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Zehntes Kapitel. Der Tugendbund entschließt sich zur Vergeltung.

Sobald es am andern Morgen die Tageszeit erlaubte, lief Lili zu Schmiedings. Brigitte war noch beim Ankleiden, die Jungfer durfte aber die Hausgenossin ins Schlafzimmer lassen, und zunächst verstummte Lili vor staunendem Entzücken.

Doch nur einen Augenblick, dann brach die Verzweiflung aus und trotz aller Scheu vor dem »wonnigen« Frisiermantel floß sie über von Vorwürfen.

Als Gitta endlich begriff, worum es sich handelte, lachte sie nur; da Lilis Jammer sich aber beim Aussprechen steigerte, wurde sie endlich ärgerlich.

»Welche Kinderei! Ich habe alles Boshafte weggelassen, und genannt habe ich auch niemand.«

»Aber sie haben mich in Verdacht – alle – und ich bin's auch gewesen, ich habe ein Kränzchengeheimnis verraten. Wenn es die Mädchen erfahren, ist's aus mit der Freundschaft.«

»Sie haben es verraten? Warum denn Sie? Wo ist der Beweis? Das kann jede verschwätzt haben – oder der Brief ging verloren, oder das Kränzchen wurde beim Dichten belauscht – wenn Sie nur nichts zugeben, kann Ihnen keine einen Vorwurf machen, und so dumm werden Sie doch nicht sein!«

Für Gitta war die Angelegenheit erledigt, und als Lili weiter klagen wollte, wurde »die Fee« plötzlich sehr kühl. »Ich habe jetzt Briefe zu schreiben,« sagte sie und streifte den Spitzenmantel ab. »Werden Sie bald wieder lustig, – langweilige Menschen kann ich nicht aushalten.«

Lili wurde ganz blaß, sie wußte nicht, war es Zorn oder Angst, was ihr so weh tat. Stumm ging sie hinaus, schlich in den hintersten Winkel des Gartens und begann über ihr jüngstes Ideal zu grübeln. – Das war ja ein ganz häßliches Mädchen! – »O Anna! meine Anna!« seufzte sie und wäre fürs Leben gern ins Gymnasium gelaufen, wenn es das schlechte Gewissen nur erlaubt hätte.

Lili saß noch auf dem harten Bänkchen, als die Tugendbündler sich zu einem »gründlichen Sonntag« bei Mohrchen versammelten, Max Schönbach zum erstenmal unter ihnen.

»Na wie steht's?« begann der kleine Edu die Gerichtssitzung. »Habt ihr zwei Brüder etwas entdeckt?«

»Nichts! – Keine verriet sich, denn sie waren harm- und ahnungslos, und die Versprobe sollten wir nicht machen.«

»Nein!« rief Mohrchen lebhaft, »das verdürbe die Ueberraschung! Wir wissen ja auch alles: Lili Roßbach hat es verklatscht, sonst hätte sie den andern erzählt, daß wir sie aufgezogen haben – nur schlechtes Gewissen kann also schweigen – und gewesen sind sie es natürlich alle –«

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Mohrchen klappte zunächst mit dem Lineal auf den Tisch und hielt dann eine Rede.

»Mohrchen, ich bewundere dich als Menschenkenner,« fiel Ferry ein, »du solltest die Vergeltungssitzung leiten.«

Da kein Widerspruch laut wurde, übernahm Mohr die Führung. Er klappte zunächst mit dem Lineal auf den Tisch und hielt dann eine Rede: »Verehrte Mitstrebende auf dem Pfade der Weisheit und Tugend, ein höchst strafwürdiges Unterfangen ist uns kund und zu wissen getan worden.«

Bravorufen und Scharren mehrerer Paar Schulfuchsstiefel.

»Der anscheinend so unschuldige Montagskranz unsrer p. p. Tänzerinnen und Schwestern hat sich als eine spottspritzende Giftblumenvereinigung kundgegeben.«

»Na na,« brummte Hans.

Mohrchen aber fuhr mit komisch aufgeblasenen Backen fort: »Ruhig, Hans, langer Ritter mit erhebenden Eigenschaften; verwandtschaftliche Gefühle haben im Gerichtssaal zu schweigen. – An der Urheberschaft der p. p. Verse, die den Anspruch auf Witz zu machen scheinen –«

»Machen können, durchaus machen können,« fiel Ferry feurig ein.

»Still, du bist auch Partei – wer dich einen Dichter nennt, der kann dir außerdem einen Mord nachsagen, du nimmst es ihm nicht übel – ich sage, die p. p. bewußten, inkriminierten Mädelverse scheinen Anspruch auf Witz zu machen, und frage, ob etwa einer an der Urheberschaft des nunmehr berüchtigten Montagskränzchens Zweifel hegt?«

»Nein!« donnerte es fünfstimmig durch die Bundeslade.

»Zum andern frage ich, ob wir es unsrer Würde als Männer, Tugendbündler und Träger der höheren Intelligenz schuldig sind, obbesagten Frevel zu strafen und zu rächen?«

»Ja!« erscholl es abermals fünfstimmig, hinterdrein klappte Ferry mit der Bemerkung: »Rächen klingt mir etwas zu brutal, ich bin nur für strafen.«

»Ferry, du bist furchtbar anständig; aber ich vermisse die männliche Tatkraft,« bemerkte der kleine Edu, und Baltzer fiel ein: »Wir sind Männer, also brutal und feurig!«

»Silentium!« donnerte Hans dazwischen. »Mohrchen will reden, er schnappt schon.«

Mohrchen hatte plötzlich seine würdevoll aufgeblasenen Backen zusammenfallen lassen und fragte in seinem Alltagston: »Sagt mal, liebe Männer, ist es nicht eigentlich mehr schmeichelhaft als empörend, daß sich die kleinen, guten Mädchen so lebhaft mit uns beschäftigen? Richtiger wäre wohl hier eine Belohnung.«

Das Murren, das sich schon bei Beginn der milden Auffassung geregt hatte, wuchs zum wilden Gewitter.

»Er ist selber Partei! Sein Vers enthält zu viel Honig! Er ist der Bestechung zugänglich – Weibergegirre verwirrt seine Geradlinigkeit!«

Mohrchen saß wie ein Fels im Meere und ließ die Wogen branden; als es ruhiger geworden war, klappte er nochmals mit dem Lineal und sagte dann gemütlich: »Na denn nich, liebe Mitmänner. Rächen wir also! Wenn ich meine Dichterin erst heraus habe, kann ich ihr ja noch eine Privataufmerksamkeit erweisen.«

Die Gesamtheit zeigte sich befriedigt und trat in die Beratung der Strafausführung ein. Ganz leicht war die Einigung nicht, denn jeder hatte eine andre Meinung und vertrat sie mit Leidenschaft; Kurtchen Baltzer rief bei allem: »Aber feurig, ungeheurig, das bitt' ich mir aus!«

Schließlich einigten sie sich doch, und mit ungeheuchelter Zufriedenheit ward »der Racheplan« ausgesponnen. Zum Vorbereiten blieb den feurigen Tugendbündlern reichlich Zeit, da die Ausführung auf den Tag verschoben wurde, an dem der Montagskranz sich bei Olfers versammeln würde.

Bis zu diesem Tage versprach man sich tiefstes Stillschweigen.

 


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