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Fünftes Kapitel. Die Badebekanntschaft.

Im nächsten Kränzchen wurde Mike über ihre Heimtücke tüchtig geneckt. Die Freundinnen behaupteten, sie habe sich nur verstellt, um recht zu verblüffen und allen einen Riesenschrecken einzujagen.

»Ich wollte eben den Todessprung wagen, um dich zu retten,« erklärte Anna mit feierlicher Uebertreibung.

Mike lachte schelmisch. »Wenn ich darauf hätte warten wollen, Anna, dann schnappte ich kaum noch diesen schönen Krapfen ein; ich tat schon besser, mich auf mich selber zu verlassen und auf die vielgeschmähten Glieder.«

Anna stimmte ihr bei, fügte aber gleich hinzu, es sei eigentlich unrecht, daß keine von ihnen Mike zu Hilfe gesprungen sei, oder ihr wenigstens die Stange hingehalten habe, denn wissen hätte man's am Ende doch nicht können, und ein andermal würde sie flinker sein.

Dann ergriff sie feierlich die Kaffeetasse, froh der Gelegenheit, die einen kleinen Reim angebracht erscheinen ließ, und sprach:

»War einst ein Fräulein Ungeschickt,
Dem nicht ein einzig Tempo glückt.
Es zappelt hin, es zappelt her –
Ja, Kinder, Schwimmen scheint mir schwer,
Voll Unmut über solchen Fall
Stürzt sie sich in den Wogenschwall:
Lern' ich das Schwimmen nicht auf Erden,
So will ich Wasserjungfer werden!
Die Wasserjungfer aber spricht:
Nein, Hennings Mike mag ich nicht!
Im Wasserreich ist alles stumm,
Da käm' das Schnepperchen ja um!
Drum half sie wieder ihr heraus
Aus Wogenschwall und Wellenbraus,
Bracht schnell ihr bei die Tempi noch –
Die Wassernixe lebe hoch!«

Das Hoch wurde hübsch dreistimmig gesungen, nur Melanie fand es überflüssig, daß die eingebildete Mike auch noch gefeiert werde.

Durch ihr Wegbleiben aus den Schwimmstunden wurde sie den Freundinnen überhaupt entfremdet, während das gemeinsame Interesse die andern vier um so enger verknüpfte. Allmontaglich fühlte sich Melanie beleidigt, wenn von irgend etwas Wässerigem die Rede war; daß dies aber bei der augenblicklich herrschenden Begeisterung für das feuchte Element, trotz der jungen Mädchen guten Willen, Melanie nicht zu reizen, unmöglich ganz zu vermeiden war, hätte sie eigentlich einsehen sollen.

Sie sah es aber nicht ein, sie fand die Freundinnen sehr unfreundlich und freute sich gar nicht mehr auf das Kränzchen.

»Ach, wenn ich doch verreisen könnte, bis die Mädchen die dumme Schwimmerei satt haben,« seufzte sie.

Mit dem Reisen aber war es nichts. Da sie mit dem Bruder in den großen Septemberferien Verwandte in Eisenach besuchen sollte, ließ sich der gutmütige Papa jetzt zu keiner Trennung bewegen, und da Mama Brunnen trinken und baden mußte, konnte Melanie nicht wie sonst die Eltern zu einer gemeinsamen Fahrt bereden.

Ihr einziger Trost blieben die Badefremden. Ja, sie trank aus lieber Langeweile schließlich sogar Molken, was der gute, ängstliche Papa in Anbetracht der Schwimmstundenbrustschmerzen sehr verständig fand.

Bei dieser Gelegenheit machte Melanie eine »reizende Bekanntschaft«, die sich bereits nach acht Tagen zur zärtlichsten Freundschaft ausgewachsen hatte. Dies geschah um so leichter, da die Brunnengenossin sich als Hausnachbarin herausstellte, und sie gestaltete sich »brennend interessant«, weil Vera Brodjewitsch eine Russin war.

Melanie kam sich durch diesen fremdländischen Umgang noch viel wichtiger, gebildeter und erwachsener vor als bisher, und ging auf der Straße mit noch mehr Bewußtsein neben der neuen Freundin, als sonst neben den alten.

Vera war ein bildhübsches Mädchen; sie hatte eine feine, graziöse Gestalt, geschmeidige Glieder, mit denen sie sich »hinreißend« in einem Schaukelstuhl zu schmiegen verstand, ihre schmachtenden Augen guckten hinter langen Wimpern hervor, als hätten sie eine Menge wunderschöner Dinge zu erzählen, ihre Haut fühlte sich wie Sammet an. Dabei hatte sie trotz ihrer fünfzehn Jahre die Manieren und den Geschmack einer völlig erwachsenen Dame, und Melanie fand alles, alles an ihr bezaubernd.

Zuerst tat es ihr Veras elegantes, blaßseidenes Morgenkleidchen an, der große, weiche Stoffhut, aus dem der dunkle Kopf heraussah »wie gemalt« und der Sonnenschirm, dessen eine Nixe darstellende Elfenbeinkrücke »gradezu feenhaft war«.

Bruder Max lachte zunächst Hohn über diese Beschreibung, erklärte aber nach genauer Besichtigung Melanies Flamme für einen schneidigen Käfer, und die Schwester errötete vor Freude über dieses jungenhafte Lob.

Sie sah infolge des wundervollen Aeußern und des anmutigen Benehmens in der jungen Fremden das Ideal eines Fräuleins, wie es sein sollte; ihre alten Freundinnen kamen ihr plump und kindisch vor, sie vergaß ihre guten Eigenschaften, sah nur noch die Fehler jeder einzelnen und mäkelte täglich mehr an ihnen herum.

Da Vera ihrer kranken Mutter wegen jedenfalls bis zum Herbst in Amsel bleiben würde, vielleicht sogar den ganzen Winter hindurch, oder gar für alle künftigen Zeiten, so ergab sich Melanie mit Entzücken der neuen Freundin und fühlte sich außerordentlich stolz, als Vera zum erstenmal bei ihr zu Gast war und huldvoll ein großes Paket » gâteaux délicieux« für ihre Mutter mitnahm.

Noch größer war der Tag, an dem Mela dieser Mutter zum erstenmal eine kurze Verbeugung machen durfte.

Frau Brodjewitsch lag im Schaukelstuhl in einem verdunkelten Zimmer, sah sehr blaß aus und sprach leise wie ein Hauch. Trotzdem machten die wenigen Begrüßungsworte, die sie Melanie gönnte, einen tiefen Eindruck auf die junge Eitelkeit. Sie hätte sich von niemand gern » ma petite« nennen lassen, aber von einer echten Russin französisch angesprochen zu werden, war und blieb wundervoll, und keine andre Kränzchenschwester konnte diesem ein ähnliches Erlebnis entgegenstellen.

Noch vor kurzem hatte sie »Lernen« für Unsinn erklärt, jetzt holte sie heimlich die Grammatik wieder vor und übte avoir und être. Es schien ihr plötzlich unzweifelhaft, daß feine Damen französisch sprechen müßten, und sie fand es »geradezu köstlich, im Verkehr mit Vera ihre Sprachkenntnisse zu erweitern«. Bald lebte Melanie nur noch für ihre reizende Russin, und sie hatte auch schon einmal im Kränzchen von ihr erzählen wollen, da aber Anna nach dem ersten Wort etwas wegwerfend äußerte: »O, eine Badebekanntschaft, aus denen mache ich mir nichts,« so hatte sie ihre Begeisterung für sich behalten.

Meist dachte sie vom frühen Morgen an ausschließlich an Vera und das, was sie zusammen geplaudert hatten; hörte sie doch immer etwas Neues von ihr. »O, wirr in Rußland lernen das Schwimmen ganz klein, wirr wissen nicht von schweres Lernen,« hatte sie kürzlich gesagt.

Das ließ sich Melanie gefallen, auf so etwas Vernünftiges kamen die schwerfälligen Deutschen natürlich nicht, in Deutschland mußte man sich überhaupt immer plagen; wie viele Examen mußte der unglückliche Max bestehen; es war wirklich ein Wunder, daß man das Gehen nicht auch erst mit fünfzehn Jahren beigebracht bekam; Tanzen hatte Vera auch schon mit drei Jahren gelernt, jetzt brauchte sie sich mit nichts mehr zu quälen, während Melas sonst so nachsichtige Mutter verlangte, daß sie sich um Küche und Keller bekümmere und täglich ein paar Stunden mit Nadel und Faden arbeite.

Nein, Vera tat nie etwas. Sie lachte, wenn von dergleichen die Rede war, und sah auf ihre Hände, deren feine Fingerchen wie Marzipan aussahen.

Eine Dame müsse vor allen Dingen schöne Hände haben, sonst sei sie keine Dame, sagte sie.

Und Melanie, die große, dumme Melanie, glaubte alles, was Veras kleiner, roter Mund plapperte; sie schämte sich seitdem jedes geringsten Arbeitszeichens an ihrer Hand und hätte am liebsten jede Tätigkeit vor Vera verleugnet, wenn sie nur nicht hie und da beim Kochen überrascht worden wäre.

Vera aber war so süß, ihr diese unpassende Beschäftigung nicht nachzutragen, im Gegenteil, Mela konnte nicht oft genug Krapfen backen, von denen nahm sie jedesmal eine Menge mit nach Hause. Max durfte sie ihr bis an die Türe tragen. Hatte aber Mela einmal recht rote, heiße Wangen vom Feuer, dann flüsterte Vera mit ihrem süßen Stimmchen: » Mon pauvre ange!«

In Melanies Herzen war es beschlossen: Vera mußte Kränzchenschwester werden, das heißt, wenn Vera wollte, denn es war doch immer zweifelhaft, ob solch ein Engel sich unter den plumpen Freundinnen wohlfühlen konnte.

Vera war huldvoll bereit, Kränzchenschwester zu werden, nur könne sie sich nicht verpflichten, die Freundinnen auch bei sich zu empfangen, der kränklichen Mutter wegen.

Melanie versicherte ihr feurig, sie brauche das Kränzchen nie zu geben, wenn sie nur da sei, das genüge allein schon, um Freude zu machen, und entwarf nun Pläne auf Pläne, in welcher Weise sie die Mädchen zusammenbringen könne, damit vor allem die gegenseitige Bekanntschaft eingeleitet werde.

 


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