – her; kann – nicht – mehr! – Und Sie, Herr Kracht, Sie stolpern ja über Ihre langen Hosen, müssen Sie die dümmsten Moden mitmachen? Lassen Sie sich eine Falte unten einnähen, sonst gibt's ein Unglück.«

Ach, und der Primaner Kracht hatte es so gut zu machen gemeint und war so üppig mit seinem Monatsgeld umgegangen wegen des großartigen Eindrucks, den er den Backfischen schuldig zu sein glaubte. Die neumodischen Hosen schlotterten um ihn herum, als seien sie von einem Riesen geborgt, der Rock war desto kürzer; vorn im Ausschnitt seiner lilafarbenen Weste baumelten froschgrüne Handschuhe und ein Monocle fügte sich schüchtern zwischen sie ein. Er brauchte es eigentlich nicht, aber er fand es schneidig.

Das gelehrte Mohrchen war auch sehenswert, obwohl er sich Mühe gab, denn: »auch die Dummheiten, die man begeht, muß man gründlich behandeln. Nur immer gewissenhaft.« Und so schob er gewissenhaft bei jeder Drehung, die Schwebefein von ihm verlangte, das Kinn noch einmal besonders über die Schulter, als wolle er sehen, ob der Weg frei sei.

Herrn Schwebefein ward's heiß und kalt, er verzweifelte und hoffte wieder, er bat, er flehte und donnerte dazwischen wie ein Unteroffizier auf dem Kasernenhof. Und siehe da, nach drei Uebungsstunden erklärte er, man könne die verehrten Lehrlinge der höheren Anmut nun zusammen weiterstudieren lassen.

 


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