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Drittes Kapitel. Die Gründung.

Der nächste Tag brachte die Entscheidung für den Zukunftskranz, und er wand sich unter den günstigsten Vorbedeutungen. Selbst Mike hatte mit der Mutter Hilfe des Vaters Widerstreben und Klaras Bemerkung: » sie habe nie ein Kränzchen gehabt!« siegreich überwunden.

Melanie war verstimmt; die Idee stammte von ihr und die Ausführung ging ihren Wünschen entgegen. Sie wurde erst wieder freundlicher, als Grete Sonderstädt nachträglich zu ihrer Beitrittserklärung bemerkte: »Wie schade, vor ein oder zwei Jahren kann ich nicht dabei sein, denn so lange muß ich in Leipzig lernen, aber dann, wenn ich wiederkomme, dann wird es herrlich werden! Und Weihnachten oder wenn ich sonst etwa Ferien habe, gebe ich Gastrollen.«

Anna Krause erklärte Grete Sonderstädt daraufhin feierlich zum korrespondierenden Mitglied, Melanie aber dachte: kommt Zeit, kommt Rat.

Den unter allgemeinem Beifall angenommenen Titel des korrespondierenden Mitglieds beanspruchten noch zwei andre, die in Pension geschickt werden sollten. Else Rhin, das Oberlehrerstöchterlein, ging nach Lausanne, um gründlich Französisch zu lernen, und Rose Flinsch, deren Vater drei prächtige Hotels in dem schönen Bade besaß, wurde zu einer Tante nach Berlin geschickt, um Gesangunterricht zu nehmen.

»Das ist großartig,« sagte Mike. »Wenn diese drei einstmals zurückkommen, wird unser Kränzchen so gelehrt sein, daß es an Gewicht und Vollkommenheit alle Kränzchen der Welt übertrifft.« Emmy Olfers aber seufzte angesichts dieser Bildungsreisen und dachte an die trockenen Wirtschaftsstudien, die sie in diesem Jahr unternehmen sollte.

Eugenie Plätten, die nicht in Amsel zu Hause, sondern nur bei ihrer Tante in Pension gewesen war, kam ohnehin nicht in Frage, also blieben als regelmäßige Kränzchenschwestern nur fünf übrig, und Melanie beschloß, Mike in den Kauf zu nehmen und vergnügt zu sein.

Am Ostermontag sollte das erste Kränzchen stattfinden, da waren noch alle zu Haus, acht Tage später hätten die korrespondierenden Mitglieder sich mit einem Einweihungsbericht begnügen müssen. Und Rose Flinsch bat sich aus, dies erste halten zu dürfen. Da Grete und Else ihr den Rang nicht streitig machten, wurde die Bitte gewährt, und Rose putzte ihr Zimmerchen wunderhübsch auf. Feines gemaltes Porzellan schmückte den Kaffeetisch, Blumen standen auf jedem freien Plätzchen, sie zerstäubte sogar Koniferengeist, »um es ganz fein zu machen«, und erntete Lob und Bewunderung.

»Wenn da auch noch Großstadtschliff hinzukommt,« sagte Anna Krause würdevoll, »dann ist's für gewöhnliche Sterbliche hier kaum noch auszuhalten.«

Rose lachte geschmeichelt und Melanie seufzte tief auf, weil sie nicht auch nach der Weltstadt durfte. Papa hatte, zum erstenmal bei einem leidenschaftlich geäußerten Wunsch seines Lieblings, kurz erklärt: »I, warum nicht gar! Ich bin froh, daß ich das Frauenzimmerchen endlich einmal für mich habe, und nun will sie nach Berlin. Unsinn, da kriegt sie die Bleichsucht und müßte Spreewasser trinken; daraus wird nichts – basta!«

Melanie seufzte also nur noch, wenn sie an Berlin dachte, und hoffte auf künftige mildere Stimmungen des Papas.

Als die Kränzchenschwestern das niedliche Zimmer genug bewundert hatten, setzten sie sich um den Sofatisch, ließen sich die Napfküchelchen schmecken, die Rose von dem Koch im großen Logierhaus hatte backen lassen, und wollten nun gerade die Arbeit herausnehmen, um den berühmten, zu Hause verkündeten Kränzchenfleiß zu betätigen, als Mike ein blaues Groschenoktavbuch aus der Tasche zog und ums Wort bat.

Sie hielt eine kleine Rede, stoßweise, eifrig, etwas durcheinander, wie sie alles tat, »ohne Kunstbegriff«, dachte Anna – aber auch hübsch warm und herzlich.

Sie beantragte, daß gleich heute, als erste Tat der neuen Vereinigung, Statuten gemacht und aufgezeichnet würden.

Rose lachte, da aber Anna die Sache für schön, notwendig und wünschenswert erklärte, so machten sie sich ans Werk.

Eigentlich wollte sie Anna in Versen haben, doch waren schließlich alle froh, als sie sich in Prosa geeinigt hatten und die wichtigen Bestimmungen mit acht Unterschriften im Oktavbuch standen.

Da gab es Regeln über das künftige, stets am zweiten Montag im April abzuhaltende Stiftungsfest, über die Fünfpfennigkasse, das Strafezahlen beim Zuspätkommen, über Verbrauchsbeschluß des aus diesen Einzahlungen entstehenden ungeheuren Vermögens, über gemeinsame Spaziergänge, über Aufnahme etwaiger neuer Mitglieder.

Dieses letztere wurde besonders ernsthaft abgehandelt, Melanie waren diese Bestimmungen immer noch nicht scharf genug. »Es soll mir nicht eine zweite herein, die ich nicht leiden mag,« dachte sie, und so stand denn auf dem Papier, daß ein neues Mitglied nur nach vorheriger gründlicher Bekanntschaft (»Beschnüfflung« sagte Mike dazwischen) und nach einstimmiger Wahl aller ordentlichen Mitglieder aufgenommen werden dürfe. Mikes Wangen glühten. »So!« rief sie am Schluß der schwierigen Beratung und übergab Anna Krause, die zum Kränzchensenior ernannt worden war und das Amt eines Sekretärs und Statutenbewahrers noch umsonst zubekam, das Buch, »so, und nun kommt das Allerschönste. Merkt auf! Wir sind ein Kränzchen, ein Kränzchen wird aus Blumen gebunden, also muß jede von uns eine bestimmte Blume wählen, die ist dann Kränzchens Spitzname und Symbol, je bunter, je besser!«

»Bravo, Schnepperchen,« sagte Anna.

»Merkt ihr es nicht?« rief Else, »Mike will doch ihren Spitznamen los sein, deshalb die Blumenwahl! Aber Mike, deine muß jedenfalls ein Lippenblütler sein.«

Alle lachten über diesen Scherz, nur Melanie blieb ernst und rief wichtig dazwischen: »Ich bin die Rose.«

Rose Flinsch wandte sich lebhaft um: »O nein, Melanie, das geht nicht, bedenke doch, ich heiße nun einmal Rose, da muß ich sie auch zu meiner Blume wählen.«

Melanie hätte gern geschmollt, da Rose aber gerade die war, mit der sie jetzt einzig gut Freund sein und von der sie sich gern einmal nach Berlin einladen lassen wollte, so zuckte sie nur ärgerlich die Achseln und sagte: »Natürlich, du hast recht – jetzt weiß ich aber nichts andres.«

Alle lachten sie aus. Nur Mike war mit ihren Gedanken wo anders – sie hatte ins Blaue gestarrt und rief mitten in Melanies Niederlage hinein: »Du, Emmy, du mußt der Flieder sein!«

Mike wußte zwar nicht zu sagen, weshalb sie Emmy »Flieder« nennen wollte, aber sie behielt recht; Emmy liebte die Zweige und den Duft und war mit ihrem Namen wohl zufrieden.

»Ich bin fürs Schneeglöckchen,« sagte Anna, »das hab' ich immer besonders gern gehabt, und Weiß muß doch auch dabei sein.« Da ihr niemand diesen Liebling streitig machte, schrieb es Mike eifrig auf.

»Ich bin fürs Gänseblümchen,« sprach Grete, »das findet man wenigstens immer.«

Melanie rümpfte die Nase über den bäurischen Geschmack, und auch Lili rief: »Du bist gar zu bescheiden, sag lieber Tausendschön, das ist ja beinah dasselbe. Nun kommt aber wieder etwas Buntes: ich bin 's Vergißmeinnicht!«

Dies fand großen Beifall, Lili hatte in der Schule den Spitznamen Murmelbach erhalten, weil sie gar zu gern ein wenig schwärmte, nun paßte das Quellenblümchen vortrefflich in die gewohnte Neckerei.

Melanie ließ sich zur Nelke bereden, Mike – »um was Gelbes in die Geschichte zu bringen« – wählte die Schlüsselblume, »Schlüssel klappern ja auch«, und Elsen wurde nach langem Raten und Verwerfen die »Männertreu« zuerteilt, als warnendes Beispiel, damit »sie draußen im fremden Land der Heimat treu bleibe und dem teuren Montagskränzchen«. Else gab's lachend zu.

Anna war nun in voller Begeisterung – sie verlangte mindestens noch ein Monogramm, wo nicht gar ein Wappen, das bei besonders günstigen Verhältnissen später einmal als Kränzchensiegel in Metall geschnitten werden müsse.

»Großartig, herrlich, prachtvoll!« riefen alle. »Das Kränzchen lebe!«

»Ja, wie soll nun das Wappen sein?«

»Ein Blumenkranz, um ein Monogramm geschlungen.«

»Aber welches?«

»All unsre Buchstaben vereint.«

Gelächter belohnte den Einfall.

Melanie, die durch ihren Bruder allerlei Schulfuchsweisheit aufgeschnappt hatte, sprach: »Wir wollen › V. C. F.‹ verschlingen, wie es die Arminen tun, bei denen Max einmal einspringen wird, das heißt etwas Hübsches.«

»Das heißt: vivat, lebe, crescat, wachse und floreat, blühe,« sagte Anna, und Melanie zeichnete die Buchstaben auf, wie sie's von ihrem Bruder gesehen hatte. Einige fanden es hübsch, Anna aber verwarf es. »Unsinn,« sagte sie, »das ruft man wohl einmal in der Hitze des Gefechts, will sagen, in einem begeisterten Augenblick, wenn man eine studierte Tochter, Schwester und Nichte ist, aber solchen Studentenschwindel nachmachen? Nein, dazu sind wir als Mädchen doch viel zu stolz, da würde ich noch eher für die vier F der Turner sein: ›Frisch, fromm, fröhlich, frei‹, das ist wenigstens deutsch, und geturnt haben wir ja alle mit Leidenschaft beim guten alten Herrn Schwebefein.«

»Ja, aber –«

»Nun? Was für ein Aber hast du gegen die vier F – Fräulein Emmy?«

Emmy lächelte über das Fräulein, was Anna nur austeilte, wenn sie unzufrieden war. »Es ist schon so oft dagewesen, ich möchte etwas für uns ganz allein.«

Eigentlich wollten das alle, und man beschloß, sich »nach und nach« einen Wahlspruch anzuschaffen und einstweilen den leeren Kranz als Symbol, Siegel und Stolz zu benutzen.

Nun beruhigten sich wirklich die Gemüter so weit, daß die Arbeiten vorgeholt werden konnten, und besonders Mike häkelte in fieberhafter Eile an ihrem hübschen Deckenstern, damit Klara nicht Gelegenheit habe, naserümpfend zu fragen: »Das ist euer Kränzchenfleiß?«

Schwatzen konnte sie dabei herrlich, denn auf eine Zählarbeit hatte sie sich nicht eingelassen, die andern ebensowenig. Manch liebes Mal redeten alle acht zugleich, und zu Hause erklärte eine jede, es sei ein wundervoller Nachmittag gewesen, und wirkliches Mitglied eines statutenreichen Vereins zu sein, das hebe den Menschen zu ungeahnter Höhe.

 


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